Die CNB 62 fällt auf im gut gefüllten Hafen von Porto Rotondo. Ihr Freibord überragt die der umliegenden Yachten deutlich, im Cockpit thront man beinahe herrschaftlich über den Nachbarn. Darunter auch eine Solaris 64 jener italienischen Werft, die CNB vor drei Jahren von der Beneteau-Gruppe übernommen hat und sich durch den Zukauf diversifizieren wollte. Mit Erfolg, denn genau das wird hier deutlich: Solaris’ sportlich-offenes Mittelmeerformat auf der einen und die schnelle wie robuste Langfahrerin französischer Provenienz auf der anderen Seite. Über die Konzeption des Einstiegsmodells sagt CNB-Brandmanager Vincent Arnaud: „Nach dem großen Erfolg der zwischen 2007 und 2016 46-mal verkauften CNB 60 wollten wir dieses Segment wieder belegen. Dabei haben wir die 62 mehr als je zuvor kompromisslos als familien- und einhandtauglichen Worldcruiser ausgelegt.“ Arnaud pendelt zwischen dem norditalienischen Aquileia und seiner Heimat Bordeaux, wo CNB 1987 aus der Taufe gehoben wurde und anfangs mit Einzelbauten reüssierte.
Die markant gefasten Linien kommen wieder von Philippe Briand, der dem kantig-geschwungenen Aufbau mit spitz zulaufender Rundumverglasung treu blieb. Tatsächlich kaschiert das lange Fensterband das Volumen des Aufbaus, indem es ihn in die Länge zieht. Der Eigner von Baunummer 1 wählte exakt die gleiche Lackierung in Metallic-Anthrazit, wie sie die erste CNB 78 „One“ trägt. „VDB“ unterscheidet sich in einem Detail minimal, ihr Aufbau ist hellgrau, und in einem anderen deutlich: Die CNB 62 hat eine Art Targabügel zur Aufnahme der Großschot.
Für den Bogen über dem Cockpit entschied sich das Entwicklerteam um Vincent Arnaud und CNB-Repräsentant Arno Kronenberg aus guten Gründen. Tragische Unfälle als Konsequenz aus umherschlagenden Großschoten waren ausschlaggebend für die Verbannung der Schot nach oben. Zudem gab das Pflichtenheft vor, dass der über alles 19,48 lange Kreuzer problemlos ohne zusätzliche Crew gesegelt werden kann. Dazu gehört das einfache wie schnelle Setzen und Bergen des Großsegels.
Auf „VDB“ verschwindet das Tuch in einem schlanken Rollmast aus Kohlefasern. Ebenso ungewöhnlich ist der V-Baum. Nicht notwendig, sieht aber gut aus. Das Aufspulprozedere ist simpel: Großschot, Unterliekstrecker sowie Achter- und Backstag lösen, schon kann eingerollt werden. Es entfällt die Suche nach dem optimalen Einrollwinkel des Großbaums und damit unkontrolliertes Schlackern der Schot. Zwangsläufig müssen bei 1,90 Meter Stehhöhe unter dem Schotpodest Großschot und Lümmelbeschlag weiter oben angeschlagen werden, was Raum zwischen Deck und Baum schafft. Ein großer Teil davon lässt sich über das Aufspannen einer großen Sprayhood nutzen, die der Bügel optisch integriert und der er vorn als Stütze dient. Persenning und Gestänge tauchen im Kajütdach ab, das bei gleichbleibender Innenstehhöhe von 2,20 Meter flacher ausfällt. Das Schiebeschott fährt wie bei Solaris nun seitlich weg und nicht mehr nach vorn unter das Fach für die Sprayhood.
An der Achterkante des Bügels hängen Sonnensegel, die zwei Carbonpfeiler abspannen. CNB bietet auch Hardtops an, die Steuerstand und Winschenfeld überdachen und seitlich wie hinten schließbar sind. „Dann wird es ein moderner IMOCA“, freut sich Boris-Herrmann-Unterstützer Arno Kronenberg. „Damit ist die CNB 62 auch zum Segeln bei Schlechtwetter oder in hohen Breiten sehr geeignet.“
Solaris laminiert die „Mini-CNB“ in Aquileia nach bewährter Methode aus GFK mit Sandwichkern, Vinylesterharz und Carbonverstärkungen. Unter Vakuum wird verdichtet und anders als bei Beneteau auf Manufakturfertigung gesetzt. Von den Italienern übernommen wurden schiere Luken von Solimar, um die zehn Millimeter dicke Plantagen-Teakstäbe laufen.
„Wir haben über alles nachgedacht“, antwortet Vincent Arnaud während des Auslaufens auf die Frage nach Alternativen zum Bügel. „Die Schot über das Dach zu führen, wäre zulasten des Großsegeltrimms gegangen. Und ein Traveller ganz achtern hätte eine ungünstige Mastposition ergeben.“ Wir motoren dem Wind im Norden entgegen, während an Deck kaum Vibrationen oder Geräusche zu vernehmen sind. Ziel ist die Düse aus der Straße von Bonifacio, von der ein Stakkato aus Schaumkronen kündet. Noch weht es aus Ost.
Nachdem die Luftströme ihr Kräftemessen ausgetragen haben und die 3Di-Ware von North Sails sich per Knopfdruck entrollt hat, springt die CNB 62 schnell an, legt sich auf die Kimmkante und marschiert bei 19 Knoten Wind mit neun Knoten nach Luv. Auf der nach vorn gewanderten Steuerposition ist der stattliche scheinbare Wind kaum zu spüren, die Distanz zum Cockpit lädt zum Schnacken ein. Selbst weiter mittschiffs ist die hohe Formstabilität des 5,33 Meter breiten 28-Tonners spürbar. Statt der 108-Prozent-Genua mit 94 Quadratmetern steht das Stagsegel mit 44 Quadratmetern im Wind, das über eine Selbstwendeschiene gefahren wird und Backstagen erfordert.
Die elektrischen Reckmann-Furler beider Vorsegel arbeiten über Deck, um Wartung oder Reparatur zu erleichtern und über ein höheres Unterliek ständige Schürzen-Gänge zu vermeiden. Dennoch hält man bei CNB am Schnellsegelanspruch fest, wie Arno Kronenberg verdeutlicht: „Um den letzten Durchhang des Vorstags zu eliminieren, können wir das Schothorn über einen Hydraulikzylinder unter Deck etwa fünf Zentimeter herunterziehen.“ Als Indiz für den unbedingten Fahrtenanspruch lagern im Ankerkasten davor 125 Meter Kette von zwölf Millimetern Durchmesser.
Zwei elektrische Winschen flankieren den Mastfuß und spannen die Fallen über eine einfache Talje auf Lochschienen am Mast nach, ganz ohne Stopper lösen oder lange Fallenenden an Deck liegen haben zu müssen. Später geht es bei schwacher Brise dank elektrisch ausgerolltem Helix Code mit einem Knoten unterhalb des wahren Windes entlang der Costa Smeralda voran. Das leichte, fliegende Segel ohne torsionsfreies, aber mit verstärktem Vorliek wird auf dem Bugspriet mittig hinter dem Gennaker angeschlagen.
Einen Traveller gibt es nicht – er wäre sehr kurz geworden und hätte den Bügel einige Zentimeter erhöht –, dafür aber einen langen wie kraftvollen hydraulischen Kicker und vertikale Latten im 102-Quadratmeter-Groß. Am Carbonrad gibt es direkte Rückmeldung bei angenehm-moderaten Kräften. Befehle werden präzise wie unmittelbar umgesetzt. Da die Steuerstände vor den Doppelrudern liegen, müssen die Befehle über Ketten und Kardanwellen auf die Ruderwellen gelangen.
Trotz der etwas weiter mittschiffs liegenden Steuerpositionen lässt die L-Sitzbank gute Sicht nach vorn zu. Weit nach außen geht es im Sitzen mit einem oder beiden Beinen auf dem Laufdeck. Strecker und Fallen bewegen sich über das Drücken von Rundknöpfen auf der formschönen Säule neben den Displays. Die zwei Winschen dahinter für Vor- und Großschot werden per Knopfschalter darunter geholt und gefiert. Dafür müssen sich normal große Menschen vom Rad lösen. Wieder ging es um die Vermeidung von Gefahrensituationen: Wenn der Rudergänger das Push-Button-Panel der Schotenwinschen vor sich hätte, würde er im Rücken nicht sehen, ob bereits jemand an den Windungen zugange ist.
An Deck näherte man sich zwar dem Mittelcockpit-Konzept an, das größte Gemach verbleibt aber zugunsten der längs verlaufenden Heckgarage im Vorschiff. Das ist so füllig, dass die Kammer im Bug den Charakter einer Suite hat. Zur hohen Kubatur sagt Arno Kronenberg: „Für das, was die 62 sein soll, ein Familienschiff zum Cruisen, ist die Kabine genau richtig. Auch für weltweite Fahrt.“ Dazu passt der Schrank im Gang zum Salon, in dem eine Heizung feuchtes Ölzeug trocknet oder, wie hier im Med-Modus, der Staubsauger hängt.
Das tadellos von Solaris ausgebaute Interieur legte erneut das Pariser Studio von Jean-Marc Piaton warm und gemütlich und doch modern wie hell an. Gespiegelte Bilder aus sorgsam gewählten Walnussholzfurnieren strahlen Eleganz aus, Weite erzeugen weiße Fronten, die hellgraue Wandverkleidung und die vielen natürlichen Lichtquellen. Alternativ wird Teak, helle oder gebürstete Eiche auf das Marinesperrholz geleimt.
Die zwei Doppelkabinen achtern – an Steuerbord vergrößert die Koje ein Einlegebrett zwischen den Einzelbetten auf 1,90 Meter – fallen im Verhältnis nicht weniger großzügig aus. Dass sie keine Staffage sind, macht allein der Zugang deutlich. Backbords des Niedergangs führt ein Flur vor die Türen, der Größe und Privatsphäre verleiht. Für die Morgentoilette geht es in Bäder, die kaum kleiner sind als der vordere Waschraum. Einziger Wermutstropfen der beiden Schlafplätze sind Ausbuchtungen unter der Decke des längs verlaufenden Tenderparkplatzes. Da aber auch hier Breite und die Stehhöhe mit fast zwei Metern enorm sind, fällt das kaum ins Gewicht.
Die königlich-zentrale Anordnung des bis zu 3,10 Meter langen Beibootes bleibt für die CNB-Entwickler „die einzig praktikable Lösung“ für stressfreies Wassern. Sind die Laufrollen auf der über drei Meter breiten Plattform montiert, Laschings gelöst und die Hol-Leine gefiert, tut die Schwerkraft ihr Übriges. Zur Unterstützung neigt sich der Spiegel per Fernbedienung hydraulisch ins Nass herunter. Die freie Decksfläche darüber wird ähnlich wie auf 20 Fuß längeren Maxis zum Entspannen und Sonnenbaden genutzt.
Auch das offene Raumkonzept des Salons erinnert an größere Yachten, wobei man die kommunikative Platzierung der Pantry von der CNB 60 übernahm. Aus dem Semi-Deckssalon mit bester Rundumsicht führen drei Stufen in den Küchenbereich mit seinen tiefen Arbeitsflächen aus Corian, die für leichtere Reinigung zu den Schlingerleisten hin in Hohlkehlen auslaufen. An Steuerbord ergänzt den kardanischen Herd ein Weinfach, backbords stehen Kühlschrank, Gefrierfächer und Waschmaschine. Halt beim Gang zum Speiseplatz geben vertikale Handläufe und das Süll der Anrichte.
Gegenüber macht die verschiebbare Rückenlehne aus dem Navi- einen Arbeitsplatz mit Wandtisch-Kunstwerk. Modular zeigt sich sogar der Couchtisch: Ein unter der Platte gelagertes Polster fügt sich in das Leistenkarree ein und verwandelt es in eine Fußablage. Passend dazu fährt neben dem Niedergang ein Fernseher aus der Ablage.
Gasfedern unter dem schallisolierten Salonboden geben den Motorenraum frei, der von der Balance her günstig über dem 2,95 Meter tief gehenden T-Kiel positioniert ist. Als Antriebsaggregat weist die Werftspezifikation einen Nanni mit 80 PS aus, der gegenüber dem auf „VDB“ verbauten Volvo Penta mit 175 PS stets das Nachsehen haben dürfte. Auch der Generator von Onan (7 oder 11 kW), hier wich CNB vom von Solaris präferierten Zulieferer ab, sitzt auf Gummifüßen. Den beiden insgesamt 1.000 Liter Diesel fassenden Tanks sind zwei Kraftstofffilter mit Bypass-System nachgeschaltet. Leicht erreichbar sind Boiler, Wassermacher, Klimaanlage und die Batterien mit 460 Ah Kapazität.
Die CNB 62 ist eine Superyacht im Kleinen. Ihr Layout ist unter wie über Deck auf Paare oder Familien ausgelegt, die sicher, komfortabel und flott überall auf der Welt segeln möchten. Blauwasser-Betrieb mit wenig Händen bedingt eine Vielzahl an Systemen, die aber erprobt, gut zugänglich und häufig redundant vorhanden sind. Wer die 19 Meter nicht allein operieren oder sich herantasten möchte, optiert für die Crew-Kabine in der Vorpiek.
Zwei weitere Einheiten der CNB 62 sind bereits verkauft, die segelfertig mit Alumast und Cruisingsegeln ein Mindestbudget von 2,2 Millionen Euro voraussetzt. „VDB“ wird auf dem Cannes Yachting Festival ausgestellt und die zweite Baunummer auf der boot Düsseldorf gezeigt. Dort gibt es auch Informationen zur nächsten Neuentwicklung, der CNB 68. Dem Vernehmen nach wieder mit Bügel.