Als Buddy Melges am 1. Dezember 1992 sein erstes Schiff vom Typ Melges 24 am Lake Geneva im US-Bundesstaat Wisconsin ins Wasser krant, hätte sich der Ausnahmesegler und Bootsbauer wohl kaum träumen lassen, dass er damit den Markt von kleinen und sportlichen Regattabooten derart gründlich auf den Kopf stellen würde. Als das Schiff mit der Segelnummer USA 1 an diesem bitterkalten, verschneiten Tag seine ersten Runden auf dem kleinen See unweit der Werft Melges Boatworks in Zenda dreht, ist sich die dafür angereiste US-Segelprominenz einig: Was dort draußen bei strammer Brise mit seinem großen Gennaker umherfeuert, wird das neue Sportboot der Zukunft sein.
Das kommt nicht von ungefähr. Das damals vorgestellte Konzept von Buddy Melges, dem „Zauberer von Zenda“, ist auf der ganzen Linie besonders und aufregend. Ein großes, offenes Cockpit für aktiven Mannschaftssport, ein superkurzer Kajütaufbau über einem Interieur, das gar keines ist, ein relativ kurzes und sehr einfaches Rigg aus Kohlefaser mit kurzer Genua und ausgestelltem Großsegel, dazu ein komplett aufholbarer Hubkiel sowie ein weit ausziehbarer Rüssel für den Gennaker. Für die Zeit vor 30 Jahren ein geradezu revolutionäres Design von Buddy Melges in Zusammenarbeit mit den Konstrukteuren aus dem renommierten und damals auf reine Regattayachten spezialisierten Studio von Reichel/Pugh Yacht Design in Kalifornien.
Ebenfalls 1992 kann Buddy Melges als Steuermann erfolgreich den 28. America’s Cup in San Diego für das Syndikat America3 von Skipper Bill Koch gewinnen. Auf breiter Front kommt deshalb ziemlich schnell die nachvollziehbare Vermutung auf, dass die Melges 24 möglicherweise als eine Art Trainings- oder Sparringsboot für die Vorbereitung der Amerikaner zur Titelverteidigung herhalten soll. Aber Melges hat andere Pläne. Schon 1993 werden erste Klassenregatten in Amerika ausgeschrieben und in Zenda mit Hochdruck immer mehr neue Boote produziert. Die Nachfrage ist gewaltig. Alle wollen zu der Zeit die Melges 24 haben, den kleinen America’s-Cupper.
Im selben Jahr schickt die Werft eine erste Melges 24 nach Europa. Dort wird die Neuheit aus Amerika im Herbst auf dem Salon Nautique in Paris erstmals vorgestellt. Auch hier findet das spannende Konzept schnell Freunde und Beachtung, und das Boot als Einheitsklasse eine ziemlich rasche Verbreitung. Um den Transport im Container über den Atlantik zu umgehen und die Kosten niedrig zu halten, findet Melges mit dem englischen Flugzeughersteller British Aerospace bald eine erste Lizenzproduktion für den europäischen Markt. Später wird die Melges 24 zunächst bei White Formula, danach bei Rowen Composites (beide ebenfalls in England) gebaut. Dann bei Devoti Sailing in Tschechien. Nach einer kurzen Zeit ohne Hersteller in Europa fertigt heute der Komposit-Spezialist Yachtservice in Polen die Melges 24, weiterhin streng kontrolliert nach den Qualitäts-Standards von Melges Boatworks.
Nach der Markteinführung vor 30 Jahren in Europa bilden sich Flotten mit Schwerpunkten vor allem in Frankreich. Aber auch in Großbritannien, wo die Whisky-Destillerie Glenfiddich als Event- und Klassen-Sponsor für eine rasche Verbreitung sorgt. Später zeigen vor allem auch die Italiener Interesse an der Melges 24. Sie bauen zusammen mit dem Automobil-Hersteller Volvo als Geldgeber einen überaus attraktiven Regattazirkus im Süden auf. Mit vielen Events insbesondere am windreichen Gardasee, dem Paraderevier für die sportlich zu segelnde Melges 24, aber auch am Mittelmeer. Felder mit über 50 Booten am Start zählen bei den Regatten im Rahmen des Volvo-Cups zum Standard. Und bei den Meisterschaften kommen schon mal lässig über 100 Meldungen zusammen. Die Rekordbeteiligung steht bei 125 Booten bei der Weltmeisterschaft 2012 in Torbole.
Die Anzahl der bisher in den Vereinigten Staaten sowie in Europa gebauten Boote liegt bei knapp 900. Davon sind aktuell rund 250 Eigner in der Internationalen Melges 24 Class Association (IMCA) registriert. Das heißt: So viele Boote sind noch aktiv im Regattaeinsatz. In Europa nehmen insgesamt über 100 Mannschaften an nationalen und internationalen Klassenregatten teil, mit Schwerpunkten in Italien sowie im Norden, vor allem in Norwegen und Dänemark. Überraschend ist die derzeit schon fast explosionsartige Verbreitung der Melges 24 in Kroatien, wo eine eigene Regattaserie mit einer Beteiligung von regelmäßig über 20 Booten für einen wahren Boom sorgt. Für den schnellen, umtriebigen Klassenaufbau werden die Melges-24-Segler in Dalmatien jetzt zudem belohnt: Die Europameisterschaften 2024 sind für den Herbst in Split geplant.
Auch in Deutschland ist die Melges-24-Szene aktiv. Rund 20 Boote sind hier regelmäßig unterwegs, mit Flotten vor allem am Starnberger See sowie am Großen Brombachsee, einem Stausee in Mittelfranken, wo Anfang Mai 2024 auch die German Open stattfinden werden, die deutschen Meisterschaften. Michael Tarabochia aus München ist nicht nur der Präsident der Klassenvereinigung in Deutschland, sondern kümmert sich als Beisitzer im Internationalen Vorstand der IMCA zudem sehr engagiert um die Klassenorganisation und den Flottenerhalt in ganz Europa.
Die Melges 24 ist bekannt und beliebt geworden durch die überaus sportliche Art und Weise, wie man das Boot schnell und erfolgreich segelt. Ein wahrhaft gewichtiges Thema dabei ist das sogenannte Hiking, also das extensive Ausreiten mit dem Oberkörper über die gepolsterten Züge der Reling. Wer mehr Pfunde außenbords über die Kante bringt, hat Vorteile vor allem an der Kreuz, wo das Boot möglichst aufrecht gesegelt werden soll. Es ist ganz einfach: Wer intensiver ausreitet, kann schneller und höher segeln.
Im Gegenzug dazu ist das körperbetonte Hiking bei Wind und Wellen auch sehr anstrengend, bisweilen sogar schmerzhaft, auch wenn die diesbezüglich sehr stringent abgefassten Klassenvorschriften gewisse Einschränkungen vorsehen. Das Hiking auf der Melges 24 ist also gleichermaßen Fluch und Segen.
Die Internationale Klassenvereinigung der Melges 24 hat zum Jahreswechsel entschieden, die bisher gültige Regel bezüglich des Mannschaftsgewichts aus den Klassenvorschriften zu eliminieren. Bislang galt ein Maximum von 375 Kilogramm für die ganze Crew, was üblicherweise beim Einschreiben vor Regattabeginn auf der Waage zu bestätigen war, meist in Unterwäsche. Ein manchmal belastendes Prozedere im Speziellen für Amateur- Mannschaften und für sie leider nur allzu oft der Grund, um Regatten fernzubleiben, weil sie Schwierigkeiten hatten, ihre Crew passend ins Limit zusammenzustellen. Nun ist das seit Jahren heiß umkämpfte und kontrovers diskutierte Thema für die Melges 24 endgültig vom Tisch.
Die sportliche Attraktion sowie die großen Felder auf internationalen Regatten haben über die Jahre auch viele professionelle Segler in die Klasse gebracht. Persönlichkeiten der weltweiten Seglerszene konnten sich auf der Melges 24 ihre Sporen verdienen. In der Hall of Fame der Champions stehen klingende Namen wie Dave Ullman, Bora Gulari, Jimmy Spithill, Flavio Favini, Peter Duncan oder der legendäre Giorgio Zuccoli, um an dieser Stelle nur einige der großen Stars zu nennen. Mit der hohen Professionalität in der Klasse ist natürlich auch eine gewaltige Steigerung des Leistungsniveaus einhergegangen. Deshalb hat die Klasse Melges 24 schon früh bei den internationalen Events die Sonderwertung für die reinen Amateur-Teams (Corinthian Trophy) eingeführt, was die Nicht-Profis mit eigenen Ranglisten und Jahreswertungen bei der Stange hält und die Klasse für alle Leistungsstufen attraktiv macht.
Die Melges 24 ist zum Archetyp für das moderne, sportliche Regatta-Kielboot geworden. Konzeptkopien davon gab und gibt es immer noch zahlreich. Viele wollen dahin, wo die Melges 24 seit Jahren ist. Doch keine andere Sportboot-Klasse hat sich über eine so lange Zeit auf dem Markt behaupten können. Wer das Gefühl kennt, wenn sich der 60 Quadratmeter große Gennaker mit einem dumpfen Knall entfaltet und das kleine Boot mit 20 Knoten im Vollglitsch über die Wellenkämme zieht, der weiß, warum.
Glasfaser-Sandwich mit PVC-Schaumkern und Epoxid-Harz. Gebaut im Vakuum-Infusionsverfahren
Harry Clemens Melges jr., besser bekannt als Buddy Melges, ist letztes Jahr am 18. Mai im Alter von 93 Jahren verstorben. Er hinterlässt ein bemerkenswertes Vermächtnis als einer der erfolgreichsten Segler der amerikanischen Geschichte. Geboren in Elkhorn, Wisconsin, widmete Buddy Melges sein Leben dem Streben nach seglerischen Spitzenleistungen auf dem Wasser. Als sein Vater, Harry Melges sr., 1945 aus dem Zweiten Weltkrieg nach Hause zurückkehrt, gründet er die Werft Melges Boatworks in Zenda und gibt dem Sohn damit reichlich Gelegenheit, seine Segelkenntnisse zu perfektionieren.
1972 gewinnt Buddy bei den Olympischen Spielen eine Goldmedaille in der Soling-Klasse vor Kiel, 1964 eine Bronzemedaille im Flying Dutchman und 1967 bei den Panamerikanischen Spielen eine weitere Goldmedaille, ebenfalls im FD. 1978 und 1979 holt sich Buddy Melges zwei Weltmeistertitel im Starboot und wird 1967, 1973 und 1983 Weltmeister in der 5,5-Meter-Klasse. Der bemerkenswerte Leistungsausweis trägt ihm den Spitznamen „Wizard of Zenda“ (Zauberer von Zenda) ein.
Buddys wohl größter Erfolg als Segler ist die Teilnahme an zwei America’s Cups. Bei der Herausforderung im Jahr 1987 vertritt er den Chicago Yacht Club am Steuer der „Heart of America“, verliert aber gegen seinen Landsmann Dennis Conner auf „Stars & Stripes“. 1992, beim America’s Cup vor San Diego, steuert Buddy Melges im Alter von immerhin 62 Jahren die „America3“, welche von dem Milliardär und Geschäftsmann Bill Koch finanziert wird. Sie bringen die begehrte Trophäe zurück in die USA. Ihre Kampagne war die letzte erfolgreiche Verteidigung des Cups durch ein amerikanisches Team. „Buddy ist der Leonardo da Vinci des Segelns“, sagte Bill Koch nach dem Cup in einem Interview.
Nebenher blüht die mittlerweile in Melges Performance Sailboats umbenannte Werft in Zenda weiter auf. Buddy nutzt die technischen Fortschritte aus dem America’s Cup und weist mit der Einführung der Melges 24 in Zusammenarbeit mit dem Yachtdesigner-Team Reichel/Pugh den Weg in die Zukunft.