Wenn am zehnten November die zehnte Vendée Globe startet, brechen für die Fans des Hochseerennsports zehn harte Wochen an. Zigtausende werden auch nachts und frühmorgens am Live-Tracker verfolgen, welche ihrer Lieblings-Skipper und -Skipperinnen gerade wo stehen, bei wem es läuft und wer mit Sturm, Flaute oder technischen Problemen zu kämpfen hat. Einhand nonstop um die Erde zu segeln, ohne Hilfe von außen – das ist nach wie vor die Königsdisziplin, die längste, wildeste und härteste Prüfung, die der Segelsport zu bieten hat.
Die Jubiläumsedition krönt ein seglerisches Ausnahmejahr. Nach Olympischen Spielen und America’s Cup wird die Vendée allein schon durch ihre Dauer und ihr Format medial den Höhepunkt setzen. Aber es gibt noch mehr gute Gründe, warum sie alles Bisherige in den Schatten zu stellen vermag.
24.300 Seemeilen misst der Kurs von Les Sables d’Olonne vorbei an den drei großen Kaps und zurück an die Küstenstadt im Departement Vendée, das der Nonstop-Regatta ihren Namen gab. Von den bisher 200 Teilnehmern haben es nur 114 innerhalb der Wertung ins Ziel geschafft. Der Rekord steht bei 74 Tagen; Armel Le Cléac’h hat ihn 2016/17 aufgestellt. Ob er gebrochen werden kann, hängt auch von der Lage der Eisgrenze ab.
Gesegelt wird die Vendée Globe auf Segelbooten der Imoca-60-Klasse. Diese sind maximal 18,28 Meter (60 Fuß) lang (mit Bugspriet max. 20,12 m) und höchstens 5,85 Meter breit. Der Mast darf bis zu 29 Meter in den Himmel ragen, der Kiel höchstens 4,50 Meter in die Tiefe. Der Ballast, dessen Mindest- und Höchstgewicht ebenfalls vorgegeben ist, lässt sich elektro-hydraulisch zur Seite schwenken, um das Gewicht effektiver einzusetzen. Selbst der Winkel ist limitiert: bis zu 38 Grad nach Steuerbord oder Backbord, nicht ein Grad mehr.
Außer dem Kiel darf ein Imoca maximal vier weitere Anhänge unter Wasser nutzen. Bei den neuesten Konstruktionen sind dies zwei Ruder achtern und mittschiffs zwei Foils – Tragflügel, die das Boot aus dem Meer heben und dadurch den Wasserwiderstand verringern helfen. Diese haben erheblich zur enormen Leistungsentwicklung der Klasse in den vergangenen Jahren beigetragen. Um fortan jedoch noch wesentlich schneller werden zu können, werden auch Foils an den Ruderblättern notwendig sein, diese sind aktuell jedoch nicht erlaubt.
Mit vierzig Teilnehmern, darunter sechs Frauen, ist die diesjährige Ausgabe der Vendée Globe die größte Solo-Wettfahrt der Imoca-Geschichte. Nie waren mehr Foiler am Start, nie gab es mehr Neubauten und noch nie so viele, die für den Sieg infrage kommen, darunter Boris Herrmann, der zum zweiten Mal antritt und mit seiner „Malizia-Seaexplorer“ auch in der französischen Offshore-Szene zu den Top Fünf gezählt wird. Wie eng das Leistungsniveau an der Spitze ist, zeigt unsere Favoritenliste: Darin rangiert der vormalige Vendée-Sieger Yannick Bestaven nur auf Platz 10; Louis Burton und Jean Le Cam, die 2021 als Zweiter und Vierter ins Ziel kamen, sind von ihrem theoretischen Potenzial her noch weiter weg von der Spitze.
Doch es ging bei dieser so einmaligen Regatta nie nur um den Sieg. Die 35-jährige Geschichte der Vendée war stets auch von Abenteurern geprägt, von Pionieren, Wagemutigen, Havaristen und Skippern, die es nur mit Ach und Krach, kleinen Budgets, veralteten Booten, aber viel Herzblut an die Startlinie vor Les Sables d’Olonne geschafft haben.
Gründer Philippe Jeantot hat das epische Rennen 1989 ins Leben gerufen, inspiriert vom Golden Globe Race, aber sportlich wie technisch anspruchsvoller. Sein Konzept war simpel, erwies sich jedoch als horrend herausfordernd. Von den „Ocean’s 13“ der ersten Auflage kamen nur sieben ins Ziel. Die damalige Ausfallquote von 46 Prozent ist inzwischen geringer; sie lag zuletzt unter 30 Prozent. Doch noch heute gilt: Allein anzukommen ist schon eine unvorstellbare Leistung.
Das spiegelt sich auch im öffentlichen Interesse. Mehr als drei Millionen Besucher erwarten die Veranstalter in den Tagen bis zum Start. Sie werden den kleinen Küstenort Les Sables in ein heilloses Verkehrschaos stürzen, zumal die vergangene Vendée Globe unter dem Einfluss der Corona-Pandemie stattfand. Diesmal aber sind keine Einschränkungen zu erwarten, was der Veranstaltung neuen Zulauf verschaffen wird.
Schon 2020 war sie in aller Munde; damals kannten 95,6 Prozent der Franzosen die Vendée Globe. Der Start wurde landesweit live im Fernsehen übertragen und erzielte Quoten wie sonst nur Spitzenspiele im Profifußball.
In Deutschland hat damals Boris Herrmann für einen gewaltigen Popularitätsschub gesorgt. Der heute 43-Jährige teilte seinen beherzten Ritt um die Welt offen, wort- und bildgewaltig wie kein Zweiter mit den Fans. Seine nächtliche Kollision mit einem Fischerboot in der Nacht vor seiner Zielankunft kostete ihn zwar einen sonst sicheren Podiumsplatz, steigerte die Anteilnahme aber umso mehr. An den Bildschirmen zu Hause fieberte und litt ein Millionenpublikum mit. Diesmal wird er wohl neue Zuschauerrekorde aufstellen, denn nun berichtet die ARD schon vom Start weg live. Eine sehenswerte TV-Dokumentation, die Boris’ Weg bis zur Vendée nachzeichnet, wird zudem im Ersten ausgestrahlt.
Hier auf yacht.de gibt es natürlich wieder ausführliche Hintergrund-Reportagen, Experten-Interviews sowie tagesaktuelle Rennanalysen zu diesem letzten und absehbar aufregendsten Highlight eines ohnehin schon reichen Supersegelsportjahrs. Besonders nah dabei ist man mit unserem LIVE-Ticker, der die wichtigsten Infos und News so aktuell wie überhaupt möglich bereitstellt. Die Positionen der Segler und mögliche strategische und taktische Schlüsse lassen sich am besten über den LIVE-Tracker ableiten. Dieser wird alle vier Stunden aktualisiert.