The Ocean RaceRobert Stanjek erklärt, wie sich “Guyot Environnement” segelt

Andreas Fritsch

 · 01.02.2023

The Ocean Race: Robert Stanjek erklärt, wie sich “Guyot Environnement” segeltFoto: Charles Drapeau / GUYOT environnement - Team Europe
Die Verfolger im Nacken? Skipper Robert Stanjek mit dem Blick aus “Guyot Environnement”

Der Deutsche hat sich auf seiner ersten Etappe als alleiniger Skipper mit seinem Team an die Spitze des Feldes gesetzt. Die YACHT hat ihn vor dem Start in Alicante besucht und eine Tour über den Open 60 bekommen

Stanjek ist als erfahrener Olympionike taktisch anders gesegelt als die Konkurrenz. Nach der guten alten Regel “positioniere dich zwischen dem Ziel und dem Gegner” verteidigt er seine Führung, ist durch die Doldrums schlicht den kürzesten Weg gesegelt und hat im Gegensatz zu allen anderen Teams darauf verzichtet, nach Westen zu fahren, wo mehr Wind vermutet wurde – aber dann nicht zu finden war. Mit etwas Wetterglück hat ihm das eine solide Führung gebracht.

Technisch dagegen ist Stanjek eigentlich ein Open 60 Rookie, zumindest offshore und im Vergleich zu vielen der Skipper im Feld, die diverse Vendée Globes oder Volvo Ocean Races auf dem Buckel haben. Umso spannender fand die YACHT die Frage, wie er einen der besten Open 60s der vorletzten Generation, Alex Thomsons 2016er “Hugo Boss” erlebt. Und so durfte die YACHT an Bord von “Guyot Environnement” kommen, und es gab eine Tour übers Boot. Zusätzlich waren wir vor dem Start der Route du Rhum Ende 2022 auf dem Boot und hatten auch mit dem französischen Skipper Benjamin Dutreux gesprochen.

Das ausführliche Video vom Rundgang mit Robert Stanjek auf YACHTtv

Was man deutlich merkte: Nachdem er die sehr windige Rücküberführung aus der Karibik ins Mittelmeer hinter sich hatte, kurz vor dem Start, realisierte er so richtig, was da auf ihn zukommt. Benjamin Dutreux stieg für die Etappe von Bord, Stanjek ist für das zweite Leg nach Kapstadt Skipper. Er sprach mit großem Respekt von den zu erwartenden Etappen, erwähnte in Bemerkungen immer wieder, dass ein Open 60 ein technisch hochkomplexes Boot ist. “Es ist Wahnsinn, wie viele technische Checks vor einem Rennen, aber auch einfach täglich nötig sind. Das hat mich schon überrascht!”, erzählte er ganz offen.

Und man merkte, hier spricht ein Segler, der es gewohnt ist, Boote auch stark mit Gefühl zu fahren. Die viele Technik mit Hightech-Autopiloten, Messfühlern und viel Taktik-Analyse-Software ist wichtig, aber sein Bauchgefühl mindestens ebenso. “Das Haupt-Trimminstrument, um das Boot auf den Foils zu halten, ist eigentlich die Großschot. Dazu kommen dann der Anstellwinkel der Profile und des Kiels. Das Zusammenspiel des Lifts von Foil und Kielfinne hebt das Boot aus dem Wasser.”

Und wie sehr sich ein Open 60 von konventionellen Fully-Crewed-Rennbooten unterscheidet, macht er auch am Cockpit fest: “Alle Fallen, alle Kontroll-Leinen kommen hier im Cockpit sehr zentral zusammen, das ist bei den alten Volvo-Booten anders. Das macht viel mehr Tauwerk nötig, es sind bei uns mehr als drei Kilometer. Und fünf Winschen sind für so ein Schiff auch wirklich wenig; wenn wir große Manöver oder Segelwechsel fahren, ist das schon manchmal knapp.” Da müsse man die Abläufe extrem gut vorausplanen. Die Abläufe mancher Manöver würden dadurch langsamer als nötig, aber das sei eben der Preis dafür, dass man auf einem Boot segelt, welches eigentlich für den Einhand-Betrieb konstruiert ist.

Im Cockpit stehend erklärt er auch, dass es für einen aktiven Regattasegler aus kleinen Booten wichtig ist umzudenken. “Das Cockpit ist hier natürlich krass abgeschirmt. Man sieht kaum etwas, vor allem nachts oder wenn das Wasser über Deck fliegt, siehst du eigentlich gar nichts. Du kannst mit der Taschenlampe etwas in die Segel schauen, bekommst dann aber nur eine grobe Idee. Das Schiff wird vor allem über Zahlen gesegelt. Gesteuert wird es vor allem über den Autopiloten. Bei schnellen Reaching- und Foil-Bedingungen ist es unmöglich, das Boot als Mensch zu steuern, da ist zu viel Druck drauf.”

Man merkt bei allem, Stanjek hat eine enorm steile Lernkurve hinter sich, wächst in diesem Rennen im Schnelldurchlauf zum erfahrenen Open-60-Skipper. Umso bravouröser ist, wie der Deutsche mit seinem Team unterwegs ist, “Guyot Environnement” segelt taktisch konsequent und kompensiert das langsamere Boot in Konkurrenz mit vier etwas schnelleren Neubauten sehr effektiv.

Aber man merkt auch: Er ist froh, mit Crew unterwegs zu sein. Auf die Frage, ob er sich nach dem Ocean Race vorstellen kann, so ein Boot singlehanded zu segeln, verneint er sofort. Man merkt immer wieder, dass er gesunden Respekt vor den technisch sehr komplexen Schiffen hat, die allein zu bedienen tatsächlich eine Herkulesaufgabe ist. Insofern ist die Runde mit Robert Stanjek übers Boot spannender als mit Boris Herrmann: Für Letzteren ist ein Imoca die natürlichste Sache der Welt, für Stanjek noch so frisch, dass es die Perspektive des Normalo-Seglers sehr schön anschaulich rüberbringt.


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