Sören Gehlhaus
· 04.05.2025
Der Bau einer 36 Meter langen Segelyacht ist ein Kraftakt sondergleichen. Obgleich es weit weniger „Real Estate“ gegenüber Motorformaten zu gestalten gilt, betreffen individuelle Entscheidungen über das Interieur hinaus Rigg, Kiel und Co. Zudem entstand „Gelliceaux“ in Südafrika. Mit dem Bauplatz bei Southern Wind Shipyard (SWS) in Kapstadt setzten die Auftraggeber – eine deutschstämmige Familie, die in London lebt – auf eine sehr erfahrene Werft, die einen Außenposten in Italien pflegt. Wie hätte man die Fertigstellung besser feiern können als mit der gemeinsamen Teilnahme an einer Regatta in der Karibik? Und dann auch noch mit einem Sieg der St Barths Bucket 2024! So luden die Eigner das Team an Bord, das sich während der Bauphase sehr gut kennengelernt hatte.
Die „Friends & Family“-Regatta auf „Gelliceaux“ segelten Projektleiter Sebastian Allebrodt, Konstrukteur Jim Schmicker von Farr, Designer Massimo Gino von Nauta, Charter-Broker Youri Loof von Bernard Gallay sowie Andrea Micheli und Jeremy Peeks von SWS. Dazu holte Kapitän Clive Walker einige Bekannte mit Regatta-Erfahrung dazu. Das Eignerpaar wechselte sich am Ruder ab und steuerte mehr als 95 Prozent der Wettfahrten. „Wir hatten bei der Atlantiküberquerung Erfahrungen mit dem Handling sammeln können; die erste Regatta sorgte dann trotz niedriger Erwartungen im Voraus für erhebliches Lampenfieber.“ Auch Sebastian Allebrodt war höchst erfreut: „Ich bin sehr glücklich, dass ich es nach vielen Jahren endlich geschafft habe, den Bucket zu gewinnen, vor allem mit einem neuen Boot ‚out of the box‘. Wir haben anscheinend die perfekte Kombination gefunden, und ein bisschen Glück kam auch dazu.“ Den Bucket genannten Champagnerkübel gewinnt, wer in jener Klasse triumphiert, die von den Veranstaltern als wettbewerbsfähigste eingestuft wird.
Zu Southern Wind gelangten die „Gelliceaux“-Eigner, für die es die erste eigene Yacht war, nach reiflicher Abwägung. Man wusste, was man wollte: einen sportlichen Cruiser-Racer mit Hybridantrieb, der komfortable Blauwassertörns erlaubt und ein pfiffiges, modernes Interieurdesign hat. Sie war in der Jugend begeisterte Jollen- und Kielbootseglerin mit eigenem Laser. Er lernte als Zehnjähriger Optisegeln, verlegte sich aber auf Windsurfen und später Kitesurfen. Über den Findungsprozess sagt er: „Seit 2013 hatten wir jeden Sommer Segelyachten im Mittelmeer gechartert und die Kinder dabei eine Segelleidenschaft entwickelt. Daraus erwuchs die Idee, eine eigene Yacht zu kaufen. Eine umfassende Studie existierender Boote zeigte, dass nur wenige unseren Vorstellungen voll entsprachen. Und uns wurde klar, dass die Betriebskosten über längere Sicht mindestens so hoch wie der Wertverlust sind; wir wollten lieber etwas machen, was uns zu 100 Prozent gefällt.“
Die Familie sprach mit mehreren Konstrukteuren und Werften und mochte den Rohentwurf der SW108. Das Smart-Custom-Konzept gefiel: Die Rumpfschale dient als Basis und wird mit neuem Deck, Rigg, anderem Kiel oder Laminataufbau versehen; immer liegen Carbonfasern und ein ausgefeiltes Vakuuminfusionsverfahren sowie ein individueller Innenausbau zugrunde. „Uns überzeugte die fast vollständige Freiheit in der Ausgestaltung, aber gleichzeitig die Nutzung erprobter Konzepte, wo Neuerungen keinen Mehrwert bringen“, so der engagierte Eigner. „Unsere Nachforschungen ergaben, dass nicht bei allen Full-Custom-Projekten die ursprünglichen Ziele erreicht werden; oft liegt es an mangelnder Integration einzelner Teilaspekte/-gewerke und Abwägung von Zielkonflikten.“
Also setzte man sich intensiv mit Southern Wind und den Designern auseinander und verfeinerte vollumfänglich. Aufs Tableau hob man satte acht Prozent mehr Segelfläche. „Sebastian Allebrodt und ich waren stark in die Spezifizierung des Riggs involviert. Als Ingenieur hatte ich außerdem großes Interesse daran, alle Teilsysteme auf den Stand der Technik zu bringen und die Steuerung sowie Vernetzung weiterzuentwickeln.“ Der Grund: Der dieselelektrische Antrieb mit Verstellpropeller brachte viele Vorteile, aber auch Mehrgewicht und im Hydrogenerator-Modus zusätzlichen Widerstand.
Mit mehr Segelpower war es nicht getan, der Ballast legte ebenso um etwa 15 Prozent zu und der Liftkiel reicht von vier bis 6,20 Meter. Die Verdrängung auf 78,9 Tonnen herunter brachten Rumpf, Deck, Schotten und stehendes Gut aus Carbon, Mast und Baum aus High-Modulus-Kohlefasern und Decksbeschläge aus Titan. Das Rigg erhielt Fallenschlösser, ist für ein Squaretop-Groß und Deflektoren an den Backstagen ausgelegt. Code, J2 und J3 werden hydraulisch gefurlt, die J4 läuft über einen Swivel. Schon bei acht Knoten Wind läuft „Gelliceaux“ zwölf Knoten. Bei etwas mehr Druck erreicht die erste SW108 raumschots beeindruckende 20 Knoten und mehr.
Southern Wind griff wieder auf das HybriGen-System des britischen Großkonzerns BAE als Grundlage zurück. Den vollhybriden Antrieb, die Hydraulik, Klimaanlage und Beleuchtung kontrollieren unabhängige Kreisläufe, um Ausfallsicherheit zu maximieren und die Gesamtkomplexität im Griff zu behalten. Im Gegensatz zur Elektro-Premiere der südafrikanischen Werft, der SW96 „Nyumba GT“, sind die Teilbereiche nun vernetzt. „Das ermöglicht das Auslesen von Daten und teils die Steuerung über Teilsystemgrenzen hinweg. Das war ein großer Schritt für SWS“, freut sich der Eigner über seinen Input. Die große Schwester erhielt zudem einen Antriebsmotor mit größerem Drehmoment, der kein Getriebe mehr benötigt.
Während der Stromernte unter Segeln ändern sich die Anstellwinkel der Blätter automatisch, lassen sich aber auch manuell per Joystick einstellen. In der Praxis lohnt der Hydrogenerator von „Gelliceaux“ vor allem auf langen Schlägen ab Geschwindigkeiten von zehn bis zwölf Knoten. Dann werden über zehn Kilowatt produziert, was mehr als ausreicht für die Bordsysteme und die im Crewbereich untergebrachte Galley. Bei 14 Knoten strömen 20 Kilowatt in die Batterien, verloren gehen nur etwa 0,5 Knoten Bootsspeed.
Der Austausch war intensiv, die Familie kam über die Abnahme hinaus zweimal während des Baus nach Kapstadt und reiste mehrfach nach Mailand zu Nauta Design und sprach mitgebrachte Fotos von Häusern und Yachten durch. Gefragt war ein helles, modernes und skandinavisch angehauchtes Interieur, das elegant ist, aber eine sommerliche Urlaubsatmosphäre verströmt.
Privat wird „Gelliceaux“ für Teile der Schulferien im Mittelmeer, lange Wochenenden und zwei bis drei Regatten im Jahr genutzt. Ungefähr jedes zweite Jahr soll es im Winter in die Karibik gehen – passend zum Yachtnamen. Pate stand ein Strandabschnitt auf Mustique, den die Familie jahrelang über Ostern aufsuchte. Da man im dortigen Hafen oft mit wilden Wasserschildkröten schwamm, wurde eine stilisierte Schildkröte zum Logo der Yacht. Zu denen geht es jetzt mit einem Sprung von der großen Badeplattform. Die Idee für den zweiteiligen Klappmechanismus kam vom Eigner: „Das Konzept und die technische Umsetzung des Heckspiegels hatten wir an einer anderen Yacht erspäht und bei Southern Wind eingebracht.“