Sören Gehlhaus
· 01.08.2023
Der Kern des Segelns besteht in der ständigen Auseinandersetzung mit den Elementen. Je größer jedoch die Yacht ausfällt, desto stärker ist meist die Lossagung vom Wasser. Der Abstand wächst mit dem Freibord nicht nur geometrisch, sondern auch mental. Diese Gleichung war nicht im Sinne des „Geist“-Eigners: „Man gewinnt Platz um den Preis, dass man sich von der Natur entfernt. Die Nähe zur Umwelt aber war es, die mich zu Yachten hingezogen hat. Diese Erkenntnis wurde ein zentraler Punkt meiner Inspiration.“
Es ist nicht verwunderlich, dass diese Worte aus dem Mund eines Seglers kommen, der sich zuvor zehn Jahre lang an einer Spirit 52 erfreut hat. „Ich habe es nie, nicht für einen Tag, bereut und auf ihr wunderbare Zeiten mit Freunden erlebt oder mit meiner Frau die unberührten Ecken des Mittelmeers erkundet. Ich mag sie sehr gern.“
Die Rede ist von einem Boot, das überaus kunstvoll aus Holz hergestellt wurde. Als er einen Abstecher zu Spirit nach Ipswich an der Nordsee machte, um seine geliebte 52 der Werftcrew für Überholungsarbeiten anzuvertrauen, war der Gedanke an eine größere Yacht bereits gereift. Nur hatte der Mann nicht vor, sich gleich von 16 auf 34 Meter zu vergrößern. Es kam zu einem überaus fruchtbaren Austausch, und man landete bei 90 Fuß. Ein Modell wurde angefertigt und präsentiert. Sean McMillan, Spirit-Gründer und -Konstrukteur, erinnert sich: „Er sagte, sie müsse gestreckter sein, bei gleichbleibender Breite und möglichst niedrigem Freibord. Im Prinzip vermittelte er mir, dass ich sie so elegant wie möglich zeichnen sollte.“
Die Eignervorgabe stellte damit einen Gegenentwurf zum Mehr-Kabinen-Denken dar, und so schwärmt auch der „Geist“-Eigner: „Entscheidend für mich waren die langen Überhänge und der niedrige Freibord. Ich wollte ein Flushdeck, damit die eleganten Linien nicht unterbrochen werden. Sie sieht majestätisch aus auf dem Wasser.“
Auf eine ähnliche Eleganzformel vertrauen J-Class-Yachten. McMillan arbeitete vor zehn Jahren mit Sparkman & Stephens an einem neuen J-Riss für einen potenziellen US- Kunden. „Die Schiffe sind wunderhübsch, wiegen aber 170 Tonnen und kommen nicht über 14 Knoten hinaus. Replikas haben mich nie interessiert. Ich designe elegante, zeitgenössische Yachten, die sich so gut wie nur irgend möglich segeln lassen“, stellt der Konstrukteur klar. So vertraut „Geist“ wie alle Spirit-Modelle auf ein modernes Unterwasserschiff mit einem festen T-Kiel und frei stehendem Spatenruder. Auch weitere Signets aus Spirits Classic-Linie finden sich wieder: Das herzförmige Heck läuft in einem schrägen Plattgatt aus, die Aufbauten steigen sehr flach an und werden seitlich von Bullaugen und oben von halbkreisförmigen Fenstern durchzogen, die sich einem Fächer gleich aufspannen.
Es drängt sich der Vergleich zur 30 Meter langen „Gaia“ auf, Spirits erstem Ausflug ins Supersegler-Segment, die bereits vor 13 Jahren gewassert wurde. Doch McMillan winkt ab: „Ich begann mit einem weißen Blatt Papier und arbeitete nach dem Pure-Thought- Designverfahren, bei dem es keine Kompromisse gibt; ich zeichne so, wie ich es für richtig halte im Hinblick auf Aussehen und Leistung. Als es zur 111 kam, schwang dieser Ansatz und die 52 als Referenz mit.“
Die 52 designte der Spirit-CEO vor 15 Jahren für sich selbst. Eine wichtige Einschränkung gab es bei der 111 zu beachten: „Die Kopffreiheit sollte zwei Meter betragen, da der Eigner recht groß ist. Also habe ich das Deck im Querschnitt etwas gekrümmt.“ Das ist kein Konstruktionsmerkmal, das dem Betrachter ins Auge sticht. Anders verhält es sich mit dem Deckssprung: „Es ist die wichtigste Linie – sie bestimmt, wie die Yacht aussieht. Ich weiß nicht mehr, wie oft ich sie für ‚Geist‘ gezeichnet habe.“ Noch heute arbeitet er nach derselben Methode, teils mit Straklatte. In der dreimonatigen Designphase kam McMillan kaum hinter dem Reißbrett hervor und ließ seine Entwürfe erst nach Abnahme durch den Eigner von Spirits eigener Ingenieursabteilung in ein 3-D-Modell übersetzen.
Danach wurde der Holzrumpf auf Kiel gelegt, stets unter der Aufsicht von McMillan: „Einer muss alles überwachen, damit jedes kleine Detail perfekt wird.“ Die Spirit- Rümpfe wachsen nach einem bewährten Verfahren heran, das eine Mischung aus Leistenbauweise und Formverleimung ist. Die insgesamt 50 Millimeter starke „Geist“- Beplankung besteht aus kanadischer Douglasie, die Pinienholz ähnelt. Kaltverleimt und unter Verwendung von Epoxidharz wurden für die Außenhaut vier Diagonalschichten aus Khaya-Furnierholz aufgetragen, das auch afrikanisches Mahagoni genannt wird. Das formschöne Holzgebilde durchkreuzt mittschiffs ein Stahlrahmen, an dem decksseitig Wantenpüttinge und rumpfseitig der Kiel sowie der durchgesteckte Mast andocken.
Spirit-Geschäftsführer Nigel Stuart beschreibt die Holzbeschaffung: „Das gesamte Material für die 111 haben wir direkt von der Quelle bezogen, dort sägen lassen und in größtmöglichen Längen transportiert.“ Der Eigner besuchte die Werft regelmäßig, zusätzlich stattete in seinem Auftrag Projektmanager Jens Cornelsen aus Glückstadt etwa einmal im Monat den Spirit-Hallen einen Besuch ab. „Ich habe es genossen, jede Entwicklungsphase mitzuerleben. Holz ist nicht nur schön, es ist auch ein so vielseitiges Baumaterial. Ich lernte alle beteiligten Bootsbauer kennen“, so der Eigner.
Noch intensiver wurde der Austausch, nachdem Spirit den Rumpf gedreht hatte und der Interiorausbau anstand. Einen Grund lieferte die ungewöhnliche Inspirationsquelle: die gebogenen Schluchten des Antelope Canyon, die der „Geist“-Eigner während eines Urlaubs im US-Bundesstaat Arizona besuchte.
Die klassische „Geist“-Anmutung mit ihrem Faible zum Überhang gesteht den Wohnbereichen lediglich etwas mehr als die Hälfte der Gesamtlänge zu; was passt, da das Eignerpaar ohne Crew segelt. Die organischen Freiformen der Canyons übersetzte das britische Studio Rhoades Young Design in eine Lebenswelt unter Deck.
Für das gesamte Interior erstanden die Holzbootbauer zwei nachhaltig aufgeforstete Sipo-Bäume in Westafrika. Aus dem Mahagoni-ähnlichen Holz bestehen im Salon die Wände und Einbaumöbel wie die nierenförmige Sitzbank steuerbords, die einer Helix gleich in die Wand ausläuft – unter Aufrechterhaltung des Maserungsverlaufs. Der Boden ist aus Teak gefertigt, und bis auf zwei Querspanten ragt keine Wand aufrecht nach oben. Mittschiffs steht eine halb offene Sitzgruppe aus amerikanischer Walnuss, klassisch in 2000 Mannstunden mittels Heißdampf in Form gebracht. Der runde Glastisch ist mit einem taillierten Fußkranz aus 64 Stäben ausgestattet. Die Galley besteht primär aus einem abdeckbaren Messingspülbecken und einer Induktionsherdplatte, die durch eine Fensterluke belüftet wird. Die Schlingerleiste der Arbeitsplatte stellt ein Kunstwerk für sich dar: Das gefällige Rundprofil windet sich in changierenden Radien.
Es gibt keine Schapps, Lichtschalter oder Steckdosen, und dank Griffverschleierung sind auch keine (Kühl-) Schränke auszumachen. Der Eigner umschreibt seine Ästhetikvorstellung: „Ich möchte nicht, dass irgendein Durcheinander von der Schönheit und Wärme des Holzes und der Handwerkskunst ablenkt. Das Interior wird sich mit der Nutzung der Yacht weiterentwickeln, aber vor allem wird es ein cleaner Raum bleiben.“
Der Übergang in den vorderen Eignerbereich gelingt fließend dank einer Wand, die mit ihrem Schwung wie eine zu Holz gewordene Stahlskulptur des US-Bildhauers Richard Serra wirkt und tatsächlich einen Spant darstellt. Den Blick fängt unweigerlich ein Doppelbett ein, das in eine Halbkugel integriert ist und eine kokonhafte Gemütlichkeit erzeugt.
Aus dem Kopfende aus Walnuss – die offene Stabbauweise setzt indirekte Lichteffekte – strömt ein Nachttisch heraus. „Die Betten und die Sitzbank im Salon sind inspiriert von Möbeln, wie sie bei uns zu Hause stehen“, verrät der Eigner, der für sein Bad Holzwaschbecken und -duschwanne wünschte. Schräg nach achtern versetzt schließt sich an Steuerbord eine Doppelkabine an, die im Gegensatz zu den zwei achterlichen VIP-Gemachen mit einer eckigen statt einer zylindrischen Dusche auskommt.
Da den Rumpf keinerlei Fenster durchziehen, grübelten Eigner und Werft lange darüber nach, wie natürliches Licht den Innenraum erwärmen und eine einladende Atmosphäre erschaffen könnte. Der Eigner: „Das Spektrum des natürlichen Lichts gleicht ein reaktives Beleuchtungssystem aus, sodass sich der Innenraum immer friedlich anfühlt und nie von grellem Licht durchbrochen wird.“ Wie die Intensität der LEDs wird das Öffnen der Türen über Sensoren gesteuert.
„Das hat uns gut und gerne fünf Monate beschäftigt“, sagt Nigel Stuart über den unvorhergesehenen Komplexitätsanstieg. Wird der Stromkreislauf jeweils unterbrochen, lösen sich die Türfallen.
Bereits zu einem frühen Zeitpunkt spielte die Umweltfreundlichkeit eine große Rolle. Nach einigen Diskussionen verständigte man sich auf die vollelektrische Variante – mit maximaler Autonomie. Der „Geist“-Eigner erläutert sein Selbstversorger-Bordleben: „Ich liege gern vor Anker in einer ruhigen Bucht, weit weg von überfüllten Marinas. Die nötige Energie möchten wir an einem Segeltag generieren.“
Abnehmer sind Küchengeräte, Heißwasser, die Heizung, Klimaanlage sowie der Antriebsstrang von Torqeedo mit einem 100-Kilowatt-Motor. Der wird über den Propeller und unter Segeln zum Stromlieferanten, wie Nigel Stuart bestätigt: „Das System befindet sich immer noch in der Entwicklung, aber in Spitzen haben wir 6 Kilowatt erzeugt. Vom Solent bis an die Ostküste waren es konstant 3 bis 3,5 Kilowatt bei im Durchschnitt 25 Knoten Wind und 12,5 Knoten Bootsspeed.“
Gespeist werden vier Hochvoltbatterien à 40 Kilowattstunden aus BMWs i-Serie, die insgesamt gut eine Tonne der Verdrängung von 58 Tonnen ausmachen. Gewicht eingespart wird dagegen etwa bei der Rumpfisolierung, die dank der positiven Eigenschaften von Holz wegfällt. Lewmars neues Hydrauliksystem für die Winschen benötigt 90 Prozent weniger Öl und ist entsprechend leichter.
Der Wassermacher läuft mit Energierückgewinnung, Kühl- und Gefrierschrank senken den Verbrauch über eine besondere Isolierung. Die Dieselgeneratoren arbeiten mit variablen Geschwindigkeiten und springen nur bei Bedarf an. Mit 80 Prozent Auslastung laden sie die Batterien in zwei Stunden oder liefern direkt an den E-Antrieb.
Wie es sich mit dem Geschwindigkeitsverlust verhält, wenn der Propeller unter Segeln ausgeklappt ist und Energie erntet? Spirit-Geschäftsführer Nigel Stuart winkt ab: „Das ist nur ein Bruchteil im Vergleich zur Leistung der Segel, die in etwa 150 Kilowatt entspricht. Wir reden von vier Prozent Strömungswiderstand, den bereits ein optimierter Segeltrimm ausgleichen würde.“
Die Segelgarderobe besteht aus Rollgroß, Fock, Stagsegel sowie Reacher und Gennaker mit jeweils integriertem Rollsystem. Die Wahl von Projektmanager Jens Cornelsen fiel auf den britischen Ableger der italienischen OneSails-Gruppe, weil dieser Erfahrung mit Spirit-Yachten hat – und das 4T-Forte-Laminat recycelbar ist, was sogar ISO-zertifiziert wurde. Das Material kommt übrigens auch während der gerade stattfindenden Einhand-Weltregatta Vendée Globe auf zwei Booten zum Einsatz.
Der Eigner möchte ebenfalls an Regatten teilnehmen und mit wenig Händen fahrtensegeln. Nigel Stuart berichtet von der Überführung von Gosport nach Ipswich: „Meine drei Mitsegler waren vorher nie an Bord gewesen – doch wir konnten einfach lossegeln, ohne eintägige Einweisung. Der Autopilot blieb aus, versteht sich. Es war der beste Segeltag meines Lebens.“
Sean McMillan pflichtet bei: „‚Geist‘ ist sehr einfach zu segeln. In vielerlei Hinsicht ist sie wie eine große Jolle. Ihre Dimensionen werden einem erst bewusst, wenn ein Manöver ansteht. Alle Funktionen gehorchen auf Knopfdruck, doch will man bei den hohen Kräften im Rigg nichts überstürzen.“ Als Konstrukteur und Segler war dem Spirit- Gründer Sean McMillan natürlich sehr daran gelegen, so viel Leistung wie nur möglich herauszukitzeln: „Bei 12 Knoten Wind sind wir raumschots auf maximal 14 Knoten Bootsgeschwindigkeit gekommen. Unter den richtigen Bedingungen sind weit über 20 Knoten drin.“
Bleibt die Entschlüsselung des Namens, der geradezu vorzüglich mit dem weißen Segelkleid und der Rumpfeleganz korreliert. „Mit meiner Frau und dem Spirit-Team habe ich viel über den Namen gesprochen. Er sollte einfach und originell sein. ‚Geist‘ verweist auf meine deutsche Herkunft und ist eine Hommage an Spirit für den Bau einer so besonderen Yacht“, erklärt sich der Eigner, der seine erste „Geist“-Saison in der Karibik verbringt. Stets nah am Wasser.
Dieser Artikel erschien erstmals in YACHT 02/2021 und wurde für diese Online-Version aktualisiert.