J/V 43An Class 40 orientierter Racer ist zugleich Cruiser

Jochen Rieker

 · 25.02.2024

Von Slowenien nach Montenegro und retour. Das Potenzial des Bootes ist so groß, dass es selbst untertakelt leicht zweistellig segelt
Foto: YACHT/Andreas Lindlahr
Judel/Vrolijk hat eine bessere Class 40 konstruiert: funktional, voll ausgebaut, schnell. Ihr Eigner will damit fahrtensegeln. Wir sind für eine Woche an Bord der J/V 43 gegangen, um ihren Charakter zu ergründen

Einmal die Adria längssegeln, von Nord nach Süd und wieder retour: Slowenien–Montenegro–Slowenien, so lautet der simple Törnplan. Eine Woche, gut 650 Seemeilen, und nur ein Stopp auf halber Strecke. Es klingt ein wenig frivol, zumal im Winter, der selbst im Süden frostig und bei Bora besonders biestig werden kann. Andererseits ist das Boot, dessen Log noch keine 30 Meilen gezählt hat, eine Verheißung.

Antoine Cardin und seine Kollegen von Judel/Vrolijk & Co in Bremerhaven haben all ihr Können, ihre Leidenschaft und Begeisterungsfähigkeit in diese Konstruktion gesteckt – eine Yacht, wie es sie so derzeit kein zweites Mal gibt auf dem Markt: 80 Prozent Class 40, 20 Prozent Fahrtenboot, vielleicht auch 70:30 oder 90:10 – das wird sich zeigen.

Jedenfalls verfügt sie über eine dieselbetriebene Warmluftheizung und auch sonst über fast alles, was die Crew auf langen Schlägen bei Laune und bei Kräften hält: acht Kojen, Pantry, Nasszelle, Navigation und einen Salon, in dem sogar zu zehnt keine Enge aufkommen würde.

Wir aber sind nur zu viert, segeln die J/V 43 im Wachrhythmus also artgerecht zweihand. Und wir sind nicht so sehr wegen ihrer Komfortmerkmale an Bord, sondern wegen ihres Leistungspotenzials, das alle gängigen Maßstäbe sprengt.

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J/V 43 ist kaum mit einem anderen Serienboot vergleichbar

Die Yacht wiegt gerade einmal halb so viel wie herkömmliche Performance-Cruiser ihrer Länge. Dennoch fährt sie mehr Tuch an ihrem filigranen Kohlefasermast: 125 Quadratmeter am Wind, mehr als doppelt so viel raumschots, wenn der große A2 steht, ein asymmetrischer Spinnaker mit allein 210 Quadratmeter Fläche.

Das Serienboot, das ihr zwar nicht nahe, aber noch am nächsten kommt, ist die Pogo 44. Doch selbst diese verdrängt 20 Prozent mehr: 6,3 statt 5,2 Tonnen – das sind Welten, zumal auch die Rumpfform und Cockpitergonomie stark differieren. Ein Unterschied wie der zwischen SUV und Supersportwagen.

Mit ihrer Segeltragezahl von 6,5 überragt die J/V 43 gleichsam alles, was der Markt der zivilen Schifffahrt aufbieten kann, um Längen. Eine Entsprechung findet sie nur im professionell betriebenen Hochseerennsport der aktuellen Class-40-Generation. Bis auf die erste Nachkommastelle gleicht sie einer reinrassigen, unter Deck komplett leeren Pogo 40 S4 wie der „Sign for Com“ von Lennart Burke und Melwin Fink.

So sieht sie auch aus: breitschultrig, athletisch, zugleich jedoch drahtig, ja filigran mit ihren zum Deck hin stark verjüngten Rumpfseiten und dem leichten, fast schwebenden Heck. Nur der bis zum Vorschiff gezogene Kajütaufbau und die Seitenfenster heben sie optisch von Class-40-Racern ab. Doch ist das alles stilistisch so fließend integriert, dass man schon dreimal hinsehen muss, um die Unterschiede überhaupt zu bemerken.

Rohe, funktionale Ästhetik

Als sie zum Ausklarieren an der Mole von Piran längsseits geht, wirkt sie im Vergleich mit den anderen Fahrtenyachten, die weiter innen im verträumten Altstadthafen vertäut sind, wie ein Ufo aus fernen Galaxien. Ihre rohe, funktionale Ästhetik übt einen eigenen Reiz aus, zumal der weiße Rumpf mit der Düsternis einer aufziehenden Warmfront höchst eindrucksvoll kontrastiert. Selbst im abendlichen Niesel lockt der Anblick noch Neugierige an. „Ahhh, Regatta!?!“, mutmaßt der Hafenkapitän bei seinem Inspektionsgang. „No, Cruising!“, entgegnet der Eigner, und zeigt in die von verdeckt eingebauten LED-Leisten erleuchtete Kajüte. Als der Kapitän die Stirn runzelt, korrigiert er: „Fast Cruising!“ Beide nicken. „Very fast“, sagt der Offizielle. Dann wäre das geklärt.

Der Auftakt verläuft freilich eher zäh. Es weht zunächst nur mit sechs bis acht Knoten aus Nordost. Um freizukommen von der Küste und den kleinen Fischerbooten, motorsegeln wir platt vor dem Laken nur unter Groß nach Südwest. Es ist nicht die Paradedisziplin der J/V 43.

Dem Bestreben, alles wegzulassen, was sie nicht schnell macht, ist auch die Isolation des Yanmar-Diesels geopfert worden. Der steht mitten im Salon, eingehaust von leichten Sandwichplatten mit Schaumkern, aus denen auch der Rest des Ausbaus laminiert ist. Dämmstoffe auf den Innenseiten gibt es nicht. Zu schwer, befand Konstrukteur Antoine Cardin, der ohnehin zu kämpfen hatte, das von ihm selbst definierte Maximalgewicht von gerade mal 250 Kilogramm für sämtliche Einbauten und Komfort-Accessoires einzuhalten. So viel wiegen in der Großserie schon allein die Sperrholzschotten.

Start mit Handbremse

Bei 2.500 Umdrehungen rappelt der Dreizylinder folglich mit der Vehemenz von 85 Dezibel hart an der Grenze zum Gehörschaden. Nur Presslufthämmer und Motorsägen lärmen noch brachialer. Im Cockpit verflüchtigt sich der Schalldruck immerhin auf ein gerade erträgliches Maß. Gut 6,5 Knoten läuft das Boot bei Marschfahrt, wenn gar kein Wind weht; um die sieben Knoten sind es auf den ersten Meilen mit leichter Anschubhilfe von achtern. Und es lässt sich dabei ein Phänomen bestaunen, das einzigartig ist.

Im Rhythmus der Dünung, die von einem frischen Südwest vor der italienischen Küste stammt, reißt am Spiegel immer wieder für ein, zwei Sekunden die Strömung glatt ab. Es ist ein erstes Indiz für die Fähigkeit der J/V 43, extrem früh von Verdränger- in Gleitfahrt zu wechseln – der Heilige Gral modernen Performance-Yachtbaus. Und es wird auch in den folgenden Tagen nie langweilig, dem leisen Spektakel im Kielwasser zu folgen.

Es tröstet ein wenig über den verhaltenen Start hinweg. Eigentlich hatten wir uns zweistellig durch die Nacht stieben sehen. Ein Wachwechsel bis zum Kvarner, der Einbuchtung südlich von Pula, so hatten wir uns die Fahrt vorgestellt, zwei weitere bis zu den Kornaten, Montenegro in längstens zwei Tagen. Es war keine illusorische Erwartung. Der 24-Stunden-Rekord der Class 40 liegt bei 428,8 Seemeilen.

Das wechselhafte Wetter ringt uns freilich Geduld und Demut ab – und dem Motor wiederholt Sonderschichten, die den Füllstand im transparenten 60-Liter-Tank so sehr schwinden lassen, dass wir südlich von Split vorsorglich den Bestand aus dem Reservekanister dazuschütten.

Segelverhalten: von Schritt in Trab und gleich in gestreckten Galopp

Zwischendrin aber vermag die J/V 43 mehrmals, ihre bemerkenswerten Fähigkeiten aufblitzen zu lassen. Sie braucht nicht viel dafür. Als in der ersten Nacht weiter draußen auf See langsam die Brise einsetzt, erst mit 3, später in einer Front mit gut 5 Beaufort, wechselt sie ansatzlos von Schritt in Trab und gleich darauf in gestreckten Galopp.

Bevor es das erste Mal richtig knastert, rennt sie bei halbem Wind nur unter Genua und Groß schon beständig neun, zehn Knoten bei zehn bis zwölf Knoten aus Ost. Vorn rumpelt der voluminöse Bug bisweilen in die Altsee, achtern dagegen bleibt nichts zurück als zwei Streifen von den Ruderblättern, die vom fahlen Mondlicht erhellt werden, und ein leises Schäumen der Adria, die wie frisch gebügelt hinterm Steven austritt. Es fühlt sich an wie Magie, so als segelten wir auf einem fliegenden Teppich übers Meer: sanft, schwerelos, schnell.

Als wir die Kvarner-Bucht querab haben, raumt der Wind, und die Neugier siegt über Müdigkeit und klamme Knochen. Wenige Minuten später geht der Gennaker hoch, kurz darauf auch der Druck in der Luft. Wieder verwandelt sich das Boot, diesmal in ein hungriges Tier, das danach giert, Meilen zu verschlingen.

Die NKE-Displays springen von zwölf auf 16, auf 20 Knoten Wind, und die Logge fast in Echtzeit hinterher. Kurz ist die 18 zu sehen, nie weniger als 15 Knoten durchs Wasser. Die Leistungsexplosion vollzieht sich so jäh, dass man die eigene Wahrnehmung neu kalibrieren muss.

Der füllige Bug entspricht dem aktuellen Stand im Hochsee-Rennsport

Im gut geschützten, weil vom Überstand des Kajütdachs beschirmten Cockpit duckt sich die Crew vor der jetzt waagrecht fliegenden Spray weg. Der Rudergänger aber sitzt exponierter, sofern nicht der Autopilot steuert. Obwohl der Scow-Bug nie unterschneidet, schaufelt er mit seiner zum Vordeck hin stark abgekanteten Fase bisweilen Hektoliter an grünem Wasser den Kajüt­aufbau entlang nach achtern. An der Pinne kann man dieser Macht und Masse kaum ausweichen, sollte daher stets eingepickt sein. Denn hinterm Traveller springt das Süll nach unten, und wer da erst mal den Halt verliert, landet einen halben Meter später im Bach.

Die Feuertaufe findet in der zweiten Nacht eine noch eindrücklichere Wiederholung. Stundenlang segeln wir zwischen Primosten und Trogir wie im Slalom ungestreift durch Gewitterzellen, die sich vor der Küste aufstauen. Blitze und Wetterleuchten illuminieren die gewaltigen Wolkentürme von unten. Und als es schon so aussieht, als kämen wir ungeschoren davon, bricht doch noch die Hölle los in einem Squall, der 35 Knoten Wind, Hagel und einen neuen Top-Speed bringt: 21,2 Knoten, nur unter zweifach gerefftem Groß und kleiner Fock.

Es ist bloß ein Anhaltspunkt dafür, was dieses Boot vermag, wenn es erst einmal ausgiebig erprobt ist, auf offener See statt auf Revierfahrt segelt, wenn das beim Probeschlag noch nicht nutzbare System aus sechs individuell befüllbaren Ballasttanks den Trimm verbessern hilft.

Die ersten Eindrücke jedenfalls belegen eindrucksvoll, was die Zahlen schon haben vermuten lassen: dass die J/V 43 in einer ganz eigenen Dimension unterwegs ist, die mehr von den Fähigkeiten der Crew begrenzt wird als von physikalischen Gesetzmäßigkeiten, die sie scheinbar mühelos außer Kraft zu setzen imstande ist.

Launen des Wetters bremsen aus

Dass es am Ende drei Tage dauert von Piran bis ins mondäne Portonovi in Montenegro, ist nur den Launen des Wetters geschuldet. Das aber ändert sich eine Nacht und ein paar Stunden später grundlegend, als wir die Rückfahrt antreten.

Ein Schwerwettergebiet aus Südwest pustet uns zwei Drittel des Wegs zurück bis nach Istrien. Es wird nass und holprig bei bis zu zweieinhalb Meter Welle und zwischen 18 und 28 Knoten Wind. Jetzt passt das Etmal zu den ursprünglichen Erwartungen. Rechnet man den Umweg und die Wartezeit fürs Einklarieren raus, schafft die J/V 43 die 270 Seemeilen bis Mali Losinj in kaum mehr als 20 Stunden.

Im Sommer ist die Insel eines der Sehnsuchtsziele der Adria-Segler. Wir wählen sie als Zwischenstopp, weil am Folgetag eine Bora bis zu 60 Knoten aus Nordost bringen wird – zu viel, um den Kvarner zu que­ren, der wie eine Düse wirkt für die Kaltluft aus den Bergen. So wird unsere Yacht einmal mehr zur Attraktion der Einheimischen. Niemand sonst geht zu dieser Zeit segeln, erst recht nicht bei so rauen Bedingungen. Radio Split hat uns über AIS und Radar verfolgt und bereits beim Hafenkapitän angekündigt, der samstagabends dann tatsächlich unsere Festmacher annimmt.

Binnen weniger Minuten verwandelt sich die J/V 43 unter Deck von einem geordneten Funktionsraum zu einem legeren Hang-out. Die Taschen, die sonst zwischen Motorkasten und Backbordsofa eingekeilt stehen, wandern auf Bänke und ins Vorschiff. Weil es zwar Ablagen und offene Schwalbennester gibt, aber keine Schränke, erfordert das Stauen eine gewisse Hemdsärmeligkeit.

Transformation der J/V 43 zum Cruiser

Voll belegt mit acht Crewmitgliedern würde das zwangsläufig in ein heilloses Chaos münden. Zu viert aber verlieren sich Schlafsäcke, Klamotten, Rettungswesten und Stirnlampen im weiten Salon. Die Heizung von Eberspächer pumpt unterm Niedergang an Steuerbord trockene Warmluft in den Raum. Die von Weiß auf Rot umgeschalteten Leuchtstreifen unterm Kajütdach verbreiten Gemütlichkeit, und beim ersten Bier in der plötzlichen Stille am Steg fehlt einfach nichts zum Glücklichsein.

Gut, die Polster sind nur 40 Millimeter hoch – das Gewicht, Sie wissen schon. Außer der Nasszelle verfügt kein Raum über Türen und damit so etwas wie Privatsphäre. Das Vorschiff mit seiner XXL-Liegefläche teilt sich das Eignerpaar mit den riesigen Segelsäcken. Und wer es sich auf den Rohrkojen gemütlich machen will, die zu beiden Seiten unterm Cockpitboden liegen, muss sich vorher an den Rohren und Absperrhähnen des Ballasttanksystems vorbeischlängeln. Gemessen an dem ungeheuren Segelpotenzial der J/V 43 aber sind die Komfortabstriche kaum der Rede wert.

Dabei hilft auch das Format. Dass das Boot einen Meter länger wurde als die Klasse, an der es orientiert ist, schafft nicht nur mehr Auftrieb, um das Gewicht für den Ausbau zu kompensieren, sondern auch den nötigen Raum fürs Fahrtensegeln, ohne die Linien zu kompromittieren.

Wie viel Racer, wie viel Cruiser in ihm steckt, lässt sich dennoch schwer beziffern. Es variiert je nach Einsatzzweck und Blickwinkel. An Deck ist es auf faszinierende Weise fordernd, unter Deck bei aller funktionalen Rohheit unerwartet kommod.

Formen der J/V 43 sind für eine Kleinserie konzipiert

Warum dieses Schiff? Der Eigner der Baunummer 1 und Mitinitiator der Kleinstserie sieht darin „den Racer-Cruiser der nächsten Genera­tion – ein Schiff für ungefilterten Spaß am Segeln“. Wind verwandele es „sofort zu Speed“. Unter Deck: „keine Höhle, sondern echter Lebensraum“.

Man muss es dennoch wollen. Die drei Meter Tiefgang. Den dröhnenden Diesel. Das Fehlen jeglicher Klampen zum Belegen der Festmacher. Auch die Kraft und Anstrengung, die es braucht, so ein Heißblut am Laufen zu halten. Und dann kostet so ein Präzisionswerkzeug obendrein mehr als ein Performance-Cruiser von der Stange – gut anderthalbmal so viel wie eine Pogo 44, um ein Beispiel zu nennen.

Einen Hafentag später weht es auf der Nordadria immer noch mit 45 Knoten in Böen. Wir bereiten das dritte Reff im Groß vor, laschen die Genua in Lee auf dem Vorschiff fest und setzen die Arbeitsfock, die an einem wegnehmbaren Textilstag gefahren wird. Der Wind kommt aus Nordost, die ersten 40 Seemeilen segeln wir auf Nordwestkurs, davon knapp 30 ohne Abdeckung in der ungebremsten Bora.

Halbwind-Kurse sind die Paradediszi­plin von Scow-Bow-Konstruktionen. Im Lee von Losinj und der vorgelagerten Inseln panthert die J/V 43 wie entfesselt los: Trotz kleinen Tuchs loggt sie 15, 16, 17 Knoten. Die See voraus auf dem Kvarner allerdings schäumt, und der Sturm weht das Wasser waagrecht von den drei, vier Meter hohen Wellenkämmen. Da hemmungslos durchbolzen, am Ende der ersten ausgiebigen Jungfernfahrt?

Wir rollen guter Seemannschaft folgend dann doch rechtzeitig die Fock weg. Nur unter dreifach gerefftem Groß segelt das Boot wie auf Schienen, mit geringem Ruderdruck und noch immer neun bis zehn Knoten schnell. Die guten Geister von Radio Split, die uns ohne Zweifel wieder auf ihren Monitoren verfolgen, brauchen sich nicht zu sorgen. In der Crew aber wächst der Wunsch nach einer Wiederholung, sobald als möglich. Im Frühjahr soll es bereits losgehen.

Technische Daten der J/V 43

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  • Rumpflänge/LWL: 13,10 m/11,52 m
  • Breite: 4,50 m
  • Tiefgang: 3,00 m
  • Masthöhe über WL: 19,80 m
  • Gewicht/Ballast/-anteil: 5,2 t/2,1 t/43 %
  • Segelfläche am Wind/STZ: 125 m²/6,5
  • Motor (Yanmar 3YM30): 29 PS
  • Kontakt: info@judel-vrolijk.com

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