Martin Hager
· 20.05.2023
Mit der 42,24 Meter langen „Vijonara“ realisierte Pendennis die präzisen Wünsche einer leidenschaftlichen Seglerfamilie nach Designvorgaben von André Hoek. BOOTE EXCLUSIV segelte die elegante Truly Classic vor Palma de Mallorca
Mallorca zählt während der Sommermonate fraglos zu den angenehmsten und schönsten Segelrevieren für große Yachten. Nicht ohne Grund platzen von Juni bis Ende August die Marinas der Baleareninsel aus allen Nähten. Es kann sich glücklich schätzen, wer einen Liegeplatz im sportlichen Real Club Náutico de Palma, im eher gemütlichen Club de Mar, im leicht mondänen Portals Nous oder im exklusiven Port Adriano ergattert.
„Auf die tägliche Thermik ist Verlass“, versichert „Vijonara“-Kapitän James Box, als wir uns um zehn Uhr morgens bei strahlendem Sonnenschein am Liegeplatz des jüngsten Pendennis-Neubaus am STP-Dock treffen. Servicios Técnicos Portuarios, kurz STP, ist jedem Yachtie ein Begriff. Die Werft mit riesigen Dockflächen in unmittelbarer Nähe zur Altstadt von Palma de Mallorca führt nicht nur eigenständig aufwändige Refits durch, sondern sie vermietet auch Arbeitsfläche an Werften wie Pendennis. „Wir haben hier seit 2011 eine feste Basis, um unseren Kunden auch im Mittelmeer den bestmöglichen Service und kurzfristige Reparaturen bieten zu können“, erklärt Michael Rusbridge, der bei Pendennis als Projektmanager den Bau von „Vijonara“ begleitete. „Die 42-Meter-Slup wurde erst kürzlich abgeliefert, und bevor die Eigner ihre ausgedehnten Reisen beginnen, arbeiten wir noch einige Garantiepunkte ab.“
Die kleinen Arbeiten an der eleganten Truly Classic, ein Markenbegriff des Designers André Hoek, pausieren allerdings für einen Tag, denn es steht ein Segeltag mit BOOTE EXCLUSIV auf dem Programm. „Wir haben noch ein bisschen Zeit, der Wind kommt erst um 13 Uhr“, so der Kapitän. Während sich das Land zunehmend aufheizt und sich die Seebrise gemächlich bildet, nutzen wir gemeinsam mit Michael Rusbridge die Zeit für einen Rundgang an Bord.
„Es hat großen Spaß gemacht ,Vijonara‘ zu bauen“, erzählt der Projektmanager. „Die Schweizer Eigner sind seit vielen Jahren begeisterte Segler, und sie hatten sehr konkrete Vorstellungen von ihrer Traumyacht.“ Der Traum von klassischen Linien, gepaart mit einem modernen und effizienten Unterwasserschiff, wuchs allerdings nicht über Nacht. „,Vijonara‘ ist unsere fünfte Segelyacht“, erzählt der Eigner. „Meine Frau und ich sind seit Studentenzeiten passionierte Segler. Das richtige Segeln haben wir noch zu DDR-Zeiten auf der Ostsee gelernt. Kein einfaches Unterfangen! Wir sehnten uns nach Freiheit und sind schließlich unter teils dramatischen Umständen aus diesem Staat geflohen. In den folgenden Jahren erkundeten wir auf unserer Dehler 41 ausgiebig die Ostsee, bis wir schließlich unseren Segelhorizont mit Revieren rund um die Balearen erweiterten. Hier liegt auch heute noch unser letztes Segelboot, eine zwölf Meter lange Tofinou. Mit unserer fünften Yacht sprangen wir dann von 41 Fuß auf 42 Meter – ein gewaltiger Schritt und die Erfüllung eines Lebenstraums!“
Die Inspiration zum Bau der zweiten Truly Classic 128 lieferte ein ausgiebiger Artikel über die 37 Meter lange „Pumula“ aus Royal-Huisman-Hallen. „Schon beim ersten Anblick gefielen mir die klassischen Linien und das achterliche Deckshaus, mit einem direkten Zugang zur Eignerkabine“, so der Eigner. Die Idee einer neuen Yacht war geboren. Um präzisere Vorstellungen zu bekommen, folgten einige Charterreisen und schließlich Termine mit Yachtdesignern. Den für seine klassischen Entwürfe bekannten Designer André Hoek traf das Seglerpaar an Bord von „Atalante“, der bei Claasen in Holland gebauten ersten Truly Classic 128. „Die Chemie hat sofort gestimmt, und wir fühlten uns bestens aufgehoben bei dem uns vorgestellten Team, zu dem auch die Eignervertreter Peter Wilson und Nigel Ingram von MCM Management gehörten.“ Eine Charterreise auf „Atalante“ folgte und half dabei, die Vorstellungen zu konkretisieren.
„Die Eigner entschieden sich schließlich für ein komplett eigenständiges Layout, maßgeschneidert auf ihre Bedürfnisse“, so Projektmanager Rusbridge. Zu den Kernentscheidungen, um die herum Hoek das Layout realisierte, gehörte ein Steuerstand und Arbeitscockpit mittschiffs und ein Achtercockpit, das wie bei „Pumula“ direkt in den Eignerbereich führt. Dieser besteht aus einer geräumigen Suite, die sich dank des achterlichen Deckshauses über zwei Ebenen erstreckt. „Ich will so viel Zeit wie möglich an Bord verbringen, daher ist es unumgänglich, dass ich auch auf Reisen arbeiten muss. Das achterliche Deckshaus dient als mein Arbeitszimmer, das wohl angenehmste, das ich je hatte“, erzählt der Eigner. Wenige Stufen tiefer befindet sich das Queensize-Bett mit benachbarter Sitzecke und einem im Couchtisch versteckten Oculus. „Dabei ließen sich die Eigner von einem Tisch inspirieren, wie ihn sich der Eigner der Royal-Huisman-Ketsch „Elfje“ einbauen ließ. Ein Rundfenster im Rumpf erlaubt einen Blick in Nemos Reich. „Vier 15 Millimeter dicke Glaslaminate sorgen dafür, dass das Wasser nicht die Yacht flutet“, so Rusbridge. Vor der Eignersuite liegt backbords der überdimensional wirkende untere Salon und gegenüber ein Gym, das sich bei Bedarf mit wenigen Handgriffen in eine Gästekabine verwandeln lässt. Bei der Materialwahl ging das Eignerpaar den klassischen Weg. Die Möbel entstanden zum größten Teil aus Mahagoni, die Böden sind aus europäischem Walnussholz. Weiße Wand- und Deckenpaneele verleihen den Räumen dennoch eine großzügige optische Weite. Zu den Besonderheiten der Inneneinrichtung zählen allgegenwärtige Möbel- und Lederdetails der Sattler- und Lederprofis von Hermès.
„Eines meiner Lieblingsstücke an Bord ist die wandgroße Weltkarte aus Leder im unteren Salon, in der jedes Jahr unsere Reiserouten eingestickt werden sollen“, so der Eigner. Aus der Ostsee um die Welt – eine wunderbare Geschichte. Im Zentrum der Yacht befindet sich der obere Salon mit Speisetisch backbords und gemütlichem Loungebereich gegenüber. Wenige Stufen in Richtung Bug machen es sich in zwei geräumigen Kabinen die Gäste bequem. Das für eine maximal vierköpfige Mannschaft recht kompakt geratene Crewquartier inklusive Galley, Laundry, Messe und zwei Kammern schließt sich an. Besonders die Navigationsecke, die gleichzeitig als Kapitänsbüro dient, fällt klein aus. Während wir uns noch mit Dekor-Details beschäftigen, beginnen an Deck die Vorbereitungen zum Auslaufen. Obwohl der 355 Kilowatt starke Scania-Hauptmotor bereits läuft, ist es erstaunlich ruhig im Interior. „Die Eigner legten besonders viel Wert auf eine ausgezeichnete Schallisolierung“, erzählt der Projektmanager. Die Innenseite des Rumpfs wurde dazu mit einem schallschluckenden Lack besprüht, bei der Steinwolle-Isolierung wählten die Yachtbauer eine effiziente Variante mit Gummikern.
An Deck überkommt uns die freudige Erkenntnis, dass auf die mallorquinische Nachmittagsbrise tatsächlich Verlass ist. Die Sonne scheint, das Thermometer zeigt 30 Grad im Schatten, und sanfte zehn Knoten wehen aus südwestlicher Richtung über die Bucht von Palma. „Wir haben uns heute einige Freunde als helfende Hände an Bord geholt, da wir zum Segeln mindestens zu dritt sein müssen“, erklärt Kapitän James, während er „Vijonara“ souverän aus der STP-Box manövriert. Der Eigner entschied sich nicht wie bei Yachten dieser Größenordnung üblich für ein Inboom-Furling-System, sondern für ein traditionelles Großsegel an einem Park-Avenue-Baum. „Das bedeutet allerdings für uns, dass wir zum Segelsetzen und -bergen alle Hände an Deck brauchen, inklusive Eigner“, erklärt James Box, während Deckhand Dan Marks in den weit ausladenden Baum klettert, um beim Segelsetzen die Harken-Schlitten im Blick zu behalten. Während sich „Vijonara“ gemächlich aus der Hafeneinfahrt bewegt, steht innerhalb von zwei Minuten das bauchig getrimmte Großsegel aus Doyle-Laminat am Carbonmast von Southern Spars. James Box fällt um wenige Grad ab, das 404-Quadratmeter-Groß füllt sich, und 150 Tonnen „Vijonara“ legen sich sanft auf die Seite. Und schon werden die Stagsegelschoten um die Lewmar-Winschen gelegt. „Alles klar zum Stagsegel-Setzen?“ Per Knopfdruck bedient Kapitän Box die hydraulischen Reckmann-Furler, und innerhalb von zehn Sekunden stehen weitere 156 Quadratmeter im Wind. Die B&G-Instrumente zeigen mittlerweile 18 Knoten wahren Wind, und die Logge pendelt sich bei 10,5 Knoten SOG ein. Für Tage wie diesen wurden Supersegler erfunden. Konstanter, warmer Wind in der perfekten Stärke, um mit der gesamten Segelgarderobe zu spielen. „Alles klar zum Yankee-Setzen?“, ruft Box in die fröhliche Seglerrunde. Die Furler setzen die Yankee-Trommel in Bewegung, und wenige Sekunden später beschleunigen weitere 319 Quadratmeter Laminat die Truly-Classic-Slup auf 13 Knoten. „Wenn wir Yankee- und Stagsegel fahren, setzen wir zusätzlich die Runner, um die Riggkräfte besser zu verteilen“, erklärt James Box und übergibt mir das Steuerrad. Ein unerwarteter Kraftaufwand ist nötig, um das Rad zu drehen und die Slup auf Kurs zu halten. Der Ruderdruck ist erstaunlich und vermittelt eindrucksvoll, welche Kräfte 879 Quadratmeter am Wind erzeugen.
Viel zu schnell ist das Ende der Bucht erreicht, der Strand Cala Blava scheint zum Greifen nah. Zeit für eine Wende und einen Schlag in Richtung Magaluf. Wie bei allen Yachten mit Stagsegel muss vor der Wende das Yankeesegel gefurlt werden. Auf Knopfdruck rollen die öldruckgesteuerten Furler das Dreieck ein. „Alles klar zur Wende?“ Und schon steuere ich die flinke Slup durch den Wind auf Halbwindkurs. Mit Yankee- sowie Stagsegel und 15 Grad Krängung pflügen wir in Richtung Nordwest, bis es nicht mehr weitergeht. Eine Wende noch, und schon sind vier Stunden um, es ist Zeit, zurück in Richtung Palma zu segeln. Die letzten Seemeilen bieten einen weiteren Höhepunkt: Yankee- und Stagsegel weichen dem 1153 Quadratmeter großen A2-Gennaker, der am Bugspriet angeschlagen auf seinen Raumschotseinsatz gewartet hat. Das weiße Riesentuch füllt sich im Nu, und wir gleiten vor dem Wind mit elf Knoten SOG in Richtung Liegeplatz. Um den Segeltag vollends perfekt zu machen, folgt uns die letzten Seemeilen eine Schule Delfine bis knapp vor die Hafeneinfahrt. Spielgefährten mit Geschmack.
Nur unter Groß segeln wir in den Hafen, und bei zunehmend böigem Wind offenbart sich ein Nachteil des klassischen Großsegel-Set-ups: Während Deckhand Dan „Vijonara“ unter Motor im Wind hält, turnt der Kapitän im Park-Avenue-Baum herum und legt das schwere Groß-Laminat ordentlich zusammen, trotz Lazyjacks alles andere als eine einfache Aufgabe, die bei viel Wind Schweiß und Nerven kostet. „Inboom-Systeme sind technisch anfälliger, weswegen sich der Eigner für die bewährte und ihm bekannte Großsegel-Variante entschied“, so Michael Rusbridge. „Dazu kommt, dass er es genießt, bei jedem Manöver selbst mit Hand anzulegen.“ Nicht ohne Grund gilt Segeln als Sportart, ein Faktum, das bei den zahlreichen elektrischen und hydraulischen Hilfssystemen an Bord heute häufig in Vergessenheit gerät. Wer jedoch einmal die 50 Meter lange Genuaschot eines Superseglers aufgeschossen hat, der weiß, wovon die Rede ist.
Für die „Vijonara“-Eigner geht es jedenfalls gemütlich weiter. Die Weltreise rückt langsam näher, und bis es so weit ist, stehen noch Mittelmeer-Törns und auch die eine oder andere Fun-Regatta auf dem Plan.
Dieser Artikel erschien in der BOOTE EXCLUSIV-Ausgabe 06/2018 und wurde von der Redaktion im Mai 2023 überarbeitet.