Die Szene mutet seltsam an, zumindest in einem Hafen: Acht Frauen und Männer stehen in Tromsø an der Pier, schauen aufs Meer und plaudern. Sie sind angereist aus Österreich, Deutschland und der Schweiz. So weit, so gut. Doch sie haben nicht nur Seesäcke geschultert, sondern halten auch Skisäcke in der Hand. Und ihr Gespräch dreht sich nicht allein um die bevorstehenden Windbedingungen oder die Frage, ob jemand zu Seekrankheit neigt. „Wie viele Aufstiege pro Tag sind eigentlich geplant?“, will etwa eine der Frauen wissen. Ein anderer fragt mit steirischem Dialekt: „Samma aufd Nocht am Lond?“ Und ein Dritter bekundet mit unverkennbar rheinischem Tonfall: „Ich hab die Breiten metjebracht.“ Er meint seine Ski.
Des Rätsels Lösung: Die da alle so aufgeregt durcheinanderreden, sind die Teilnehmer eines nicht alltäglichen Törns. Eine Woche „Ski and Sail Lyngenalpen“ haben sie gebucht. So wie ich. Und nicht nur bei mir ist nun so kurz vor dem Start eine gewisse Anspannung zu spüren.
Im Stadthafen von Tromsø schneit es. Am gegenüberliegenden Ufer erstrahlt die effektvoll beleuchtete Eismeerkathedrale, das Wahrzeichen der Stadt. Einschiffen ist angesagt. Das Gepäck wird über schwach beleuchtete Schwimmstege zu dem im Päckchen mit einem Fischerboot liegenden Zweimaster „Duen III“ geschafft. Bootsmann Tai hilft, Taschen und Skisäcke sicher über die Reling an Bord zu hieven.
„Auf was habe ich mich da eingelassen?“, frage ich mich im Stillen beim Betreten des schneebedeckten, rutschigen Decks. Die gleiche Frage kommt mir kurz darauf erneut in den Sinn, als mein Blick in der wohligen Wärme des Salons über die Antlitze meiner Mitreisenden schweift. Altersschnitt: unter 30 Jahre. Die sind alle jünger als meine Kinder! Hoffentlich kann ich da mithalten. Denn das Programm der nächsten Woche hat es wahrlich in sich.
Der Veranstalter kennzeichnet die Tour mit dem Kürzel „ZS“ – ziemlich schwierig
„Segeln in arktischen Gewässern. Tägliche Skitouren mit Anstiegen von 900 bis 1.300 Höhenmetern. Tiefschneeabfahrten vom Gipfel bis hinab ans Meer.“ So steht es in der Reisebeschreibung. Der Veranstalter, die Firma Alpine Welten aus Berghülen bei Ulm, kennzeichnet die Tour auf ihrer Webseite mit dem Kürzel „ZS“ – ziemlich schwierig. Voraussetzung für die Teilnahme an der „herausfordernden alpinen Unternehmung“ sei neben einer guten Kondition „große Ernsthaftigkeit bei besonderer Gefährdung“. Na, das kann ja heiter werden!
Nachdem sich alle miteinander bekannt gemacht haben, beginnt Dave, unser Skipper, mit dem Briefing. „Safety on board“ heißt das Thema. Er spricht von Feuer und Wasser, von Kälte und Eis und über die Gefahren an Deck und darunter. Er thematisiert Wichtiges und Überlebenswichtiges. Er gibt Hinweise zum richtigen Verhalten auf dem Schiff und auf dem Dingi. Kurz, Dave informiert über alles Notwendige.
Eines aber macht er nicht: Angst. Im Gegenteil! Der junge Brite vermittelt uns Neuankömmlingen auf humorvolle Art das Gefühl, in guten Händen zu sein. Und er weckt Lust auf die Abenteuer, die vor uns liegen. Obwohl sich die Gäste auf diesem Törn alle auf Deutsch unterhalten können, ist die Bordsprache Englisch. Er, Dave, gehe vom Einverständnis aller aus, zumal es keine Alternative hierzu gebe – er spreche schlicht keine andere Sprache. Charme und Humor ersetzen Demokratie. Das Eis an Bord ist jedenfalls gebrochen, während es draußen unablässig weiter schneit. Beim Labskaus zum Dinner weiht uns Manuel, Bergführer aus Pfronten im Allgäu, in seine Pläne für die kommenden Tage ein.
„Auf was habe ich mich da eingelassen?“, frage ich mich ein drittes Mal, als ich später am Abend meine Koje im Vorschiff beziehe. Improvisation ist gefragt beim Verstauen der doch umfangreichen Segel-und Skiausrüstung auf engstem Raum. Wohin bloß mit all dem Zeug?
Skipper Dave und Tai, der aus Australien stammt und so eine Art Faktotum an Bord der „Duen III“ ist, wollen am nächsten Morgen zeitig um sieben Uhr ablegen. Doch die Decks sämtlicher Boote im Hafen liegen unter einer dicken Schneeschicht. Das ist in Tromsø selbst im April nicht ungewöhnlich. So kommen wir erst zwei Stunden später los.
Beim Auslaufen sichten wir das erste „Polarlicht“, auch wenn es nur die am Kai vertäute „Polarlys“ ist, das Flaggschiff der an der norwegischen Küste omnipräsenten traditionellen Postschiff-Flotte, der Hurtigruten. Hoffentlich geht mein Wunsch in Erfüllung und der Himmel klart in den nächsten Tagen auf, damit wir auch echte Polarlichter zu sehen bekommen.
Bei immer noch leichtem Schneefall nimmt unsere Ketsch Kurs Nord. Der erste Ankerplatz befindet sich im Langsundet, einer schmalen Passage zwischen den Inseln Reinøya und Ringvassøya. Angesichts beißender Kälte und kräftigen Winds hält sich die Vorfreude auf die geplante erste Skitour in Grenzen. Die am Vortag mit großer Besorgnis aus der Heimat übermittelte Nachricht von vier Lawinenopfern infolge von Schneeabgängen in der Region drückt auf die Stimmung. Gut, dass Manuel aufkommenden Sorgen den Wind aus den Segeln nimmt. Er beschreibt den geplanten Aufstieg zum Reinskartinden als eher leichte Skitour in wenig steilem Gelände. Also los!
Während Dave und Tai routiniert das Ankermanöver fahren, geht es im Deckshaus eher turbulent zu. Unsere neunköpfige Seilschaft packt Rucksäcke für den Tagesausflug, zieht sich warme Bergkleidung und Skitourenschuhe an. Besonderheit: Nicht nur ein LVS, ein Lawinenverschütteten-Suchgerät, sondern auch eine Schwimmweste sind anzulegen. Sozusagen das Wichtigste aus zwei Welten. Gilt es doch, mit dem Dingi zum Land überzusetzen. Ski und Stöcke werden aus den Staukästen an Deck geholt und zur Verschiffung vorbereitet. Schnee und Eis erschweren das Umsteigen ins Beiboot über eine Strickleiter. Doch die Gruppe arbeitet zielstrebig und umsichtig zusammen – ein guter Anfang.
Ausgestattet mit einem Trockenanzug, setzt uns Bootsmann Tai in zwei Fuhren über. Den Anzug anzuziehen ist keineswegs übertrieben. Tai muss zum Anlanden ins Wasser und das Dingi das letzte Stück an Land ziehen. Stege gibt es hier weit und breit nicht. Wir sind mitten in der Natur.
Das Revier ist rau, Sturm und Schnee bis in den April sind keine Seltenheit. An klaren Tagen aber zeigen sich Fjorde und Berge in majestätischer Schönheit”
Während wir kurz darauf unsere Tourenski mit rutschfesten Fellen für den Aufstieg versehen, verzieht sich der Nebel, und der Himmel reißt auf. Vor dem dunklen Blau des Polarhimmels erhebt sich unversehens in blitzendes Weiß gehüllt der 1.051 Meter hohe Soltindan auf Ringvassøya. Was für ein Anblick; Freude kommt auf.
Der Anstieg zum knapp 200 Meter niedrigeren Reinskartinden verläuft gemächlich entlang tief verschneiter Forststraßen und Waldwege. Im frischen Tiefschnee legt unser Bergführer eine sanft ansteigende Spur durch den für diese Breiten typischen niedrigen Birkenwald. Die jungen Tourengeher halten locker Manuels Tempo. Sie genießen den zügigen Aufstieg. Ich hingegen muss abreißen lassen. Was aber nicht schlimm ist, verschaffen mir die kurzen Verschnaufpausen doch Zeit zum Fotografieren. Und das lohnt sich hier! Auf halber Strecke zum Gipfel reicht bei strahlender Sonne der Blick bis hinunter aufs Meer, wo unsere Segelyacht einsam vor Anker liegt.
Als ich mich wieder dem Berg zuwende, eilen einige Trolle durch den lichten Wald. Zumindest glaube ich das, bis ich die durch die Birken huschenden Schatten als meine Weggefährten erkenne. Die nordischen Fabelwesen haben mich in der Stille der Natur auf die falsche Fährte gelockt. Schnell nehme ich die richtige wieder auf. Es gilt, Anschluss zu halten, denn neue Wolken nahen. Bevor wir den Gipfel erreichen, zieht es zu. Für die Nachhut sind die vom Wind rasch verwehten Spuren der Vorderleute nur noch mit Mühe zu erkennen.
Wir sind im Whiteout. Orientierung ist aufgrund der diffusen Reflexion des Sonnenlichts und des geringen Kontrastes kaum möglich. Boden und Himmel gehen nahtlos ineinander über. Gipfelglück und mögliches Unheil liegen hier oben nahe beieinander. Es ist Zeit, den Rückweg anzutreten. Und zwar mit Schwung: Die endlose Abfahrt im bis zur Hüfte reichenden Tiefschnee belohnt bei Weitem für alle Strapazen des Aufstiegs. Was für ein Erlebnis!
Viel zu schnell ist es vorbei. Zurück an Bord genießen wir im holzgetäfelten Salon den von Dave und Tai vorbereiteten Afternoon Tea inklusive leckerem Keksgebäck. Herrlich typisch britisch. Und während wir noch trinken und schlürfen, lichten die beiden bereits den Anker, um uns für die Nacht in eine sichere Bucht zu verholen.
Der Wind steht günstig, als wir am nördlichen Ende des Sunds nach Osten abfallen. Tai macht klar zum Hissen des Groß-und Vorsegels. Als es erneut zu schneien beginnt, zieht er achselzuckend mit einem warmen Vlies gefütterte Latexhandschuhe über. Tai ist hartgesotten. Im Winter verdingt er sich als Bootsmann, im Sommer widmet er sich in den Fjorden Südnorwegens seiner zweiten Leidenschaft, dem Base-Jumping im Wingsuit. Respekt.
Segeln jenseits des Polarkreises hat mit einem Mittelmeertörn so viel gemein wie ein Spaziergang um die Außenalster mit dem Hamburg-Marathon. Segel und laufendes Gut sind gefroren. Es braucht Zeit, bis das Groß im zweiten Reff gesetzt ist. Und auch die Rollgenua wird heute dem Wind nicht mehr als die Hälfte ihrer Fläche zum Angriff bieten. Im Schnee kniend, holt Tai mit Hilfe der mächtigen Winsch das stark reduzierte Tuch dicht. Die volle Segelfläche von 165 Quadratmetern werden wir während der ganzen Woche nicht einmal setzen können. Angesichts all der fantastisch-frostigen Motive an Bord wird dem Fotografen warm ums Seglerherz. Aber kalt an den Fingern.
Segeln jenseits des Polarkreises hat mit einem Mittelmeertörn so viel gemein wie ein Spaziergang um die Außenalster mit dem Hamburg-Marathon
An Deck ist es menschenleer. Die junge Crew schart sich im Deckshaus um Dave am Steuerstand. Der berichtet spannend von früheren Törns in noch nördlicheren Gefilden. Moderne Bordelektronik ermöglicht ihm auch bei zunehmendem Schneefall die sichere Navigation hoch am Wind. So erreichen wir die Bucht von Akkarvik. Am Abend wärmt der Dieselofen mit seinem langen Ofenrohr den Salon. Bei Spaghetti mit Fleischklößchen und Tomatensoße stellen sich Behaglichkeit und Wohlsein ein. Die Eindrücke des ersten Tages an Bord und am Berg werden rekapituliert.
Genussvoll startet auch der nächste Tag. Tai und Dave haben ein tolles Frühstücksbuffet aufgefahren. Das Angebot ist von einer Sterneunterkunft kaum zu übertreffen.
Beste Voraussetzungen für ein weiteres unvergessliches Abenteuer im hohen Norden Norwegens. Beim Übersetzen mit dem Dingi ahnen wir allerdings noch nicht, was für eine eindrucksvolle Skitour uns bevorsteht. Doch eins nach dem anderen. Die Sonne scheint, als sich die Gruppe zur Anlandung aufmacht. Ziel ist der Trolltinden – wir sind endgültig im Land der Trolle angekommen. Manuels Ansage: „850 Höhenmeter zum Gipfel“, löst letzte Zweifel auf; das ist zu schaffen. Zumal die Sonne scheint und der Wind nur schwach weht.
Und tatsächlich sind wir nach etwa drei Stunden oben. Während des Aufstiegs sind einmal mehr Pausen notwendig. Selbstverständlich nicht, weil mir die Luft ausgeht, sondern wegen der atemberaubenden Ausblicke auf die Nachbarinseln und deren Berge mit ihren teils bizarren Felsformationen. Im Verbund mit dem azurblauen Meer und dem mit wenigen Wolken gespickten Himmel geben sie beinahe kitschige Postkartenmotive ab.
Ein ganz besonderes Motiv entdecken wir kurz unterhalb des Gipfels: das Haus der Trolle. Zumindest sieht die schneeverwehte Hütte so aus, als beherberge sie die Fabelwesen der nordischen Mythologie. Kurz darauf breiten sich vor uns unberührte, makellos weiße Hänge aus. Wir sind die Ersten, die ihre Spuren darauf hinterlassen werden. „Sauber, Heinz!“, ruft mir Niki anerkennend während der Abfahrt zu. Alle sind wir gute Skifahrer. Wie im Rausch geht es durch den tiefen Schnee. Es spritzt, es staubt. Polar Powder. Einen solchen Pulverschnee findet man nicht alle Tage. In weiten regelmäßigen Schwüngen gleiten wir bergab. Das perfekte Skierlebnis!
Noch einmal! Die junge Truppe entscheidet sich für einen zweiten Gipfelsturm. Adrenalin und Endorphine verhindern meinen Einspruch. Nach weiteren gut zwei Stunden steht die Truppe erneut am Start zur Tiefschnee-Sause. „Was für eine Hammer-Abfahrt!“, bricht es am Ende nicht nur aus Patrick heraus.
Traumhaft auch der Blick bei der Rückkehr nach Akkarvik über die schneeumrahmte Bucht mit unserem ankernden Segelschiff. Zurück an Bord bleibt Zeit, auf dem Vordeck noch ein wenig die herrliche Sonne zu genießen. Energie tanken nach 1.600 Höhenmetern Auf und Ab. Für die nächsten Tage ist eine Wetterverschlechterung angekündigt. Noch aber ist Flaute, und so motoren wir mit 215 PS bei acht Knoten Fahrt zur Insel Uløya. Viktoria, Qualitätsmanagerin aus Graz, und Patrick, Jurist aus Zürich, übernehmen in dickes Ölzeug vermummt abwechselnd das Steuer. Dave berichtet unterdessen bereitwillig Interessantes zur Geschichte der „Duen III“.
1987 wurde sie nach Plänen von Robert Perry gebaut, einem renommierten amerikanischen Bootsdesigner. Zweimal umrundete die Ketsch unter ihrem Vorbesitzer die Welt. Seit einigen Jahren nun wird sie in arktischen Gewässern verchartert.
Die kombinierte Segel-Ski-Saison in den Lyngenalpen beginnt für gewöhnlich im Februar und endet Anfang Mai. Danach verlegt der Eigner die „Duen III“ bis zum Ende des Sommers etwa 1.000 Kilometer nördlich ins Polarmeer nach Spitzbergen. Zur Freude der Chartergäste hat er das Schiff mit einem holzgefeuerten Hot Tub auf dem Achterdeck ausgestattet. Wegen der herannahenden Front und der damit einhergehenden Zwangspause dürfen wir es uns am Folgetag im heißen Wasser bequem machen.
Doch zuvor steht, schlechtes Wetter hin oder her, eine weitere Skitour samt Abfahrt an. Und zwar auf dem Uløytinden. Da müssen wir erst mal hin. Grau, wolkig und windig präsentiert sich der Himmel, als Manuel um acht in der Frühe zum Aufbruch mahnt. Ins Dingi überkommende Wellen erschweren den Transfer an Land. Tai steuert souverän. Zum Glück hält das Wetter während des Aufstiegs noch halbwegs. Doch wenig Sicht und kalte Finger schmälern den Genuss während der anschließenden 1.100 Höhenmeter währenden Abfahrt merklich.
Immerhin steigt infolgedessen die Vorfreude auf das heiße Bad auf dem Achterdeck. Schnell noch wegen des inzwischen starken Seegangs am Ankerplatz das Schiff nach Uløybukta verlegt, dann ist es so weit, das Bad ist eingelassen. Geschlagene drei Stunden gibt sich die Jugend vor der schneebedeckten Kulisse der umliegenden Inseln dem Wechsel zwischen Hot Tub und der Abkühlung im eiskalten Meer hin. Arktis zum Anfassen; Mütze nicht vergessen!
Das gilt auch für die kommenden Tage. Starke Winde und wiederholter Schneefall erschweren nicht nur die Navigation. Sie lassen auch die Skitouren zu echten Herausforderungen werden. Gut, dass Manuel sich mit einem befreundeten Kollegen verabredet hat. Ivo führt eine weitere Gruppe Skitourengänger unseres Veranstalters. Untergebracht im „Hotel Koppangen Brygger“, beneidet sie uns um unsere schwimmende Unterkunft. Rasch freunden wir uns an und meistern die Aufstiege gemeinsam.
Bei Wind und Schneefall ist die Jugend klar im Vorteil. Trotz seiner beachtlichen Physis entscheidet sich Hartmut, mit 78 Jahren der Oldie in der anderen Gruppe, kurz vor dem Ziel auf die Gipfelbegehung des Storhaugen zu verzichten. Als hätte er es geahnt, ist der vorausgehende Bergführer umgekehrt, um ihn auf der Abfahrt zu begleiten. Einem Troll gleich taucht Ivo plötzlich aus dem Nichts auf. In der mystischen Atmosphäre von Nebel und Wolken ist die nordische Sagenwelt allgegenwärtig.
Die Tourenwoche in dieser arktischen Umgebung unterscheidet sich grundlegend von ähnlichen Vorhaben in den Alpen. Und das Leben auf dem Boot wohltuend von dem auf einer kargen Berghütte. Kein mehrkehliges Schnarchen hallt durch einen großen Schlafsaal. Kein Wecker setzt bereits um vier Uhr nachts dem Halbschlaf ein jähes Ende, um die Gipfelbesteigung zeitig in Angriff nehmen zu können. Und es gibt auch kein Gruppenbad, in dem zu allem Überfluss nur eiskaltes Quellwasser aus dem Hahn kommt. Nein, so ein Schiff hat deutlich mehr Komfort zu bieten.
Da sind sich alle Mitsegler einig, sogar die, die zwischendurch seekrank werden. Hier auf der „Duen III“ ist alles viel gemütlicher, weil gemächlicher. In unserer „segelnden Berghütte“ gibt es im April angesichts der in den hohen Breiten bereits langen Tage keinerlei Grund zur Eile. Zudem ist die Gruppe klein. Und die Doppelkabinen gewähren trotz knappem Platz ausreichend Intimität und Raum für Persönliches.
Mehr noch, das Schiff ist nicht nur Gefährt und schwimmendes Hotel. Es ist zugleich auch Sportplatz und Partymeile. Denn: Auf dem Vorschiff wird gefeiert. Max hat Geburtstag. Warm angezogen und behütet beziehungsweise mit Mütze ausgestattet, stoßen wir auf den nun 30-jährigen Anästhesisten an. Seine Frau Melina, ebenfalls Ärztin, und er lieben Norwegen. Im Sommer zieht es die beiden mit Wohnmobil und Kajak in den Norden. Dort geht Max seiner großen Passion nach, dem Angeln.
Nach dem Umtrunk gibt er auf dem Vorschiff eine Kostprobe seines Könnens. Binnen weniger Minuten gelingt es ihm, aus dem kalten Wasser des Nordmeers die frischen Zutaten für ein köstliches Abendmahl an Bord zu ziehen. Chapeau!
Magdalena, Physiotherapeutin aus Graz, nutzt das ruhige Wetter und die Stille der Bucht zu einem kurzen Ausflug ins Rigg. Sie genießt den Ausblick auf das Treiben an Deck von dort oben. Es ist sehr friedlich hier vor Anker. Die Abgeschiedenheit, das Fehlen von Verkehr und die ungewohnte Ruhe abseits der Zivilisation haben zur Entschleunigung und Erholung beigetragen.
1.265 Höhenmeter zeigt die Uhr an, als wir am nächsten Tag den Blick vom Ullstinden auf die umliegenden Inseln und Buchten schweifen lassen. Mit einem schönen Applaus hatte die vorausgeeilte junge Truppe ihren Senior, also mich, an diesem letzten Gipfel der Tour empfangen.
Auf dem Weg zurück Richtung Tromsø ist es kalt an Deck. Der Wind pfeift. „Duen III“ stampft durch aufgepeitschte See. Gedanken an die bekannten Segler Heide und Erich Wilts beschäftigen mich. Wie haben sie auf ihren Langfahrten in den hohen Breiten so oft noch wesentlich widrigeren Bedingungen auf einem deutlich kleineren Schiff trotzen können? Und dabei noch viel Freude empfunden, wie es Heide Wilts in ihren Büchern so spannend schildert?
Wahrscheinlich muss man die Kälte und Nässe, den Wind und die Wellen einfach genauso lieben wie die ruhigen Tage auf See. Um so eine Liebe zu entdecken, ist der Törn um die Lyngenalpen jedenfalls bestens geeignet. Reibungslos verläuft die Rückkehr in den Hafen. Ein letztes routiniertes Anlegemanöver bringt uns längs an den Steg. Ski in die Säcke, Klamotten verpacken und nach einer leckeren Carbonara an Bord klarmachen zum Landgang. Bald entern wir angeführt vom Skipper die „Bastards Bar“. Bei Livemusik und Bier vom Fass ist die Stimmung im gut gefüllten Pub skandinavisch locker. Später verholen wir uns in die Lobby des „Verdensteatret“. Der angesagte Szenetreff in Norwegens ältestem Filmtheater zieht neben Touristen auch die einheimische Jugend an. Abschließend geht es in „Heidi’s Bier Bar“, das selbst ernannte Dorado des Après-Ski in Tromsø.
Das Highlight der Nacht aber wartet erst noch auf uns. Auf dem Rückweg zum Schiff erfüllt sich der zu Beginn der Reise geäußerte sehnliche Wunsch: Am frühen Morgen zucken Polarlichter am Himmel über dem Hafen. In der klaren Nacht leuchtet das Firmament in unwirklichen Farbtönen. Ein überwältigendes Schauspiel der Natur. Und ein würdiges Ende einer erlebnisreichen Woche. Mit diesen Erinnerungen und Bildern im Gepäck heißt es Abschied nehmen. Am Morgen danach steigen wir vom Schiff, genießen ein letztes Mal den Ausblick auf Berge und Meer. Dann trollen wir uns davon.
Vom Nordkap nur 600 Kilometer entfernt, gilt das „Paris des Nordens“ als Tor zur Arktis. Berühmte Polarforscher wie Roald Amundsen und Fridtjof Nansen brachen von hier zu ihren verwegenen Expeditionen auf. Heute kommen Touristen aus aller Welt, um im Winter die Polarlichter und im Sommer das Licht der Mittsommernacht zu bestaunen. Vom Hausberg Storsteinen bieten sich wunderbare Ausblicke auf die verzweigte Welt der umliegenden Fjorde und Sunde. Rund um den belebten Hafen lädt die Altstadt mit Boutiquen und gemütlichen Cafés und Kneipen ein. Das kleine, aber gut gemachte Polarmuseum in Tromsø erinnert an die große Zeit der Entdecker.
Der 1987 gebaute Zweimaster mit Heimathafen Tromsø bietet Gruppen bis zehn Personen Platz. Während des Törns werden täglich neue Ankerplätze angesteuert. Die Crew stellt die Versorgung der Gäste in Vollpension sicher und gewährleistet den Transfer an Land zu den Skitouren. Saison ist von Ende Februar bis Anfang Mai. Infos: DUENEXPERIENCE.COM
Im deutschsprachigen Raum haben einige Bergführer oder Bergschulen solche meist einwöchigen Segelreisen für Tourengeher im Programm. Möglich ist die Buchung sowohl für Gruppen als auch für Kojencharterer.
Spezialisten für die Lyngenalpen:
Die bis zu 1.834 Meter hohen Lyngenalpen erstrecken sich über 90 Kilometer in Nord-Süd-Richtung auf der Lyngenhalbinsel. Das Gebiet zwischen Ullsfjord und Lyngenfjord ist touristisch kaum erschlossen; im Sommer ist es ebenso wie die umliegenden nur spärlich besiedelten Inseln ein Paradies für Wanderer. Unter Skitourengehern gilt die Region wegen ihrer Abgeschiedenheit und der bis weit ins Frühjahr reichenden Schneesicherheit als Geheimtipp. In den wenigen Häfen stehen nur sehr limitiert Plätze für Gastyachten zur Verfügung. Die zahlreichen Ankerbuchten des Archipels bieten bei meist gutem Ankergrund Schutz gegen den im Jahresverlauf in Stärke und Richtung stark schwankenden Wind. Das Klima ist arktisch kühl mit Höchsttemperaturen von maximal 15 Grad im Sommer und extrem viel Schnee während der eisigen Wintermonate.
Text: Heinz Klausmann