Mit der Lattenspannung ist sich Johannes Huckschlag noch unsicher. „Bei der obersten habe ich nun einen Gegenbauch. Ich muss noch ein wenig Erfahrung sammeln, vielleicht sind diese Holzlatten doch nicht optimal.“ Mal schauen, Tipps anhören, ausprobieren, überdenken – mit dieser Methode entstand eine Idee, ein Riss, ein Rumpf, ein Rigg, ein Boot. Vor allem: sein Boot. Vor sechs Wochen taufte der 25-Jährige seine Eigenkonstruktion, nun geht es mit Abendthermik über den Bodensee vor Friedrichshafen-Fischbach.
Der Selbstbauer knotet Fall, Halsleine und Schot an den Gennaker. Freundin Marén steuert an der Robinie-Pinne, „die stammt von einem 75-Quadratmeter-Nationalen-Kreuzer“. Die Michelsen-Werft, sein Ausbildungsbetrieb, restaurierte die „Vinga“, eine A&R-Konstruktion von 1917. Johannes Huckschlag ist Bootsbauer, während seines zweiten Ausbildungsjahres begann er seinen Eigenbau. „Die Pinne habe ich gekürzt, Marén hat auch viel gehobelt. Aber die war halt schon da und gekrümmt, sonst hätte ich mir eine neue sägen müssen.“
Die Z-Jolle „Furie“ steuert leicht, „zu einem Fünftel habe ich das Blatt vorbalanciert, etwas weniger hätte auch geklappt“, erläutert er kritisch das wichtige Konstruktionsdetail. Der Gennaker, der jetzt bei knapp fünf Knoten Geschwindigkeit gurgelndes Kielwasser ermöglicht, ist ebenfalls eine Zweitverwertung, er stammt von einem 29-Fuß-Skiff. Dessen Vorliek könnte einen halben Meter länger sein. Aber, Hauptsache aufs Wasser, das Boot ausprobieren und dabei immer das Budget im Auge behalten! Um diesen Sommer bereits zum Segeln zu kommen, hatte Huckschlag den Tauftermin frühzeitig festgelegt – um sich selbst in einen Endspurt zu versetzen beim drei Jahre dauernden Bau. Der hätte auch ein Cello werden können.
„Nach dem Schulabschluss habe ich nicht gewusst, was machen. Meine große Schwester hat mich beim Roten Kreuz angemeldet“, ein Freiwilliges Soziales Jahr und zwei weitere arbeitete er als Rettungssanitäter. „Handwerk ist doch was Tolles“, dachte er für weitere Pläne, „da zählt nur, was man kann und nicht, was für einen Rang man bekleidet.“ Er suchte nach einem Holzberuf, erwog auch Geigenbau. Doch nach zwei Praktika am Bodensee entschied er sich für die Michelsen-Werft.
Sein Vater segelte einst einen Sperrholz-Schwertzugvogel, setzte den Junior mutig auch auf den selbst renovierten Opti, „er hat gesagt, so, hier, mach mal ein bisschen“. Ob er nicht diesen Zugvogel vom Elternhaus in Nordrhein-Westfalen zum Refit zur Werft holen könne? Der damalige Werftchef ist nicht begeistert. Auf dem Gelände lagern und lungern bereits Schätzchen, Ruinen, Schalen und Bootsausrüstung im Renten- und Greisenalter. Noch eine Baustelle? Lieber nicht. Für einen Kunden war auf der Werft ein L-Boot restauriert worden. Und es bekam wenig Auslauf. „Der Chef bog es so hin, dass ich die wunderschöne L 154 zwei Jahre lang segeln konnte. Das war zwar jedes Mal ein Aufwand mit dem Fahrrad zum Liegeplatz in Kressbronn, aber das war es wert.“
Als die Berufsschule in Lübeck ein Computer-Konstruktionsprogramm einführte, war für den Bootsbau-Azubi gewiss, dass er ein eigenes Boot von Beginn an bauen will. „Ich bin in jeder Mittagspause hinunter an die Slipanlage.“ Eine der dort liegenden Jollen ist eine Fireball. „Ich war fasziniert, was für alternative Formen man zaubern kann.“ Der Peter-Mine-Entwurf galt 1962 als exotische Kiste, auch wegen des un-yachtig abgesägt wirkenden Prahmstevens. An Freibord wurde gespart, nicht an Segelfläche: Die 13 Quadratmeter bei nur 79 Kilogramm Bootsgewicht sind sportlich mit Trapez zähmbar. Ein inspirierendes Detail.
„Ich habe das Konstruktions-Programm dann nur ganz dilettantisch verwendet, indem ich einen Linienriss gezeichnet habe.“ Der Bootsbau-Azubi war begeistert, nicht mehr radieren zu müssen, „einen Linienriss selber zeichnen ist ein irrer Aufwand durch das dauernde Korrigieren“. Weil keiner der derzeitigen Werftaufträge diese Bauart hatte, entschied er sich für wikingerhaften Klinkerbau. Wog Hydrodynamik gegen Optik ab: „Ich wusste schon, was eine schnelle Bootsform ausmacht, aber ich habe auch an manchen Stellen geopfert, weil ich dachte, nee, ich will auch mal so was bauen.“
So was, damit meint er die Kreuzung aus dem breiten Heck einer Sonderklasse-Yacht, klassischem Gaffelrigg und aktuellen Details wie dem Gennakerbaum und den Stagen aus Hochmodul-Polyethylenfasern.
Dann bestückte er die Simpson-Formel für die Auftriebsberechnung, „aber bei den vom Fireball übernommenen fünf Metern Länge reichen die berechneten 180 Kilogramm Auftrieb nicht für Rumpf und zwei Leute, dann wäre es einen Zentimeter zu tief geschwommen. Da habe ich die Konstruktion länger gemacht.“ Statt des ursprünglichen Rasters von 50 Zentimetern stellte er die Spanten alle 60 Zentimeter. „Die Breite habe ich belassen. Und das bereue ich jetzt auch ein bisschen.“
Dabei ist die „Furie“ für ihre Größe außergewöhnlich steif, „aber ich find’s schön, wenn so eine Jolle breit ist, das hätte mir besser gefallen.“ Auf dem Werftgelände zu bauen schied immer noch aus, „ohnehin war mir mittlerweile klar, dass mir besser nicht jeder in den Topf guckt und sagt, nee, hör’ sofort auf, das hat gar keinen Sinn, mach’ das anders. In der wackligen Anfangsphase wollte ich meine Ruhe haben.“ In die Werkstatt übersiedeln? „Erst, wenn es soweit ist, dass die Leute auch dran glauben.“ Zusammen mit einem Gesellen startete der Rumpfbau in einer Lindauer Garage, drei Orte weiter.
Eine Auto-Ladung mit Dachlatten und OSB-Platten markierte den Beginn seiner Bonsai-Werft. „Bescheuerterweise OSB-Mallspanten. Auf denen kann man nicht gut zeichnen, Tischlerplatte wäre besser gewesen“, erzählt er von seinen ersten Schritten. Und er schwärmt: „Das war so ’ne tolle Zeit, als wir das zusammen gebaut haben. Weil man sich gegenseitig immer wieder Energie gibt und sagt, ach komm, wir machen irgendwas zu essen und dann geht’s weiter.“
In Büchern finden die beiden Tipps, wie die Planken in den Steven laufen, sie überlegen sich, wie die oberste Planke genau mit dem Süll abschließt. „Als der Rumpf fast fertig geplankt war, haben wir ihn rübergefahren in die Werft, mit den Mallen“, der Verpächter des Werftgeländes hatte eine überdachte Ecke seines Holzlagers frei. Seit dieser Zeit ist Karsten Timmerherm Werftchef und voller Anerkennung fürs Ergebnis: „Nur zwei von zehn solcher Vorhaben werden fertig, das hat er richtig gut gemacht.“
Ab dem Umzug ging es mit Maréns Hilfe weiter, die Mallen dienten als Spant-Schablonen. Nun weist aber der Riss eine beinahe eckige Kimm auf. Die beiden mussten selbst die nur dreieinhalb Millimeter starken Robinien-Lamellen dämpfen, bevor sie der markante Rumpfform folgen. „Es sind jeweils sieben Lamellen, außerdem noch Zwischenspanten, das wird nie brechen.“
In seiner mittlerweile zerlesenen Taschenkladde notierte er Berechnungen und Dimensionen. Auch die der Deckskonstruktion, die das höhere Spantengewicht ausgleichen soll. „Tanne ist superleicht“, nur 10 mal 80 Millimeter messen die zierlichen Decksbalken, die hier eher Deckslatten heißen könnten. Auch die gefällige Form der Kajütschlinge entstand zunächst als Handzeichnung, während einer Fahrt zur Berufsschule.
Ebenso das Rigg. „Ich habe zunächst in Kleinanzeigen nach gebrauchten Tüchern gesucht, die passen könnten. Aufgrund der ungefähren Maße, zum Beispiel die einer M-Jolle, die sind sehr selten, oder einer H-Jolle.“ Fündig wird er bei einem Segelsatz für eine Z-Jolle, „auf dem Weg zur Berufsschule habe ich ihn abgeholt“. Die Gaffel kaufte er dazu, sie gehöre zum Großsegel. „Wenn das zusammenpasst, muss ich die ja nur noch aufhübschen. Aber ich hätte sie neu bauen sollen, das wäre dreimal so schnell gewesen.“
In Kleinanzeigen suchte er nach passenden Tüchern – die einer Z-Jolle passten
Selbst der Abspreizer stellte sich als rottes Holz heraus, Huckschlag musste die Hälfte trennen, die Nock schäften. „Ich habe die Beschlags-Problemstellen durch Kupferhülsen ersetzt und die mit dem Hammer gebörtelt und eingeklebt.“ Immerhin, für die künftige Beratung von Eignern brachte die Gaffelreparatur Erfahrung, wann eine Reparatur teurer kommt als ein Neubau.
Außerdem passte die Gaffel keineswegs. Ein Segelmacher half, das Liek deren Biegung anzupassen, nur mit den durchgehenden Latten gilt es noch zu experimentieren. Mit etwas Einkürzen passt auch die Genua eines Flying Dutchman. Mit den aus Luv bedienbaren Fock-Barberholern lässt sich der Schotwinkel exakt anpassen.
Aber bis dorthin hatte er noch das Ausarbeiten des Segelplans vor sich. „Ich habe die Segel im Elternhaus auf dem Scheunenboden ausgelegt, durch die Heuluke kann man ein unverzerrtes Foto schießen. Das konnte ich einfach in mein CAD einfügen.“ Der Lateralpunkt musste ja auf den des Rumpfs abgestimmt werden. „Weil ich das in einem Buch von Manfred Curry gelesen hatte, wollte ich dem Rigg Mastfall nach vorn geben.“ Was er nach dem Ausprobieren änderte, „erst mal tut es im Auge weh, aber das ist auch nicht gut für die Vorsegelspannung. Eigentlich müsste das Boot mit dem leichten Mastfall jetzt luvgieriger sein, aber es passt.“
Auch die ursprünglich angebauten Salinge liegen nun wieder im Holzlager. „Mir gefallen die senkrecht verlaufenden Oberwanten immens, das wollte ich absolut haben. Ich hatte sauviel Arbeit damit, dass die nach oben gepfeilt sind, winkelhalbierend eben. Dann gibt es hier ein Stück passendes Krummholz, das genau um einen Ast herumgewachsen ist im Knick vor dem Mast.“ Die Spreizen waren bereits angebracht, „bis ich mir eingestanden habe, das macht keinen Sinn, das ist nicht gut, die Gaffel steht an“.
»Für den Segelplan habe ich die Tücher durch die Heuluke geknipst«
Eine eingeklebte Edelstahlhülse zeugt von der ursprünglichen Verstagung. Denn an seinen Mastbau ging er mit Vorgabe: Es soll keine einzige Schraube darin sein – zu oft hatte er in der Werft hölzerne Kundenriggs auf der Mastbank, bei denen die Schrauben der Docht für Wasser, später Faulstellen waren. „Deswegen passt auch das Soft-Rigging so gut. Die Wanten laufen in gespleißten Schlaufen, die in eingeleimten Robinien-Knaggen ruhen.“
Auch der Mast sei etwas zu schwer geraten, er wiegt elf Kilo. Der Baumniederholer, eine schlichte Kaskade mit Hochlast-Tauwerk und Alu-Ringen, war zunächst mit einem Kicker geplant. „Ich hatte ein Vorbild aus gebogenem Carbon gesehen und das formverleimt nachgebaut, damit ich Gaffel und Baum drauf ablegen konnte.“ Es musste einen Drehpunkt an Deck geben, denn der Mast sollte ja ohne Löcher bleiben. „Das hätte den Weg beim Auffieren etwas verkürzt und den Baum dabei ein bisschen angesetzt. Aber die Beschlagsgeschichte ist wahnsinnig aufwändig. Man braucht eine Schiene am Baum, damit der nicht umkippen kann, allein durch sein eigenes Gewicht.“
Der Großbaum entstammt historischer Inspiration. Die seinerzeit bahnbrechende „Zeeslang“ wurde in der Werft überarbeitet. Johannes Huckschlag verfeinerte die Überlegung des doppelten T-Trägers durch eine gefällige Verjüngung an beiden Enden – und durch kompliziert gebaute, gewichtsparende Ausschnitte.
Die hätte er auch gern im Großsegel: „Man sieht nach Lee fast nichts“, insbesondere aus dem Trapez. Neben den vielen mattschwarzen Aluminiumbeschlägen, dem aktuellen, durchgehend braunen Tauwerk passt es bestens zum Boot in der Kontospalte „moderner Anteil“.
Im Abendlicht geht es zum Slip. Marén springt mit Neoprenschuhen ins Wasser und holt den Slipwagen – Huckschlag: „den habe ich auf dem Werftgelände gefunden“. Er verstaut die Ruderanlage in einem gepolsterten Schoner, der „ebenfalls herrenlos herumlag“, schnell noch die Persenning übers Boot, „eine umgeschneiderte für ein wesentlich größeres Schiff. Sie passt nicht perfekt, aber sie war umsonst.“ Innerhalb weniger Minuten ist die „Furie“ versorgt.
Dieser Artikel erschien erstmalig 2021 und wurde für diese Online-Version aktualisiert.