Text von Luisa Conroy
„Hast du schon jemals so eine schöne Klampe gesehen?“ Rebecca Tschöpe zeigt strahlend auf das Vordeck. Sie führt über ihr neues Schiff und kommt aus dem Schwärmen gar nicht mehr heraus. Aus einer Schublade im Cockpit zieht sie alte Holzblöcke. „Auch noch original. Toll, oder?“ Die 52-Jährige hat im vergangenen Jahr mit ihrem Mann Carsten den 55er-Schärenkreuzer „La Liberté“ aus Schweden gekauft. Ein Boot, das neben den vielen Details noch so viel mehr zu bieten hat: glamouröse Voreigner, große Freundschaften, faszinierende Geschichten und Gerüchte.
Der schwedische Prinz Carl Bernadotte etwa schrieb höchstpersönlich ein Lied über das Schiff. Als guter Freund des ersten Eigners Max Gumpel war er ein häufiger Gast an Bord. Während das Lied uraufgeführt wurde, wütete in Europa der Zweite Weltkrieg. Doch der berühmte schwedische Schauspieler und Sänger Karl Gerhard sang trotzdem vergnügt für die Crew der „La Liberté“. In deren Hymne wird sich kabarettistisch über die Kriegsparteien lustig gemacht, aber auch das Boot selbst und seine Crew besungen.
„Max hat mit der ‚La Liberté‘ ein Märchenschiff geschaffen, mit einem Höchstmaß an Modernität“, heißt es da etwa wörtlich übersetzt. „Ja, ein Schiff, das auf Knopfdruck funktioniert. Das ist doch wohl das Schönste, was es gibt.“ Max, das war Max Gumpel, schwedischer Olympionike und Industrieller, der „La Liberté“ einst in Auftrag gegeben hatte.
Konstruiert wurde der Schärenkreuzer von Erik Salander, dem „Meister der Linien“. Wer mit diesen Booten vertraut ist, erkennt die Herkunft an den für Salander typischen schwungvollen Linien. Auf Oscar Schelins Werft in Kungsör bei Stockholm wurde „Libban“, wie sie in Schweden liebevoll genannt wird, 1934 fertiggestellt.
Das Schiff war so schwer, dass es nicht offiziell als Schärenkreuzer vermessen werden konnte.
Doch was dort vom Stapel lief, war, wie im Lied schon angedeutet, nicht einfach nur ein neuer Schärenkreuzer. Es war ein Exempel der technischen Entwicklung der Zeit, denn Gumpel hatte an moderner Ausstattung nicht gespart. So hatte er die „La Liberté“ nicht nur mit elektrischen Winschen und einem Dieselmotor ausrüsten lassen, auch eine Warmwasserheizung, ein Grammophon, eine Porzellantoilette und ein Kühlschrank befanden sich an Bord. Einen Nachteil hatte das allerdings: Das Schiff war so schwer, dass es nicht offiziell als Schärenkreuzer vermessen werden konnte. Gumpel aber störte das nicht, er wollte mit „La Liberté“ nur auf Törns gehen.
Das wiederum ist auf dem Wannsee schwierig, so richtig lange Strecken kann man dort nicht segeln. Das Ehepaar Tschöpe sitzt dessen ungeachtet glücklich im Cockpit, sie an der Pinne, er an der Fockschot. So ist es meistens. „Ich steuer das Boot, Carsten die Familie“, scherzt die Rudergängerin. Die Routine und Ruhe, mit der sie die „La Liberté“ dirigiert, zeugt von Tschöpes Erfahrung. Mit ihrem Vater machte sie, seit sie 14 Jahre alt war, alle Segelscheine bis zum Sporthochseeschifferschein. Ihre Urlaube verbrachte die Familie fortan auf Charteryachten. Dass sie nun ihr eigenes Schiff steuern darf, bereitet ihr sichtlich Freude. Mit viel Ruhe und Sicherheit führt sie die Crew durch teilweise komplexe Manöver.
Auch Ehemann Carsten hat einen familiengeschichtlichen Bezug zum nautischen Fach. Sein Urgroßvater Maximilian Schuler war einst in Kiel an der Entwicklung des Kreiselkompasses beteiligt. „Geschichte ist mir wichtig“, sagt er. „Deswegen hatte es mir die ‚La Liberté‘ auch gleich angetan.“
Die überragt mit ihrem 16 Meter hohen Mast am Wannsee die meisten anderen Schiffe, doch an diesem Wochentag im Spätsommer ist sie allein auf dem sonst so hoch frequentierten See. Die Sonne ist herausgekommen, und zu ihr gesellt sich ein leichter Wind, der die alte Yacht voranschiebt.
Mit an Bord ist auch Rebecca Tschöpes alter Segelfreund Christoph Schmidt. Sie teilen die Leidenschaft für Klassiker seit der Schulzeit, als sie bei den Pfadfindern die Sommer auf Holzbooten verbrachten, die sie im Winter restaurierten. Er sei gleich begeistert gewesen, als Rebecca ihm von dem Kauf erzählte, sagt Schmidt. „Weil ich wusste, dass Rebecca weiß, worauf sie sich da einlässt.“
In der Tat war es ihr schon klar, als sie beim ersten Besuch der „La Liberté“ 2022 in Schweden eine faule Stelle am Heck fand. Aber sie hatte sich verliebt in dieses Schiff und ihr Mann Carsten ebenso, also mussten sie es haben, das war klar. Denn wie ein Schwarm, der von der Bildfläche verschwunden ist, war „La Liberté“ damals wieder aufgetaucht. „Ursprünglich hatten wir sie schon drei Jahre zuvor online entdeckt“, erzählt Tschöpe. Am Wochenende hätten die beiden Ärzte gern mit einem Kaffee im Bett den Marktplatz des Freundeskreises Klassischer Yachten durchforstet. „Die ‚La Liberté‘ hat uns mit ihrem Design sofort gefallen“, fügt Carsten Tschöpe hinzu.
Sie kontaktierten die Eignergemeinschaft und machten einen Termin für eine Besichtigung via Zoom aus. „An dem Tag saßen wir dann ganz gespannt vor unserem Bildschirm, als ein Anruf kam. Dem Eigner ging es gar nicht gut, er hatte Atemnot.“ Es war Anfang 2020, der Voreigner Mikael Beving hatte sich mit dem Corona-Virus angesteckt. Es folgten die Lockdowns, und die Tschöpes waren in ihren leitenden Positionen als Ärzte im Krankenhaus gefordert.
Im Jahr 2022 erfüllte sich Rebecca Tschöpe den lang gehegten Traum von einer Atlantiküberquerung. „Und dann“, erzählt Carsten Tschöpe, „kam sie wieder und sagte: ‚Ich brauche jetzt ein Boot.‘“ Was denn mit der „La Liberté“ sei, habe sie gefragt. Der Eigner hatte sich nie wieder gemeldet, sie waren sich nicht einmal sicher, ob er nach seiner Krankheit überhaupt noch am Leben war. Doch Rebecca wollte es wissen: „Ich rufe den jetzt an.“
Mit Erfolg: Sie habe Glück, sagte Mikael Beving am Telefon, das Schiff stehe noch zum Verkauf. Und so begaben sich Carsten und Rebecca Tschöpe nach Schweden, um das Schiff zu sehen und die Voreigner kennenzulernen. „Für uns war das Wichtigste, leidenschaftliche Käufer zu finden, die das Schiff wertschätzen“, erklärt Mikael Beving heute, bei dem sich auch andere Interessenten gemeldet hatten. Darunter sogar die Eigentümer der Bauwerft. Doch irgendwo hakte es immer. Erst im Ehepaar Tschöpe fand er schließlich die neuen Eigner.
Gute Stimmung an Bord und große Freundschaften, das ist tief verwurzelt in der Geschichte der „La Liberté“. Da war zum Beispiel Gumpels bester Freund Eric Erickson, der als bedeutendster amerikanischer Spion im Zweiten Weltkrieg gilt. Er half den Amerikanern, deutsche Ölraffinerien auszukundschaften. Seine Pläne soll er an Bord der „La Liberté“ immer wieder mit Gumpel besprochen haben. Doch Gumpel und Erickson verband noch etwas: Sie waren beide jüdischer Abstammung und mussten deshalb zu dieser Zeit natürlich besonders vorsichtig sein.
Eine gute Freundschaft hatte sich inzwischen auch zwischen den Tschöpes und „La Libertés“ Voreignern entwickelt, und so wurde der Schärenkreuzer im April 2022 schließlich von einer Spedition nach Berlin transportiert. „Ich wollte dann sofort aufs Wasser“, erzählt Rebecca Tschöpe. „Wir hatten sie ja noch gar nicht gesegelt!“
Im Verein Seglerhaus am Wannsee (VSaW) hatte Familie Tschöpe schon einen Liegeplatz für die 16,30 Meter lange Yacht gefunden. Dort liegt „La Liberté“ seitdem am Kopf eines Steges. Ein schönes Plätzchen, nur die An- und Ablegemanöver gestalteten sich anfangs schwierig, also musste ein Motor her. „Tradition trifft Moderne“ benennt Rebecca Tschöpe stolz die Idee, einen Elektromotor einzubauen. Denn der Vorgänger, ein schwerer Außenborder, war keine Option.
Trotz notwendiger Erhaltungsmaßnahmen verbrachte „La Liberté“ ihren ersten Berliner Sommer im Wasser. Die neue Eignerfamilie lernte sie kennen, ging auf Klassikerregatten und bewegte die hölzerne Schönheit so oft es ging.
Im Dezember 2022 dann wurde bei Bootsbau Welkisch mit den ersten Restaurierungsarbeiten begonnen. Schnell war dabei der Grund für die faule Stelle am Heck gefunden: Die unter Deck angebrachte Umlenkrolle vom Achterstag war völlig verrostet, und der Rost hatte das Holz angegriffen, sodass von oben Wasser durch das Deck lief.
„Da habe ich gesagt: ‚Den Eingriff machen wir aber bitte minimalinvasiv‘“, erzählt Rebecca Tschöpe. Welkisch habe scherzhaft gefragt, ob sie ihm für die Reparatur ein paar Endoskope aus der Klinik leihen könne, aber die Holzbootsbauer wussten natürlich, was zu tun war. Vorsichtig nahmen sie aus dem Rumpf unterhalb des Spiegels einzelne Planken und den Fisch am Achterdeck ab und erneuerten die Umlenkrolle. Das faule Holz wurde ausgetauscht, das Achterdeck und das Vordeck wurden abgeschliffen und neu lackiert.
Doch nicht nur die Werft legte sich ins Zeug, damit die schlanke Schönheit für viele weitere Segelstunden auf dem Wannsee fit wurde. Weil sich die Versicherung weigerte, das alte Rigg mitzuversichern, suchte Familie Tschöpe jemanden, der das stehende Gut erneuern könnte. In Andreas Haubold, auf dessen Werft auch der E-Motor eingebaut wurde, fanden sie einen Experten, der mit der Zeit zu einem Freund wurde. „So alte Teile verbinden ja irgendwie“, sagt Haubold dazu, der dabei helfen wollte, so viel wie möglich im Originalzustand zu belassen, und die Drähte des stehenden Guts durch Dyneema ersetzte, damit es durch die kleinen Blöcke im Mast passte.
Der steht jetzt wieder stolz an seinem Platz. Mitten auf dem Wannsee, mit seinem Kleid aus weißen Segeln. Als wollte er sagen: „Schaut her, wo ich gelandet bin. Wie weit wir es doch geschafft haben!“ Carsten Tschöpe denkt gern über die Bedeutung dieses Ortes für die „La Liberté“ nach. „Man muss sich das mal klarmachen“, sagt er mit ruhiger, nachdenklicher Stimme. „Da hinten ist das Haus der Wannsee-Konferenz. Gumpel, Erickson und ihre Freunde haben für das, was dort verhandelt wurde, ihr Leben riskiert. Und jetzt segelt ‚La Liberté‘ mit bundesdeutscher Flagge hier, an diesem geschichtsträchtigen Ort im freien Deutschland. Mein Gott, wie schön“, sagt er und lächelt. Wenn sie über ihr Schiff sprechen, haben die Tschöpes immer wieder solch tiefgründige Gedanken. Und dabei geben sie ein glückliches Bild ab, die quirlige Rebecca und der philosophische Carsten, die so zufrieden scheinen mit sich und ihrer „La Liberté“.
“Es war die glücklichste Zeit meines Lebens“
Den Erzählungen nach sind sie nicht das erste glückliche Paar auf dem Schärenkreuzer, denn Max Gumpel segelte sie oft mit seiner ersten Liebe, der Schauspielerin Greta Garbo. Die beiden waren ein Paar, noch bevor Garbo nach Hollywood ging, und blieben ihr Leben lang enge Freunde. Auch seine spätere Ehefrau Carina lernte Gumpel an Bord kennen. Die lebt noch, blickt gern auf die Stunden an Bord zurück und sagt: „Es war die glücklichste Zeit meines Lebens.“
Damit die „La Liberté“ flott für den nächsten Sommer wurde, war neben den Werften Welkisch und Haubold auch die Crew im vergangenen Winter gut beschäftigt. Nicht wenige der kleineren Restaurierungsarbeiten führte Rebecca Tschöpes langjähriger Freund Christoph Schmidt in seiner Werkstatt durch. So nahm er zum Beispiel alle alten Blöcke auseinander, reinigte die Wellen und ersetzte Bolzen, wo es nötig war. Nach vielen Holzarbeiten folgten dann pro Block noch mindestens acht Schichten Lack.
Auch Rebecca Tschöpe hat irgendwann selbst Hand angelegt, als es sie nicht mehr hielt und sie unbedingt aufs Wasser wollte. „Also habe ich die Bootsbauer bei Welkisch gefragt, ob es sie stören würde, wenn ich mir diese Profi-Schleifmaschine kaufe und an den Wochenenden in der Kajüte mithelfe.“ Und auch sonst waren die Tschöpes fleißig. Für die Restaurierungsarbeiten wurde eigens ein Zelt angefertigt, außerdem beauftragten sie eine neue Plane sowie neue Polster für das Schiff. Und Rebecca Tschöpe nähte eigenhändig neue Gardinen für den Salon. Im Juni war es dann endlich so weit: „La Liberté“ wurde zu Wasser gelassen.
Und nun konnte es wieder losgehen. Jedes Wochenende wurde der Schärenkreuzer in diesem Jahr ausgeführt. Für die Wochenendausflüge hat ein Freund der Familie eine Badeleiter aus Mahagoni gebaut, die sich zusammenklappen und so leicht verstauen lässt. Ein weiterer Teil dieses Schiffes, von dem Rebecca Tschöpe schier begeistert ist.
Ihre Leidenschaft für alte Ausrüstungsgegenstände kann sie hier an Bord so richtig ausleben, dafür haben sämtliche Voreigner gesorgt. „Die Schweden heben ja alles auf“, erzählt Rebecca. „Wir haben kistenweise Originalteile mitbekommen, als wir das Boot gekauft haben.“
So findet sich neben fest eingebauten Gegenständen wie der originalen Pump-Toilette und dem Kühlschrank von 1934 auch noch das erste Porzellangeschirr der „La Liberté“ an Bord, mitsamt Silberbesteck von Robbe & Berking.
Immer wenn die Tschöpes etwas suchen, schauen sie in den Kisten nach. Neulich zum Beispiel haben sie reffen müssen und dafür eine bestimmte Kurbel gebraucht. Ein Blick in die Kisten genügte, das Teil war gefunden. Nur das alte Grammophon ist nicht mehr an Bord, aber auch hier lässt sich Familie Tschöpe nicht lumpen: Ein neuer Kurbel-Plattenspieler ist schon bestellt.
Mit Kühlschrank, Toilette, Geschirr, Besteck und Grammophon ist die „La Liberté“ dann also bestens ausgestattet für längere Reisen. Und das ist auch der Plan. Nächstes, spätestens übernächstes Jahr soll es auf große Fahrt gehen. In die Heimat der „Libban“ natürlich, die schwedischen Schären. Und vielleicht wird der Crew an Bord mit Blick auf die Schären dann die letzte Strophe des Liedes über die „La Liberté“ in den Ohren klingen, in der es heißt:
„Lasst uns auf die glücklichen Stunden trinken, die wir gemeinsam hatten. Weder Bacchus noch Venus haben uns im Stich gelassen. Denn die Besatzung der ‚Liberté‘ ist, solange wir denken können, ja wohl das Beste, was es gibt.“