“Exlex"Kleinstboot von Sven Yrvind mit innovativen Lösungen aus langjähriger Praxis

Lasse Johannsen

 · 26.10.2025

Trimmschlag vor Stockholm. Die Ruhe ist nicht gespielt – alles funktioniert.
Foto: YACHT/N. Krauss
Der schwedische Einhandsegler Sven Yrvind hält bis heute den Weltrekord  für die Kap-Hoorn-Rundung im kleinsten Boot. Auch im hohen Alter ist für den heute 86-Jährigen nicht Schluss mit Kleinbootprojekten.

So muss es sich in einem Sarg anfühlen. Mit geschlossenen Augen auf dem Rücken liegend, die Hände aus Platzmangel an der Hosennaht, ruft der Ort des Geschehens gleich mehrere Assoziationen hervor, die der Mensch als unangenehm empfindet. Allen voran die räumliche Enge in diesem wasserdicht verschlossenen Gefäß. Es heißt „Exlex“, ist eine gelbe Röhre, die auf dem Stockholmer Långholmskanalen schwimmt und im leicht bewegten Hafenwasser eben so schaukelt, dass das Kopfkino einen Film von der Fahrt zur eigenen Beerdigung produziert. Doch es wird unterbrochen. An Deck poltert ein Wirbelwind, Yrvind auf Schwedisch, in diesem Fall einer mit Vornamen: Sven.

Es ist ein prominenter Wirbelwind – weit über die Grenzen des Königreichs hinaus. Denn der 1939 als Sven Lundin geborene Extremsegler befährt das Meer schon seit über einem halben Jahrhundert mit Segelbooten, die so groß sind, dass man sie im Winter fast auf die Fensterbank stellen könnte. Sein Lebenslauf weist diverse Atlantiküberquerungen mit Mi­cro-Kreuzern auf. Yrvind hält seit 1976 den Welt­rekord für die Kap-Hoorn-Rundung im kleinsten Segelboot (5,90 Meter), und sein Konterfei ziert die „Hall of Fame for singlehanded Sailors“ des Museum of Yachting neben Größen wie Joshua Slocum, Bernard Moitessier oder Robin Knox-Johnston.

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„Ich will zeigen, dass man mit diesem Boot quasi überall hinsegeln kann“, erklärt er über “Exlex”; „es ist seetüchtiger als viele große Yachten.“ Um das unter Beweis zu stellen, löst er die Festmacher und stellt sich ans Heck, wo ein asymmetrischer Wrigg-Riemen nach japanischem Vorbild als Antrieb dient. Unter Brücken hindurch geht es aus der Abdeckung hinaus auf segelbares Wasser, wo die beiden Luggersegel gesetzt werden und „Exlex“ Fahrt aufnimmt.

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Zwischen den konventionellen Wasserfahrzeugen hier vor dem Stockholmer Rathaus wirkt das kastenförmige Gefährt tatsächlich wie ein Versuchsobjekt. Es ist 5,76 Meter lang, 1,04 Meter breit und soll, ausgerüstet für die Reise, 35 Zentimeter Tiefgang haben – bei aufgeholten Seitenschwertern. Der Rumpf besteht aus Epoxid-Sandwich- Laminat mit einem vier Zentimeter dicken Divinycell-Schaumkern, der das Boot isoliert und unsinkbar macht. Er ist so überdimensioniert, dass er allen im Südpolarmeer vorstellbaren Stürmen trotzen können soll.

Die dem Bau zugrundeliegende Philosophie ist simpel und fußt auf den Erfahrungen, die Sven Yrvind während kaum zu zählender Seemeilen in meist noch kleineren Booten gesammelt hat. Die einzigen Gesetze, denen beim Bau einer Hochseeyacht zu folgen sei, so seine Überzeugung, schreibe die Natur. Daher auch der Bootsname: „Exlex“ sei zu klein für eine CE-Zertifizierung nach Kategorie A, verfüge aber über weit wichtigere Eigenschaften, die in dieser Vorschrift gar nicht erwähnt werden – sie sollte vor allem selbstaufrichtend und absolut wasserdicht sein. Das hat Yrvind bereits in Kenterversuchen erprobt. Denn Sturm, so der Einhandsegler, sei auf dem Ozean ent­gegen dem Wortlaut der Sportbootrichtlinie kein „Ausnahmezustand“, sondern ganz normal. Da nütze ein hoher Stabilitätsindex nichts, wenn ein gekentertes Boot kieloben liegen bleibe.

In seinem Plädoyer für kleine Boote sieht sich der Tüftler durch Leonardo da Vincis Square-Cube-Regel unterstützt. Die besagt, dass das Gewicht eines Körpers bei dessen maßstabsgerechter Vergrößerung stärker zunimmt als alle anderen Faktoren; je kleiner das Boot, desto fester kann es gebaut werden. Schließlich sprächen auch die Gesetze der kinetischen Energie für sein Vor­haben. Schäden bei Kollisionen oder Grundberührungen hängen danach von Masse und Geschwindigkeit ab. „Segele ich mit meinem Boot – so, wie es gebaut ist – bei einer Tonne Gewicht mit drei Knoten Fahrt gegen einen driftenden Container, ist das kein Problem.“

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Ursprünglich hatte Sven Yrvind vor, seine Kleinbootphilosophie anhand eines noch extremeren Projekts zu demonstrieren. Gemeinsam mit einigen anderen Teilnehmern wollte er zu einer Regatta starten, die nonstop um die Welt führen sollte – in Booten von maximal zehn Fuß Länge, was drei Metern und fünf Zentimetern entspricht.

„Eines Tages bemerkte ich, wie mich das Projekt veränderte“, sagt Yrvind, weil er begann, nach Regellücken zu suchen, um die vorgegebene Länge von zehn Fuß auszudehnen. „Ich hatte eine Herausforderung angenommen, weil sie mir Probleme aufgab. Nun wurde es zur Schwierigkeit, bei ihrer Lösung ehrlich vor mir selbst zu bleiben. Und so gab ich schließlich das ganze Projekt auf.“

Auf der Suche nach einer neuen Herausforderung kehrt der Schwede zu seiner alten Idee vom Niedrigenergieboot zurück. Dabei geht es darum, die Rumpfgeschwindigkeit mit möglichst wenig Energieaufwand zu erreichen. Ein Langfahrtboot kommt dann mit erheblich weniger Segelfläche aus.

Auf dem Papier beschäftigt sich Yrvind intensiv mit dem Thema, ein ganzes Buchkapitel beschreibt seine Erkenntnisse. Die Ausführungen handeln von Bug- und Heckwelle, den resultierenden Bewegungen der Wassermoleküle, dem unterschiedlichen Einfluss der Schwerkraft auf diese Bewegung im Wellental und auf dem Berg. Sie handeln von theoretischen und praktischen Experimenten, mithilfe derer Yrvind schließlich herausfindet, wie er die Froude-Zahl – das Maß für das Verhältnis von Trägheitskräften zu Schwerekräften in einem hydrodynamischen System – bei seiner Konstruktion senken kann.

“Es gibt fast immer einfache Lösungen, wenn man herausgefunden hat, welche Prinzipien einem Problem zugrunde liegen“, erklärt Yrvind und dass die Menschen solch einfache Lösungen oft übersehen, weil sie sich an Konventionen halten. „Sie versuchen, bestehende Lösungen zu verbessern, anstatt neue zu erdenken.“ Auch er sei erst nach dem Versuch, das Drei-Meter-Boot für die Einhand- Nonstop-Weltumsegelung zu bauen, reif für die ebenso unkonventionelle Entwicklung seines Niedrigenergiebootes gewesen. Wenngleich das anfangs auch nur als Daysai­ler von gut vier Meter Länge geplant war – ein Modell. „Aber schnell kam der Gedanke in mir auf: Wenn ich es nur ein klein wenig länger und breiter mache, könnte ich es wirklich auf Langfahrt erproben.“

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Bei den Trimmschläge vor Stockholm weht es mäßig, das Boot kommt aber gut in Fahrt und reagiert zuverlässig aufs Ruder. Obwohl die Seiten­schwerter noch nicht an Bord sind, kann Yrvind sogar aufkreuzen. Der rüstige Senior bewegt sich, gesichert mit einer langen Lifeline, sicher auf dem schmalen Deck und hantiert mit den winzigen Segeln. Etwa ein Drittel der Fläche, die für ein Boot gleicher Abmessungen üblich wäre, soll für „Exlex“ auf ihrem Weg ans andere Ende der Welt ausreichen. Sie teilt sich in zwei mal zwei Quadratmeter vorbalancierte Luggersegel auf, die jeweils an einem unverstagten und umsteckbaren Mast aus Kohlefaserrohr stehen und reffbar sind. Diese lassen sich von unter Deck über Endlos-Schoten aus beiden Aufbauten bedienen. Es gibt einen Mastfuß achtern und zwei vorn, einen auf jeder Seite.

Da die Masten auf raumen Kursen und vor dem Wind vorn nebeneinander gefahren werden, kann ihre gesamte Fläche genutzt werden. „Dieser Segelplan kennt keine Patenthalsen und trägt zur Kursstabilität bei“, versichert ihr Erfinder. „Eine Selbststeuer­anlage ist überflüssig.“ Das nur zwei Meter hohe Rigg sei außerdem quasi wartungsfrei und so überdimensioniert, dass es auch bei Kenterungen nicht brechen könne. Die beiden Ruder können gegeneinander verstellt werden und wirken dann wie ein Treibanker. Sie können über Seile unter Deck aus jeder der wasserdichten Abteilungen bedient werden.

​Mit „Exlex“ segelte Sven Yrvind 2018 vom irischen Dingle nach Porto Santo. Unterwegs hat Yrvind bereits eine verbesserte Version konstruiert.

Technische Daten “Exlex”

  • Konstrukteur: Sven Yrvind
  • Gesamtlänge: 5,76 m
  • Breite: 1,04 m
  • Tiefgang: 0,35–0,95 m
  • Verdrängung: 0,8 t
  • Ballast: 0,2 t
  • Masthöhe: 2,00 m
  • Segelfläche: 4,0 m²

Kurzporträt Sven Yrvind​

Sven Yrvind
und sein Mikroboot Exlex


Redaktion: L. JohannsenFoto: YACHT/N. Krauss

​Nach einer Kindheit auf der Göteborger Schäreninsel Brännö erkundet der damals Sven Lundin heißende 23-jährige Schwede 1962 ein Jahr lang die Ostsee im umgebauten Fischerkahn und bekommt Lust auf mehr. 1968 segelt er mit der 4,25 Meter langen „Anna“ via Nord-Ostsee-Kanal nach England. Für weltweite Fahrt baut er schließlich einen zwölf Meter langen Stahl­dampfer zum Stagsegelschoner um, segelt damit bis nach Südamerika, wo er das Unternehmen mit der Erkenntnis beendet, dass große Boote nichts für ihn sind.

Zurück auf Brännö, beginnt er den Bau der formverleimten „Bris“, deren Größe von der Werkstatttür begrenzt wird und schließlich sechs Meter Länge und 1,72 Meter Breite beträgt. Das Boot bringt ihn sieben Mal über den Atlantik und abermals nach Südamerika, von wo aus er um das Kap Hoorn in die Südsee will. Letztendlich aber geht es zurück nach Schweden, das Boot steht heute im Museum of Yachting.

1976 nimmt Lundin, heute Yrvind, erneut Kurs auf Südamerika, in einem selbst gebauten, 5,90 Meter langen Aluminiumboot „Bris II“. Mit ihr gelingt die Rundung des Kap Hoorn mitten im Südwinter. Doch auch mit diesem Boot geht es nicht weiter in die Südsee, weil es zu schnell korrodiert. Es folgen diverse Abenteuer und Kleinbootprojekte. Mehr Informationen: www.yrvind.com

Das Porträt erschien erstmalig 2018 und wurde für diese Onlineversion überarbeitet.

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