Andreas Fritsch
· 11.11.2022
Damien Seguins Open 60 wurde in der Nacht von einem Frachter gerammt und seine “Groupe Apicil” entmastet. Boris Herrmann kämpft mit Motorproblemen, Armel Le Cléac’h will nach Reparaturen vielleicht heute erneut starten
Es wird wahrlich nicht langweilig in den ersten Tagen der Route de Rhum. Heute Nacht um 3:30 Uhr erreichte die Rennleitung die Hiobsbotschaft von Damien Seguin, den ein Frachtschiff rammte, was sofort zum Mastbruch auf seinem Open 60 führte. Wie es zu der Kollision in der Mitte der Biskaya genau kam, ist noch unklar, auch ob die Crew des Frachters stoppte und Hilfe anbot. Seguin ist aber unverletzt und war kurz danach bereits damit beschäftigt, die Überreste seines Riggs freizuschneiden, damit es keinen weiteren Schaden am Rumpf anrichtet. Zurzeit bewegt sich sein Boot langsam mit knapp 2,5 Knoten gen Festland. Der sympathische Franzose, der mit Handicap segelt, weil ihm seit der Geburt die linke Hand fehlt, ist bereits der dritte Ausfall in der Open-60-Klasse, nachdem gestern schon „DMG Mori“ und „Oliver Heer Racing“ kollidiert waren und die Skipper zurück nach St.-Malo segeln mussten.
Auch für Boris Herrmann läuft es derzeit noch nicht richtig rund. Heute meldete er sich in einem Video von Bord und berichtete von Problemen mit dem Motor, der für die Energieversorgung wichtig ist, was für viele überraschend sein mag, da es hieß „Malizia – Seaexplorer“ sei in der Stromversorgung wegen der vielen Solarflächen und Hydrogeneratoren nicht auf den Motor zur Stromerzeugung angewiesen. Doch ein Problem könnten genau diese Hydrogeneratoren sein, denn in einem Nebensatz erwähnt Herrmann, dass deren Lager Probleme machen, im Hintergrund hört man ein lautes jaulendes Geräusch. Offensichtlich ist Wasser in den Ölkreislauf des Motors gelangt, und es ist nur ein Liter Ersatz an Bord. Ohne ausreichend Batterie-Ladung ist ein Open 60 nicht segelbar. Daher erwähnt Boris in einem Nebensatz, dass Problem könne sein Rennen beenden.
Es wäre ein Jammer, denn der Deutsche liegt zwar derzeit im vorderen Mittelfeld, doch er ist in Schlagdistanz zu den anderen neuen Booten wie Paul Meilhats „Biotherm“, Yannick Bestavens „Maître Coq“ oder Sam Davies’ „Initiatives Cœur“.
Doch an der Spitze zieht Favorit Charly Dalin einsam, aber scheinbar unaufhaltbar davon. Schon fast 100 Meilen hat er auf seinen hartnäckigsten Verfolger, Thomas Ruyants „Linked Out“ gutgemacht. Er scheint wirklich in einer anderen Liga zu segeln, dominiert in diesem Jahr praktisch alle Rennen. Man darf kaum daran denken, dass er nächstes Jahr ein neues Boot bekommt, das dann womöglich noch schneller sein könnte.
Nach Ruyant, der sich auch schon etwas absetzen konnte, geht es dagegen sehr eng und spannend zu. Jérémy Beyous brandneue und mit futuristischen X-Rudern ausgerüstete „Charal“ liefert sich ein Kopf-an-Kopf Rennen mit Kevin Escoffiers neuer „Holcim“ und Louis Burtons „Bureau Vallée, die der Dritte der Vendée Globe seit 2021 hat und nun auch in der Foil-Liga mitspielt – und das ziemlich beeindruckend. Er segelt die Ex-“L’Occitane” von Armel Tripon, ein Sam-Manuard-Design.
Ziemlich stark ist bislang auch die Vorstellung dreier Frauen im Feld: Isabelle Joschke liegt mit ihrer „MACSF“ auf Platz 12, die Schweizerin Justine Mettraux mit „Teamworks“ auf 15, Sam Davies mit „Initatives Cœur“ auf Platz 20. Die Platzierungen spiegeln aber nur einen Teil der Wahrheit wider, da sie sich an der Großkreis-Navigation, also der kürzesten direkten Route, orientieren, die aber aufgrund des Wetters nicht unbedingt der beste Weg ist. Doch alle drei liegen gut positioniert, Joschke im Norden, Mettraux in der Mitte, Davies weiter im Süden, um den heute aufziehenden Sturm mit Wind über 40 Knoten etwas auszuweichen. Die Boote im Norden haben bereits mehr Wind und sind daher zurzeit deutlich schneller unterwegs.
Man darf gespannt sein, wer am besten durch die Front gelangt, die auf das Feld zukommt. Morgen wird sich zeigen, ob die Boote weiter nördlich heil durchkommen und den früheren Wind so nutzen können, dass sie einen Vorteil daraus ziehen. Einer, der darauf hofft, ist Benjamin Dutreux, der mit „Guyot Environnement“ das Boot segelt, mit dem das OTG-Team um Robert Stanjek im Januar zum Ocean Race startet. Er ist weit im Norden und segelt zurzeit fast vier Knoten schneller als die Verfolger Charlie Dalins. Man darf gespannt sein, wo er sich morgen wiederfindet. Auf jeden Fall ist der 32-Jährige ein harter Hund und geht hohes Risiko.
Vorneweg segelt die Klasse der Ultims, in der es gestern reichlich News gab. Armel Le Cléac’h, der gestern mit seinem Monster-Tri „Banque Populaire“ das Hauptschwert verlor, erzählte, wie es dazu kam. „Ich hörte einen lauten Knall, dann sah ich im Heckwasser des Bootes Trümmer-Teile des Schwertes achteraus treiben. Sie schlugen gegen den Rumpf und beschädigten ihn an einigen Stellen.“
Doch der Bretone schaffte es schon gestern zur Team-Basis nach Lorient zurück, wo fieberhaft am Boot gearbeitet wird: Das Team hat ein Ersatz-Schwert, das eingesetzt werden könnte, wenn der Schwertkasten nicht zu stark beschädigt ist. „Wir hätten auch weiterfahren können ohne Schwert, wäre es hinter den Azoren passiert, hätten wir das ernsthaft erwogen“, erzählte sein Team Manager Ronan Lucas. Das Schwert ist allerdings wichtig, um die waagerechte Fluglage auf den Foils zu regulieren, ganz ohne wäre die Performance des Bootes schon stark beeinträchtigt. Auch die Abdrift wäre ohne das Foil deutlich größer, besonders bei dem Amwind-Kurs, den die Boote derzeit fahren. Bis Samstag früh darf „Banque Populaire“ wieder ins Rennen gehen, danach läuft das im Reglement eingeräumte Zeitfenster aus.
Erleichternde News gab es dagegen für den führenden Charles Caudrelier auf seiner „Edmond de Rothschild“. Die Jury hat nach Auslesen der GPS-Daten des Bootes und der mit Trackern versehenen Startbojen festgestellt, dass er zum Zeitpunkt des Startschusses ganze 50 Meter vor der Startlinie war. Viel perfekter geht es mit so einem 30-Meter-Tri wohl wahrlich nicht. Die vier Stunden Stopp-Strafe, die die Jury gestern gegen ihn verhängt hatte, wurde damit aufgehoben. Er liegt zurzeit 28 Meilen vor Francois Gabarts „SVR Lazartigue“, der einige Meilen gutmachen konnte über Nacht. Etwa 20 Meilen dahinter folgt Thomas Covilles „Sodebo Ultim“, die nach dem Umbau auf komplett neue Foils und mit um vier Meter gekürzten Seitenrümpfen das Defizit zum Klassen-Primus “Edmond de Rothschild” scheinbar deutlich verringern konnte.
Unfassbar hart ist der Wettbewerb in der größten Starterklasse des Rennens, den Class 40. Dort liegen zwölf Boote im Abstand von zehn Meilen, die ersten drei trennen keine Meile, segeln also die ganze Zeit in Sicht. Vorn liegt Alex Mehrans „Polka Dot“, dahinter Corentin Dougets „Queguiner Innoveo“. Das Phänomen des Rennens ist derzeit aber der Top-Favorit Yoann Richomme. Der hat sich nach seiner Vier-Stunden-Stopp-Strafe gestern für seinen Frühstart, nach der er auf den letzten Platz zurückfiel, schon wieder auf Platz 14 vorgearbeitet und liegt nur elf Meilen hinter dem Führenden. Er segelt also wahrlich mit den Messern zwischen den Zähnen auf der Mission, seinen Titel vom letzten Rennen zu verteidigen.