Schlafmediziner im Interview“Abschalten ist das A und O”

Kristina Müller

 · 06.11.2023

Schlafmediziner im Interview: “Abschalten ist das A und O”Foto: privat
Dr. Holger Hein ist Schlafmediziner und selbst Segler, er hat schon Boris Herrmann beraten
Der Schlafmediziner und Segler Dr. Holger Hein über die gute Nachtruhe auf See, was in unserem Gehirn passiert und welche Tricks helfen können.

YACHT: Herr Dr. Hein, warum ist guter Schlaf so wichtig?

Dr. Holger Hein: Im Schlaf können wir abgeschottet von der Umwelt Verschaltungen im Gehirn wieder abbauen, die wir tagsüber aufgebaut haben und die unnötig sind. Wir entkoppeln das, was wichtig ist, und speichern es ab.

Wie schafft man es aber, an Bord und vor allem auf See gut zu schlafen?

Indem man gut abschaltet. Das ist das A und O. Auf See geht das am besten, wenn man weiß, dass alles okay ist. Das heißt, man sollte sein Boot gut kennen, wissen, wo alles ist, und sich im Dunkeln zurechtfinden. Dann muss man sich auch keine Sorgen machen.

Haben Sie noch einen Tipp?

Warme Füße! Wenn sie kalt sind, schläft man schlecht. Das ist wissenschaftlich gut belegt. An Bord haben wir zudem den Vorteil, dass wir nicht so vielen Eindrücken unterliegen wie im Berufsalltag in einer Stadt. Die Eindrücke auf dem Wasser sind gleichförmiger, daher kommt man vielleicht auch mit einer etwas kürzeren Regenerationszeit aus.

Die Eindrücke auf dem Wasser sind gleichförmiger, daher kommt man auch mit einer kürzeren Regenerationszeit aus“

Kann man an Bord und auf See überhaupt so tief schlafen wie im Bett zu Hause?

Ja. Man unterscheidet die drei Schlafphasen Leichtschlaf, Tiefschlaf und Traumschlaf, also REM-Schlaf (REM steht für Rapid Eye Movement, da sich die Augen in dieser Phase schnell bewegen; Anm. d. Red.). Diese Phasen kann man an Bord auch alle in der gleichen Intensität durchlaufen – unabhängig davon, ob man am Stück durchschläft oder fragmentiert, also in Intervallen.

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Viele Fahrtensegler richten ihr Wachsystem nach den natürlichen Neigungen der Crew aus und so, dass jeder sechs bis sieben Stunden Schlaf am Stück bekommt. Andere fahren mit deutlich kürzeren Wachen. Was ist aus Ihrer Sicht besser?

Ich halte kürzere Intervalle mit etwa Vier-Stunden-Wachen für sinnvoller, denn danach lässt die Konzentration beim Wachhabenden nach. Damit nicht immer derselbe die Hundewache hat, empfehle ich ein vorwärts rotierendes System.

Aber ist es nicht viel schwieriger, während einer kurzen Freiwache, die dieses System bei der typischen Zweier-Fahrtencrew mit sich bringt, in den Tiefschlaf zu finden?

Nicht unbedingt. Fragmentierter Schlaf ist an sich nicht schlimm. Hauptsache, man kann gut abschalten.

Wie schafft man das, ohne erst ein individuelles Schlaftraining zu absolvieren?

Tipps aus der kognitiven Verhaltenstherapie sind, an schöne Dinge zu denken, etwa an positive Erlebnisse des Tages, und nicht an Probleme. Nachts sieht man sie aufgrund der hormonellen Ausgangslage grauer und schwieriger, denn dann geht der stimmungsaufhellende Cortisolspiegel runter und erst morgens wieder hoch. Routinen helfen auch an Bord, im Schlaf besser abzuschalten. Es ist wichtig zu wissen, wie der eigene Schlafrhythmus ist, also ob man eher der sogenannte Frühtyp oder Spättyp ist. Das sollte man an Bord beibehalten.

Während der Nachtwache hält man sich oft mit Kaffee und Schokoriegeln wach. Ist das eigentlich eine gute Idee?

Etwas Warmes zu trinken ist auf jeden Fall gut, denn Kälte macht müde. Schokolade hält einen hingegen nicht lange wach. Dann lieber Vollkornprodukte. Ich empfehle aber, die Wache zwischen Mitternacht und vier Uhr möglichst kurz zu halten, etwa zwei Stunden.

Einhandsegler haben nicht die Wahl. Gerade bei Regatten berichten sie immer wieder von Halluzinationen wegen Schlafmangel. Wann bekommt man die, was passiert da im Körper?

Ungefähr, wenn Sie 36 Stunden wach sind, ab dann wird es schlimmer. Das Gehirn wird nicht mehr aufgeräumt und kann alte Verschaltungen nicht mehr einordnen. Es weiß nicht mehr: Passiert etwas jetzt gerade oder ist das schon gewesen? Dann sehen oder hören Sie Dinge, die gar nicht da sind.

Wie viel Schlaf reicht danach, um das Gehirn wieder aufzuräumen?

An sich zwei bis drei Stunden. Und danach, beim Einhandsegeln, portionsweise immer wieder schlafen.

Nicht ganz einfach, wenn einen das Adrenalin wachhält! Wie ist die Rolle von Stress und Anspannung zu bewerten, gerade beim Regattasegeln?

Adrenalin ist auch schnell wieder abgebaut. Aber wenn Sie unter Dauerstress stehen und laufend Cortisol ausschütten, funktioniert die Regeneration nicht mehr gut. Insofern sollte man zusehen, dass man die Schlafdauer, die man braucht, schafft. Schlaf ist ja auch kein Zustand, in dem man völlig weg ist. Es gibt einen interessanten Bericht von Ellen McArthur, wie sie an der Treibeisgrenze segelt und plötzlich merkt, wie sich das Schiff weniger bewegt. Das ist schön mit dem Aktigraph, einem Bewegungssensor, aufgezeichnet. Die Bewegungen des Schiffs werden in der Nähe des Eisbergs weniger, dadurch wird sie wach.

Wenn man ein bisschen über sich selbst nachdenkt, merkt man, was für einen gut ist. Es gibt kein Allheilmittel”

Hochsee-Regattasegler sind als Sportler doch eigentlich besonders auf guten Schlaf angewiesen – beim Segeln nicht ganz einfach. Was raten Sie denen?

Im Grunde genommen unterstützt die Bewegung beim Sport den guten Schlaf, auch beim Segeln. Wenn man schläft, kann man zudem luzide träumen, das heißt, man träumt von dem, was man in sportlicher Hinsicht erreichen will. Dazu gibt es Untersuchungen aus anderen Sportarten. Viele Menschen können luzide träumen, wenn sie sich das fest vornehmen. Das kann dabei helfen, Erfolge zu steigern.

Zum Schluss: Was halten Sie von Einschlaftechniken wie Fantasiereisen, Hörbuch oder Musik hören?

Das kommt darauf an. Einige stört das, andere nicht. Aber lieber Musik hören als einen spannenden Krimi. Wenn man ein bisschen über sich selbst nachdenkt, merkt man, was für einen gut ist. Es gibt kein Allheilmittel.

Zur Person: Dr. Holger Hein

Der Schlafmediziner betreibt ein Schlaflabor in Hamburg und eine Praxis in Reinbek. Er hat schon Boris Herrmann beraten und chartert selbst regelmäßig auf der Ostsee und am Mittelmeer. YACHT-Leser können ihm gern ihre Erfahrungen zum Thema „Schlaf an Bord“ per E-Mail senden an: hh@dr-holger-hein.de


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