“Odin”Swan 115 mit Regattaambitionen

Sören Gehlhaus

 · 19.10.2023

In Lauerstellung: Die Germán-Frers-Konstruktion spielt ihre Stärken ab zehn Knoten Wind aus. Dann sind 15 Knoten Speed möglich. Den 51 Meter hohen Southern-Spars-Mast halten Backstagen mit Deflektoren
Foto: Jesús Renedo, Eva-Stina Kjellman
Der „Odin“-Ersteigner wollte eine 35-Meter-Swan für ORC-Regatten, nutzte sie aber nicht. Mittlerweile ist die sportliche Swan 115 FD mit XXL-Saillocker in der Karibik zu chartern

“Odin“ ist Nautors vierte Maxi-Swan, die aus der 115-Fuß-Rumpfform hervorgegangen ist, streng genommen also ein Produkt des Plattformbaus. Für sich betrachtet klingt das erst einmal wenig aufregend. Spannend wird es, wenn man sich die Fertigungsmethode der namhaften finnischen Werft genauer ansieht: Ihr Flaggschiff basiert auf unverwechselbaren, 35,20 Meter langen Germán-Frers-Linien und ist darüber hinaus in hohem Maße individualisierbar. „Odin“ ist für Enrico Chieffi „die technologisch anspruchsvollste Yacht, die je bei uns entstand“.

Der Nautor-Vize war überzeugt, dass die selbstbewusst nach dem germanischen Göttervater benannte Supermaxi noch schneller sein wird als ihre Halbschwes­ter „Highland Fling“. Die beiden Racer-Cruiser – die Betonung liegt auf dem ersten Wort – tragen wie die wesentlich zahmere „Shamanna“ das Kürzel FD in der Modellbezeichnung, das für Flushdeck steht. „Solleone“, die 115 S (Semiraised Salon) von Nautor-Boss Leonardo Ferragamo, ist die einzige 115 mit einem erhöhten Deckshaus und stark ausgeprägten Cruising-Genen.

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Die schnellste Swan

Dass der „Odin“-Ersteigner große Regat­taambitionen hegte, wird bereits beim Anbordkommen klar. Der Hafenschwell im Port Hercule lässt nach der Heckreling greifen – und die ist natürlich aus Titan, kommt dazu noch aus dem 3-D-Drucker. In dem ungewohnt unruhigen Wasser schlägt der 51 Meter hohe Carbonmast besorgniserregend weit aus. Gut, dass zur Monaco Yacht Show rundherum nur Motoryachten liegen und „Odin“-Kapitän Paul Middelburg dieses „Ist doch gar nichts los“-Lächeln im Gesicht hat. „Wir wiegen nur 76 Tonnen, wovon 25 Tonnen auf den Ballast entfallen“, sagt der auf Mallorca lebende Amerikaner stolz. Damit ist „Odin“ über 25 Tonnen leichter als eine 115 in der Standardausführung.

Am Wind setzen Middelburg und seine fünf Kollegen ein Squaretop-Groß von 411 Quadratmetern und eine 329 Quadratmeter große Genua. Auf achterlichen Kursen erhöht der A2-Spinnaker die Segelfläche um 1140 Quadratmeter. Die Kombination aus Radikal-Leichtbau und -Segelriss dürfte eine gottgleiche Überlegenheit auf Regattabahnen ergeben.

Stellt sich die Frage, warum der Super­maxi nicht auf den Meldelisten der Mittelmeerklassiker stand? Ein Jahr vor der Swan-Order bestellte der Ersteigner einen J-Neubau. Die knapp zehn Meter längere Segelschönheit wurde früher fertig als der schnelle Schwan, und er verliebte sich in die J-Regatten mit minimalen Handicap-Unterschieden. Auch der Zusammenhalt innerhalb der Klasse sagt ihm zu. Und da er ausnahmslos an allen J-Zusammentreffen teilnehmen wollte, konnte er aufgrund von Terminüberschneidungen nicht auch noch mit dem Maxi-Zirkus mitziehen.

Eignerkabine? In Arbeit

Eine Folge des Eigner-Ehrgeizes ist das Fehlen einer dezidierten VIP-Kabine. Sie fiel der konsequenten ORC-Optimierung und dem Wunsch zum Opfer, nur an Regatten teilzunehmen, die nicht über Nacht dauern. Hinter dem Bug, wo Platz für das Eignerreich wäre, verbirgt sich das Segellager. „Wohnbereiche wurden in der Entwicklung als sekundär erachtet“, sagt Middelburg trocken in der klinisch weißen Bugsektion. Für Käufer, die sich nicht mit der Leere arrangieren wollen, erstellte deVosdeVries design den Vorschlag für eine vordere Kabinenlösung. Das niederländische Designstudio entwickelte zuvor schon das Interior von „Odin“ und sorgte vor: Sämtliche Wasser- und Elektroanschlüsse sind bereits vorhanden. Nur an der Isolierung müsste gearbeitet werden. „Das Carbonlaminat misst außen 16 und innen nur 12 Millimeter. Dazwischen klebt fünfzig Millimeter dicker Corecell-Schaum“, erläutert der Kapitän und fordert damit ein Abklopfen des Rumpfes regelrecht heraus. Nein, noch sei das kein Problem. Und ja, die Bordwand klingt in der Tat sehr dünn.

Hinter der Segelkammer liegt jeweils eine Kabine mit Doppelbett, von denen die an Backbord mit und die gegenüberliegende ohne Dusche, aber mit Carbontoilette auskommt. Hier zeigt sich ein Kontrastprogramm aus dunklem Wengéboden und weiß gebeizter Eiche, die an Wänden, Betten und Schränken gräulich schimmert. Der Eigner wünschte Neues, aber Zeitgenössisches; die finnische Handwerkskunst sollte in jedem Fall zum Ausdruck kommen. Das Eichenfurnier verlegte Nautor auf nur wenige Millimeter dünnem Karbonlaminat und ordnete es gestürzt an, sodass sich gespiegelte Holzmuster ergeben.

Den Boden und Teile der Salondecke ziert Wengé aus Zentralafrika, das die Swan-Tischler im Tangentialschnitt verarbeitete. Das betont die großen Poren mit ihren feinen Querbänderungen und die Maserung. Im Salon sind die Handläufe vertikal angebracht, Schrank- und Tischecken abgerundet. Die grauen Polster sind allesamt grob gewebt und fügen sich in die Esstischumgebung wunderbar ein. Backbords hinter der Loungeecke führen zwei Stufen hinab in den Bereich, der bei ursprünglicher Nutzung dem Eigner vorbehalten gewesen wäre. Gegenüber befindet sich die Galley, von der es über Messe und Naviecke in die drei Quartiere für bis zu sechs Crewmitglieder geht.

Die Swan 115 “Odin” hat die Trimmvorrichtungen einer reinen Rennyacht

Eine Treppe bringt die Freiwache bis kurz vor die Carbonsteuerräder und uns zum „technisch anspruchsvollsten“ Teil der Yacht, dem Ruderquadranten. Der ist ein Kunstwerk aus Carbon, Titan, Dyneema und Präzisionshydraulik. Ebenfalls hydraulisch fährt das Vorstag jeweils 36 Zentimeter ein und aus.

Der Carbonmast – er drückt mit bis zu 110 Tonnen auf den Rumpf – wandert um zehn Zentimeter vor und zurück. Solche Trimmvorrichtungen mögen im TP52-Rennzirkus üblich sein, aber kaum auf Yachten dieser Größe. Nicht verwunderlich, dass „Odin“ für Middelburg „ein reinrassiges Rennpferd mit einer Kutsche im Schlepptau“ ist. Der Liftkiel reduziert den Tiefgang hydraulisch in drei Minuten von 6,75 auf 4,50 Meter. Dahinter klappen Propeller und Welle in einem gefluteten Schacht vor den 312 Kilowatt starken Cummins-Diesel hoch, zu beobachten über ein Sichtfenster. Dieses „Retractable Propulsion System“ von Ship Motion reduziert unter Segeln den Widerstand, was höhere Geschwindigkeiten zur Folge hat.

Kapitän Paul Middelburg und seine Jungs rauschten am ersten Tag des Überführungstörns von Finnland nach Mallorca bei 20 Knoten Wind, drei Reffs im Groß und kleiner Genua mit 24 Knoten durch den Bottnischen Meerbusen. Middelburg sieht einen Topspeed von 35 Knoten Topspeed als realistisch an, wird das aber wohl kaum erleben weil er auf der J des „Odin“-Ersteigners anheuert.


Technische Daten der Swan 115 “Odin”

Bild 1
Foto: Werft
Bug als Segellagerstätte: Der Vorschlag für eine vordere Kabinenlösung existiert bereits und kann auf neue Eignerbedürfnisse angepasst werden
  • Länge über alles: 35,20 m
  • Länge Wasserlinie: 32,84 m
  • Breite: 8,12 m
  • Tiefgang: 4,50–6,75 m
  • Masthöhe: 51 m
  • Verdrängung (IRC): 76 t
  • Material: Carbon-Sandwich
  • Rigg: Southern Spars
  • Segel: North Sails 3Di
  • Segelfläche (Amwind): 740 qm
  • Segelfläche (Vorwind): 1.551 qm
  • Antrieb: RPS, Ship Motion
  • Motor: 1 x Cummins QSB 6.7
  • Motorleistung: 1x 312 kW
  • Kraftstoff: 2.100 l
  • Wasser: 1.500 l
  • Bordelektronik: B&G, Sailmon
  • Konstruktion: Germán Frers
  • Styling: Germán Frers
  • Interieurdesign: deVosdeVries
  • Werft: Nautor’s Swan, 2018

Dieser Artikel erschien erstmals in der BOOTE-Exclusiv-Ausgabe 1/2019 und wurde für diese Online-Version aktualisiert.


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