“Wildente”Kleinkreuzer nach den Plänen des Zugvogel-Konstrukteurs

Lasse Johannsen

 · 21.09.2025

Markante Erscheinung. Lackiert wie ein Klavier, Linien mit Ecken und Kanten: die „Wildente“
Foto: YACHT/S. Hucho
Vor seinem 50. Geburtstag bekam der Kleinkreuzer „Wildente“ einen Refit. Der Großvater des Eigners baute ihn einst nach Plänen des Zugvogel-Konstrukteurs Ernst Lehfeld und überquerte damit sogar das Mittelmeer

Als die junge Bundesrepublik in den sechziger Jahren ihr Wirtschaftswunder erlebt, reift auch der Segelsport zu neuer Blüte. Während an Land das eigene Kraftfahrzeug, Musik aus dem Lautsprecher, Fernseher und Fernreise zum erschwing­lichen Allgemeingut werden, wächst die Zahl der Eigner auf den heimischen Segel­revieren im Quadrat. Gründe sind die sprichwörtliche Konjunktur jener Zeit und dass der Markt endlich günstige Segelboote bereithält. Neue Werkstoffe und der Beginn der industriellen Serienfertigung machen es möglich, nicht nur an Land, sondern auch auf dem Wasser der Tristesse des Alltags zu entfliehen.

Auch der frisch pensionierte Ingenieur Kurt Penning aus Kassel entscheidet sich Mitte der Sechziger, auf diesem Wege aus dem alltäglichen Trott auszubrechen. Doch will er nicht einfach ein Boot kaufen, er will selber eins bauen – eines, mit dem er auf Reisen gehen und die Welt erkunden und drauf leben kann.

Auch interessant:

Die Kiellegung erfolgt im Mai 1964. In einem angemieteten Schuppen werkelt der eigensinnige Tüftler fortan in jeder freien Minute an seinem Lebenstraum. Es entsteht der vor dem Hintergrund des geplanten Vorhabens nur als winzig zu bezeichnende 6,99- Meter-Seekreuzer Typ „Wildente“. Freunde und Verwandte schütteln damals den Kopf, doch Penning setzt seine Idee unbeirrt in die Tat um. Fern der Küste fertigt er in akribischer Kleinarbeit sein Traumschiff. Und dann ist dieser Seezwerg wirklich für viele Jahre das Heim seines Erbauers und trägt ihn über das gesamte Mittelmeer.

Meistgelesene Artikel

1

2

3

”Wildente” bleibt in der Familie und wird restauriert

Heute ist die „Wildente“ in Berlin zu Hau­se, wird von Pennings Enkelsohn liebevoll erhalten und in jeder freien Minute gesegelt. Ulrich Burkhardt hat das Boot im vergangenen Winter professionell überholen lassen und dabei auch selber etliche Stunden lang Hand angelegt. Nun ist sein Schiff wieder seeklar und schwimmt am Steg der Yachtwerft Möwert an der Scharfen Lanke in Berlin. Naturlackiert glänzt es zwischen den Kunststoffbooten am Steg, ein Hingucker, was dem Eigner sichtlich Freude macht. „Das Boot wurde am Mittelmeer seinerzeit weiß lackiert, um das Holz zu schützen“, erklärt Burkhardt und erzählt vom vergangenen Winter, als er die „Wildente“ eigenhändig abgezogen und bei Alveus Bootsbau in Potsdam komplett neu hat lackieren lassen. „Das hat sich wirklich gelohnt“, sagt Burkhardt, sichtlich stolz auf sein Werk. „Wenn ich an Bord bin, werde ich regelmäßig darauf angesprochen, wie gut sie aussieht.“

Der kleine Knickspanter ist auch ohne große Abmessungen eine markante Erscheinung. Der Rumpf ist auffallend hochbordig, seine Linien sind dennoch gefällig. Der Aufbau, man darf ihn mit einem Augenzwinkern ein echtes Deckshaus nennen, passt von den Proportionen gut dazu. An seinem Ende befindet sich die äußerst geräumige Plicht, sehr geschützt und mit Duchten, auf denen ein Erwachsener sich ausstrecken kann. Ein wegnehmbarer Reitbalken teilt das Reich des Rudergängers ab, der das angehängte Blatt an einer massiven Pinne dirigiert. Sämtliche Oberflächen aus mahagonifurniertem Bootsbausperrholz sind erstklassig lackiert. Ein golden eloxiertes Alu-Rigg erinnert an die frühen Siebziger.

Kein Geringerer als Ernst Lehfeld liefert seinerzeit die Pläne. Der „erfolgreichste und bekannteste deutsche Yachtkonstrukteur der Nachkriegsjahre“ (YACHT 24/1969) ist für Innovationsfreude bekannt. Der studierte Ingenieur, Jahrgang 1900, entwarf schon als Jugendlicher Sportboote. Nach dem Krieg ist er einer der Ersten, die sich hierzulande mit der neuen Leichtbauweise und formverleimten Rümpfen beschäftigen.

Als 1958 nach einer modernen Alternative für den Piraten gesucht wird, kann Lehfeld den längst ausgetüftelten Entwurf einer Zweimann-Gleitjolle aus dem Schubfach ziehen. Der Korsar wird ihn international bekannt machen.

Lehfelds Pläne waren Erbauer nicht genau genug

Bei Delius Klasing – dem Verlag, der auch die YACHT herausgibt – erscheint 1963 dann Ernst Lehfelds Veröffentlichung mit dem Titel „Sperrholzboote für den Selbstbau“. Das fünfbändige Werk enthält zehn Anleitungen für große Träume von kleinen Booten. Die Bandbreite bildet nahezu alles ab, was auf den zeitgenössischen Bootsausstellungen an Wasserfahrzeugen zu finden ist, von der 3,80 Meter langen Segeljolle „Pinguin“ bis hin zum hochmotorisierten Flitzer „Husch-Husch“.

Der Motorsegler „Wildente“ ist das Flagg­schiff der Flotte. Gefertigt wird es aus handelsüblichem „Bootsbausperrholz, kochfest verleimt“, wie Lehfeld seine Ausführungen über den „Sperrholz-Leimbau“ beginnt. „Man wähle einen guten, wasserfesten, fugenfüllenden Leim, etwa Klemm­leim WHK, Kauresin oder Aerodux“, Letztere seien sogar tropenfest. Dem Selbstbauer empfiehlt Lehfeld Drallnägel, die mit einem Gewinde von bestimmter Höhe und Steigung versehen sind. „Durch Hammerschläge dreht er sich in das Holz hinein und erzeugt den gleichen Anpressdruck wie eine Holzschraube.“ Es klingt nach einem Kinderspiel.

Tatsächlich trifft der Konstrukteur mit seinen Selbstbauplänen den Nerv der Zeit; sie suggerieren grenzenlose Nutzungsmöglichkeiten bei geringem Aufwand und nie­drigen Kosten. Im Fall der „Wildente“ liegt der Fokus auf maximalem Wohnraum. „Ein Boot für lange Reisen“, nennt es der Kon­strukteur auf Seite 19 der Broschüre, die zwischen zwei festen Pappdeckeln neben den Plänen den Inhalt des Druckwerks bildet. Es sei „in seiner ganzen Konstruktion auf Langfahrt eingerichtet“.

Der Lebenslauf der „Wildente“ lässt erkennen, dass es keine leeren Versprechungen waren. Doch bevor sie ihrem Namen im nassen Element Ehre machen konnte, war es ein weiter Weg. „Es ging ihm ja auch ums Bauen“, sagt Ulrich Burkhardt, der heute noch fasziniert ist vom Perfektionismus des Großvaters.

Penning brachte die Akribie aus dem Berufsleben mit. Bei Carl Zeiss Jena in Ober­kochen hatte er an der Entwicklung von Ferngläsern gearbeitet. „Lehfelds Pläne waren ihm nicht genau genug“, sagt der Enkel und holt einen dicken Ordner hervor, in dem Penning auf unzähligen Bögen Millimeterpapier jedes Teil des Bootes zeichnerisch und rechnerisch nachvollzogen hat. „Mit Lehfeld stand er in Kontakt. Nach Rücksprache hat er dann ein höheres Rigg konstruiert.“

Mindestens ebenso penibel geht Penning beim Bau vor, Kompromisse kennt er nicht. Stimmt im Furnier die Maserung nicht, wird eine Sperrholzplatte ebenso entsorgt wie in den seltenen Fällen, in denen er sich versägt. Er führt sämtliche Schlosser­arbeiten selber aus, entwickelt ganze Werkzeuge für den Bau des kleinen Knickspanters, kurz, er geht in diesem Tun auf und baut mit aller Hingabe. Und so werden aus den veranschlagten zwei nicht weniger als sechs Jahre, bis die „Wildente“ aus dem Schuppen schlüpft, über dem ein Schild mit der Aufschrift „Bootsbau Penning“ die Ernsthaftigkeit des Treibens belegt.

Mittelmeer wird Heimatrevier der “Wildente”

Ein vergilbtes Schwarz-Weiß-Foto zeugt heute noch von der freudigen Erwartung am Tag der Taufe im Juli des Jahres 1970. Kurt Penning ist darauf zu sehen, ein klein gewach­sener Mann in Anzug und Krawatte, der auf dem Vorschiff steht, das Boot befindet sich noch im Bauschuppen, und eine Ansprache an die Taufgäste hält. Ein verschmitztes Lachen beherrscht die Gesichtszüge des 65- Jährigen; gelöst und voller Vorfreude präsentiert er sein Werk. Ulrich Burkhardt ist damals dreieinhalb Jahre und überwältigt davon, was der Opa da gebaut hat. Sein großes Vorbild, sagt er heute.

Kaum dass der Bauschuppen aufgeräumt ist, schippert Penning los. Gemeinsam mit seiner Gattin lässt der frischgebackene Freizeitkapitän die „Wildente“ laut Logbuch am 11. August 1970 um 10 Uhr in Bordeaux erstmals zu Wasser und erreicht über Garonne und Canal du Midi nach einigen Tagen das Mittelmeer. Im Schiffstagebuch hält er die Erlebnisse fest, gute Stimmung spricht aus jeder Zeile: „Gelungene Nachtfahrt, Mondfinsternis, Baden im offenen Meer, stimmungsvolle Abende nach gelungenem An­legemanöver!“

Auf der Insel Cres, später in Mali Losinj im damaligen Jugoslawien wird die Besatzung der „Wildente“ 1972 heimisch. Es ist eine Zeit, in der das Wort Wassersporttourismus dort noch völlig unbekannt ist. Einheimische benutzen Boote vielleicht zum Fischen – Segeln als Freizeitbeschäftigung aber ist etwas völlig Exotisches.

Als Kurt Penning 1975 das Zeitliche segnet, übernimmt seine Tochter das Boot. Gemeinsam mit ihrem Mann führt sie das Erbe fort. Ulrich Burkhardt ist damals elf Jahre alt. Die Familie verbringt jeden Sommer viel Zeit an Bord. „Wir haben zu fünft auf dem Boot Urlaub gemacht, vier Wochen lang“, erinnert sich der Eigner und daran, dass dann jeglicher Stauraum vollgepackt war. Als spartanisch empfand das niemand. „Vorn schlafen zwei Erwachsene bequem, in den Hundekojen je einer und einer auf dem Boden. Und wir haben eine Kuchenbude, man kann also auch draußen schlafen.“

Alles im Originalzustand

Ebenso exotisch wie ein eigenes Boot an der Adria ist seinerzeit die Anreise mit dem Auto. „Wir sind über die Pässe, Tunnel gab es ja noch nicht. Das allein war schon ein totales Abenteuer“, erinnert sich Burkhardt, der auf der „Wildente“ die Liebe zum Segeln entdeckt und daheim den Optimisten besteigt. Mit 18 macht er am Bodensee den BR-Schein. Die „Wildente“ darf er seit 1984 auch ohne die Eltern nutzen. Seine Sommer­urlaube verbringt er fortan gemeinsam mit Freunden an Bord.

Auch als Anfang der Neunziger in Jugoslawien der Krieg ausbricht, ist Burkhardt auf Törn. „Da kam im Radio eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes. Wir waren mitten auf einer jugos­lawischen Insel und überlegten, was wir machen sollten. Wir haben damals ernsthaft erwogen, nach Italien zu segeln“, sagt er rückblickend. Sie entschieden dann aber doch, das Boot zurück in den Ausgangshafen zu bringen, wo das Auto stand, und heimzufahren.

Da die Lage sich nicht beruhigt, holt Burkhardt das Boot 1995 mit dem Trailer in Mali Losinj ab und bringt es an die Müritz. Bis 2013 ist es in der Kameruner Bucht zu Hause. Burkhardts Eltern nutzen es so intensiv wie einst Vater Penning und verbringen die gesamten Sommermonate an Bord.

Ulrich Burkhardt selber übernimmt das Boot 2014 und bringt es nach Berlin. Mit dem Fahrrad fährt der Ingenieur und Sachverständige für Bauwesen eine halbe Stunde vom Büro zu seiner „Wildente“. Er tut das, sooft er kann. „Für mich ist das hier perfekt, ich bin total flexibel. Wenn das Wetter schön ist, kann ich spontan an Bord.“

Dort fühlt er sich heute so wohl wie seinerzeit als Steppke. „Es ist alles noch im Originalzustand, so wie mein Großvater es gebaut hat“, sagt er und demonstriert Details, die sich nur ein Entwicklungsingenieur wie Kurt Penning ausgedacht haben kann. Die hohe Gräting und zwei große Lenzkästen etwa, eine Mimik, die ohne Schläuche und Ventile auskommt und bei der die Plicht immer sauber und trocken ist.

Auch beim Ausbau hat Penning sichtlich Freude am Detail gehabt. „Das Geschirr hat mein Großvater in Dänemark gekauft und dafür Fächer gebaut. Jede Tasse, jeder Teller hat einen eigenen Platz“, sagt Burkhardt begeistert. Und demonstriert, dass diese Liebe für Details sich nicht auf die Kombüsen­einrichtung beschränkt: Jeder noch so kleine Winkel im Inneren der „Wildente“ ist durch ein Schapptürchen zum funktionalen Stauraum ausgebaut.

Ebenso pfiffig wie die Einrichtung sind die zahlreichen Patente, die aus der „Wild­ente“ ein Boot machen, mit dem sich längere Distanzen zurücklegen lassen. Für den Antrieb etwa, Anfang der Sechziger beileibe keine Selbstverständlichkeit, ist eine schall­isolierte Achterpiek vorgesehen, in der ein Schacht den Außenborder aufnimmt und die reichlich Platz für Treibstofftanks bietet.

Boot ist Teil einer Lebensgeschichte

Ulrich Burkhardt lässt den Motor – er hat auf einen Elektroantrieb umgerüstet – am liebsten aus. Das kleine Boot ist wendig genug, um unter Segeln manövriert zu werden. Sowie ein wenig Wind aufkommt, läuft es mit dem von Penning vergrößerten Rigg – im Original waren lediglich zwölf Quadratmeter Segelfläche vorgesehen – sogar recht flott über die Havel. Von der Scharfen Lanke aus geht es in Richtung Schwanenwerder. Die „Wildente“ legt sich stabil auf den leewärtigen Knickspant, läuft unbeirrt geradeaus und pariert den Schwell der Motorboote ohne Fahrtverlust. Wer dann an der massiven Pinne sitzt, dem vermittelt der knuffige Taschenkreuzer tatsächlich das Gefühl, auf etwas Größerem unterwegs zu sein.

Und so genießt Eigner Burkhardt den Segeltag sichtlich, auch nach den vielen Jahren an Bord seiner „Wildente“ und trotz der Erfahrungen, die er als aktiver Regattasegler in so rasanten Gleitjollen wie dem 420er oder dem 505er oder auf den zwei Rümpfen eines Top-Cat gemacht hat.

Doch es steckt eben auch mehr dahinter, wenn ihm hier an Bord der Wind um die Nase weht. „Für mich ist das Boot ein Teil meiner Lebensgeschichte“, sagt Ulrich Burkhardt, schaut nachdenklich ins Segel und ergänzt: „Ich bin ja damit groß geworden.“


Technische Daten der “Wildente”

yacht/3478089-besboot-wildente-zeichnungen-2019-sre-mg-0608_e4f735d3bd0fdb482e763dfd92b8bb97Foto: YACHT/S. Reineke
  • Konstrukteur: Ernst Lehfeld
  • Baujahr: 1964–1970
  • Länge: 6,99 m
  • Breite: 2,48 m
  • Tiefgang: 0,85 m
  • Verdrängung: 1,5 t
  • Segelfläche: 12,0 m

Dieser Artikel erschien 2019 und wurde für diese Online-Version aktualisiert.

Meistgelesen in der Rubrik Yachten