Classic Weekend BodenseeFamilientreffen statt Klassiker-Regatta

YACHT-Redaktion

 · 22.06.2023

Dicht beieinander, aber  ohne Wettkampf. Darum geht es beim Classic Weekend
Foto: YACHT/T. Stoerkle
La dolce far niente ist beim Classic Weekend am Bodensee Programm. Ein Treffen klassischer Yachten, ganz ohne Regatta. Reportage vom süßen Nichts

Mannschaft zusammentrommeln, Boot leer räumen, Unterwasserschiff reinigen, Segelgarderobe von Alltag auf Regatta tauschen, Rigg einstellen, Konzentration hochfahren, los!? – Weit gefehlt!

Im Hafenbecken von Hard östlich der Rheinmündung in den Bodensee, kurz hinter der deutsch-österreichischen Grenze, liegen rund 25 Klassiker jedweder Art. Ob Pirat, Folkeboot oder Jollenkreuzer, ob Motorboot, 45er Nationaler Kreuzer, Drachen oder 80er Seefahrtkreuzer. Mannigfaltig in der Größe, variantenreich in der Erscheinung. Wunderschön anzuschauen und alle aus Holz. Viele von ihnen über die Toppen geflaggt, unter der Saling den auswehenden Stander des Freundeskreises Klassische Yachten.

Die dazugehörigen Segler versammeln sich an Land, erzählen, lachen, speisen gegrilltes Hühnerbein und Kartoffeln dazu. Zum Nachtisch gibt es selbst gemachtes Eis, von einem eigens bestellten fliegendem Eisstand en vogue per umgebautem Lastenrad geliefert. Hinter den meisten Teilnehmern liegt bereits ein gemeinsamer Segelschlag von Immenstaad bei Friedrichshafen ausgehend, einige andere stießen – von wo auch immer am Bodensee kommend – hier in Hard dazu.

Gemeinsames Baden und Grillen gehört dazu

Nun sitzen sie vor dem kleinen Segelclub an der Pier und feiern den 70. + 1. Geburtstag des Havskryssare „Sydia“. Das Eignerehepaar hat eingeladen. Stolz bekommt jeder, der möchte, eine Führung über das Boot, dessen Ehrentag im vergangenen Jahr wegen Corona nicht gefeiert werden konnte.

Meistgelesene Artikel

1

2

3

Was auffällt: In den Gesprächen werden keine Tonnenmanöver rekapituliert, keine Startszenen diskutiert und keine Überholmanöver noch mal durchgekaut. Es geht vielmehr um Freundschaften, um Urlaubserlebnisse, um Pläne und natürlich um Boote. Um Tipps und Tricks und Lösungen rund um Pflege und Erhalt dieser im Hafenbecken schaukelnden Holzschönheiten.

In den Gesprächen werden keine Tonnenmanöver rekapituliert und keine Startszenen diskutiert

Auch die gestrige Eröffnungsfeier und den heute gemeinsam erlebten Segeltag lässt man Revue passieren. Den kollektiven Badestopp, das herrliche Wetter, den leider nicht vorhandenen Wind und die trotzdem gelungene Überfahrt vom Starthafen in der Früh zum Zielhafen jetzt.

Erst mal ausschlafen, dann mal sehen wann gesegelt wird

Die Stimmung ist ausgelassen und spürbar vertraut. Viele der Klassiker-Freunde haben sich Corona-bedingt lange nicht gesehen, so dass die Freude über das Zusammentreffen umso größer ist. Alle zwei Jahre findet das Classic Weekend Bodensee unter normalen Umständen statt.

Es wird später Abend, kaum einer verabschiedet sich zeitig, alle sind entspannt und genießen den Moment am Hafen. Für einen kurzen Schauer rücken alle zusammen nah ans Haus, dann wird die gesellige Runde fortgesetzt, bevor schließlich die meisten für den Rest der Nacht doch irgendwann in ihren Schiffen verschwinden. Morgen geht’s weiter, wann genau, wird man via Chat erfahren. Zuerst einmal ausschlafen, frühstücken. Regen ist angesagt und keine Eile.

Das Classic Weekend ist entstanden, weil sich die Gruppe öfter sehen wollte

Und tatsächlich – am nächsten Morgen ist es still. Auf den Booten rührt sich lange nichts. Das emsige Treiben eines Regattamorgens sucht man hier vergebens. Die Segler ruhen in ihren Booten und lassen den Regen über die zurückgeschlagenen Persenninge ablaufen.

„Diese Veranstaltung hier ist entstanden, weil uns allen die Zeit zwischen dem nur alle zwei Jahre stattfindenden Klassikertreffen ‚Bodensee Traditionswoche‘ des Vereins Oldtimerschiffer Bodensee zu lang wurde“, erklärt Sylvie Schneider. Sie ist als regionale Ansprechpartnerin für den Raum Süddeutschland des Freundeskreises Klassische Yachten (FKY) zusammen mit Jörg Kadgiehn die Organisatorin dieser Klassiker-Ausfahrt.

Nicht zuletzt das Bild der Klassiker im Hafen ist es, was die Crews zusammentreibtFoto: YACHT/T. StoerkleNicht zuletzt das Bild der Klassiker im Hafen ist es, was die Crews zusammentreibt

Sicherlich, auch ohne Organisation trifft man sich unter Klassikern mal auf dem See, aber für ein wirkliches Zusammengehörigkeitsgefühl ist das Revier mit seinen vielen Destinationen zu groß.

Das Classic Weekend Bodensee ist keine Regatta, sondern ein Familienfest

„Was unsere Veranstaltung ausmacht? Hier geht’s nicht um Regatta“, erklärt Schneider ihr Konzept. „Wir stellen die Gemeinsamkeit und die Geselligkeit in den Vordergrund. Wir alle betrachten unsere Schiffe wie eine Art Familienmitglied, und so ist das Classic Weekend Bodensee ein riesiges Familientreffen.“ Gemeinsam segeln, gemeinsam den Anblick und die Aura dieser wunderschönen Schiffe genießen, zusammen essen und Zeit verbringen, das sei das Ziel.

Vor diesem Hintergrund wird auch der Titel der Zusammenkunft verständlich: „Far Niente“ – „Das süße Nichtstun“, wie die Italiener sagen. Das Format ist am Bodensee bekannt, denn die Lacustre-Vereinigung richtet dort schon seit 59 Jahren eine „Far Niente“ aus.

Die Far Niente ist eine Rundreise über den See, angesetzt als Urlaubswoche”

Ernst Zollinger, Flottenchef der Lacustre-Vereinigung Bodensee, erklärt in breitem Schweizerdeutsch: „Die Far Niente ist eine Rundreise über den See, angesetzt als Urlaubswoche, bei der die Bootseigner mit den Familien unterwegs sind und die Regattacrews zu Hause bleiben. Die angemeldeten Boote segeln gemeinsam von einem Ort zum anderen, und der Sieger bekommt für den nächsten Tag einen Seiher, den er dann hinten ans Heck anhängen muss.“

Beim Classic Weekend wird die Liebe zu Klassikern gelebt

Ungewöhnlich für die organisierte Regattaszene, in der es doch zumeist um möglichst schnelles Segeln geht und man dafür trainiert, auf Wettfahrten zu glänzen und Preise zu gewinnen. Genau diese Nische fasziniert auch Torsten Jegminat, einen von drei Sprechern des FKY. Er ist extra aus dem Norden angereist, um „mal in die Traditionsklassensegelei im Süden einzutauchen“. Die norddeutsche Klassikerszene und ihre Regatten kennt er gut.

Die entspannten Gesichter der Teilnehmer verraten viel über die Art der VeranstaltungFoto: YACHT/T. StoerkleDie entspannten Gesichter der Teilnehmer verraten viel über die Art der Veranstaltung

„Ich bin unglaublich angetan von dieser Veranstaltung. Nicht die Wettsegelei in den Vordergrund zu rücken, sondern die Geselligkeit, das ist in dieser Ausprägung neu und wird ganz selten so gemacht“, sagt Jegminat. „Hier wird die Liebe zu den Klassikern gelebt, und die Faszination dieser Boote hängt nicht davon ab, ob man mit ihnen Erster, Zweiter oder Dritter wird. Für uns als Freundeskreis Klassische Yachten sehe ich darin ein echtes Potenzial“, schwärmt der Segler aus dem Norden. „Die Regattasegler sind gut organisiert, aber all die anderen, die vielleicht gar keine Lust auf Regatta haben, die werden von uns bislang wenig angesprochen. Mit solchen Veranstaltungen wie diesem Classic Weekend Bodensee à la Far Niente könnte man aber vielleicht auch die Segler zu Veranstaltungen locken, die ihr Boot mehr mit der Familie zum Freizeitsegeln nutzen als sportlich und wettkampforientiert.“

Zwischenzeitlich sind auch die Langschläfer aus den Kojen gekrochen. Gemütlich frühstücken alle an Bord, geschützt unter Planen und Persenningen. Der Regen lässt langsam nach, bis sich die Meute weitermacht auf den Weg gen Bregenz. Vorher hat man sich noch ein Seezeichen als Wendemarke gesetzt, was schlussendlich mangels Wind unbürokratisch per Gruppenchat wieder rückgängig gemacht wird.

Ob Kreuzer, Pirat oder Motorboot alle gehören zusammen

Die Geschwindigkeitsunterschiede sind riesig. Der 80er Seefahrtkreuzer „Hoc“ ist von ganz anderem Schlag als etwa der kleine Pirat „Pan“ oder das Folkeboot „Stjerne“. Dennoch gehören sie für dieses Wochenende alle zusammen, sogar ein Motorboot zählt zu den Teilnehmern.

Hauptsache, aus Holz oder Stahl oder nach Rissen von damals, sodass alles in das schöne Bild passt“

„Hauptsache, aus Holz oder Stahl oder nach Rissen von damals, sodass alles in das schöne Bild passt“, erklärt Sylvie Schneider, die mit viel Enthusiasmus und Herzlichkeit einen gelungenen Rahmen für dieses verlängerte Wochenende schuf. „Es ist uns sehr wichtig, dass wir uns nach den Bedürfnissen der Teilnehmer richten. Für viele ist das Classic Weekend Bodensee mittlerweile ein fester Bestandteil der Urlaubsplanung.“

So auch für Thomas Henkel und Antje Schmidt von dem Folkeboot „Stjerne“: „Für uns ergibt es manchmal fast mehr Sinn, hierher zu kommen und unsere Freunde zu treffen, als zu einer Regatta zu fahren“, erzählen die beiden überzeugten Holzbootsegler, während sie stolz die über die Jahre entstandenen Raffinessen ihres Tourenbootes – nebst eingebautem Gläserregal – präsentieren.

Ob es Wind gibt oder nicht, spielt am Ende keine Rolle

„Am Bodensee ist oft, vor allem im Sommer, kein Wind. Für eine Regatta räumst du dann dein Boot aus, fährst hin, alles ist angespannt, und dann wartest du und wartest du, bis am Ende vielleicht überhaupt kein Wind für eine Wettfahrt aufkommt“, so die beiden. „Hier aber ist es egal, wie das Wetter ist. Wir treffen auf unsere Freunde und neue Gleichgesinnte. Ganz ohne Druck. Das Boot bleibt vollbeladen mit Kühlschrank, Luftkühler und allem Pipapo. Und ob es dann Wind hat oder nicht, spielt überhaupt keine Rolle – wir sind alle zusammen, genießen die wunderbare Atmosphäre der klassischen Boote und haben unglaublich viel Spaß – was will man mehr?“

Als abends die Boote wieder eng aneinander und schick beflaggt im Yachthafen Suppersbach bei Bregenz liegen, bekommt man mehr und mehr eine Ahnung von dieser Form des Nichtstuns. Wieder wird gefeiert. Diesmal ist es die Besatzung der „Tir Na Nog“, die anlässlich des 100. Geburtstages ihres L-Bootes zu einem Apéro einlädt. Und dank eines großzügigen Spenders, zuzüglich des Geldes, das von den Meldegebühren nach Abzug aller Hafenliegeplätze übrig blieb, wird sogar noch das Abendessen jedes einzelnen Teilnehmers bezahlt.

Am Bodensee ist im Sommer oft kein Wind. Regatten fallen dann aus, dieses Treffen aber nicht

Der ein oder andere nutzte das Wochenende auch als Auftakt für einen Urlaub auf eigenem Kiel am Bodensee. „Da rutschte halt rein, wenn du dabei bist“, sagt die blonde Organisatorin mit breitem Lächeln, sichtlich darüber erfreut, dass nach 2014, 2016 und 2018 auch dieses vierte Classic Weekend Bodensee ein voller Erfolg war. „So lernst du Leute und Häfen kennen und bekommst wichtige Insidertipps.“ Auch wenn es sicherlich viele Revierführer und Infos rund um den Bodensee gibt, die gefilterten Tipps durch die Brille Gleichgesinnter sind unersetzlich.

Organisatorin Sylvie Schneider (r.) am Ruder ihres 15-qm-Ausgleichs-JollenkreuzersFoto: YACHT/T. StoerkleOrganisatorin Sylvie Schneider (r.) am Ruder ihres 15-qm-Ausgleichs-Jollenkreuzers

Allein die Segler der typischen Bodenseeklassen – etwa der 8-mR-Yachten, der 45er und 75er Nationalen Kreuzer oder der Lacustre – sind hier nicht in großer Zahl vertreten. Aber: „Was nicht ist, kann ja noch werden“, resümiert Schneider und sieht es als eine Aufgabe für die Zukunft, vielleicht auch die „Klassensegler“ mehr noch als Teilnehmende zu gewinnen.

Genauso wie sie vielleicht das Treffen auch um eine Zubringerregatta am Mittwoch erweitern möchte. „Aber das ist nur ganz lose angedacht und hängt vor allem von unseren Teilnehmern ab, ob die das möchten. Wir sind hier einfach eine große Familie“, betont Schneider.

Lust am Holz und Freude am Segeln

Am nächsten Tag geht’s für alle wieder heim, bunt verteilt über den See in den jeweiligen Heimathafen. Dann werden die Treffen wieder eher der zufälligen Art sein, bis im kommenden Jahr die Bodensee Traditionswoche erneut alle auf einem Fleck versammelt und im Jahr darauf das Classic Weekend wieder stattfindet.

Die abschließenden Dankesworte im gemeinsamen Classic-Weekend-Chat unterstreichen die Begeisterung der Teilnehmer über das gemeinsam verbrachte Wochenende. „Ich möchte mich sehr für das Wochenende mit euch, den Schiffen, der Mitsegelgelegenheit, eurer Gastfreundschaft, den Schlafmöglichkeiten, den guten Gesprächen, dem Freibier und und und (ich nenne absichtlich keine Namen, es geht an euch alle) bedanken“, schreibt da beispielsweise ein Teilnehmer.

Oder ein anderer: „Nach so langer Zeit mal wieder mit so vielen netten Menschen, guten Freunden und den vielen liebevoll gepflegten Booten zusammenzukommen, tat richtig gut, vielen Dank dafür und hoffentlich bald wieder.“

Und so stieben sie auseinander, die Klassikersegler, und bleiben doch weiterhin geeint in ihrer Lust am Holz, der Freude am Segeln und dieser ganz besonderen Empathie für die Vollkommenheit oftmals honigfarben glänzender Holzplanken auf türkisem Wasser unter weißen Segeln – ganz ohne Wettkampfgedanken, ohne höher, schneller, weiter, ohne Messer zwischen den Zähnen.

Text: Sina Wolf


Auch interessant:

Meistgelesen in der Rubrik Yachten