Es gibt diese gar nicht so häufig anzutreffenden Eignerpaare, da spürt man schnell: Die ziehen an einem Strang, die bringt nichts so schnell aus der Ruhe, die ticken ähnlich. Nicole und Andreas Schipper bilden so eines. Dass man mit so einem Nachnamen Eigner sein muss, ist ja irgendwie sowieso klar, aber wer den beiden beim ersten Treffen an Bord eine Weile zuhört, in die strahlenden Augen schaut, wenn sie von ihrer „Najaden“ erzählen, merkt: Die brennen so richtig für ihr Boot. Wenn beide die Lacke, Arbeitsgänge, Hölzer oder was auch immer wie aus der Pistole geschossen benennen können, dann ist das dicht dran am gemeinsamen Seglerparadies. Keine Diskussionen um aufwendige Winterarbeit, teure Anschaffungen oder gar zu viele Segelwochenenden im Sommer. Nicole fügt mit einem Lächeln dazu: „Wir wechseln uns beim Lackieren der einzelnen Flächen bei jedem Gang immer ab, dann weiß nachher keiner mehr so richtig, wer es war, falls mal eine Ecke nicht perfekt wird.“ Da muss man erst mal drauf kommen.
Dabei schien der Weg zu einem klassischen schwedischen Spitzgatter, einem 12-Meter-Havkryssare, dem skandinavischen Gegenstück etwa zu einem deutschen Seekreuzer, gar nicht so geradlinig für das Paar vorbestimmt. Kennengelernt haben sie sich vor 16 Jahren bei einem Chartertörn nach Helgoland nämlich auf einem schnöden GFK Schiff aus der Großserie.
Und doch liegt da nun die wunderschöne klassische Fahrtenyacht im Hafen von Maasholm, denn das waren die Seekreuzer oder schwedisch „Havskryssare“ ausdrücklich. Sie wurden zur „Kreuzfahrt“ benutzt, als der Begriff noch nicht von den schwimmenden Bettenburgen belegt war. Kreuzfahrt war damals gleichzusetzen mit unserem Fahrtensegeln. Keine spartanische Vermessungs- oder Regattaklasse. Genug Platz unter Deck für eine Familie. Vernünftige Pantry und Stauraum. Und doch reduziert. Der winzige Kajütaufbau mit breiten Laufdecks verrät: Hier hatte jemand ein Auge für schöne Linien.
„Gezeichnet hat sie der Schwede Åke Améen 1948“, erzählt Andreas Schipper an Bord. Es war ein Auftrag für einen schwedischen Großhändler. Gebaut wurde es auf der Rosättra-Werft bei Stockholm, die es heute noch gibt und die die Linjett-GFK-Yachten baut, immer noch für außergewöhnliche Qualität bekannt. In Deutschland sei der Designer des Schiffes nicht vielen ein Begriff, in Schweden dagegen sehr bekannt für seine Yachten. „Wir wurden sogar schon deshalb von Schweden auf unser Schiff im Hafen angesprochen.“
Es war damals ein bisschen wie heute: Die Konstrukteure, die das Silber auf den Regattabahnen einfuhren, wie sein Zeitgenosse Knud Reimers, kamen in die Schlagzeilen, erhielten viel Aufmerksamkeit. Den fahrtenorientierten Konstrukteuren wurde weniger Scheinwerferlicht zuteil. Doch ihre Boote waren dennoch nicht minder gelungen oder schön. Améens Schiffe galten als elegante, qualitativ hochwertige Boote in Schweden. Und die Slup mit dem hübschen Kanuheck ist ein bildschönes Exemplar. Mehr als 500 Dokumente wie Risse, Detailzeichnungen oder Segelpläne des Designers verwahrt das Schwedische Seefahrtsmuseum bis heute, darunter finden sich auch Varianten der „Najaden“ als Yawl oder mit Yachtheck.
Am Steg liegt jedenfalls ein Schmuckstück: Die Teak-Aufbauten leuchten golden lackiert in der Sonne, der schöne Deckssprung verleiht dem weißen Rumpf Eleganz, das neue Holzdeck sieht makellos aus. Bronze-Winschen und Beschläge, manuell zu bedienende Ankerwinsch, keine Rollanlage, Seereling, aber kein Bug- und Heckkorb. Schlicht und doch elegant.
Aber genau so wollten es die beiden, wie sie unisono erklären. „Uns ist wichtig, dass ‚Najaden‘, benannt nach einer nordischen Göttin der Gewässer und Fluten, dicht an dem von Améen entworfenen Original bleibt. Deshalb gefiel es uns gut, dass es nicht so stark von den Voreignern ‚modernisiert‘ war, also keine Sprayhood, Rollsegel und Ähnliches nachgerüstet worden war. Stattdessen reffbare Vorsegel an Stagreitern. Und dazu gehörte auch, dass ein Bug- und Heckkorb montiert war, der im Riss nicht vorgesehen ist. Deshalb haben wir die wieder abgebaut.“ Sechsmal wechselte das Schiff den Besitzer, ging einmal auch nach Norwegen. Der berühmteste war wohl der Opernsänger und spätere Direktor der Königlichen Oper in Stockholm Set Svanholm. Aber wie kamen die Schippers zu so einem wunderschönen und besonderen Exemplar?
„Ich hatte vor vielen Jahren zwar ein hölzernes Folkeboot, aber als wir uns kennenlernten, war ich auf GFK-Booten in Charter oder bei Regatten auf den Yachten befreundeter Eigner unterwegs“, erzählt Andreas. Der gebürtige Oldenburger schwärmt von den Nordsee-Regatten, den Helgoland-Fahrten, den Touren mit einer Optima 85. Vom Urlaub auf der Ostsee, damit die Familie länger ausschlafen kann und nicht immer vom gnadenlosen Tidenkalender aus der Koje getrieben wird. All das hat seine seglerische DNA geprägt und auch seine berufliche. Der Glasermeister hat sich vor Jahren auf alle Glas-Lösungen rund um Megayachten spezialisiert, arbeitet mit Branchengrößen wie Lürssen zusammen.
Als die beiden sich 2012 kennenlernen, beschränkt sich Nicoles Segel-Erfahrung auf Jollensegeln auf der Hamburger Alster in der Uni-Segelgruppe während ihres Marketing-Studiums. „Mein erster richtiger Törn mit einer Yacht ging dann mit Andreas nach Helgoland. Wir hatten perfektes Wetter, die Insel gefiel mir, alles passte.“ Kein Jahr später spielen die beiden dann mit dem Gedanken ein eigenes Boot zu kaufen.
»Uns war wichtig, dass es segelklar ist. Wir wollten kein Komplett-Refit, bei dem das Boot erst mal auseinandergerissen wird.«
Das Budget von 25.000 Euro setzte enge Grenzen, also suchten sie nicht nur in Deutschland, sondern auch in Skandinavien. Dabei waren sie ergebnisoffen, es hätte genauso gut eine Stahl- oder GFK-Yacht werden können. Und dann lief ihnen die „Najaden“ über den Weg. Ganz unromantisch im Internet, wie meist heutzutage. Aber die Fotos machten die beiden neugierig.
„Wir sind mit dem Auto im September nach Stockholm gefahren und ‚Najaden‘ hat uns auf Anhieb begeistert“, sagen beide. Schön lackierte Teak-Aufbauten, ein solider Mahagoni-Rumpf, in den Andreas wo immer möglich mit Messer oder Schraubendreher stach, um das Holz zu prüfen. Die harmonischen Spitzgatter-Linien. Man merkte auch, die sechs Voreigner haben das Boot sichtbar gut gepflegt, es gab keinen dramatischen Reparaturstau wie so oft bei Holzbooten mit öfter wechselnden Besitzern. Läuft da ein teurerer Schaden auf, werden die nämlich manchmal schnell weitergereicht wie die sprichwörtliche heiße Kartoffel. Nicht so „Najaden“.
Der letzte Eigner macht zudem einen vertrauenswürdigen Eindruck, sagt ganz offen, dass es am Bug eine Schwachstelle gibt, um die man sich in nicht allzu weiter Zukunft kümmern sollte. „Uns war sehr wichtig, dass es segelklar ist. Wir wollten kein Komplett-Refit, bei dem das Boot erst mal völlig auseinandergerissen wird und zwei Jahre an Land stehen bleiben muss, wir nonstop nur arbeiten. Für uns war klar: Wir wollen damit im nächsten Sommer segeln!“, so Nicole Schipper.
Aber sie haben sich vor der Besichtigung geschworen, sich nicht vom Moment überwältigen zu lassen, falls ihnen das Boot gut gefällt, und so verabschieden sie sich vom Eigner mit dem Hinweis auf eine Woche Bedenkzeit. Wenn ihnen jemand zuvorkomme, sei das eben so.
„Und dann haben wir bei der Rückfahrt beide die ersten 30 Minuten im Auto nur geschwiegen. Beiden war uns klar: Die und keine andere ist es!“, erinnert sich Andreas Schipper. Irgendwann sprachen sie dann doch noch. Eine Woche quälen sich die beiden über die Zeit, dann machen sie den Kauf perfekt. Bei der späteren Übergabe und dem Abschied des schwedischen Eigners von seinem Boot, das er wegen eines Umzuges verkaufen muss, weint er bei der Trennung.
Es folgt der erste Fehler des frischgebackenen Eignerpaares mit dem neuen alten Seekreuzer: Sie wollen es in nur etwa einer Woche direkt nach Kiel zum neuen Liegeplatz segeln. „Das war sooo dumm von uns!“, sagt Nicole heute kopfschüttelnd. So hetzen sie unter Zeitdruck mit dem schönen Schiff durch traumhafte Schärenlandschaften, die beide noch gar nicht kennen – und treffen auf menschenleere Häfen. In Schweden sind im September schon die Stege hochgeklappt. Sie hätten es besser vor Ort ins Winterlager schieben und die Überführung im Folgejahr ausgiebig genießen sollen, sagt Nicole heute.
So bleibt aber im Winter an der Schlei Zeit für eine Bestandsaufnahme. Den Bug richtet ein Bootsbauer fachmännisch: 2,8 Meter Steven müssen ausgetauscht werden, fünf Bodenwrangen und neun Spantfüße sind nicht mehr zu retten. Nichts Ungewöhnliches bei Holzbooten, die rund 70 Jahre auf dem Buckel haben. Die Reparatur war im Kaufpreis zusammen mit dem Voreigner schon eingepreist worden.
Die beiden ziehen den Rumpf, bei dem jeder dritte Spant aus Stahl gefertigt ist, komplett ab, um auch einen Eindruck von der restlichen Substanz zu bekommen. Doch die übrigen Mahagoni-Planken und Eichen-Spanten sind grundsolide. Die üblichen Spuren solcher Schiffe mit Komposit-Struktur aus Eichenholz- und Stahlspanten gibt es aber natürlich: Rost. Irgendwann ist die Verzinkung durch und der Stahl mag die Gerbsäure der Eiche nicht, das Holz den Rost wiederum ebenso wenig.
Die Kielbolzen werden gegen neue aus Edelstahl getauscht. In über zwölf Jahren kommen eben einige Dinge zusammen, das muss man als Holzbooteigner bedenken. Doch sie ziehen es durch wie geplant: Die Arbeiten verteilen sich über die nächsten Jahre, kein brachialer Kraftakt, der beide überfordert. Nur an eins können sich die beiden wohl nie gewöhnen. „Es ist wirklich schön zu sehen, dass die Leute am Steg unser Boot bewundern, aber immer wieder kommt die Bemerkung: ‚Das wäre mir aber zu viel Arbeit!‘ “, erklärt Nicole mit leichtem Augenrollen.
Irgendwann wird dann das Teak-Deck undicht, ein erster Versuch, es abzuschleifen und neu einzudichten, misslingt an den Nägeln, die senk- und waagerecht im Teak stecken. „Das war Lehrgeld. Genau wie der erste Winter mit dem Boot draußen. Du brauchst einfach einen Hallenplatz, an dem du vernünftig arbeiten kannst, und Bootsbauer, die die wirklich anspruchsvollen Arbeiten übernehmen. Wir sind schließlich Laien!“ Sonst machen sie das meiste selbst: alle Holzteile innen und außen abziehen und einen neuen Farbaufbau in zwölf Schichten zum Beispiel. Nicht nur Boot und Eigner lernen sich dabei so richtig kennen, auch die beiden wachsen zusammen, und so beschließen sie nach vier Jahren: Hochzeit an Bord! Das Herzensprojekt auf dem Herzensprojekt sozusagen.
„Daraus wurde aber leider nichts, das Standesamt in Hamburg machte so etwas nicht mit!“, bedauert Nicole. Trotzdem wird das Schiff standesgemäß vom Liegeplatz in Heikendorf nach Hamburg überführt, und wenigstens die Hochzeitsfotos werden an Bord von „Najaden“ geschossen, das sie so zusammengeschweißt hat.
Jetzt möchte man aber doch ein bisschen von der Magie der nordischen Göttin spüren, Zeit zum Testschlag auf der Schlei. Fock mit Stagreitern anschlagen, und schon schnurrt der Nanni Zweizylinder mit ganzen 15 PS bei neun Tonnen Bootsgewicht brav für den Ableger. Zeitgemäß – also damals zumindest. Ein echter Flautenschieber eben. Draußen geht es klassisch an den Mast, Fallwinschen mit einfachen Steckkurbeln und hoch mit Groß und Fock. Ins Cockpit umgelenkt ist hier natürlich nichts, alles wird direkt am weiß lackierten 7/8-Rigg aus Lärche gefahren. Graziös legt sich die alte Göttin auf die Backe und zieht los.
Nicole steht hinten am Rad im durch den massiven Reitbalken getrennten Cockpit. Ihr Blick wandert übers unverbaute Deck. Das sieht zwar wunderschön aus wie ein Teak-Deck, ist es aber gar nicht. „Wir finden, dass es trotz aller Liebe zum klassischen Boot ökologisch nicht mehr zeitgemäß ist, ein Teak-Deck zu verbauen“, erklärt Andreas. Die Alternative war für sie Tesumo, ein in Deutschland erfundenes, chemisch durch Harze bearbeitetes Holz, das unter anderem in Zusammenarbeit mit Lürssen als Teak Alternative auch für den Megayachtbereich entwickelt wurde. Profis verlegten in Kappeln 18 Millimeter dicke Stäbe sorgfältig auf einem neuen, mit Epoxid versiegelten Sperrholz-Deck. Optisch ist das sehr gelungen, eine tolle Alternative, selbst die Grautöne treffen die eines alternden Teak-Decks täuschend ähnlich. Wie es sich über die Jahre macht, wird die Zeit dann zeigen.
In kurzen Schlägen geht es die Schlei rauf und runter. Dabei hilft eine kleine, aber sehr praktische Modernisierung, der die beiden dann doch nicht widerstehen konnten: Die Genua-Schot-Winschen mit einsteckbarer Einhebel-Bedienung haben sie gegen bronzene, selbstholende Modelle getauscht. Die passen sich aber perfekt ins Bild ein.
Das Heimatrevier von „Najaden“ und seiner Crew sind vor allem die dänischen Gewässer, aber auch die Nordsee stand immer wieder auf dem Törnplan. Selbstredend gab es auch schon einen Törn auf den Spuren des ersten gemeinsamen Segelerlebnisse nach Helgoland.
Für eine Weile steigen wir vom Crew-Cockpit vor dem Reitbalken in die Steuer-Plicht. Das urige Holzrad hält den Langkieler gut auf Kurs, ausgeglichen, nichts zu spüren von überhöhtem Ruderdruck, den manche Boote mit so einem Lateralplan mitbringen. Bis Anfang der 50er Jahre war auch mal eine Pinnensteuerung montiert, die Achse dafür ragt noch aus dem Achterdeck. Die Pinne existiert noch, aber die beiden lieben die Radsteuerung. Sanft gleiten wir die Schlei in Richtung grün geringeltes Leuchtfeuer hinaus. Was der schönste Törn war und ob es wohl noch ein Traumziel gibt?
„Die meisten Touren führen uns in Dänemark rund Fünen oder Seeland. Aber die Åland-Inseln im Norden von Stockholm stehen demnächst an, davon träumen wir schon länger.“ Ein kleines Sabbatical soll es möglich machen. Schließlich muss „Najaden“ mal wieder in die Ursprungsgewässer, an denen sie damals nur vorbeigeflogen sind.
Derweil quittieren die entgegenkommenden Crews ein Passieren der „Najaden“ immer mal wieder mit den Daumen hoch, rufen „Schönes Schiff!“ herüber, machen Fotos von uns. Selbst als Mitsegler freut man sich schon über solche Kommentare, die Eigner strahlen über beide Ohren.
Die Macht der Göttin eben.