Jochen Rieker
· 23.07.2024
Der Markt für Yachten hat sich in den vergangenen Jahren enorm breit aufgefächert. Kaum ein Segment, in dem nicht neue Unterarten entwickelt wurden. Im Luxusmarkt etwa sind gerade Luxury Performance Cruiser gefragt, beim Mehrrumpf-Angebot hat Excess eine Nische zwischen Fahrten- und Sportkats aufgemacht.
Nur im Bereich der kleinen, auch mit mittlerem Einkommen noch halbwegs bezahlbaren Boote dünnt sich der Markt mehr und mehr aus. Bis auf Beneteau, die mit der First-Reihe zwischen 14 und 27 Fuß zeitgemäße Kompaktmodelle anbieten, bedient keine der großen Serienwerften mehr das Einstiegssegment. Umso erfreulicher daher, dass andere, kleinere Bootsbauer diese Lücke füllen – so wie der Bretone Antoine Houdet mit dem neuen Tricat 6.90.
Der Fahrten-Trimaran mit den beiden über Taljen nach hinten schwenkbaren Seitenschwimmern bleibt mit einem Grundpreis von 62.260 Euro günstig, zumindest gemessen an der durchdachten Konstruktion und der modernen Infusionsbauweise sowie Ruder und Schwertern aus Carbon. Segelfertig ausgerüstet mit Außenborder, Fender, Festmacher, Ankergeschirr, Gaskocher und Antifouling kostet er mehr, bleibt damit aber immer noch ein faires Angebot – vor allem, wenn man seine Universalität und nahezu uneingeschränkte Mobilität berücksichtigt.
Mit einem Leergewicht von 720 Kilogramm ist der 23-Fuß-Tri ein echtes Leichtgewicht. Zum Vergleich: Die First 24, ein sportliches Einrumpfboot, wiegt knapp ein Drittel mehr. Selbst mit Trailer und Urlaubsgepäck an Bord bleibt die Anhängelast auf unter 1,3 Tonnen begrenzt – was bedeutet, dass er selbst von einem Golf in Basisversion mit Einliter-Benziner problemlos gezogen werden darf.
Ähnlich leicht wie bei einer Jolle geht auch das Slippen und Maststellen von der Hand. Eine auf Wunsch lieferbare Jüttvorrichtung macht unabhängig vom Mastenkran, und dank clever konstruiertem Trailer rutscht das Boot so früh ins Wasser, dass niemand dabei nasse Füße bekommt.
Anders als der ansonsten in vielem vergleichbare Astus 22.5 (siehe Test in YACHT 7/2022) glänzt der Tricat auch beim Entfalten der Schwimmer mit Leichtigkeit. Ein kleiner Schubs mit der Hand nach außen, ein Zug an der Ausholleine, und schon schwingen die Ausleger in Position. Von 2,45 Meter Breite auf dem Hänger zu vollen 4,60 Meter im Segelmodus dauert das nicht mal 30 Sekunden. Umgekehrt funktioniert es genauso rasch und reibungslos. Wer in der aktuell angespannten Liegeplatz-Situation keine eigene Box am Steg der Lieblings-Marina findet, kann den Dreibeiner samt Trailer deshalb auch bis zu seinem Einsatz daheim oder auf einem Stellplatz im Hafen parken und spart obendrein Liegegeld. Ein Vorteil, der zumindest in den kommenden Jahren für zahlreiche Eigner hohe Relevanz haben wird.
Was insbesondere für Neu- oder Wiedereinsteiger attraktiv sein dürfte, ist ein für Mehrrumpfboote typischer Vorteil: das Fehlen von Lage beim Segeln. Darin hebt sich der Tricat angenehm von herkömmlichen Kleinkreuzern ab, die in dieser Größe obendrein meist weniger Stauraum offerieren.
Nur Stehhöhe kann das Boot nicht bieten. Unter dem geschlossenen Klappluk am Niedergang misst der Tricat nicht ganz 1,50 Meter. Dafür reicht es im Sitzen bequem: Mittschiffs sind es 91 Zentimeter zwischen Sitzbank und Kajütdach, am Kopfende der Vorschiffskoje auch noch 81 Zentimeter.
Antoine Houdet, der stets gut gelaunte und ins Tüfteln und Bauen verliebte Werftchef, hat für einen so kompakten Trimaran eine erstaunlich umfangreiche Ausstattung zusammengestellt. Bis auf ein Druckwassersystem, Dusche und ein See-WC ist alles zu haben, was man sich auf einer kleinen Fahrtenyacht auch wünschen würde. Und zwar entweder in Paketform, was günstiger kommt, oder einzeln, was sehr individuelle Konfigurationen zulässt. Klasse!
Zum Test trat das Boot mit Vollausstattung an, inklusive des leistungsfördernden Sportpakets mit längerem Großbaum, damit mehr Segelfläche und besseren Beschlägen. Wer dann noch den Trailer dazu ordert, liegt bei gut 75.000 Euro Gesamtpreis, deckt aber auch das komplette Spektrum ab – vom Fahrtenboot bis zur Spaßmaschine.
Unter Deck können maximal vier Gäste übernachten, das freilich unter Verzicht auf jede Bewegungsfreiheit. Denn die Seitenbänke taugen mit 46 Zentimeter Breite nicht wirklich als Kojen. Komfortabler wird es, wenn der Tisch als Auflage dazwischen dient und mit Zusatzpolstern eine Doppelkoje mit immerhin 1,38 Meter Schulterbreite entsteht. Nur kommt dann niemand mehr vom Vorschiff ungestreift zum Niedergang. Weshalb der Tricat 6.90 recht eigentlich ein Zwei-plus-zwei-Modell ist, will heißen: zwei Kinder vorn, zwei Erwachsene in der Mitte. Maximal!
Weniger klaustrophobisch geht es zu zweit zu. Wer diese Crewstärke wählt, muss nachts auch nicht alles Gepäck zur Seite räumen und hat Platz, um sich mal etwas zu separieren oder gemütlich zu klönen, bevor es in die Koje geht. In der „Family“-Version bietet der Tricat viele gut nutzbare Ablagen, Staufächer und Schapps, sodass man nicht aus der Tasche leben muss.
Von Baunummer zwei an wirkt der Ausbau auch weniger „gebastelt“, weil die hier gezeigte, eher handwerklich anmutende Sperrholz-Möblierung, welche Vorschiff und Hauptkajüte trennt, jetzt aus schieren GFK-Modulen besteht. Unverändert blieb jedoch die rustikale Raufaser-Optik: So sind Rumpfwände und Deck lediglich leicht geglättet und mit Topcoat versiegelt, die Hutmuttern der Beschlagsbolzen mangels Innenschale unübersehbar. Das ist dem Bestreben um Leichtbau und der maximalen Raumausnutzung geschuldet, in dieser Klasse üblich, auch wenn es leicht unbehaglich rüberkommt. Entschädigung finden Eigner dafür, wenn es vorwärtsgehen soll.
Darin nämlich liegt eine der größten Stärken des Konzepts. Der 6.90 braucht mangels Masse nicht viel Wind, um den meisten anderen Booten die Hecks zu zeigen. Beim Test im Rahmen von Europas Yacht des Jahres 2022 in der Bucht von La Rochelle häufig Schnellster der gesamten Flotte, zu der auch exquisite Performance-Cruiser wie JPK 39 und Pogo 44 zählten.
Schon bei fünf Knoten Wind sprang er agil an, ab zehn Knoten kam er unter Gennaker halbwinds und raumschots ins Gleiten. Er macht sich dabei seine eigene Brise, weil er durch Geschwindigkeit den scheinbaren Wind erhöht. Als es am Nachmittag in einer kurzen Front auf 18 bis 20 Knoten aufbriste, zeigte er auf beeindruckende Weise sein ganzes Potenzial. Mit bis zu 15 Knoten Fahrt durchs Wasser flog er an konventionellen Verdrängeryachten nur so vorbei. Spätestens dann zaubert er ein Lächeln in die Gesichter auch der erfahrensten und abgebrühtesten Testredakteure.
Das alles ist, wie das ganze Schiffchen, geprägt von einer fast spielerischen Leichtigkeit. Dank der Carbon-Schwerter und der gelungenen Auftriebsverteilung der Rümpfe segelt der Tricat so sicher wie auf Schienen, lässt sich aber auch willig Wind und Wellen hinterhersteuern. Lediglich zwei Kritikpunkte schmälerten den Spaß geringfügig: Die Laminatsegel sind zu flach profiliert für effizienten Leichtwindtrimm, und das hinten angehängte gut vorbalancierte Ruder hat in der Aufhängung leichtes Spiel, worunter Präzision und Rückmeldung leiden.
Weil wir beim Mäkeln sind: Auch die Trampoline zwischen Haupt- und Seitenrümpfen könnten etwas stärker gespannt sein. Sie tragen zwar kaum zur Steifigkeit der Verbände bei, vermitteln aber beim Gang auf die Schwimmer, etwa im Hafen, weniger Halt als möglich.
Sonst aber gefällt der 6.90 in der Konstruktion, den Decksdetails und deren Verarbeitung. Mehr noch: Er bietet einige praktische Lösungen, die man auf weit teureren Yachten heute längst nicht mehr findet – etwa ein Schwalbennest im Cockpit für Handy, Sonnencreme oder Snacks. Die Werft hat trotz des wettbewerbsfähigen Preises dankenswerterweise nicht an sinnvoller Ausrüstung oder Substanz gespart.
Das und die Flexibilität in der Nutzung veranlassten die Jury von Europas Yacht des Jahres 2022, dem Tricat 6.90 eine besondere Erwähnung für seine Vielseitigkeit auszusprechen. Er ist, kurz gesagt, das Tiny House des modernen Bootsbaus. Indem man als Eigner Kompromisse eingeht bei Größe und Komfort, gewinnt man mit ihm an Mobilität, Bedienerfreundlichkeit und Unkompliziertheit. Zum Preis eines aktuellen Zehn-Meter-Fahrtenboots bekommt man den Tri in Vollausstattung, dazu noch einen nagelneuen SUV als Zugfahrzeug – und kann praktisch in ganz Europa Segelurlaub machen, von den finnischen Schären bis zu den griechischen Inseln. Wahrlich kein schlechter Deal!
GFK-Sandwich mit Schaum aus Corecell, im Vakuum-Infusionsverfahren mit Polyesterharz laminiert. Seitenschwimmer über Taljen anklappbar. Aufholbare Steckschwerter und angehängtes Klappruder aus Kohlefaser
Das Standardboot kommt mit einfachen Dacron-Segeln. Das Sportpaket verfügt über Laminatsegel mit 12 Prozent mehr Fläche, Traveller und selbstholende Winschen.
Wer den Tricat für Touren nutzen will, sollte die Version „Family“ Aufpreis wählen. Noch üppiger ist die „Cruising“-Version ausgestattet.
Stand 07/2024, wie die ausgewiesenen Preise definiert sind, finden Sie hier!
Zum Preis eines Campervans bietet der Tricat mehr Wohnkomfort als ein Sportboot und fast so viel Segelspaß. Eine gelungene, mehr noch: eine ganz famose Kombination.
Der Artikel erschien erstmals in YACHT 12/2022 und wurde für die Online-Version aktualisiert.