Royal Huisman„Aquarius“ - Eine Ketsch für große Passagen und kleine Regatten

Friedrich W. Pohl

 · 14.05.2023

Auf schnellem Kurs: Die Segel lieferte Doyle New Zealand aus dem Material Stratis. Ihnen wirkt ein fester Kiel entgegen. „Aquarius“ erreicht einen theoretischen Rumpfspeed von 16 Knoten. Ein MTU-Diesel schiebt die Ketsch nonstop 4000 Seemeilen weit
Foto: Carlo Baroncini

Die Eigner sammelten Erfahrungen mit Charteryachten. Ihren Traum vom eigenen Kiel für die Familie setzte Royal Huisman auf 56 Metern mit einem Dykstra-Design um: mit der Ketsch „Aquarius“ für große Passagen und kleine Regatten. Das Ziel vor St. Barth wartet bereits. Die Eigner sind optimistisch.

Ende März 2019 segelten die Großen wieder einmal den St. Barths Bucket aus. Und wenn nicht alles täuscht, wird „Aquarius“ vor Gustavia ihren ersten großen Start erleben. Die Karibik ruft, zum zweiten Male. Die 56 Meter lange Ketsch für große Strecken aus dem Hause Royal Huisman wird ein Jahr nach ihrer ersten Reise zu den Kleinen Antillen dort ihren Regatta-Mehrwert testen.

März 2018 lieferte die Königliche Werft für große Segelyachten aus dem niederländischen Vollenhove „Aquarius“ an ihre Eigner. Im Dezember 2014 hatten sie den Vertrag unterzeichnet, mit den Zuständigkeiten von Dykstra Naval Architects aus Amsterdam für Konstruktion und Design sowie dem Londoner Büro von Mark Whiteley für die Planung und Gestaltung der Inneneinrichtung. Die Eigner hatten den erfahrenen Hochseesegler Godfrey Cray mit dem Projekt­management betraut.

Wie sich die Royal-Huisman-Ketsch unter Wettfahrtbedingungen verhält

Alle Beteiligten sind seit Anbeginn des Projekts neugierig und nicht wenig gespannt, wie sich die junge Ketsch mit den traditionellen Linien unter Wettfahrtbedingungen verhalten wird. Bisher jedenfalls kennt die Zufriedenheit kaum Grenzen. „Sie bei zehn Knoten Wind und mehr zu steuern bereitet größtes Vergnügen. Sie segelt wundervoll, auf hal­bem Wind bereits bei zwölf bis 15 Knoten Speed nahezu perfekt“, schwärmen die Eigner. Der Projektmanager Godfrey Cray ergänzt zufrieden: „Raumschots mit Besanstagsegel und Code Zero erreicht sie sofort sehr hohe Geschwindigkeiten und lässt sich leicht führen.“

Das Briefing der Eigner gab eine elegante und kraftvolle Segelyacht mit klassischem Profil für die ganz langen Reisen mit Familie und gelegentliche Regatten vor. Wer zu Dykstra geht, der wird bei Längen um 50 Meter mit großer Wahrscheinlichkeit eine Ketsch bestellen. Die große Ketsch für die große Fahrt gehört zu den Fundamenten des Yachtings wie das klassische Gutshaus oder das Stadtpalais zu den Ikonen der Architektur. Eigentlich können beide Architekturen dieser Art zu Lande und zu Wasser heute als aus der Zeit gefallen gelten. Wer unterhält schon noch ein privates Landgut und baut heutzutage das passende Herrenhaus mit Ecktürmchen und Risalit?

Jedoch geben Yachteigner wie diese Royal-Huisman-Kunden bei Designern und Werften durchaus noch eine Ketsch mit langen Überhängen und flachem, steilem Deckshaus in Auftrag, auch wenn windschnittige Sloops gleicher Größe mindestens so schnell und komfortabel segeln.

Es zeugt nur von Konsequenz, wenn eine Yacht wie „Aquarius“ außerhalb der Moden mit zwei Masten, selbstbewusst langen Überhängen und einem geradezu hochnäsigen Löffelbug auftritt.

Kein Piratenschiff, sondern eine moderne und leistungsstarke Yacht

Die Eigner hatten sich nicht ganz grundlos für Royal Huisman als Werft und Dykstra als Designer entschieden: Huisman hatte 2007 das 52 Meter lange Dykstra-Design „Meteor“ geliefert, und die „Aquarius“-Eigner hatten mit ihr und anderen großen Yachten Chartererfahrungen gesammelt und über die äußerlich eher wuchtige „Meteor“ mit Schanzkleid und Klüverbaum nach Art der Grand-Banks-Schoner ihre eigene Meinung. „,Aquarius‘ sollte kein Piratenschiff werden, sondern eine moderne, gut aussehende, leistungsstarke und dabei verlässliche Yacht“, erläutert Cray die Eigenständigkeit des Neubaus.

Das „Meteor“-Interior von John Munford jedoch hatte den Eignern gefallen: klassische Täfelungen, Neu-England-Touch der alten Schule. Ihr Briefing für die Inneneinrichtung lautete also: Mahagoni, nicht zu aufdringlich oder übertrieben, stattdessen ruhig und elegant, entspannt und mit Understatement.

Mark Whiteley konnte sich bei seiner Arbeit darum an dem traditionellen „Meteor“-Interior orientieren. Die Ketsch sorgte für viele Inspirationen. Zwei Einrichtungsvarianten schlug Whiteley gleich zu Beginn des Projekts vor: eine sehr an „Meteor“ orientierte dunkle mit durchgängigen Holzpaneelen und eine mit im buchstäblichen Sinne frischerem Anstrich, die Mahagoni und hell lackierte Wände ausbalanciert. Die Eigner gaben dem zweiten Konzept den Vorzug.

Helle Farben und Swietania-Mahagoni als Material an Bord

Die hölzernen Wandpaneele ließ Whiteley hell spritzen und in einem weiteren Arbeitsgang per Hand bürsten. Die Bearbeitung vermittelt den Eindruck eines Hauses in den Hamptons von Long Island. Helle Stoffe und Materialien erzeugen eine zeitgemäßere Stimmung als klassische Yachtinteriors. „Das warme und nuancierte Swietania-Mahagoni beweist eine perfekte Ergänzung zu den elfenbeinfarben lackierten Wandoberflächen und den Bezugsstoffen der Möbel in subtilen Schattierungen in Elfenbein und Cream“, erklärt Whiteley.

Auszustatten war ein klassisches Layout-Konzept mit Crewbereich im Bug, Gästeunterkünften um den Großmast, Salon und Deckshaus, eine Eignersuite achtern um den Besan mit Skylights rund um den Mast, die sich einzeln mit Jalousien verschließen lassen. Die Eignerwünsche liefen auf ein Kingsize-Bett an Steuerbord und ein gegenüberliegendes Wannenbad hinaus, daneben ein kleines Büro mit Schreibtisch und zwei Regiestühlen. Weiter nach achtern können die Eigner sich in ein privates Deckshaus mit Sofa und zwei Sesseln zurückziehen. Das Möbeldesign stammt komplett aus Whiteleys Studio. Alle Elemente sind maßgeschneidert.

Die Sofas fertigte Bray Design Upholstery Ltd. Kopfenden und Flanken der Betten, Halter für Flaschen und Gläser bestellte Whiteley bei Cools, die Klappstühle für das Deckshaus tischlerte Glyn Peter Machin, die Armlehnstühle Bakker US. Möbel und Polster für die Außenbereiche steuerte Telstar Marine bei.

Teppiche, Jalousien, Vorhänge und die Amtico-Bodenbeläge im Crewbereich lieferte die Zijlstra Collection, Deckenverkleidungen für diese Unterkünfte kamen wiederum von Cools, das Sofa der Crewmesse von Telstar Marine.

Eignern und Gästen steht auch ein im Verhältnis gesehen recht geräumiges Gym zur Verfügung, hinter den Crewquartieren steuerbords gegenüber der Galley. Die sei zugunsten des Gyms etwas reduziert ausgefallen, meint jedenfalls „Aquarius“-Kapitän James Turner, der von Beginn an das Projekt begleitete.

Gefühl für Proportionen bekommen

Die Planungen nicht nur des Interiors erleichterten komplette Mock-ups vom großen Deckshaus, dem großen Cockpit und der Eignersuite. Die Eins-zu-eins-Modelle in den Werfthallen ermöglichten es den Designern auch in diesem Falle – und nicht zuletzt den Eignern –, ein Gefühl für die Proportionen zu bekommen. Sie vereinfachten Entscheidungen für Aufbauten, Deck und die Inneneinrichtung.

Mark Whiteley half das Mock-up der Eignersuite besonders bei der Lösung der detaillierten Aufgaben zwischen dem Schlaf- und Wohnraum und dem achterlichen Deckshaus. Wo zum Beispiel sind Wandschränke in voller Höhe möglich?

Huismans Projektmanager Henriko Kalter hält trotz aller 3-D-Computerbilder Mock-ups für unschlagbar: „Berührungen und Bewegungen im Raum, Gefühle und Sinnlichkeit können die Computer nicht ersetzen.“

Sicherheit, Seefreundlichkeit und Komfort für Royal-Huisman-Ketsch

Für Dykstra kümmerte sich auch bei diesen Aufgaben der Senior-Designer Erik Wassen um „Aquarius“. Er hatte besondere Anforderungen der Eigner zu bewältigen. „Aquarius“ sollte eine Yacht werden, die wie so einige vor ihr die Quadratur des Kreises verlangte. „Der Entwurf sollte schön sein. Sicherheit, Seefreundlichkeit und Komfort dominierten unser Denken“, erklärt Wassen den großen Rahmen der „Aquarius“-Architektur. Die Ketsch sollte genauso für lange Passagen wie für kurze Nachmittage in einer Ankerbucht mit Wassersport tauglich sein.

Design der „Aquarius“

Die Eigner wünschten sich ein aufgeräumtes Deck, anders als bei „Meteor“, jedoch ähnlich zu „Kamaxitha“, dem 55 Meter messenden Dykstra-Design von Huisman aus 2012. „Hinter einem Schanzkleid lässt sich vieles verstecken.“ Die eher gefälligen Linien der „Aquarius“ ließen jedoch maximal eine Fußreling zu. Darum mussten einige Beschläge und Funktionen vom Deck hinter Luks verschwinden.

Die Schwierigkeit des Designs bestand auch darin, die eigentlich widersprüchlichen Anforderungen an Leistung, Komfort und Seefreundlichkeit zu vereinbaren. „Wir stellten den Komfort auf Reisen, die Sicherheit und das Seeverhalten gegenüber der Wettbewerbsfähigkeit in den Vordergrund.“

Der Eigner wolle zwar gern Regatten segeln, jedoch nicht auf Kosten der Langstreckentauglichkeit. „Das leichte und leicht handhabbare Boot regte sich jedoch ständig im Hinterkopf.“ Die Raumnutzung jeder großen Yacht, unabhängig von der Länge, verursache stets Kopfschmerzen. „Ein schlanker Rumpf mit langen Überhängen verlangt nun einmal größere Anstrengungen des Designers als ein heutiger breiter Rumpf mit hohem Freibord und kurzen oder gar keinen Überhängen.“ Der Stauraum sei das größte Problem: Ersatzteile, Proviant, Decksliegen und Polster, Dingis, Tauwerk und Fender. „Diese Liste ist endlos und der Raum begrenzt.“

Erprobte Technik, anstatt Experimente

Die Zuverlässigkeit beschäftigte Wassen am meisten. „Wir setzten auf erprobte Technik statt auf Experimente, zum Beispiel auf bewährte kaptive Winschen von Rondal. Manchmal muss man aber Kompromisse eingehen, um die Risiken auszugleichen.“ Ein Beispiel sei die Entscheidung für Fallenschlösser. „Wir sehen sie bei dieser Yachtgröße fast als obligatorisch an.“ Die Locks könnten versagen, begrenzten aber die Lasten auf den Fallen, die Zahl der Winschen und damit das Gewicht. Sie seien letztlich die zuverlässigere Wahl. Bei Zuverlässigkeit gebe es nun mal keine Kompromisse.

Ein Beispiel dafür sei auch der fixe Kiel. „Es stimmt, dass ein tief reichender Liftkiel die Performance verbessert und das Ankern in flachen Buchten ermöglicht. Ein Festkiel beruhigt aber die Nerven, und 4,80 Meter Tiefgang wie die J-Class ihn hat passt in St. Barth hinein.“

Den großen Segelplan optimierte Wassen für leichte Winde. Darum muss die Crew die Segelfläche bei zunehmender Windstärke relativ früh reduzieren. „Im Besan steckt viel Kraft, darum wird er zuerst gerefft, bis zu zwei Reffs, bevor das Groß mit Reff reduziert wird.“ Die Flexibilität des Segelplans biete viele Optionen. Wie bei jeder Segelyacht brauche die Crew einige Zeit, um zu lernen, das Beste aus ihr herauszuholen. Bis zur St.-Barths-Regatta sei das zu schaffen.

Die Regatta werde jedoch eine Ausnahmesituation sein, was auch Auswirkungen auf die Crewstärke habe. „Auf langen Strecken“, weiß Wassen, „haben Crews stets genug Zeit, um sich über die Änderung der Segel Gedanken zu machen.“ Plötzliche Böen seien natürlich eine Ausnahme. Auf Reisen sei die Crewgröße auch bei großen Segelflächen wie auf „Aquarius“ kein Thema, solange die Manöverplanung stimme. Auf Yachten wie „Aquarius“ sei es ohnehin üblich, dass die Hotelmannschaft der Deckscrew zur Hand gehe. Jedes Crewmitglied könne auch an Deck eingesetzt werden.

Bei den Arbeiten an Segelflächen und Rigglasten war es in der Entwicklungsphase vorteilhaft, von Beginn an die Segelmacher von Doyle und die Riggkonstrukteure von Rondal im Team zu haben. „Es gab viele Diskussionen darüber, wie viel Höhe man mit dem Code-Segel schinden kann. Die Geschwindigkeit einer Yacht dieser Größe führt zu spitzen Winkeln des scheinbaren Windes. 90 Grad wahrer Wind werden schnell zu 45 Grad scheinbarem Wind mit hohen Lasten auf dem Achterliek.“

Drei entscheidende Punkte

Henriko Kalter von Huisman hält drei Punkte für entscheidend: den Eignern zuzuhören, das richtige Werftteam zusammenzustellen, die Kommunikation zwischen Werft und Kapitän mit Chief.

Die Eigner sind über das Ergebnis der dreijährigen Bauzeit und ihre Erfahrungen im Jahr 2018 begeistert. Nach der Jungfernfahrt über den Atlantik in die Karibik hatte „Aquarius“ im Mittelmeer bereits 11.000 Seemeilen im Kielwasser gelassen. Die Raumaufteilung unter Deck hat sich bewährt. Die Eigner würden nichts ändern. Auch die Bauqualität lässt nach Eignerauskunft nichts zu wünschen übrig, die Ketsch entspreche allen Erwartungen. „Für uns ist ein Traum wahr geworden.“ Müssten sie eine Beurteilung mit Noten von Eins bis Zehn abgeben, sprächen sie „Aquarius“ eine Zehn plus zu. Am meisten beeindruckt die Eigner nach dem ersten Jahr ihrer Erfahrungen immer noch „die Eleganz der äußeren Erscheinung“. Die Regattaprüfung kommt noch. Wir bleiben dran.


Technische Daten

  • Länge über alles: 56,18 m
  • Länge Wasserlinie: 41,17 m
  • Breite: 9,51 m
  • Tiefgang (fixer Kiel): 4,80 m
  • Material: Alustar
  • Volumen: 298 GT
  • Segel raumschots (Groß, Besan, Besanstags., Gennaker): 3000 qm
  • Segel raumschots (Groß, Besan, Besanstags., Gennaker): 3000 qm
  • Rigg: Rondal
  • Deckhardware, Winschen: Rondal
  • Motor: MTU 8V 2000 M72
  • Motorleistung: 720 kW
  • Kraftstoff: 24 000 l
  • Reichweite: 4000 nm @ 10 kn
  • Generator: 2 x Northern L., 70 kW
  • Wasser: 9500 l
  • Wasserbereiter: HEM 13 000 l/d
  • Strahler: 2 x Hydrosta, 110 kW
  • Tender: Williams Jet, Brig Outb.
  • Interior: Mark Whiteley Designects
  • Interior: Mark Whiteley Design
  • Klassifikation: Lloyd’s + 100A1 und MCA (Cayman Islands)
  • Werft: Royal Huisman, 2018
 | Abbildung: BEX
| Abbildung: BEX

Dieser Artikel erschien in der BOOTE EXCLUSIV-Ausgabe 02/2019 und wurde von der Redaktion im Mai 2023 überarbeitet.


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