Einhand-AbenteuerBodensee-Runde mit dem Opti

YACHT-Redaktion

 · 11.03.2023

Der Autor segelte drei Tage lang im Optimisten über den Bodensee

Mit Luftmatratze und Proviant wird der Opti eines Bodensee-Seglers zum Vehikel für das langersehnte Einhand-Abenteuer. Der Bericht seiner Traumreise

Das kleine Boot trieb vor sich hin, seit es im Morgengrauen seinen Ankerplatz am Ufer westlich von Friedrichshafen verlassen hatte. Ein Mann Mitte fünfzig saß zum Bug gelehnt an der Pinne. Es war gerade so viel Wind, dass das Segel auf dem Raumschotskurs trotz Luvkrängung stand. So wäre im eher unwahrscheinlichen Fall einer Böe kein Kentern zu befürchten. Trotz des lauen Windes trug er seine Schwimmweste, wie er es seiner Frau versprochen hatte.

Die Stadt war noch mehr als drei Stunden lang sichtbar gewesen, bevor sie endlich im Dunst verschwand. Bei klarem Wetter hätte man auf der gegenüberliegenden Seite des Bodensees die herrliche Bergkette der schweizer- und österreichischen Alpen sehen können. Dieses Mal flossen Horizont und Dunst übergangslos ineinander. Unser Segler fühlte sich verloren in Raum und Zeit, und es war ein schönes Gefühl.

Der “lange Schlag” zum anderen Ufer des Bodensees

Knapp eine Stunde nach dem Start zu seiner lang geplanten „großen Überquerung“ hörte er Stimmen. Waren es Halluzinationen, wie sie in seinen Weltumsegler-Büchern beschrieben werden? Dass es so schnell passieren würde, hätte er nicht gedacht. Aber es gab keinen Zweifel. Deutlich vernahm er Stimmen seiner Kindheit. Mitten auf dem Bodensee. „Ah vorzehl doch net“ – „glaub mor doch“ – „wenn es dor doch sag“ – „liagsch du mi jetzd oh?“ – „ha noi“ …

Er drehte sich in der kleinen Jolle mühsam um die eigene Achse – nichts zu sehen. Erst nach einem zweiten Rundumblick entdeckte er am Horizont zwei Strichmännchen, die ihre Arme rhythmisch auf und ab bewegten. Schwäbische Stand-up-Paddler, weit draußen auf dem See, verwickelt in ein Streitgespräch. Er war gar nicht allein. Sein abenteuerlicher „langer Schlag“ zu fernen Ufern erschien ihm mit einem Mal weniger heldenhaft, und er beschloss, von diesem Zwischenfall niemandem zu erzählen.

Eine Polizistin erkundigte sich neugierig, warum er mit „so was“ mitten auf dem See trieb

Motorenlärm schreckte ihn auf. Ein Polizeiboot mit Schweizer Flagge tauchte aus dem Dunst auf. Er befürchtete Ärger und winkte vorsorglich besonders freundlich. Eine Beamtin starrte auf ihn herab und erkundigte sich eher neugierig als verärgert, warum er mit „so was“ mitten auf dem See trieb. Mitten auf dem Bodensee bedeutete für ihn die erfreuliche Nachricht, dass er die Hälfte bis nach Romanshorn schon hinter sich hatte. „Ich will nur segeln“, war die einfache Antwort. War das nicht genug?

Seine Adresse und die obligatorische Sicherheitsausrüstung wurden überprüft, dann musste er sich einem Alkoholtest unterziehen. Aufgrund der Bootslänge von weniger als 2,50 Metern war keine Registrierungsnummer erforderlich. Die Beamten diskutierten miteinander, dann wurde ihm ein Permanentmarker gereicht, mit der Aufforderung, Name und Adresse gut sichtbar ins Boot zu schreiben. Nachdem sie ihn daran erinnert hatten, dass Ankern nachts nur mit Rundumlicht erlaubt sei, setzten sie ihre Fahrt in Richtung deutsches Ufer fort.

Die Suche nach Freiheit und Sorglosigkeit trieben ihn hinaus

Er dümpelte in den Heckwellen und überlegte, wie er den Beamten verständlich hätte erklären können, was er da tat. Diese seltene Gelegenheit, aus dem Alltag zu verschwinden, einfach für wenige Tage und Nächte, um das Leben eines temporären Herumtreibers zu führen. Sorgloses Segeln. Der Wikingerspruch „Bound is the boatless man“ könnte leicht mit der Biografie unseres Segelhelden widerlegt werden. Boote hatte er viele gehabt. Die Freiheit, sie zu nutzen, nicht.

Die Route des Bodensee-AbenteuersFoto: Detlef Teufel
Die Route des Bodensee-Abenteuers

Weit weg vom Wasser aufgewachsen, konnte er sein erstes Boot – das Modell eines Hobie Cat 14 für „Big Jim“-Figuren – nur nach tagelangem Regen auf dem Flachdach der Garage segeln lassen, wenn er vorher den Abfluss verstopft hatte. Mit zwölf Jahren hatte er sich einen Segelkurs zum Geburtstag gewünscht und war in den Sommerferien eine Woche auf einem Allgäuer See in der Windstille mit anderen Kindern um die Wette gedümpelt.

Weit weg vom Wasser aufgewachsen, hatte er schon viele Boote gehabt. Die Freiheit, sie zu nutzen, nicht

Dann endlich, mit 14 Jahren, eine Segeltour mit dem Onkel durch die Dänische Südsee und Jahre später „rund Rügen“ kurz nach der Wende. Es folgten Meilentörns für die Segelscheine während der Studienzeit und Chartertouren in Australien und der Karibik, an der deutschen Ostseeküste und in den schwedischen Schären. Er war schon auf Katamaranen über Seen gebrettert und durfte als Crewmitglied bei Klassikerregatten auf dem Genfer See mitsegeln. Als Schiffbrüchiger war er auf einem gekenterten Laser in der Ría de Betanzos nördlich von La Coruña getrieben und hatte mit seiner Frau wunderschöne Wanderfahrten auf Strandkatamaranen unternommen. Er hatte schon mehrere Boote entworfen und gebaut, aber aus Platzmangel nach der Testfahrt verkauft oder verschenkt. Der jährliche Charterurlaub mit den gelangweilten Kindern war mangels Übung von Manöverstress gekennzeichnet, und auf den Herrentörns mit Kollegen fühlte er sich immer wie in einem Wettbewerb. Seinen vor dem Haus liegenden selbst entworfenen Sechs-Meter-Katamaran konnte er an Land nicht allein bewegen und aufbauen.

Was braucht man mehr als einen Optimisten?

Das entsprach alles nicht der grenzenlosen Seglerfreiheit seiner Tagträume. Aber jetzt war alles anders. Sein neues Spielzeug konnte er mit Polstern unterlegt selbst aufs Autodach hieven. Am Strand reichte ein einfacher Fender für den Landtransport. Liegeplatzkosten gab es nicht. Sorge um den Verlust oder die Beschädigung eines kostbaren Bootes auch nicht. Es gab nur eine Schot und eine Pinne.

Was brauchte man denn schon mehr, um Wasser, Wind, Wellen und unendliche Weite zu erleben? Vor zwei Jahren hatte er spontan den 43 Jahre alten GFK-Optimisten auf dem Schrotthaufen einer Segelschule am Neuenburger See entdeckt und dessen Eigner für 250 SFr. abgekauft.

Im Winter hatte er die Neuanschaffung dann für sein Vorhaben optimiert und dabei die Schottwand im Boot an Backbord entfernt. Durch diese kleine Änderung fand seine Luftmatratze Platz, was das Kinderboot in eine minimalistische Wanderjolle mit einer schmalen Koje für eine maximal 1,80 Meter große Person verwandelte. Auf der Steuerbordseite war Platz für das Gepäck eines mehrtägigen Törns.

Die Luftmatratze zwischen Schwertkasten und Auftriebskörper macht aus der Kinderjolle ein minimalistisches Fahrtenboot

Das abgenutzte Regattasegel war durch ein rotes One-Design-Segel mit einfachem Schnitt ersetzt worden. Die durch jahrelangen Segelschulbetrieb freigelegten Glasfaserschichten auf der Unterseite wurden mit Gewebeflicken und Epoxidharz überlaminiert und mit einer dicken Lackschicht versehen. Die Pinne musste extrem gekürzt werden, damit beim Wenden und Halsen genug Raum vorhanden ist, um den Körper eines Erwachsenen in gesetztem Alter von einer Rumpfseite auf die andere zu wuchten.

Wer schon einmal versucht hat, bei einer Segeljolle mit gleich langem Unter- und Oberbolzen der Ruderaufnahme im kabbeligen Wasser das Ruder einzuhängen, kennt das Problem. Es ist fast unmöglich, weil beide Löcher gleichzeitig auf der richtigen Höhe eingepasst werden müssen, und das bei sich heftig gegeneinander bewegenden Bauteilen. Mit einer Eisensäge wurde der obere Edelstahlbolzen daher um fünf Millimeter gekürzt, sodass das Loch des unteren Ruderbeschlags erst auf den Bolzen gesetzt und fixiert werden kann und dann noch genug Luft zwischen oberem Bolzen und Aufnahmeloch vorhanden ist, um den oberen Beschlag einzufädeln.

Das Schwert wurde um 20 Zentimeter gekürzt, ohne dass sich dadurch die Abdrift erkennbar erhöhen würde. Die Kerbe für das Spanngummi, mit dem das Schwert auf Vorwind-Kurs hochgehalten wird, wurde vertieft. In einer regnerischen Nacht kann das hochgestellte Schwert so als „First“ für eine Plane dienen, die dann von zwei weiteren Spanngummis quer über Bug und Heck gehalten wird. Dieselben Spanngummis bringen das Dingi während der Fahrt zur Selbststeuerung.

Minimalistische Ausrüstung im OptiFoto: Detlef Teufel
Minimalistische Ausrüstung im Opti

Ein Optimist als Wanderjolle

Der neue Name sollte den Opti als Wanderjolle ausweisen. Ihn zu finden, hatte eine ganze Weile gedauert. „Weltumsegler“, „Roamer“, „Escape Box“, „Tramp“, am Ende entschied er sich für den klanghaften Namen „Knulp“, die Hauptfigur eines Romans von Hermann Hesse. Knulp ist ein in die Jahre gekommener Landstreicher, der in seine Heimatstadt zurückkehrt und dort sein ruheloses Leben mit dem Leben der sesshaft gebliebenen Bürger vergleicht. Das in dieser Geschichte so idealisierend beschriebene ziellose Herumstreichen sollte die neue Aufgabe der Jolle werden.

Vor Einbruch der Dunkelheit war er dem Schweizer Bodensee-Ufer endlich nähergekommen, und eine leichte Brise aus Norden setzte ein. Da er etwas östlich von Romanshorn angekommen war, konnte er gut erkennen, dass der Uferverlauf an der Hafeneinfahrt von Nord nach Nordwest wechselt, was den Name „Horn“ erklärt.

Leider war er etwa 300 Meter unterhalb dieses Horns angekommen und versuchte während der nächsten zwei Stunden verzweifelt, mit der Hafeneinfahrt im Blick, das Hindernis kreuzend zu umrunden. Es wurde dunkel. Er wollte nicht aufgeben. Ein Angler rief ihm etwas von der Hafenmauer zu, aber unser Segler antwortete nicht. Er wollte sich sein kleines Langstreckensegelabenteuer nicht durch den einladenden Hafen und die sicherlich dort anzutreffenden Restaurants verderben lassen.

In Gedanken versetzte er sich in die Lage der Fischer auf der Mole. Dunkelheit bis zu den Lichtern am deutschen Ufer, die Angeln ausgeworfen und fixiert. Ruhe. Dann taucht ein alter Mann auf seinem Kindersegelboot auf, verschwindet nach einer Wende wieder aus dem Schein der Hafenlichter, um nach weiteren fünf Minuten wieder aufzutauchen. Das Spektakel wiederholt sich mehrere Male, ohne dass das rote Segel vom Fleck zu kommen scheint. Was man beim Angeln so alles erleben kann!

Einige Minuten nachdem die Glocken der Pfarrkirche St. Johannes den Anbruch des neuen Tags verkündet hatten, konnte er endlich das Horn passieren und verfolgte die nun nordwestlich verlaufende Küstenlinie hart am Wind.

Nachtquartier an einer Boje vor Kesswil

Bald ragte eine schwarze Masse über die dunkelblaue Uferlinie in den See, und er griff zur Taschenlampe, um sich Klarheit zu verschaffen. Eine Privatvilla ragte in den See hinein. Er hatte direkt ins offene Schlafzimmerfenster geleuchtet. Das Zimmerlicht wurde angemacht, ein Schatten erschien am Fenster, und eine zornige Stimme brüllte in die Nacht. Er antwortete mit einer schwachen Entschuldigung, schaltete schnell die Taschenlampe aus und verschwand im Schutz der Dunkelheit. Eine fadenscheinige Erklärung zurückzubrüllen wäre eine weitere Belästigung gewesen.

Auf der Steuerbordseite sitzend, blickte er auf das Ufer mit den Straßenlaternen der Dörfer am Schweizer Ufer. Hinter seinem Rücken waren der schwarze Bodensee und ein paar Lichter am fernen deutschen Ufer.

Der Wind blies stärker, und immer mehr Wasser fand den Weg ins Boot. Langsam kroch die Kälte unter seine Kleidung. Nach über zwölf Stunden verkrampftem Sitzen in der Kiste war das Fernweh für den Augenblick gestillt. Müde und durchgefroren machte er sich auf die Suche nach einer freien Boje und wurde vor der Ortschaft Kesswil fündig. Mit dem Schwamm trocknete er den Boden. Eine Luftmatratze überbrückte den noch vorhandenen unbequemen GFK-Höcker des entfernten Schotts, und dann schlüpfte er in den Schlafsack und klemmte sich zwischen Schwertkasten und eingebauten Auftriebskörper.

Ein Schlag ins Gesicht weckt den Optimisten-Abenteurer

Diesmal hielt ihn das Klatschen der Wellen gegen den flachen Sharpie-Boden, das ihn die Nacht zuvor noch aus der Fassung gebracht hatte, nicht davon ab, sofort einzuschlafen. Ein Schlag ins Gesicht weckte ihn brutal aus dem Schlaf. Ein durchdringendes Kreischen erfüllte die Nacht, gefolgt von wildem Geflatter. Er schrie auf. Der mächtige Schatten eines Vogels verschwand unter empörtem Geschrei. Er fühlte etwas Nasses, Warmes auf seiner Wange, und ein Geruch stieg ihm in die Nase, den er sofort identifizieren konnte.

Unsanfte Weck-Aktion eines SeevogelsFoto: Detlef Teufel
Unsanfte Weck-Aktion eines Seevogels

Mit klopfendem Herzen schaltete er die Taschenlampe ein und versuchte, das weißgrünliche Zeug loszuwerden, das sein Gesicht, das Innere seines Bootes und seinen Schlafsack verschmiert hatte. Mit reichlich Adrenalin in den Adern war er danach fit genug, um seine Fahrt fortzusetzen. Er wollte kein zweites Mal als Zielobjekt für Seevögel dienen.

Die ersten Anzeichen der Morgendämmerung waren hinter ihm zu erkennen, während er mit geringem Abstand an der Küste entlangsegelte. Seinen Proviant, bestehend aus zwei Liter Wasser, acht Schokoriegeln, selbst getrockneten Apfelringen und mit Schokolade überzogenen Puffreisquadraten, hatte er schon am Vorabend verbraucht, und er sehnte sich nach einem ordentlichen Frühstück. Es war allerdings viel zu früh, um einen geöffneten Kiosk für einen Kaffee und etwas zu essen zu finden.

Bis jetzt war er mehr als zufrieden mit seiner kleinen Eskapade. Sie beinhaltete alles, was sich ein abenteuerlustiger Familienvater nur wünschen kann: Einsamkeit, Übernachtung unter den Sternen, einen großen Schlag über den Bodensee, unerforschte Gewässer, Begegnung mit Wildtieren und Eingeborenen und schließlich Bier und Schnitzel in einem bodenständigen Restaurant am ersten Abend.

Die Sonne ging hinter seinem Rücken auf. Kurze Zeit später kam ein Campingplatz in Sicht, und er landete am Kiesstrand und schleifte sein Dingi über einen Fender, bis es einige Meter über dem Wasserspiegel lag. Natürlich gibt es am Bodensee keine Flut, aber auf einer früheren Reise hatte eine Motorbootwelle seine Jolle zurück ins Wasser gezogen, sodass er hinterherschwimmen musste. Und schließlich sagt ein englisches Sprichwort : „Ein echter Seemann bindet sein Boot fest, auch wenn es in einem Kornfeld liegt!“

Im Konstanzer Trichter bekommt der Bodensee Strömung

Das Restaurant hatte bereits geöffnet. Die ersten Dauercamper saßen schon beim Frühstück, diskutierten die neuesten Nachrichten und beobachteten den Neuankömmling misstrauisch. Er bestellte Croissants mit Butter und Haselnusscreme, Schweizer Ovomaltine, einen Kaffee, noch einen Kaffee, gefolgt von Rührei mit Speck und einem Orangensaft. Auf dem Weg zum Boot trug er zwei weitere Wasserflaschen und viel Schokolade mit sich.

Nun lag der Konstanzer Trichter vor ihm. An dessen Ende geht der Bodensee unter den Brücken von Konstanz für einige Kilometer in einen Rheinabschnitt über, bis er wieder in den Untersee mündet. Das Boot schaukelte heftig in dem sich kreuzenden Schwell der zahlreichen Motorboote.

Im „Trichter“ drehte der Wind und wehte stärker, sodass er kreuzen musste. Als er spürte, wie ihn die Strömung des Rheins in Richtung der ersten Brücke in Konstanz zog, legte er den Mast, da er nicht wusste, wie hoch der Brückendurchgang ist. Es begann eine Raftingfahrt zwischen Brückenpfeilern und Ausflugsbooten hindurch. Nach der Unterquerung der Autobahnbrücke setzte er das Segel neu und trieb mit dem Strom.

Auf der rechten Seite tauchte die ehemalige Fabrikanlage der Firma Strohmeyer auf. Diese Firma war in den sechziger und siebziger Jahren durch die Entwicklung und Produktion großer Zeltdächer bekannt. Die direkt am Flussufer errichtete Anlage wurde später zu einer Bar und einem Biergarten umgebaut. Ideal für eine frühe Mittagspause.

Seemannsgarn gehört zum Seglerleben dazu

Hier erlebte er zum ersten Mal auf der Reise die bisher ausgebliebene Bewunderung für seine Tour im Kinderboot mit leichtem Gepäck. Drei Tage frei zu haben – ohne Verpflichtungen und ohne vorgegebene Ziele –, das klang für den Vater einer Urlauberfamilie am Nachbartisch begehrenswert. Unser Segler nahm sein Radlerglas fest in die Hand, lehnte sich zurück und begann mit seiner Reise zu prahlen.

Noch während er sprach, erinnerte ihn sein Alter Ego an den Familienurlaub in der Bretagne drei Wochen zuvor, wo protzende Surfer von Drei-Meter-Wellen sprachen, obwohl die Wellen, die es abzureiten galt, bestenfalls 1,5 Meter maßen. Wie hatte er gelacht und sich überlegen gefühlt, als er ihnen mit seinem selbst gebastelten Handsurfbrett und seinen Schwimmflossen unter diesen Bedingungen die Show auf ihren Shortboards stehlen konnte.

Jetzt war er an der Reihe. Er beobachtete sich selbst, wie er mit starken Übertreibungen die Reise beschrieb. Er kam sich noch nicht einmal schlecht dabei vor, gehörte es doch von jeher zum festen Bestandteil eines Seglerlebens, Seemannsgarn zu spinnen. Mutter und Kinder langweilten sich schnell bei seinen detaillierten Ausführungen. Dagegen konnte der Vater seinen Wunsch nach einer ähnlichen Reise nur schwer verbergen.

Durch seinen ungeplanten längeren Auftritt als Lokalmatador und ein ungewohntes zweites Bier verging die Zeit, und als er seine Reise endlich fortsetzte, war es später Nachmittag. Entlang dem Fluss reihten sich Grillplätze, Angler, Rudermannschaften, Seekajak-Fahrer und Passagierboote. Der Geruch von gegrilltem Fleisch zusammen mit dem besonderen Licht der Abendsonne, getoppt von dem Gefühl, ein Held zu sein, ließen ihn dem Untersee entgegenschweben.

Paddel-Flucht vor der Mücken-Plage

Gottlieben, ein malerisches Dörfchen auf der Schweizer Seite, erreichte er bei Sonnenuntergang, und das Schilf des Naturschutzgebietes Wollmatinger Ried glühte im Licht der tief stehenden Sonne. Der Wind legte sich, und kleine Insekten füllten die Luft – keine stechenden, aber solche Massen, dass es schwer war zu atmen.

Mückenplage in GottliebenFoto: Detlef Teufel
Mückenplage in Gottlieben

Er begann zu paddeln. Die Pinne mit einem einfachen Fahrradspanngurt fixiert, passierte er eine Vogelbeobachtungsplattform und drängte sich dann mit frenetischen Schlägen durch eine Schwanenschar. Die Insektenwolke wurde immer dichter und begann in seine Nase einzudringen. Er versuchte vergeblich zu entkommen. In seiner Verzweiflung sprang er mit einem Seil um die Hüfte ins Wasser und schleppte das Boot eine Weile hinter sich her. So kam er voran und entkam den Biestern.

Die von der schon untergegangenen Sonne von unten angeleuchteten Wolken spiegelten sich auf wundersame Weise im See. Das Wasser war warm, schwarz mit orange blinkenden Wellen. Wie ein Traum. Er hätte ewig so weiterschwimmen können. Bei völliger Dunkelheit hievte er sich zurück ins Boot und nutzte die schwarzen Schatten der Bojen des Vogelschutzgebietes zur Orientierung. Er konnte sonst nur die Lichter der Dörfer am Schweizer Bodensee-Ufer und die der Autos auf dem Damm zur Insel Reichenau sehen.

Abwechselnd paddelte und segelte er noch eine Weile, bis dann gegen 23 Uhr in völliger Dunkelheit und Windstille der Anker fiel. Das Ufer war nahe, und der 2,5 Kilogramm schwere Klappanker berührte schon nach wenigen Metern Tiefe den Boden. Er nutzte eine Straßenlaterne auf der Insel als Peilung. Einige Minuten noch beobachtete er das Licht, und als dieses die Position nicht veränderte, legte er sich schlafen. Am nächsten Morgen sah er den Klappanker zusammengefaltet auf dem Grund liegen. Bei Windstille hatte sein Gewicht allein das Boot gehalten.

Der Optimisten-Abenteurer wollte allein sein mit sich und der Welt

Der Untersee war mit einer tief liegenden bleifarbenen Wolkendecke überspannt. Dieselbe Farbe hatte auch die glatte See angenommen. Er setzte Segel und trieb in Richtung Halbinsel Höri. Allein in der Mitte des Sees, zog er sich aus, tauchte in die bleierne Oberfläche, und später trockneten die langsam durch die Wolkenschicht drückenden Sonnenstrahlen seinen Körper. In vollkommener Ruhe und Einsamkeit nahm er ein einfaches, aber unvergessliches Frühstück mit viel Schokolade zu sich. In den nächsten Stunden wechselte leichter Wind mit vollkommener Flaute, und manchmal benutzte er das Paddel als Antrieb – nur für das Gefühl des Weiterkommens.

Gegen Mittag passierte er Gaienhofen. Statt, wie ursprünglich geplant, das dortige Dichtermuseum zu besuchen, segelte er einfach in den sich verengenden See weiter.

Am Ende des Untersees wird die Strömung spürbarFoto: Detlef Teufel
Am Ende des Untersees wird die Strömung spürbar

Er wollte allein sein mit sich und der Welt und einfach nur segeln; blieb dicht am Ufer und bewunderte die ankernden Boote und Häuser entlang seines Kurses.

Kurz vor Stein am Rhein war die beginnende Strömung zu spüren. Hier verlässt der Rhein den See, um etwa 20 Kilometer flussabwärts über die Kaskaden des Rheinfalls der Nordsee entgegenzustürzen.

Mehr als zufrieden mit seinem Abenteuer, wollte er allein sein mit sich und der Welt und einfach nur segeln

Vor der Insel Werd mit ihrem Kloster fiel der Anker ein letztes Mal, und der Opti-Segler sprang zum Abschluss seines so langersehnten Törns noch einmal ins kühle Wasser des Bodensees. Mehr als zufrieden mit seinem Abenteuer, rief er schließlich zu Hause an. Ob seine Frau ihn abholen möge. Er sei nun wieder bereit, mit neuer Energie ins Familienleben einzutauchen.

Text & Illustrationen: Detlef Teufel


Auch interessant: