81-Meter-FrachtseglerKurs New York mit 1.000 Tonnen Spirituosen

Sören Gehlhaus

 · 14.08.2024

Potenzial für schnelle Überfahrten: Der 81 Meter lange Stahl-Schoner „Anemos“ auf Seeerprobung
Foto: Ronan Gladu / TOWT
Renaissance der Kauffahrtei unter Segeln: Der 81 Meter lange Frachtsegler „Anemos“ hat seine erste Ladung in Le Havre genommen und hält Kurs auf New York – mit 900 Paletten Cognac und Champagner an Bord

Nach zwei Jahren Bauzeit hat Trans Oceanic Wind Transport (TOWT) „Anemos“ in Betrieb genommen. Seit 2011 bewegt die französische Reederei auf gecharterten Traditionsseglern ähnlich der „Avontuur“ von Timbercoast Fracht. Mit ihrem Neubau haben die TOWT-Gründer Diana Mesa und Guillaume Le Grand einen Meilenstein erreicht. Der Stahl-Schoner gilt mit 81 Meter Länge als weltgrößter Frachtsegler und soll, je nach Wind auf der jeweiligen Passage, 90 Prozent weniger CO2 emittieren als ausschließlich mit Rohöl betriebene Schiffe. Die Ladungskapazität von „Anemos“ beträgt 1.100 Tonnen, auf 150 Meter langen Feederschiffe kommen bis zu 13.000 Tonnen unter.

Obwohl Aufnahmen und Erfahrungen bei Starkwind noch ausstehen, ruft das Schiff von TOWT Erinnerungen an Flying P-Liner hervor. Im Gegensatz zu den schnellen Rahseglern sollen die hoch getakelten TOWT-Schoner auch gegen den Wind gut vorankommen. CEO Le Grand berichtet: „Ich war gerade an Bord, und wir sind gegenan mit fünf Knoten gesegelt, bei nur fünf Knoten Wind. Das hat uns schon erstaunt, dachten wir doch, dass Leichtwind unsere Schwäche wäre.“

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Frachtsegler mit mächtigen wie zuverlässigen Segelsystemen

Den Bauauftrag erhielt die französische Piriou-Werft, die den „Anemos“-Rumpf in Rumänien schweißen ließ und im bretonischen Concarneau ausrüstete. Für gute Segelleistungen stehen die 52 Meter langen Carbonmasten von Lorima mit Rollreffsystemen und knapp zehn Tonnen schweren Großbäumen aus Aluminium. Die zwei Focken sind an Bäumen angeschlagen, die über gebogene Schienen laufen. Mit ausgerollter Genua kommt „Anemos“ auf insgesamt 2.500 Quadratmeter Segelfläche.

Zum Handling sagt Le Grand, der ein erfahrener Segler ist: „Wir haben es mit sehr hohen Lasten zu tun, und das jeden Tag. Zudem segeln wir anders als segelnde Superyachten dieser Größe mit limitierter Crew.“ Im Schnitt will man 10,5 Knoten schaffen, in der Spitze mehr als 16 Knoten schnell fahren. Le Grand ist sich sicher, dass man 20 Knoten schaffen könnte, ab 20 Knoten Wind fange die Crew an zu reffen. Diesel-Generatoren springen bei sehr leichten Winden zur Unterstützung an, ab etwa sieben Knoten erzeuge man Strom per Hydrogeneration.

Cognac und Champagner in die USA, Kaffee aus Kolumbien

In Le Havre kamen bei der Erstbeladung 1.000 Tonnen Cognac und Champagner an Bord von „Anemos“. Traditionell würden 98 Prozent des französischen Cognacs exportiert, so Le Grand. „Mit dieser Nachfrage haben wir nicht gerechnet. Wir haben keine Sponsoren, wir sind Kaufleute. Unsere Kunden kommen aus Gründen der Dekarbonisierung zu uns, aber auch weil sie sich der Herausforderung stellen wollen.“ Zu den frühen Unterstützern zählt Martell Mumm Perrier-Jouët, die Cognac- und Schaumweinsparte des französischen Spirituosenkonzerns Pernod Ricard. Der Name Mumm gelangte in Seglerkreisen in den 1990er-Jahren durch die Mumm-36-Regattaserien zu Bekanntheit. Laut TOWT sei Mumm Perrier-Jouët bestrebt, die Frachtsegelei langfristig zum Haupttransportmittel in die USA zu machen. Im Schiffsbauch würden Weine dank ausgeklügelter Belüftung ähnlich kontrolliert wie in einem Weinkeller gelagert.

An Bord sind aber auch Flaschen von kleineren Weingütern wie dem Demeter-zertifizierten Château La Coste. Die Frachtrate beträgt im Schnitt (je nach Menge) etwa 400 Euro pro US-Palette und – das betont Le Grand – sei entkoppelt von Ölpreisschwankungen. Nach dem Halt in New York steuert „Anemos“ Kolumbien an, wo Kaffee an Bord kommt. Denkbar sei auch, dass man die Rum-Route von der Karibik nach Frankreich wiederbelebe. Die Franzosen untermauern das nachhaltige Konsumbewusstsein mit einem Siegel auf den jeweiligen Flaschen oder Produkten. Wer die angegebene Reisenummer auf der TOWT-Webseite eingibt, erhält Aufschluss über die CO2-Emissionen und den Reiseverlauf des gekauften Produktes.

Linienbetrieb mit acht Frachtseglern angestrebt

In Ho-Chi-Minh-Stadt steht ein Schwesterschiff von „Anemos“ kurz vor der Ablieferung. Die 81 Meter messende „Artemis“ soll Piriou Vietnam in den nächsten Wochen mit Sportkleidung und Elektronik in den Frachträumen verlassen und über Kapstadt, dort wird unter anderem Rotbusch-Tee geladen, nach Le Havre reisen. Kunden kommen aus unterschiedlichsten Branchen, auch die Marke Bonne Maman möchte ihre Konfitüren per Frachtsegler von Frankreich in die Welt hinaus transportieren. Ziel ist es, mit den zwei Schiffen jährlich 72.000 Tonnen Güter zu befördern.

Auf lange Sicht möchte TOWT den Linienbetrieb aufnehmen. Guillaume Le Grand sagte gegenüber YACHT, dass sechs weitere 81-Meter-Schoner entstehen sollen. Mit einer Flotte von acht Frachtseglern wolle man wochenweise Abfahrten von Le Havre aus anbieten. Jetzt schon können an Bord zwölf Gäste mitfahren und zügige Überfahrten erleben: „Ich gehe davon aus, dass wir den Atlantik schneller queren werden als manch ein Containerschiff.“


Frachtsegler im Video: Die Ankunft der “Anemos” in Le Havre

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