ReportageTraineeprogramm macht die „Alexander von Humboldt II“ zum Großsegler für jedermann

YACHT-Redaktion

 · 18.10.2025

Matrosen mit Weitblick: Lilly, Patrick und Sören (von links) im Rigg der „Alex“.
Foto: Philipp Steiner
An seinen grünen Segeln ist das Schulschiff „Alexander von Humboldt II“ schon von Weitem zu erkennen. An Bord der modernen Bark wachsen erfahrene Seeleute und zahlende Trainees während eines jeden Törns aufs Neue zu einer einzigartigen Crew zusammen.

​Text von Phillipp Steiner

Ende Juni 2025, Start einer sechstägigen Reise von Kiel ins Kattegat. An Bord des Segelschulschiffes „Alexander von Humboldt II“ sind eine rund 25-köpfige Stammcrew sowie 45 Gäste mit und ohne Segelerfahrung als Trainees. Der Stamm arbeitet ehrenamtlich, die Trainees haben jeweils rund 900 Euro bezahlt, für die Jüngeren unter ihnen war es günstiger. Eine Kreuzfahrt haben sie nicht gebucht. Erwartet wird, dass jede mit anpackt. Die ganze Mannschaft macht sich die Hände schmutzig, mancher trägt Blasen oder schmerzende Glieder davon – und tolle Erinnerungen.


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Los geht es am Kieler Sartorikai. Nach der Anmeldung können die Trainees sich gegenseitig und den Großsegler beschnuppern. Die „Alexander von Humboldt II“, IMO 9618446, Rufzeichen DDKK2, ist eine stählerne Bark von 65,05 Metern Länge über alles und 10,05 Metern Breite bei 4,80 bis maximal 5,10 Meter Tiefgang. Ihre maximale Höhe über Wasser beträgt 39,50 Meter, der Heimathafen ist Bremerhaven.

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“Alexander von Humboldt” hat typisches Barkrigg

Der Vorgänger „Alexander von Humboldt“ wurde durch die Werbefilme für Beck’s-Bier bekannt, wo sie zu dem dem Song „Sail Away“ mit ihren grünen Segeln durch das Bild läuft. Auch die „Alex-2“ trägt die charakteristischen grünen Segel, 24 Stück sind es mit 1.360 Quadratmetern Fläche. Je fünf Rahsegel an Fockmast und Großmast, ein geteiltes Besan- und das Besantoppsegel am Besanmast sowie elf über die Masten verteilte Stagsegel. „Die ‚Alex‘ hat ein typisches Barkrigg, angelehnt an den modernen Stand von vor 100 Jahren, der so heute noch State of the Art bei traditionellen Riggs ist“, erklärt Kapitän Conrad Schepers.

Die Innenausstattung ähnelt eher einer Jugendherberge als einem Hotel. In der Vier-Bett-Kammer (eine Zwei-Bett-Kammer gibt es gegen Aufpreis) hat jeder Gast eine Koje und einen Spind. Komfort fehlt, das Bad reicht gerade zum Umdrehen, es gibt zusätzlich Gemeinschaftsduschen.

Die Trainees bilden eine bunte Mischung. Es sind Frauen und Männer aller Generationen, in der Mehrzahl jedoch reiferen Alters. Der Jüngste wird auf der Reise seinen 16. Geburtstag feiern, der Älteste ist 80. Sie kommen von überallher. Etwa aus Schleswig-Holstein und dem Ruhrgebiet, Süd- und Ostdeutschland, Dänemark und der Schweiz.

Trainees sind bunt gemischt

Da ist beispielsweise Irmgard, Ärztin aus Sachsen. Sie ist zum achten Mal auf dem Schiff und hat diesmal Mann und Sohn mitgenommen. Sie erscheint an Deck gern mit Sonnenhut und ist auch sonst funktional gekleidet wie die anderen. Viele tragen Wanderschuhe oder andere stabile Schuhe, am besten mit Absatz, der im Rigg Halt gibt.

Zum zweiten Mal ist Otto dabei, der 66-jährige Elmshorner war mit der „Alex“ zuvor auf den Kanaren. Für Maschinenbautechnikerin Ruth ist es eine Premiere, ebenso für Walter, der aus Dänemark stammt und in Polen wohnt. Ulf aus Dinslaken, Ingenieur in der Chemieindustrie, ist vor Jahrzehnten als Student auf der ersten „Alexander von Humboldt“ gesegelt. Damals hat er die Prüfung zum Leichtmatrosen abgelegt. Jetzt, wieder als Trainee, will er gucken, wie es auf dem neuen Schiff ist.

Es wird ein Drei-Wachen-System gefahren. Jeder Trainee ist von 8 bis 12 Uhr, 12 bis 16 Uhr oder 16 bis 20 Uhr eingeteilt und erneut von 20 bis 0 Uhr, 0 bis 4 Uhr oder 4 bis 8 Uhr. Die abziehende Wache weckt die aufziehende. Auf dem Gang klirrt es leise, wenn die Klettergurte über die Kleidung gezogen werden. Die Gurte sind Pflicht, falls ins Rigg geklettert wird, wobei das Klettern für Trainees freiwillig ist. Wer will, isst vor der Wache oder holt sich frischen Kaffee. Der Wachwechsel findet auf dem Poopdeck statt. Lauthals wünscht dort die abgelöste Wache der neuen „Gode Wach!“, und die revanchiert sich mit der Antwort: „Gode Ruh!“

Stammcrew besteht aus Profis mit den nötigen Patenten

In jeder Wache gibt es einen verantwortlichen Steuermann und einen Toppsmatrosen, der an Deck das Sagen hat. Einer ist Patrick. Er studiert in Elsfleth Nautik. Der 25-Jährige mit dem dunklen Vollbart teilt die Aufgaben ein. Ein Trainee geht für eine halbe Stunde auf der Back Ausguck. Sichtet er Schiffe, Treibgut oder Ähnliches, meldet er es dem Steuermann.

Der Rudergänger steuert den Kompasskurs oder legt das Ruder mit Blick auf den Ruderlagenanzeiger in die gewünschte Lage. Alle Übrigen fahren die Manöver, sofern sie nicht als „Backschafter“ Tische decken, Geschirr spülen oder Toiletten putzen müssen.

»Hier stellen wir uns mit zehn Leuten an die Tampen, und dann wird geschrien: ›Hol weg! Hol weg!‹, und das macht man vier, fünf Tage lang.«

Die Stammcrew besteht aus Profis mit den nötigen Patenten. An der Spitze Conrad, der Kapitän. Das Hemd mit den vier goldenen Streifen trägt der 37-Jährige zur Begrüßung und am Abschiedsabend – ansonsten ist er wie die anderen praktisch gekleidet und wird wie sie geduzt.

Auch Erster Offizier und leitende Ingenieurin benötigen Befähigungszeugnisse aus der Berufsschifffahrt, wie Conrad erläutert. Darüber hinaus müssten die Mitglieder der Stammcrew Sicherheitsgrundlehrgänge gemäß STCW absolvieren und regelmäßig für seediensttauglich erklärt werden. Wer zum Stamm stoßen möchte, muss in der Regel Fahrzeiten als Trainee vorweisen und eine Prüfung ablegen. Zur Stammcrew zählen bei diesem Törn weitere Steuerleute, ein Arzt, ein Koch, ein Kochsmaat – und die Matrosen. Das sind aber keine Berufsseeleute. Leichtmatrosin Lina etwa ist Nachhaltigkeitsmanagerin einer Kommune. Auf der „Alex-2“ findet die 30-Jährige Abwechslung vom Bürojob.

Schön – und schön anstrengend

Die Stammcrew fährt einen Teil der Manöver, wie An- und Ablegen, allein. Ansonsten leiten sie die Trainees an und greifen selbst mit ein. Konkret sieht das etwa so aus, dass Patrick seine Wache hinterm Kartenhaus versammelt. Unterstützt von Matrose Sören und den Leichtmatrosen Lilly und David malt er das Rigg auf, erklärt, welches Segel gesetzt oder geborgen wird, welche Tampen zu holen oder fieren sind. Dann erschallen Kommandos wie: „An die Großobermars!“, „An die Schoten, klar bei Geitau und Gordinge!“, „Schot vor die Großobermars, fier Geitau und Gordinge, hol die Schot an Backbord!“ Patrick lässt sie in lautem Singsang ertönen. Das sei traditionell und schone die Stimme, verrät der Mann, der seine Wache mit lustigen Ansprachen, Pausen und Gummibärchen motiviert.

Ein Manöver wird Patrick von diesem Törn besonders in Erinnerung bleiben: eine Halse in dunkler Nacht. Beim Brassen hätten die Leute so gut zusammengearbeitet, dass „die Rahen perfekt parallel, smooth ohne Rucken, ohne Stocken einfach rübergedreht sind“ – „das war richtig schön“.

Schön – und schön anstrengend. Manöver sind immer wieder ein Knochenjob. Man kann es dem einen oder der anderen am Gesicht ablesen, wenn sie einen Tampen holt und der sich nur zentimeterweise bewegt. „Viel mehr Arbeit“ sei das Segeln auf der „Alex“ verglichen mit Segeln im eigenen Boot, urteilt Otto, der Elmshorner. Er besitzt eine Albin Vega, Baujahr 1979, mit der er auf der Ostsee fährt. Auf der „Alex“ seien die Segel auch anders zu bedienen, „viel mehr Blöcke und Wanten hier“. Ähnlich sei, dass es hier wie dort in der Regel einen Rudergänger, einen Ausguck und einen gebe, „der den Hut aufhat“.

Grenzen erreichen und erweitern

Auch andere Trainees haben eigene Boote. Etwa Frederik aus Dänemark, der 80-jährige Vater von Walter. Mit seiner Luffe 37 von 2004 ist er nach dem Törn auf der „Alex“ wieder unterwegs. Connie segelt sonst mit ihrem Mann im Mittelmeer. Ihre 40 Fuß große Hallberg-Rassy, Baujahr 2008, liegt in Valencia. Auf der „Alex“ lernt Connie ihre Grenzen kennen. Sie habe sich vorher vorgestellt, sofort das Rigg hochzuklettern und an den Segeln zu arbeiten. „Gekommen bin ich so die ersten zehn Meter, und dann fand ich das recht hoch und bin wieder zurückgeklettert.“

Die körperliche Arbeit findet sie hart. Ihr eigenes Boot besitze eine elektrische Winde. „Und hier stellen wir uns mit zehn Leuten an die Tampen, und dann wird geschrien: ‚Hol weg! Hol weg!‘, und das macht man vier, fünf Tage lang. Und ich habe jetzt verspannte Schultern und schmerzende Oberarme.“ Trotzdem: „Ich möchte das unbedingt noch mal machen.“

Auch Conrad ist am Ende zufrieden. „Die Leute sind wahnsinnig schnell zusammengewachsen“, resümiert der Kapitän. Schließlich fange man auf jedem Törn bei null an. „Diese Besatzung ist so noch nie gefahren und wird so auch nie wieder fahren.“

Im Kattegat austoben

Auf dieser Reise schrieb die „Alex-2“ 466 Seemeilen ins Kielwasser. Von Kiel unter Maschine durch den Großen Belt und hoch ins Kattegat. Dort wurde gesegelt, bis wieder Flaute einsetzte. Die „Alex“ ging vor dem dänischen Örtchen Hou vor Anker. Wer wollte, wurde im Boot an Land geschippert oder sprang vom Schiff zum Schwimmen ins Meer.

Am nächsten Tag herrscht Windstärke sechs bis sieben. Die Segel werden gesetzt und die „Alex-2“ kann sich einen Tag im Kattegat austoben, wie Conrad es ausdrückt. Das Schiff erreicht mit Wind raumschots fast zehn Knoten Fahrt über Grund in der Spitze, stampft und rollt. Nebenwirkung: Beim Wachwechsel lichten sich die Reihen – nicht wenige sind seekrank.

Ruhiger geht es zurück durch den Belt Richtung Kiel. Am letzten Abend, am Eingang der Förde erneut vor Anker, läuft die einfache, aber gute Küche beim Captain’s Dinner zur Hochform auf. Den Hauptgang bilden Rinderfilet mit Rosmarinkartoffeln, Blumenkohl und Brokkoli. Anschließend wird an Deck gefeiert.

Am nächsten Tag Aufklaren und Einlaufen in Kiel, wobei die „Gorch Fock“ passiert wird. Als die „Gorch Fock“ längere Zeit außer Gefecht war, hat die Deutsche Marine übrigens eine zivile Bark zur Ausbildung genutzt. Die kam aus Bremerhaven und ist an ihren grünen Segeln von Weitem erkennbar.

Mitsegeln auf der „Alex-2“

Eigentümerin des Segelschulschiffes „Alexander von Humboldt II“ ist die Deutsche Stiftung Sail Training. Deren Stiftungszweck ist es, „allen geeigneten und interessierten Personen Gelegenheit zu geben, unter fachkundiger Leitung Hochseesegeln im Rahmen traditioneller Seemannschaft auf Traditionsschiffen zu betreiben“. Die Hauptzielgruppe sind Jugendliche, grundsätzlich kann aber jeder ab dem 14. Lebensjahr mitsegeln. Der Törnplan mit Preisen und Terminen für 2026 soll Mitte Oktober erscheinen. Mehr Informationen: www.alex-2.de

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