Wie kaum andere Yachten haben sich die Solaris-Typen der mediterranen Nutzung verschrieben. Doch woran erkennt man ein sogenanntes „Med-Format“? Zunächst daran, dass während meist leichtwindiger Tagestörns stehend Ruder gegangen wird. Für das Mittelmeer sind im Längensegment ab 50 Fuß große, sich in elegante Risse einfügende Liegeflächen obligat. Das Bordleben spielt sich al fresco ab. Möglichst schier sollte das Deck und entsprechend groß die Freiheit auf ebensolchem sein.
Dem lustvollen Typus gegenüber stehen Fahrtenyachten von Blauwasser-Seglern, die stur wie sicher lange Passagen meistern und auf Praktikabilität sowie Seegängigkeit setzen. Beides in einer Yacht vereint – geht nicht? Solaris will mit der 74RS den Gegenbeweis antreten. Oder, besser gesagt, die Eigner der ersten zwei Baunummern, indem sie ihre 22 Meter langen Deckshausyachten um die Welt schicken. John McDonell nahm die erste 74RS kurz vor dem Solaris Cup in Porto Rotondo entgegen. Der Brite ging das Abenteuer Transatlantik mit Bedacht an: „Luminous III“ nahm als längste von über 90 Teilnehmern an der ARC Plus 2024 teil. Die Blauwasser-Rallye führte Segler von Gran Canaria über die Kapverdischen Inseln in die Karibik. Der in zwei Etappen aufgeteilte Törn ist besonders bei Familiencrews beliebt, aber auch bei all jenen, die ihre Reise mit ein wenig mehr Muße angehen.
Mit dem 74-Fuß-Modell besetzt die Werft aus Italiens Nordosten eine Nischengröße – zudem verpackt in einem markanten Design. Das und die schnelle Konstruktion erdachte Javier Soto Acebal, der seit 2008 die minimalistische Ästhetik von Solaris verantwortet. Der Argentinier etablierte den cleanen Med-Look wie kein Zweiter. Seine Rümpfe sind recht hoch und kantig, darüber aber konsequent flach. Sie fallen zudem durch den Verzicht auf den klassisch-positiven Deckssprung auf.
Stattdessen reicht eine abfallende Linie vom hohen Bug bis zu dem erkennbar niedrigeren Heck. Soto Acebal vollführt ein Wechselspiel der Formen, das mit jeder Modellüberarbeitung ein wenig extremer wird. Stets wachsen Rümpfe und deren Fenster. Die 74RS bekam einen leicht negativen Steven und ein markantes Deckshaus, das mit dem Süll abfällt und die Dynamik des Risses unterstreicht. Pate für den flachen Look und das schnelle Blauwasser-Konzept stand die Solaris 80RS „Alithia“ eines deutschen Eigners, der damit ebenfalls, wie bereits zuvor mit seiner 40 Meter langen Yacht gleichen Namens, wieder um die Welt segelt.
Der Umriss der 74RS gleicht wie jeher einer Deltaform, bei der die breiteste Stelle das Heck mit der Doppelruderanlage bildet. Neu ist, dass der GFK-Rumpf vorn in einer Art Halboval ausläuft, jedenfalls nicht mehr klassisch spitz. Der Frers-Eleve Soto Acebal gestaltete den Bug sichtlich fülliger – eine Entwicklung, die sich bei der 40 und 50 andeutete. Das jüngste Modell von Solaris, die 55, zeigt sogar einen Scow-ähnlichen Plattbug.
Aus der runden Front resultiert mehr Auftrieb, was schnelleres Angleiten ermöglicht und mehr Formstabilität gibt. Da eine durchgängige Kimmkante die Wasserlinie verjüngt, hält sich der Widerstand unterhalb des Wasserspiegels in Grenzen. Ein weiterer Nebeneffekt des ausladenden Vorschiffs ist ein höheres Innenraumvolumen für die Eignerkabine. Deren Bad liegt hinter dem Schott an Steuerbord gegenüber der zweiten Gästekammer von „Luminous III“. Eine dritte Kabine verbaut Solaris optional. Achtern verortet sind die zum Salon offene Pantry und vier Schlafplätze für die Crew. Den voluminösen Bug belegt eine Vorpiek mit Segellast und Waschmaschine. Etwaige Gewichtsbedenken räumt die 150 Meter lange Ankerkette aus, die ebenso hier gelagert wird.
Die erste Solaris 74RS verdrängt 40,6 Tonnen und ist damit etwa eine Tonne leichter als in der ursprünglichen Berechnung vorgesehen. Zum Vergleich: In etwa gleich lange Vollcarbon-Bauten hängen mit bis zu zehn Tonnen weniger am Kran. Die Italiener laminieren Rumpf und Deck im Vakuuminfusionsverfahren mit Vinylesterharz und Carbonverstärkungen. Alle Modelle bis einschließlich 80 Fuß fertigt Solaris in Aquileia zwischen Venedig und Triest. Alle Yachten über 80 Fuß, wie etwa das Flaggschiff Solaris 111 des Werftmehrheitseigners, baut Performance Boats in Forlì. Die zur Solaris-Gruppe gehörende Werft hat sich auf leichte Carbonbauten spezialisiert und seit Gründung im Jahr 2008 zahlreiche One-offs für Wally hervorgebracht.
„Luminous III“ unterscheidet sich bedeutend von vielen Blauwasser-Cruisern und auch einigen performanten Mitbewerbermodellen im Heck. Hier verorten sich die Steuerstände klar außerhalb des Süllrands und kratzen beinahe das Schanzkleid. Beste Sicht ist die Folge. Am Rad stand während des zehnten Solaris Cups Eigner John McDonell. Er hätte sich auch setzen können, orderte er doch die Bank mit, die sich aus der inneren Schanz nach oben klappt und auf zwei Füßen steht. „Ohne Sitzfläche brauchst du einen Autopiloten“, lacht McDonell, der aus der Beleuchtungsindustrie kommt. Daher die Leuchtmittel-Grafik auf den fliegenden Segeln und eben der Name, den bereits seine vorherige Solaris, eine 64RS, auf dem Spiegel trug. Die 64RS stellte sich als Erfolgsmodell für die vor 50 Jahren gegründete Werft heraus, die sie insgesamt 25-mal und ausschließlich als „Raised Saloon“-Version baute. Hingegen bieten die Italiener ihre 74 auch mit ultraflachem Aufbau an, von der die erste Einheit dieses Jahr schwimmen soll.
Die Segelperformance ist einer der Hauptgründe, warum die Solaristi ihrer Werft treu bleiben. „Bei etwa 15, 16 Knoten Wind sind wir den ganzen Nachmittag nicht unter neun Knoten Boatspeed gefallen. Wirklich toll!“, berichtet John McDonell nach dem Rennen entlang der Costa Smeralda. Wenden wollen auch von Steuermannseite gut vorbereitet sein, gilt es doch eine vier Meter lange Passage in Windeseile zu meistern – bei Druck und flugs einsetzender Krängung mit Klettereinlage als Schlussakt.
Mittschiffs geht es am Winschpodest der Großschot vorbei, auf Wunsch schafft eine kaptive Winsch auch hier schieres Deck. Die Dimensionen der Vorschotwinschen wuchsen an, da das Tauwerk aufgrund des Deckslayouts gegen den Uhrzeigersinn gelegt werden muss.
Für die Jubiläumsausgabe der Werftregatta, zu der an die 100 Crews anreisten, kamen zwei italienische Profis an Bord. Sie gaben dem Eigner den Spitznamen „Upand-down-a-notch-Johnny“. Ein Grad hoch, ein Grad runter, lauteten die Kommandos des Taktikers an den Owner-Driver, der sonst keine Regatten segelt.
Vor den beiden Rädern stehen Sitzbänke mit Blick achteraus, wobei unter der breiteren an Backbord eine Luke die Crew ohne Umwege in ihr Areal bringt. Das ist ähnlich lichtdurchflutet wie die Gästebereiche, da McDonell während der Konzeption größere Rumpffenster einforderte. Für „Luminous III“ lag sein Fokus auf ebenso einfacher Bedienung wie Wartung. Der Kiel ist fest, geht 2,90 Meter tief und vertraut auf eine Finne aus Weldox-Stahl. Das Achterstag läuft über Hydraulikzylinder, die in der Lazarette neben dem längs eingeparkten Tender arbeiten. Und das Beiboot vertraut auf Benzin-Außenborder für einfache Reparatur oder Austausch während der Weltumsegelung.
Den Druck in die Hydraulik bringen zwei elektrische Acht-Kilowatt-Pumpen, die bis zu 275 bar erzeugen. Die 290 Quadratmeter Segel (am Wind) verwaltenden Rollreffanlagen, die Heckklappe und der Kicker haben laut Solaris’ Projektingenieur Giacomo Canuto bislang nicht mehr als 40 bar eingefordert. Für ein unverkrampftes Aufrollen des Großsegels muss der Kicker im exakt richtigen Winkel stehen, den dann eine Carbonschelle vorgibt.
Extrawünsche im Rigg waren ein Stagsegel, das Backstagen erforderte, und drei statt der zwei Reffs der 64RS. Die Segelgarderobe zeigt sich performant wie langlebig. Allein das Groß bringt es auf 138 Quadratmeter Fläche, von North Sails als folienloses Membransegel auf Polyesterbasis geklebt (3Di Ocean). Der Helix Furling Gennaker kommt ganz ohne Kabel aus und reduziert sowohl das Gewicht als auch die Belastung von Rumpfstruktur, Mast und stehendem Gut aus Rod.
Unter Deck blieb der Auftraggeber dem Gestaltungsvorschlag von Lorenzo Argento treu und wählte Teakfurnier für die Oberflächen und kobaltblaues Leder für die Polster aus. Doch geht die Individualisierung technischer Aspekte weiter. McDonell: „Auf der 64 leerte sich die Dusche auf Knopfdruck. Jetzt wird das Wasser automatisch über Sinkkästen abgepumpt, auch in den Waschbecken.“ Die Leistung des Motors, er liegt unter dem angehobenen Salon, überträgt nun ein Axiallager auf den Propeller. „Wir konnten elastischere Halterungen verwenden, weil sie die Last nicht auf die Strukturen übertragen müssen. Das reduziert Vibrationen und Geräusche“, informiert Giacomo Canuto.
Vor Sardinien präsentierte sich die erste 74RS als famoses „Med-Format“. Ab Ende des Jahres zählten dann die Worldcruiser-Qualitäten. Den Anfang machte die Arc-Plus, die „Luminous III“ als erste Yacht im Ziel vor Grenada beendete. Dabei war die erste 74RS gut gerüstet mit Biminis über dem Cockpit. Nach sechs Wochen in der Karibik geht es über den Panamakanal zu den Galapagosinseln, Marquesas und weiter nach Australien. „Ein großes Abenteuer“, freut sich John McDonell und scherzt : „Wir haben Extra-Kühlschränke, aber hoffentlich bekommen wir alle satt.“ Die Zahl der Mitsegler variiert von fünf bis acht, der Eigner möchte permanent an Bord sein. Nicht selbstverständlich bei Edelformaten dieser Größe. Bei Blauwasser-Yachten schon.