Vendée Globe50 Prozent Leistungssteigerung – die unglaubliche Entwicklung der Imocas

Max Gasser

 · 01.11.2024

Wirkt einschüchternd: Die aktuelle "Charal" zählt zu den heißesten Booten der Klasse
Foto: Eloi Stichelbaut - polaRYSE / Charal
Dass die aktuelle Imoca-Generation eine mit Potenzial zum Aufstellen bahnbrechender Rekorde ist, hat sich spätestens beim Ocean Race gezeigt. Die Entwicklung der vergangenen 20 Jahre wirkt unglaublich. Auch bei der Vendée Globe dürften weitere Grenzen ausgelotet werden

Seit ihren Anfängen in den 1980er Jahren stehen Open 60s für Innovation wie keine andere Offshore-Klasse. Die Entwicklung ist insbesondere in den vergangenen zehn Jahren enorm. Eine Studie verdeutlichte das Offensichtliche vor rund einem Jahr auch in Zahlen. Nach dem rasanten Fortschritt drängt sich jetzt allerdings das Gefühl eines Leistungsplateaus auf. Wird es demnach keine neuen Rekorde bei der am 10. November von Les Sables-d’Olonne aus startenden zehnten Ausgabe der Vendée Globe geben?

Für die groß angelegte Studie hat der Segler und Leistungsexperte Olivier Douillard die Messwerte der besten Boote aller Vendée-Globe-Generationen seit 2002 untersucht und verglichen. Das Unternehmen des Franzosen, AIM45, hat sich auf Datenanalyse im Regattasport, bei Windkraftanlagen und auch in der Frachtschifffahrt spezialisiert.

Imoca-Entwicklung: 50 Prozent Leistungssteigerung seit 2002

Das Ergebnis seiner Auswertungen: eine Leistungssteigerung von beinahe 50 Prozent im untersuchten Zeitraum! Neben einer deutlich verbesserten Höchstgeschwindigkeit bei fast allen Bedingungen und auf beinahe allen Kursen ist noch ein anderer Trend bemerkenswert: Die benötigte Windstärke, um eine Bootsgeschwindigkeit von 20 Knoten zu erreichen, ist im gleichen Zeitraum signifikant gesunken. Hatte es vor 20 Jahren noch 30 Knoten gebraucht, sind heute lediglich 14 Knoten wahrer Wind nötig, um mit einem Imoca derartige Speedwerte zu erreichen.

Am Wind hat sich die durchschnittliche Bootsgeschwindigkeit seit 2002 von 9 auf 14 Knoten gesteigert, raumschots von 15 auf 24 Knoten – je 49 Prozent. Noch deutlicher fällt das Ergebnis laut Douillards Studie auf Halbwind-Kursen aus. Hier erreichen die neuesten Foiler eine um 73 Prozent höhere Geschwindigkeit.

Darüber hinaus lag der Imoca-24-Stunden-Rekord 2002 noch bei 467,7 Seemeilen, Team Malizia hat im Ocean Race eine neue, wenn auch nicht ratifizierte Bestmarke von 641,13 Seemeilen aufgestellt. Während der Schweizer Bernhard Stamm mit seiner “Armor Lux” vor gut 20 Jahren also durchschnittlich mit schon damals unglaublichen 19,48 Knoten unterwegs war, loggte das deutsche Team um Boris Herrmann 26,71 Knoten im Mittel.

Grafik: Die absolute Leistungsentwicklung seit 2002
Foto: AIM45
Die Ergebnisse der Studie grafisch dargestellt

Vendée Globe: Regeländerung notwendig?

Dazwischen liegt nicht nur eine radikale Designentwicklung – Imocas haben im untersuchten Zeitraum auch einige Phasen der Entwicklungen im Rahmen der stets optimierten Klassenregeln durchlebt. Diese sollen Innovation fördern, nach verschiedensten katastrophalen Havarien allerdings auch die Sicherheit der Skipper bewahren. Gleiches gilt für die finanzielle Stemmbarkeit.

Neben der Einführung von Neigekielen sind seit der Vendée Globe 2016 vor allem die Foils der entscheidende Faktor. Sie wirken sich neben der direkten finanziellen Belastung auch auf die Entwicklung des kompletten Systems aus. Boote werden “um die Foils herum” entworfen.

Um die rasante Entwicklungskurve der Klasse fortzuführen, sei nun jedoch eine radikale Regeländerung notwendig, so Datenanalyst Douillard. Er sieht diese aktuell an einem Scheitelpunkt und erwartet ohne Regeländerungen lediglich kleine Verbesserungen aufgrund der natürlichen Entwicklung der Skipper sowie minimaler Anpassungen an den Booten. “Die große Leistungssteigerung seit 2002 ist auf eine größere Modifikation der Boote mit der Einführung von Foils zurückzuführen”, erklärt Douillard. “Um einen neuen Schritt wie diesen zu machen, bräuchte man eine weitere neue Konfiguration, welche die Leistung noch viel weiter steigern würde.”

Elevatoren könnten Imocas auf ein neues Level heben

Eine solche wurde zuletzt allerdings zumindest vorerst abgewendet. Konkret ging es um die Legalisierung sogenannter Elevatoren an den Rudern. Dabei handelt es sich um T-Foils unten an den Rudern, die auch das Heck anheben würden. So wäre ein tatsächliches Fliegen der Imocas, ähnlich wie beim America’s Cup, möglich.

Dieser technische Sprung birgt aber nicht nur ein enormes Geschwindigkeitspotenzial, sondern könnte auch die Sicherheit durch die besser kontrollierbare Fluglage erhöhen und die Belastung des Materials senken. Beim aktuellen “Skimming” mit dem Heck im oder knapp über dem Wasser kommt es weiterhin zu Abstürzen und Nose-Dives, also dem teils harten Eintauchen mit dem Bug; lange und ruhige Flugphasen sind dagegen kaum möglich. Dem wird im Rahmen der aktuellen Regeln bereits durch mehr Volumen im Bug, massiver Verstärkung der Rumpfstruktur und angepassten Foil-Profilen entgegengewirkt.

Die endgültige Lösung des Problems dürfte das also nicht sein, wenn auch Elevatoren das Gefahrenpotenzial durch die erhöhte Geschwindigkeit wiederum auf andere Art und Weise in die Höhe schnellen lassen würden. Möglicherweise würden die T-Foils darüber hinaus weitere noch unbekannte Probleme mit sich bringen. Auch der technische und der damit verknüpfte finanzielle Aufwand würde sich erhöhen.

Auf der Jahreshauptversammlung der Klasse wurde vor einem Jahr ohnehin eindeutig gegen diesen Technologiesprung gestimmt. Damit bleibt es noch mindestens fünf Jahre bei ähnlichen Imoca-Designs ohne Elevatoren. Die Top-Teams, darunter auch Boris Herrmann hatten sich damals allerdings für die Regel-Revolution ausgesprochen.

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Vendée Globe: T-Foils werden kommen

Ein Neubau mit Foils kostet derzeit schon fünf bis sieben Millionen Euro. Tragflächen an den Ruderblättern würden diese Summe weiter in die Höhe schießen lassen und so die Kluft zwischen der Spitze und finanzschwächeren Teams weiter vergrößern. Die klare Entscheidung ist demnach nicht auf mögliche Zweifel an der Performance-Verbesserung zurückzuführen. Im Gegenteil: Man ist weiterhin überzeugt, dass die Entwicklung kommen muss und wird.

Das bestätigte auch Imoca-Klassenpräsident Antoine Mermod. Allerdings sei die Klasse aktuell noch nicht bereit für diesen Schritt. Und auch Herrmann sagte im Nachgang: “Ich bin fast ein bisschen erleichtert, dass es nicht passiert ist, gleichzeitig hätte ich es gerne gesehen.” Herrmann gab auch die große Technologie-Herausforderung auf Amwind-Kursen zu bedenken.

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Denn ob man auf Routen um die Welt mit Elevatoren tatsächlich meilenweit überlegen wäre, muss noch bewiesen werden. Im kleineren Maßstab hat sich die Technik bislang noch nicht als vollends überlegen herausgestellt, konnte allerdings eine starke Entwicklung vorweisen. Die Französin Caroline Boule hatte beim Mini Transat 2023 als Einzige mit einem Voll-Foiler noch starke Probleme gehabt. 2024 stellte sie beim Mini-Klassiker Les Sables – Les Açores – Les Sables einen neuen 24-Stunden-Rekord für die Klasse auf. Mit etwas Fantasie und Vertrauen in die Entwicklungen der Zukunft dürfte also spätestens mit der Legalisierung von Elevatoren eine Vendée Globe in unter 70 Tagen möglich sein. Der aktuelle Rekord liegt bei 74 Tagen und stammt aus dem Jahr 2016.

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