Was den Baggerschaufeln bei Hafenarbeiten in Bremen 1962 ungeahnten Widerstand leistete, sollte sich als ein bis heute einmaliger Sensationsfund herausstellen: eine Kogge aus Eichenholz, um 1380 gesunken und im Schlick der Weser beinahe in Gänze konserviert.
Die Bergung des bis heute als besterhaltenes Schiff des europäischen Mittelalters geltenden Fundes bereitete einige Mühen und Kopfzerbrechen, mehr als einmal stand sie auf der Kippe. Bis dahin beispiellos, mussten Taucher das Boot in einem drei Jahre währenden Einsatz in Einzelteilen bergen und Wissenschaftler einen Weg finden, das alte Holz vor dem Zerfall zu retten.
Ganze 38 Jahre, davon 18 zur Konservierung in Kunstwachs schwimmend, sollte es dauern, bis die aus 2.000 Einzelteilen zusammengesetzte, 45 Tonnen schwere Kogge im Jahr 2000 der Öffentlichkeit im Deutschen Schifffahrtsmuseum (DSM) in Bremerhaven präsentiert wurde.
Hoch und trocken, in ihrer jetzigen, in aller Unvollständigkeit dennoch beeindruckenden Form: Zwischen dem imposanten, über gut zwei Stockwerke der Halle reichenden Steven und einem unerwartet schnittigen Heck mit Aufbau ist der Steuerbordrumpf beinahe vollständig beplankt, an Backbord öffnen fehlende Planken den Blick in den voluminösen Rumpf.
Welche Mühen der Koggenbau im Mittelalter bereitet haben muss, können Besucher eindrücklich nachvollziehen. Filme und eigens angefertigte Teilbauten zeigen den Weg vom groben Holz zur fein gehobelten, mit Wasserdampf gebogenen Planke, von den karweelen am flachen Boden zu den von handgeschmiedeten Nägeln gehaltenen geklinkerten am Rumpf, hier und da kalfatert – Anfassen erwünscht. Mit der zitronengelben, mit bunten Arbeiterhelmen behängten Wand eines Seecontainers direkt neben den dunklen Eichenplanken prallt die Moderne förmlich optisch auf alte Hansetradition.
Hinter ihr lässt sich im Ausstellungsteil „Steel and Bytes“ in einer interaktiven Werft der heutige Schiffbau nachvollziehen. Alte Schiffbauwerkzeuge und Schautafeln informieren über Berufe in der maritimen Wirtschaft.
„Im vergangenen Sommer haben wir erstmals eine sogenannte Azubiregatta mit Betrieben aus der maritimen Wirtschaft veranstaltet: Auszubildende haben Schülerinnen und Schülern ihre Jobs erklärt, gemeinsam haben sie kleine Aufgaben gelöst – eine Art Speeddating für junge Leute, die sich auch für maritime Berufe interessieren“, sagt Thomas Joppig, Leiter Kommunikation des Museums. Eine der Aktionen, die zum Selbstverständnis des Museums gehören. Nicht nur ausstellen will es, sondern auch soziale und wissenschaftliche Aufgaben erfüllen und Althergebrachtes neu beleuchten.
So widmet sich der Bereich „Sehstücke“ gleich nebenan dem Innenleben jahrhundertealter Exponate wie einem Taschensextanten, Medizinfläschchen oder einem zierlichen chinesischen Feng-Shui-Kompass. Was altes Navigationsgerät im Inneren zusammenhält, wird mit Hilfe von Röntgentechnik am Bildschirm und in einem dunkeln Glaskasten als schwebende 3D-Hologramme sichtbar.
Derlei technische Finessen hätten wohl auch die Bergung und den Wiederaufbau der Bremer Kogge erleichtern können. Stattdessen, das zeigt ein großer Ausstellungsbereich, wurde mit klobigen Helmen im Trüben getaucht, Sedimentproben und Wrackteile an die Wasseroberfläche befördert und mit Bakelit-Fernsprechern bei jeder neuen drohenden Krise Kettentelefonate geführt und wissenschaftliche Standpunkte diskutiert.
Mühen, deren Erkenntnisse später auch bei Bergung und Erhalt gleichfalls sensationeller Schiffsfunde wie der „Vasa“ in Stockholm angewandt wurden und auf die man hier berechtigt ein wenig stolz ist.
In einer Leseecke lässt sich zwischendurch bequem verweilen und in maritimen Büchern oder in den Flaschenpostsendungen von Jutta Schümann schmökern, die in einer hölzernen Kiste im Sand stecken. Sie fuhr viele Jahre mit ihrem Mann Hans zur See und hat dem Meer regelmäßig glasverpackte Briefe übergeben. Gefunden wurden sie in Irland, Frankreich, Alaska und in der Karibik. Für Jutta Schümann ergaben sich daraus weltweite Brieffreundschaften, für die Wissenschaft Erkenntnisse zu den Meeresströmungen.
In den oberen Etagen dreht sich alles um die Seefahrt in Mittelalter und Früher Neuzeit im Allgemeinen und die Kogge im Besonderen: Modelle, mit denen die Strömungs- und Segeleigenschaften dieser mittelalterlichen Frachtschiffe erforscht wurden, treffen auf detailliert verzierte Modelle späterer Galeonen und Fregatten.
In Vitrinen haben Siegel der Hansestädte, Schmuck und Meissner Porzellan, Bierkrüge sowie Marzipanschachteln eines gemeinsam: Sie alle ziert eine Hansekogge. Heute auch Markenzeichen von Fußballvereinen und Brauereien, dienten Abbildungen der Handelsschiffe früher als Symbole von Herrschaft und Wohlstand.
Der dürfte indes arg auf Kosten ihrer Besatzung gegangen sein. Trotz einer Geschwindigkeit von bis zu sechs Knoten auf Raumschotskurs waren die Reisen besonders auf der rauen Nordsee hart : Die Seeleute waren im feuchten, permanent mit der Pütz zu lenzendem Laderaum zwischen 80 Tonnen Ladung, bestehend aus Fässern mit Bier aus Bremen oder Rotwein aus Frankreich, Keramik aus dem Rheinland oder Wolle aus England, untergebracht und spärlich ernährt.
Welch großes Geschick das kenterfreie Beladen erfordert haben muss, können Besucher selbst an einem kippeligen Modell mit losen Fässern in der Ausstellungshalle ausprobieren und sich dabei auch gleich der Gefahren bewusst werden, die im Seegang rutschende Ladung mit sich brachte. Dennoch schipperten die Seeleute diese schwergewichtigen Fahrzeuge bis hoch nach Shetland, zu den Orkneys oder Färöern, wie der Ausstellungsteil „Immer weiter“ mit Blick auf den Handel der Hanse in der Frühen Neuzeit zeigt.
Die höheren Herrschaften – Kaufleute, Handwerker oder Pilger – logierten achtern in Kabinen und verfügten über ein seinerzeit selbst an Land nicht selbstverständliches Örtchen: das Bord-WC. Im Achterkastell als nach unten hin offenes Plumpsklo angebracht, hat das weltweit älteste erhaltene Exemplar seiner Art heute Platz im DSM gefunden.
Pünktlich zu Beginn der Saison öffnet Mitte März der Außenbereich des Museums mit stattlichen Schiffen im Alten Hafen und an Land. Segler, die Bremerhavens Lloyd-Marina im Neuen Hafen oder Geestemünde ansteuern, können nach 15 Minuten Fußmarsch auf den Hafenschlepper „Stier“ klettern, der aufgebockt zwischen Weserdeich und Altem Hafen thront und aus dem Cockpit einen weiten Blick über den Deich erlaubt.
Kleine Skipper können von Bord des Walfängers „Rau IX“ im Hafenbecken mit Modellbooten eine Miniaturausgabe des Leuchtturms „Roter Sand“ ansteuern, während die großen die Geschichte des Schiffs nachverfolgen, auf dessen Bug noch heute eine martialische Harpunenkanone steht. Galt die „Rau IX“ einst als Werbebotschafterin für den Walfang, dient sie heute eher als Mahnmal gegen die Ausbeutung der Meere.
Stolzestes Schiff der Außenflotte ist der „Seefalke“, der schon vor der Eröffnung des Museums im Alten Hafen Quartier nahm. „Einmal hatten wir hier einen Kapitän zu Besuch, der noch auf den Weltmeeren mit dem Hochseebergungsschlepper unterwegs war. Er ließ durchblicken, dass das Bergen ein sehr ertragreiches Geschäft war“, erzählt Thomas Joppig. Heute hingegen bereitet es dem Museum einige Mühe, die Boote zu erhalten. Gerade erst wurde der „Seefalke“ auf Vordermann gebracht. Das gelang in Kooperation mit einer Beschäftigungsinitiative für Langzeitarbeitslose.
Nicht allen Schiffen konnte so umfangreiche Sorgfalt zuteilwerden; schmerzlich vermissen See- und Sehleute bis heute die „Seute Deern“. Schon vor dem Zweiten Weltkrieg hatten sich die Bremerhavener Stadtväter um den Erwerb eines Schiffes bemüht, das im Alten Hafen liegend die Reederei- und Seefahrtsgeschichte der Stadt repräsentieren konnte. Mit der „Seute Deern“ wurden sie schließlich fündig. Die Masten der 1919 in den USA als Viermastschoner gebauten und später von einem Hamburger Reeder zur Bark umgeriggten Schönheit dienten bei der Ansteuerung des Museums bis 2020 als weithin sichtbare Peilmarken.
Nach einem Brand musste sie jedoch abgewrackt werden. „Die Havarie war ein schwieriger und sehr schmerzhafter Prozess. Nicht nur für uns, sondern auch für die ganze Stadt“, berichtet Joppig. „Wir alle haben gelernt, dass es nicht ausreicht, einem Museum ein solches Exponat zu überlassen, wenn das Geld für die Instandhaltung nicht da ist. Und vielleicht auch, dass kein Schiff, das für eine begrenzte Zeitspanne gebaut wurde, ewig hält. Es ist eine große Herausforderung, die Boote, die hier draußen stehen, zu erhalten.“
Geblieben sind von dem einstmals stolzen Schiff Kerzenständer, Flaschenöffner oder Schlüsselanhänger, die aus seinem Holz gefertigt und im Museumsshop verkauft werden.
Noch für einige Zeit werden Container den Blick auf das weitläufige Museumsgebäude versperren und Bauarbeiter schweres Gerät über Rampen schieben. Denn schon seit 2017 wird in den großen Hallen umgebaut, und beliebte Exponate aus der Sportschifffahrt wie das von Willi Kuhweide zur Eröffnung gestiftete Finn-Dinghy „Darling“, mit dem er zweifacher Weltmeister geworden war, oder Modelle der erfolgreichen Admiral’s-Cupper „Saudade“, „Carina“ und „Rubin“ mussten vorübergehend in ein Forschungsdepot im Fischereihafen im Süden der Stadt umziehen – zusammen mit rund 380.000 Archivalien und 60.000 Museumsobjekten.
Nur gelegentlich können Besucher bei Veranstaltungen im Depot von der Uniformsammlung über Schiffsmodelle bis hin zu Gemälden die Schätze des Museums besichtigen, bis sie dann – je nach Konzept – wieder in das Museum einziehen. Von den Plänen zur Wiedereröffnung eines großen Teils des Deutschen Schifffahrtsmuseums im Juli berichtet Thomas Joppig im untenstehenden Interview.
Bis es so weit ist, können Seefahrtbegeisterte auch in den umfangreichen digitalen Angeboten des Museums stöbern. Besonders Detailverliebten empfiehlt sich der Besuch eines Internetarchivs mit mehr als 20.000 technischen Zeichnungen, das im Gemeinschaftsprojekt Digipeer.de von vier Forschungsmuseen der Leibniz-Gemeinschaft entstand: Generalpläne mit Seitenansichten, Längsschnitten und Takelplänen von Schiffen wie der „Pamir“, „Gorch Fock“ oder „Passat“, aber auch Kleinteiliges wie Zeichnungen von Dampftrosswinden und Nippern, Decksklüsen, Peillatten und Sonnensegelstützen.
Thomas Joppig, 45, ist Leiter Kommunikation des Deutschen Schifffahrtsmuseums. Seit seinem ersten Arbeitstag vor fünf Jahren bestimmen Baustellen an den sanierungsbedürftigen Bauten aus den 1970er Jahren seine Arbeit. Der YACHT erzählt er von den Chancen der Veränderung und den Plänen für die Zukunft.
Das Deutsche Schifffahrtsmuseum wurde gegründet als Nationalmuseum, als deutschlandweite Institution, die maritime Geschichte in Ausstellungen sichtbar macht. Primär geschah das mit einem starken Fokus auf Technikgeschichte. Unsere Besucher konnten sehr viel Spezialwissen zu Antriebsformen, Schiffsmotoren und Navigationstechnik im 20. Jahrhundert erfahren. Das begeistert vor allem Menschen, die selbst einen Bezug zur Seefahrt haben. Heute möchten wir ein breiteres Publikum ansprechen und gesellschaftliche, ökologische und sozioökonomische Fragen stärker in den Mittelpunkt rücken.
Mitte März öffnen wir wieder unseren Außenbereich, die Boote im Museumshafen, für das Publikum. Am 17. Juli werden wir dann nach erfolgreichem Umbau den Erweiterungsbau wiedereröffnen mit der neuen Dauerausstellung „Schiffswelten – Der Ozean und wir“, die das Augenmerk auf die wechselvolle Beziehung von Mensch und Meer am Beispiel der Schifffahrt richtet – mit unterschiedlichen Facetten wie Schiff und Umwelt, Schiff und Physik oder Forschungsschifffahrt. Damit wird der Wandel aber nicht beendet sein.
Auf ein Museum bezogen, ist Wandel immer ein permanenter Prozess. Unsere Direktorin Ruth Schilling hat dafür den treffenden Begriff der „Semipermanenz“ geprägt. Wir haben im Erweiterungsbau fünf Ausstellungszonen. Die sind ganz bewusst so eingerichtet, dass wir dort neben dem festen Ausstellungskonzept, zu dem beispielsweise eine große Forschungsschiff-Installation gehört, immer wieder etwas Neues präsentieren können. Auf diese Weise sind wir auch in unserer Eigenschaft als Leibniz-Forschungsmuseum in der Lage, aktuellen Forschungen und Themen gerecht werden zu können. Wir brauchen die Möglichkeit, auch neue Vermittlungsformate auszuprobieren, und das geht am besten in der Ausstellung, die dafür die nötige Flexibilität bietet.
Die Landesregierung steht zu dem Sanierungsvorhaben und hat im Koalitionsvertrag angekündigt, Landesmittel bereitzustellen und Bundesmittel einzuwerben. Auch wir bemühen uns Fördermittel. Das Grobkonzept für die neuen Ausstellungsbereiche steht schon. Themenschwerpunkte werden dort unter anderem die Rolle von Schiffen im Krieg, Migration und Passagierschifffahrt, Kreuzfahrtboom, Schiffsunglücke und Seenotrettung sowie das Thema Navigation sein.