MODX 70Wenn Vision auf Wirklichkeit trifft – Vorzeigeobjekt für nachhaltigen Yachtbau

Michael Good

 · 24.08.2025

Doppelt segelt besser. Die beiden aufblasbaren Flügel haben zusammen eine Fläche von 250 Quadratmetern.
Foto: Yohan Brandt
Ist das der Aufbruch in eine neue Ära des Segelns? Das ehrgeizige Projekt MODX 70 aus Frankreich will sich mit einem revolutionären Riggsystem als Gamechanger positionieren – ein ambitioniertes Ziel.

Ökologische Verantwortung ist auch in der Yachtbaubranche längst keine Option mehr, sondern zunehmend dringlich. Fossile Antriebssysteme und umweltbelastende Materialien im Herstellungsprozess sind mit den Anforderungen an eine nachhaltige Zukunft kaum mehr vereinbar. Hersteller sind gefordert und reagieren. Dementsprechend befindet sich der maritime Sektor diesbezüglich auch mitten in einer gewissen Transformationsphase.


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Vor diesem Hintergrund präsentiert sich das Projekt MODX 70 als radikaler Gegenentwurf zu den tradierten Konzepten für Hochsee-Katamarane: eine gänzlich emissionsfreie und energieunabhängige Plattform, die von Grund auf für den klimaneutralen Blauwassereinsatz geplant worden ist. Großflächige Solarpaneele, effiziente Hydrogeneration sowie ein intelligentes Energiemanagement sollen einen autarken Betrieb ermöglichen, selbst über weite Strecken und lange Zeiträume. Und das auch ohne Dieselantriebe, Generatoren und Kohlenstoff-Emissionen.

Doppeltes aufblasbares Flügelrigg

Hinter dem visionären Konzept steht die kleine, hoch spezialisierte Werft Océan Développement mit Sitz in der Bretagne. Seit ihrer Gründung im Jahr 2008 haben sich die Franzosen mit zahlreichen außergewöhnlichen Projekten einen Namen gemacht – darunter mit dem Aufbau einer Offshore-Einheitsklasse mit dem Hochleistungs-Trimaran MOD 70. Mit ihrem Engagement für das Projekt Race for Water hat sich die Werft zudem schon bisher aktiv für den Schutz von Wasser und Ozeanen eingesetzt. Ein weiteres Beispiel dafür ist der solarbetriebene Katamaran „PlanetSolar“, den die Werft als innovative Vorzeigeplattform und schwimmenden Botschafter für den Klimaschutz auf die Strecke rund um den Globus gebracht hat. Die Schweizer Stiftung Race for Water ist jetzt auch in das neue Projekt MODX 70 eingebunden. Ziel ist es, das Schiff als Aushängeschild für nachhaltige Entwicklungen zu positionieren.

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An Bord gibt es weder Schoten noch Winschen. Die Flügelprofile werden vollautomatisch getrimmt, von einem Computer.

Das nicht nur optisch aufregendste Element an Bord des MODX 70 sind die doppelten aufblasbaren Flügelriggs. Das Herzstück des von der Firma Aeroforce entwickelten Systems ist ein asymmetrisches Tragflächenprofil mit einer aktiv steuerbaren Hinterkante – dem sogenannten „Flap“. Diese nach dem Vorbild der Landeklappe eines Flugzeugs konstruierte Struktur wird elektrohydraulisch bewegt. Damit lässt sich die Profiltiefe verstellen, je nach Wind.

Die Flügel selbst bestehen aus einem robusten Material und sind um einen mehrteiligen Teleskopmast in ihrem Inneren aufgebaut. Beim Segel- oder vielmehr Flügelsetzen werden die Masten elektrisch hochgefahren und die Flügelkörper gleichzeitig mit leistungsstarken Luftpumpen aufgeblasen, bis zu einem Innendruck von 100 Millibar (0,1 Bar). Das erscheint wenig, reicht aber aus, um den geblähten Flügeln eine erstaunliche Steifigkeit zu verleihen.

Das Entleeren und das Bergen der Tragflächen erfolgt in umgekehrter Reihenfolge: Die Luft wird von denselben Pumpen im Rückwärtsmodus aus den Profilen gesaugt, während gleichzeitig die Masten eingefahren werden. Den Rest besorgt die Schwerkraft. Allerdings nimmt das Auf- und Ausblasen der Tragflächen einiges an Zeit in Anspruch. Beim Prototyp dauern beide Vorgänge jeweils stolze acht Minuten. Die Hersteller Océan Développement und Aeroforce arbeiten daher gemeinsam an neuen Systemen, um diese Prozesse deutlich zu beschleunigen.

Alle Vorgänge werden durch Elektromotoren erledigt

Weil sich die beiden Flügel beim Auf- und Abriggen automatisch nach der scheinbaren Windrichtung ausrichten, braucht der Katamaran während der Manöver nicht im Wind zu stehen, sondern kann jeden Kurs einschlagen. Die Flügel können um 360 Grad gedreht werden, und das beliebig oft hintereinander in gleicher Drehrichtung. Die elektrischen Verbindungen, etwa zu den Ventilatoren, Sensoren oder zur Beleuchtung im Topp, werden dabei über Schleifringe und Gleitkontakte sichergestellt. Technisch ist das beeindruckend gut gelöst.

Sind die Flügel einmal gesetzt, übernimmt der zentrale Systemrechner das Trimmen, je nach Kurs und Wind. Ausnahmslos alle Vorgänge zum Einstellen von Anstellwinkeln und Profiltiefen werden durch eine Vielzahl von Elektromotoren erledigt. Weil die effizienten Flügel schon bei wenig Wind viel Druck aufbauen, braucht es zum Justieren der Riggs eine Menge Drehmoment. Die Kraft kommt auch hier von Elektroantrieben, welche über ein System von Reduktionsgetrieben auf die rotierenden Mastfüße wirken. Leider durfte die YACHT von den äußerst komplexen und technisch sehr aufwendigen Anlagen in den Maschinenräumen keine Fotos machen.

Weil die Flügel unterwegs stets vollautomatisch zur Windrichtung eingestellt werden, bleibt für die Mannschaft nicht viel zu tun – außer den Antriebsgeräuschen der zahlreichen Elektromotoren zu lauschen, welche auf Dauer ziemlich penetrant sein können. Der Skipper kann zwar steuern, wenn er möchte, könnte die Arbeit aber auch ebenso gut dem Autopiloten überlassen, der ebenfalls mit dem Bordrechner gekoppelt ist und von selbst den optimalen Kurs zur Windrichtung findet.

Nur in den Manövern ist noch manuelle Arbeit am Steuerstand nötig. Beim Halsen werden die Flügel mit ihrer Achterkante über den Bug gedreht, um bei Wind ein plötzliches Umschlagen der Profile zu verhindern. Da die Riggs jedoch langsam rotieren – eine vollständige Umdrehung dauert rund eineinhalb Minuten – muss der Steuermann sowohl beim Wenden als auch beim Halsen auf die Position der Tragflächen achten und das Boot entsprechend durch die Manöver steuern.

Volle Leistung auf allen Kursen

Und da ist noch die Sache mit dem ominösen Hebel auf dem Steuerstand. Dabei handelt es sich um eine Art Redundanz-Knauf, mit dem der Steuermann bei Bedarf die beiden Flügel auch manuell ausdrehen kann, weg von der optimalen Anstellung. Das ist dann etwa so, also würde man bei einem herkömmlichen Rigg die Schoten fieren, etwa bei viel Wind und starken Böen oder wenn man die Fahrt generell verlangsamen möchte.

Für die Segeltests vor Toulon bleibt der Hebel auf der Marke 100 Prozent – volle Leistung. Bei nur rund acht Knoten Wind erreicht der beflügelte Kat dabei etwa sechs Knoten Fahrt, und dies auf allen Kursen, egal ob Kreuz-, Raum- oder Vorwind. Die Projektverantwortlichen berichten von Tests bei mehr Wind, wo der Prototyp bis zu 16 Knoten Speed erreicht haben soll. Übrigens: Zahlreiche Drucksensoren melden, wenn der Druck auf den Profilen bei viel Wind zu hoch wird. In dem Fall können die Flügel um die Hälfte ihrer Fläche reduziert, also gerefft werden – auf Knopfdruck, versteht sich.

Weitreichende Autarkie mit dem MODX 70

Das Aeroforce-Riggsystem mit seinen vielen Mechanismen und digital gesteuerten Trimmfunktionen ist ein klares Bekenntnis zu technischer Raffinesse. Doch diese hat ihren Preis in Form eines nicht unerheblichen Strombedarfs. Während bei konventionellen Riggs Muskelkraft, Winschen und Schoten das Trimmen der Segel übernehmen, benötigen die vollautomatisierten Systeme auf dem MODX 70 eine Menge Strom und sind damit auf eine stabile und leistungsfähige Energieversorgung angewiesen.

Die Technik ist extrem komplex und aufwendig installiert. Vor allem in den Flügelriggs steckt viel Entwicklungsarbeit.

Diese erfolgt an Bord über zwei komplementäre Systeme: Auf dem flachen Dach des Kajütaufbaus sowie auf dem Vordeck sind Solarpaneele auf einer Fläche von insgesamt 70 Quadratmetern installiert. Sie speisen bei Sonne etwa 35 Prozent der benötigten Energie ein. Effizienter funktionieren die beiden mitlaufenden Elektromotoren, die ab etwa zehn Knoten Fahrt in die Rekuperation wechseln. Dabei erzeugen die Propeller mehrere Kilowatt Ladeleistung. Genug, um bei ausreichend Fahrt dauerhaft Energieüberschüsse zu generieren und damit für weitreichende Autarkie zu sorgen.

Die gibt es freilich nicht umsonst: Die mitlaufenden Propeller erzeugen viel Widerstand zulasten der Bootsgeschwindigkeit. Gut ein Knoten Speed geht bei dieser Form der Hydrogeneration verloren. Für die Pufferung der erzeugten Energie stehen an Bord zwei riesige Lithium-Ionen-Batteriebänke mit einer Gesamtkapazität von 250 Kilowattstunden zur Verfügung. Das entspricht etwa dem 2,5-fachen Energiegehalt einer Tesla-Batterie.

MODX 70 ist kein Massenprodukt, aber Impulsgeber

Alles in allem ist der MODX 70 ein faszinierendes und visionäres Projekt – ein Vorzeigeobjekt für nachhaltigen Yachtbau, das in vielerlei Hinsicht Maßstäbe setzen kann. Mit ihrem konsequenten Ansatz und den emissionsfreien Antrieben zeigt der Kat, was heute im modernen Yachtbau möglich ist. Das innovative Flügelrigg überzeugt durch Effizienz und technische Reife. Und es unterstreicht den Anspruch, neue Wege zu gehen – auch wenn der extrem hohe Energiebedarf im Vergleich zu einem konventionellen Rigg durchaus Fragen nach der langfristigen Autarkie und der Sinnhaftigkeit aufwirft.

Ob sich dieses Konzept am Markt nachhaltig etablieren kann, bleibt ungewiss. Erste Fakten jedenfalls sprechen dafür. Ein zweites Boot ist von einem privaten Eigner bestellt worden und befindet sich bereits im Bau. Außerdem gibt es offenbar zahlreiche Anfragen nach einer kleineren Version mit ähnlicher Ausrichtung. Die Werft will diesen Interessen nachgehen und arbeitet schon an der Umsetzung.

Bei einem Preis von rund acht Millionen Euro ist der MODX 70 kein Massenprodukt – aber einer von vielen Impulsgebern für Nachhaltigkeit im Yachtsport.


​Evolution oder Revolution?

Der Flügel von Beneteau ist geteilt und die Profiltiefe einstellbar. Gesetzt wird der Wing an einem unverstagten Mast.
Foto: YACHT/Jean-Marie Liot

Die Idee, das herkömmliche Hochrigg durch profilierte, flexible Flügelsegel zu ersetzen, ist nicht neu. In der Vergangenheit gab es bereits zahlreiche Ansätze, doch keiner davon konnte sich als ernstzunehmende Alternative dauerhaft durchsetzen. Vor rund zehn Jahren arbeitete Beneteau an einem „Flügelrigg für alle“. Der Branchenführer wollte damit ein sicheres und besonders einfach zu bedienendes Rigg für Tourensegler und Einsteiger entwickeln. Es blieb jedoch bei einem Prototypen, aufgebaut auf einer Beneteau Sense 43. Die Idee für das „Inflated Wingsail“ (IWS) kam vom Schweizer Edouard Kessi, der auch als Berater beim Projekt MODX 70 mitgearbeitet hat. Seine Idee: Der Flügel soll sich selbstständig zum Wind ausrichten und muss nicht aktiv getrimmt werden. Das Patent wurde später für den Einsatz auf Frachtschiffen weiterentwickelt und verkauft.


​Technische Daten MODX 70

Im Vordeck ist ein Beiboot gestaut. Es wird mit einem kleinen Kran eingewassert.Foto: WerftIm Vordeck ist ein Beiboot gestaut. Es wird mit einem kleinen Kran eingewassert.
  • Konstrukteur: VPLP/Aeroforce
  • Rumpflänge: 21,33 m
  • Breite: 10,00 m
  • Tiefgang: 2,00 m
  • Masthöhe über WL: 23,0 m
  • Gewicht: 30,0 t
  • Segelfläche: 2 x 125 m²
  • Motorisierung: 2 x 20 kW
  • Batteriebank-Kapazität: 250 kWh

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