Route du RhumZähe erste Nacht für Boris Herrmann

Andreas Fritsch

 · 10.11.2022

Sam Davies' "Initatives Cœr" beim Start
Foto: Alexis Courcoux #RDR 2022
Die besten Bilder vom Start der Route du Rhum

Nach gutem Start verlor der Deutsche den Anschluss an die Spitzengruppe. Über Nacht gab es Kollisionen, Grundberührungen und Streit um Zeitstrafen für Frühstarts

Die erste Nacht des Starterfeldes war für Boris Herrmann offenbar nicht leicht. Nachdem er gut ins Rennen gestartet war, fiel er mit erstem Reff und kleinerem Vorsegel unterwegs langsam zurück, war an der vorgeschriebenen Bahnmarke beim Cap Frehel nur noch 15. Danach entschied sich die Spitzengruppe um Favorit Charly Dalin für einen Kurs dicht unter Land, wohl um weniger Gegenstrom zu haben. Herrmann segelte als eins der nördlichsten Boote mehr im Englischen Kanal. Bis das Feld dann vor dem ausgewiesenen Seegebiet nahe der Insel Quessant nach Süden schwenkte, blieb er auf dieser Route, bog erst sehr spät ab und fiel weiter zurück.

Obwohl das Ranking derzeit mit Vorsicht zu genießen ist, da es nach der Großkreis-Route gen Guadeloupe trackt, muss man sagen, dass er weiter Boden verloren hat, derzeit auf Platz 19 liegt. Die gestern Abend etwa drei Meilen Rückstand auf den Führenden Dalin mit seiner „Apivia“ sind schon auf über 30 Meilen angewachsen.

Und dann gab es im Feld der Open 60s heute Nacht auch schon das erste Drama: Der Japaner Kojiro Shiraishi kollidierte nachts mit Oliver Heers Boot, scheinbar eine klassische Situation Backbord- vor Steuerbordbug, in der der Japaner wohl das ausweichpflichtige Boot war. Beide kehrten nach St.-Malo zurück, mittlerweile hat das Team des Japaners bekannt gegeben, dass die Schäden so schwer sind, dass die Route du Rhum für ihn beendet ist. Ob Heer weiter segeln kann, ist noch nicht klar.

Stand es Rennens um 13:30 | RdR 2022
Stand es Rennens um 13:30 | RdR 2022

Vorbei ist das Rennen wohl auch für den Ultim-Skipper Romain Pilliard, der mit Ellen Mac Arthurs Ex-„B&Q“ als kleinstes Boot der Klasse unterwegs war. Er verwechselte nachts die Farbe einer Tonne und rammte so eine weitere auf seiner Kurslinie. Die Boje zerstörte einen Teil der Crash-Box am Bug und riss dann auch noch einen Teil des Netzes zwischen den Rümpfen heraus. Er rettete sich nach Roscoff und will versuchen, das Boot zu reparieren. Laut Reglement haben die Skipper dafür bis Samstag Zeit und können dann wieder ins Rennen gehen.

Schwerwiegend scheint auch die Verletzung des Briten Sam Goodchild zu sein, der gestern von seinem Ocean-50-Tri „Leyton“ wegen einer Verletzung abgeborgen wurde. Ersten Informationen zufolge ist wohl eine seiner Winschen unter großer Last regelrecht zertrümmert und hat ihn im Gesicht und am Arm getroffen. Mittlerweile ist er im Krankenhaus in St.-Malo.

Streit um Zeitstrafen für Frühstarts

Ein großes Thema sind heute noch die Zeitstrafen wegen Frühstarts, die die Jury gegen diverse Skipper aussprach, unter anderem gegen zwei Top-Favoriten in der Ultim- und der Class-40-Klasse. Charles Caudrelier war mit als Top-Favorit bei den Ultims mit seiner „Edmond de Rothschild“ zu früh über die Linie, genau wie Yoann Richomme mit seiner „Arkea Paprec“. Doch während Richomme die Strafe klaglos akzeptierte und schon gestern vor dem Tor am Kap Frehel die auferlegten vier Stunden stoppte beziehungsweise im Kreis segelte, fuhr Caudrelier weiter. Sein Team hat mittlerweile Einspruch eingelegt gegen die Entscheidung. Nun will die Race-Jury die GPS-Daten der beiden Bojen der Startlinie auslesen und mit dem Tracker des Bootes vergleichen. Bis morgen soll verkündet werden, ob die Strafe bestehen bleibt oder annulliert wird.

Caudrelier liegt derzeit knapp 30 Meilen vor Armel Le Cléac‘hs „Banque Populaire“ in Führung. Da diese rund 26 Knoten Speed fährt, würde er in vier Stunden locker 70 Meilen zurückfallen. Noch nicht ganz klar geäußert hat sich der Veranstalter, wie und wann die Strafe zu werten ist. Muss sie sofort abgegolten werden, oder darf er sich einen Zeitpunkt während des Rennens selbst aussuchen? So war es bei der Vendée Globe 2020, als Louis Burton einen Frühstart fuhr und etwas später auf dem Atlantik in einer Flautenzone dann absaß. So ähnlich könnte es Caudrelier planen, wenn die Sturmfront passiert ist, die auf das Feld zukommt.

Pech hatte auch einer der Favoriten der Ultim-Klasse: Armel Le Cleac’h meldete von seinem Tri „Banque Populaire“ heute Mittag, dass er ein lautes Krachen hörte, allerdings ohne einen spürbaren Schlag, also ohne Kollision. Das Schwert und Foil des Hauptrumpfes scheinen angebrochen, und er kehrt zur Basis seines Teams nach Lorient zurück.

Ein Augenschmaus war für Fans gestern die Live-Video-Übertragung des Starts im Internet. Beeindruckend, wie die Ultims mit teils über 26 Knoten Speed am Wind durch den Englischen Kanal pflügten. Und erstaunlich, wie die so rasant wirkenden Boote bei der Wende am Kap Frehel dann einparkten. Thomas Coville verpatzte mit seiner „Sodebo“ sogar die Wende und verlor viel wertvolle Zeit, während sein Boot minutenlang stillstand.

Bei den Open 60s gab es schon bald nach dem Start die gewohnte Hackordnung: Charlie Dalin setzt sich mit seiner „Apivia“ an die Spitze und kontrolliert bislang souverän das Feld. Auf den Versen sind ihm wie meist Thomas Ruyant mit „Linked Out“ und sehr stark Louis Burton auf seiner „Bureau Valleé“. Gut zu erkennen war schon gestern, wie viel besser die neueren Designs wie „Holcim“ oder auch Boris Herrmanns Boot mit ihren hochgezogenen Bug-Partien durch die Wellen gingen als die älteren Boote.

Stärkste Neubauten im Imoca-Feld sind Jérémy Beyous „Charal“ und Kevin Escoffiers „Holcim“, die praktisch gleichauf liegen. Sehr gut durch die erste Nacht kam auch die Deutsch-Französin Isabelle Joschke, die mit ihrer „MACSF“ als beste Frau auf Platz 13 liegt. Sam Davies, mit ihrer brandneuen „Initiatives Cœr“ unterwegs, segelt derzeit einen Kurs extrem dicht unter Land. Die Schweizerin Justine Mettraux mit ihrer neuen „Teamworks“ (Jérémy Beyous Ex-„Charal“) ist in der südlichen Verfolgergruppe ebenfalls gut unterwegs.

Das Feld wird im Laufe der nächsten Nacht von Westen von einer Sturmfront passiert, die bis zu 40 Knoten Böen bringen soll. Die Boote, die sich dicht unter dem Festland und südlich positioniert haben, versuchen dem zu entgehen.


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