“Stella”Selbstgebauter Pilot Cutter wandert zwischen den Welten

Nico Krauss

 · 20.04.2025

Der steile Steven und der ausgeprägte Deckssprung sind charakteristisch für den gelungen Selbstbau.
Foto: Nico Krauss
Die Interpretation eines englischen Pilot Cutters hat sich auf vielen Seemeilen bewährt und vereint das große Wissen und die Erfahrung aus 40 Jahren Bootsbaupraxis des Eigners.

Als Frank Rinow im Alter von sechs Jahren am Ufer der Ostsee saß und auf den Horizont blickte, wusste er ganz genau, was er einmal machen wollte: mit einem eigenen Segelboot hinaus aufs Meer – möglichst immer weiter, bis hinter den Horizont. Mit seinen Eltern und im eigenen Opti hatte er die maritime Welt schon früh kennen- und lieben gelernt – doch das reichte ihm nicht. Er wollte hinaus auf See, ganz weit weg und für eine lange Zeit.


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Heute ist Frank 65 Jahre alt, konnte seinen Horizont erheblich erweitern, ist viele Tausend Meilen gesegelt und hat neben zahlreichen Werftaufträgen drei eigene Yachten gebaut. „Segeln ist seit meiner Kindheit ein wichtiger Bestandteil meines Lebens. Und es waren schon immer Holzyachten, die ich mir erträumte“, erzählt der Bootsbauer. Diesen Traum zu verwirklichen wurde Franks Layline, der rote Faden in seinem Leben.

Eigner legt ersten Eigenbau auf Kiel

Da das Geld nicht in seinen Taschen klimperte, entschloss er sich nach dem Abitur, eine Bootsbaulehre zu absolvieren. Er fuhr kreuz und quer durch Schleswig-Holstein und unterschrieb schließlich in Tönning einen Lehrvertrag. Ab 1983 baute er auf der Kutter-werft Dawartz in Tönning traditionelle Arbeitsboote für die Fischerei aus Eiche – im Schweiße seines Angesichts und im Orkan eines unberechenbaren Chefs. Nach Abschluss der Ausbildung und einiger Gesellenjahre begann er 1990, seine erste eigene Yacht auf Kiel zu legen: „Stina“. In diesen Jahren arbeitete Frank auf der traditionsreichen Yacht- und Bootswerft Willy Stapelfeldt in Kappeln an der Schlei. Zeit für den Eigenbau blieb ihm nach Feierabend oder am Wochenende – in den Sommermonaten sogar ganztags, denn dann hatte die Werft lange Werksferien für den segelnden Chef und alle Mitarbeiter.

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Der Eigenbau „Stina“ war inspiriert von der klassischen Segelyacht „Stormy Weather“, einer 16 Meter langen Fahrten-und Regattayacht, 1933 entworfen vom Designbüro Sparkman & Stephens. Das in vielen Regatten erfolgreiche und bei sechs Atlantiküberquerungen auch auf der Hochsee bewährte Boot hatte Olin Stephens im Alter von nur 25 Jahren gezeichnet. In einer Scheune im Norden Hamburgs wuchs die selbst gezeichnete „Stina“ unter den Händen des fleißigen Bootsbauers stetig und nahm Gestalt an. Die 12,50 Meter lange Konstruktion wurde vollständig aus Kambala gefertigt, einem harten, tropischen Holz aus Afrika, und nach drei Jahren intensiver Bauzeit war die Yacht schließlich vollendet.

„Zusammen mit meiner Frau Stine erlebten wir viele herrliche Törns auf der Ostsee, Nordsee, dem Mittelmeer und bis in die Karibik“, erzählt zufrieden zurückblickend der Bootsbauer.

»Segeln ist seit meiner Kindheit ein wichtiger Bestandteil meines Lebens. Es waren immer Holzyachten, die ich mir erträumte.«

Die Idee zu “Stella” reift

Die Zeit in milden Gefilden führte zu der Idee, ein zusätzliches Boot zu bauen und für das Winterhalbjahr nach Mallorca zu legen. Das nötige Geld für die Materialkosten sollte durch den Verkauf eines Folkebootes zusammenkommen, das der ambitionierte Bootsbauer 2001 auf Kiel legte. Im Verlauf seiner Meisterprüfung baute er ein makelloses Nordisches Folkeboot – geplankt mit Lärche und gebaut auf Eiche.

Der nächste Neubau sollte den Anforderungen des Mittelmeerreviers Rechnung tragen: Länge unter zehn Meter, um Liegeplatzgebühren zu sparen, mit gutem Handling für eine kleine Crew und sicherem Segelverhalten auch bei viel Wind. Dabei sollte die neue Yacht traditionell gebaut sein und mit möglichst wenig technischer Ausstattung auskommen.

Durch die Leidenschaft fürs Segeln und den Willen eigene Boote zu bauen, hatte Frank bereits einige Yachten aufs Wasser gebracht, und so wurde auch aus dieser Vision tatsächlich hölzerne Realität: „Stella“ wurde auf Kiel gelegt, im Garten des Bootsbaumeisters in einem Vorort von Hamburg. Ein Folienzelt diente als Halle, die Werkstatt war in der Doppelgarage untergebracht. „Die Finanzierung fiel nicht vom Himmel. Doch wie geplant konnte der Verkauf meines Meisterstücks den Neubau des nächsten Bootes mitfinanzieren,“ erklärt Frank.

Als Vorbild für seine neue Konstruktion hatte Frank diesmal englische Arbeitsboote im Sinn – insbesondere Pilot Cutter und Falmouth Oyster Cutter. Die Pilot Cutter im Ärmelkanal entwickelten sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts. Diese seetüchtigen, schnellen und gut zu handhabenden Boote konnten auch von einer kleinen Crew gefahren werden. Denn sobald der Lotse umgestiegen war, mussten zwei Mann das Schiff zurücksegeln – im Sommer wie im Winter. Das war hartes Brot. „Dagegen sind die Falmouth Oyster Cutter eher Bonsai-Versionen der Lotsenkutter.

Gemeinsam haben sie jedoch den steilen Steven, das ausfallende Heck, einen kräftigen Deckssprung und natürlich das Gaffelrigg“, erklärt Frank, der sich akribisch in die Historie eingelesen und für seinen Neubau gründlich recherchiert hat.

Beinahe-Panne beim Bau

Für seine geplante Zehnmeteryacht übernahm er einige optische und konstruktive Elemente dieser Schiffstypen, besonders sichtbar am geraden Bug, dem stark positiven Heck und dem Langkiel. „Der S-Spant und ein gemäßigter Langkiel sorgen für ein gutmütiges Seeverhalten und gute Manövrierbarkeit“, so Frank, der den Neubau nach den Standards des Germanischen Lloyds konstruierte.

Das Holz besorgte sich der Bootsbauprofi als ganzen Stamm und sägte diesen selbst auf. Der Rumpf wurde traditionell geplankt mit 28 Millimeter starkem Sapelli-Mahagoni auf lamellierten Spanten aus demselben Holz. Der Vorsteven wurde aus Sipo-Vollholz gefertigt und der gesamte Rumpf schließlich unterhalb der Wasserlinie mit Glasfasergewebe und Epoxid beschichtet. Für das Deck wählte der Bootsbauer acht Millimeter dickes Teak auf zwölf Millimeter Sperrholz.

»Wir haben zwar keine Kinder, aber die Gefühle bei einer Geburt stelle ich mir ein bisschen so vor wie beim Stapellauf.«

Die Schotten bestehen aus Marinesperrholz. Die Verkleidung mit Paneelen aus Holz verschönert die strukturellen Einheiten unter Deck. „Im Grunde gab es keine bösen Überraschungen“, resümiert Frank die Bauphase. „Die Highlights für einen Bootsbauer sind meistens am Abend – wenn ich etwas Schönes gebaut hatte und noch einmal darauf geschaut habe. Das ist es, was diesen Beruf ausmacht.“

Einzig bei der Herstellung des Kiels erlebte Frank dann doch einen Schreckmoment: Nachdem er das Gussmodell für den Ballastkiel in der dänischen Gießerei in Svendborg abgegeben hatte, überprüfte er zu Hause seine Volumenrechnung – und stellte fest, dass er sich verrechnet hatte. Der Kiel wäre einige Hundert Kilo zu schwer geworden! Hektisch fuhr er zurück nach Svendborg, um das Modell zu ändern – mit Erfolg.

Der Holzkiel wurde aus 2 mal 65 Millimeter dickem Holz verleimt und mit 14 Edelstahlbolzen (V4A) auf den Ballastkiel gebolzt. Die 3,3 Tonnen Gewicht des externen Bleiballastkiels entsprechen 43 Prozent des Gesamtgewichts, ein sehr hoher Anteil, der für eine große Stabilität steht.

Rund 7.000 Baustunden und sechs Jahre Bauzeit

In der Nachbarschaft erregte seine kleine Privatwerft Aufsehen. Schließlich kam es nun häufiger zu Anlieferungen von Holz und Material, zudem drangen laute Maschinengeräusche aus dem dünnen Folienzelt. Die Neugier der Nachbarn konnte der Bootsbauer mit Besichtigungen an der Baustelle und Geschichten vom Segeln stillen.

Frank nahm sich für den Bau von „Stella“ sehr viel Zeit, schließlich hatte er noch einen Job auf der Werft und mit der „Stina“ ein Fahrtenboot im Hafen, das regelmäßig bewegt werden wollte. „Dieser Lebensstil und meine Bootsbauprojekte wurden von meiner Frau Stine unterstützt. Wenn ich im Sommer Boote gebaut habe, hat sie gearbeitet und Geld verdient. Und alle Törns haben wir zusammen gemacht,“ erklärt Frank das Konzept des Duos.

Nach rund 7.000 Baustunden und sechs Jahren Bauzeit war es endlich so weit: „Stella“ wurde mit einem Kran aus dem Folienzelt gehievt und schwebte hoch über dem Apfelbaum im Garten, bevor sie sicher auf einem Trailer an der Straße abgesetzt wurde – über Asphalt nach Kappeln an der Schlei. „Ich konnte es kaum glauben, es war geschafft!“, erinnert sich Frank. Beim Stapellauf pumpte viel Adrenalin durch seine Adern, obwohl er solche Momente schon kannte: „Wir haben zwar keine Kinder, aber die Gefühle bei einer Geburt stelle ich mir ein bisschen so vor wie beim Stapellauf – wenn das Schiff ins Wasser rauscht und zum ersten Mal schwimmt. Und dann noch genau auf der Wasserlinie! Das ist schon sehr emotional“, erzählt Frank.

40 Jahre Berufserfahrung münden in “Stella”

Die ersten Tests und Probeschläge bestätigten: Gut berechnet, perfekt ausgeführt und auch optisch gelungen – die Arbeit hatte sich gelohnt. Das gut balancierte Ruder vermittelt angenehmen Ruderdruck, das Boot segelt stabil und sicher. „Mir fiel ein Stein vom Herzen. Doch nach 40 Jahren Berufserfahrung sollte man ja auch wissen, wie es geht“, schmunzelt Frank.

Wieder einmal hatte der passionierte Bootsbauer bewiesen, wie man aus einer Vision ein klares Ziel formuliert und es so umsetzt, dass am Ende eine Yacht wie „Stella“ vom Stapel läuft – „die mit minimaler Crew auch bei schwierigen Bedingungen maximal fahrtentauglich ist“, wie ihr Erbauer es beschreibt.

Neben dem selbst gezeichneten Riss für den Rumpf widmete Frank sich auch dem Segelplan. Das Setzen und Bergen aller Segel sollte einfach, die Technik unkompliziert und das Reffen sowie Ausreffen schnell möglich sein. Deshalb entschied er sich gegen das für Pilot Cutter typische Gaffelrigg, bei dem viele Kilogramm Material am Mast hängen und bewegt werden müssen. Stattdessen fiel die Wahl auf ein Dreiviertel-Bermuda-Rigg, kuttergetakelt mit zwei Vorsegeln: Der Klüver wird an einer Rollanlage, die Fock an Stagreitern gefahren. So kommt „Stella“ am Wind auf eine Segelfläche von 75 Quadratmetern. Der Bugspriet kann nach innen auf das Deck gezogen werden, um die Gesamtlänge der Yacht im Hafen zu reduzieren.

Die Segel sind aus Hydranet-Tuch im Radialschnitt gefertigt. Das gesamte laufende Gut besteht aus reckarmem Dyneema, während das stehende Gut aus rostfreiem Stahl gefertigt ist – mit zehn Millimeter starken Wanten und acht Millimeter für Achterstag und Vorstag. Die Backstagen laufen über 2:1-Taljen mit Hebelklemmen und werden über Winschen auf dem Achterdeck gespannt. Für die Arbeit mit Schoten und Fallen kommen robuste chromblitzende Andersen-Winschen der veritablen Größen 40 und 46 zum Einsatz.

Mix aus traditionellen und modernen Materialien

Der Mast der „Stella“ ist ein traditioneller, hohler Spruce-Holzmast mit verringerter Wandstärke zur Gewichtsersparnis, den Frank selbst auf der Werft gebaut hat. Im Inneren wurde er mit Kohlefaser- Unidirektionalgelege laminiert – eine spezielle Faserverbundschicht, die alle Stränge parallel und homogen verteilt. Besonders für auf Biegung belastete Bauteile wie einen Mast bringe dies große Vorteile, so Frank.

Der Mix aus traditionellen und modernen Materialien zeigt sich auch im Aufbau: Das Kajütdach aus Sperrholz ist mit einer Glasmatte beschichtet, die Seiten des Aufbaus sind aus Sapelli gefertigt, und die seitlichen Fensterrahmen bestehen aus Bronze. Auf dem Dach befindet sich – ganz klassisch – ein großes Skylight, das für viel Licht und gute Belüftung im Salon sorgt. Auf dem Vorschiff steht eine manuelle Ankerwinde, am Heck ist eine Windfahne als Autopilot montiert. „Das Boot ist als langlebiges Langfahrtschiff konzipiert. Die technischen Hilfsmittel sind auf das Notwendige reduziert und so ausgeführt, dass sie möglichst manuell bedienbar, robust und pflegeleicht sind“, erklärt Frank.

Das Konzept der Langlebigkeit und der bewusste Verzicht auf energieintensive und störanfällige Verbraucher setzt sich auch unter Deck konsequent fort. Einen Kühlschrank gibt es nicht, geheizt wird mit einem Dieselverdampfer von Refleks, der am vorderen Schott befestigt ist. In der Pantry versieht ein traditioneller Petroleumkocher von Taylor’s aus England zuverlässig seinen Dienst.

”Stella” bewährt sich als ideales Fahrtenschiff

An Bord herrscht eine urig-gemütliche Atmosphäre – die liebevoll gefertigten Holzarbeiten und das warme Licht im Salon lassen den Bordbesuch zu einer Zeitreise ins vergangene Segeljahrhundert werden. Der Kartentisch und Navigationsbereich an Steuerbord hat dieselben Dimensionen wie die gegenüberliegende Pantry mit Kocher und Spüle, dahinter erstreckt sich der geräumige Salon mit Bänken und einem Klapptisch; die Stehhöhe beträgt 1,85 Meter.

Im Vorschiff befinden sich neben der Doppelkoje im Bug eine Toilette und Waschbecken. Der Innenausbau und die Decksbalken bestehen aus Sipo-Mahagoni, dessen Kernholz sich durch warme rotbraune Färbung auszeichnet. Vier Personen finden an Bord bequem Platz – in der Doppelkoje im Vorschiff sowie auf den Salonbänken. Reichlich Stauraum im gesamten Boot ermöglicht viele Seemeilen ohne Landgang. „Auf langen Törns zwischen Norwegen und dem Mittelmeer und unter allen Wetterbedingungen konnte sich ‚Stella‘ als ideales Fahrtenschiff beweisen“, resümiert das Eignerpaar, das oft monatelang an Bord lebte.

Drei eigene Yachten hat Bootsbauer Frank bisher erdacht, gezeichnet, eigenhändig gebaut und gesegelt. Zudem war er bei mehr als zwölf Werftaufträgen ein wichtiger Teil des Teams. In „Stella“, seinem letzten Werk, vereinen sich alle Erfahrungen, Fähigkeiten und Kenntnisse seiner vielen Arbeitsjahre im Holzbootsbau. Den Hobel möchte er noch nicht ganz aus der Hand legen – auch wenn kein weiteres Boot mehr vom Stapel laufen soll. Schade eigentlich.

Die selbst gebauten Vorgängerinnen der „Stella“

Die 12,50 Meter lange „Stina“ fertigte Frank nach dem Vorbild der legendären „Stormy Weather“ der Designer Sparkman & Stephens in drei Jahren aus Kambala-Holz.
Foto: Frank Rinow

Technische Daten der “Stella”

Auf eine Gaffeltakelung hat Frank wegen des Zusatzgewichtes verzichtet.Foto: Nico KraussAuf eine Gaffeltakelung hat Frank wegen des Zusatzgewichtes verzichtet.
  • Baujahr: 2009–2015
  • Rumpflänge: 10,30 m
  • Gesamtlänge: 13,00 m
  • Breite: 3,00 m
  • Tiefgang: 1,80 m
  • Gewicht: 7,5 t
  • Segelfläche am Wind: 75,0 m²

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