FotoessayKlassische Rennjollen fürs Auge und fürs Treppchen

Nico Krauss

 · 11.08.2024

M-Jolle: Die 15-qm-Rennjolle wurde 1914 als Konstruktionsklasse etabliert. Diese segelt auf dem Ammersee
Foto: YACHT/Nico Krauss
Entstanden für Regattasiege, war den fragilen Leichtbauten oft nur ein kurzes Leben beschieden. Doch einige Exemplare der Rennjollen haben Krieg und Osterfeuer getrotzt

„Jeden packt einmal die Idee der Schnelligkeit ­den einen früher, den andern später und lässt ihn dann nicht wieder los. Und das ist gut so. Denn in diesem Augenblick wird aus dem Wasserfahrer der Segler geboren.“ Derart pointiert bringen es 1920 die Autoren des Standard-Werkes „Die Segeljolle“ auf den Punkt. Herausgegeben vom Berliner Kleinsegler-Verband ­anders als der Name es vermuten lässt ist er seinerzeit eine echte Größe im organisierten deutschen Segelsport. Denn bereits parallel zu den Anfängen des elitären Herrensegelsports mit bezahlten Mannschaften auf großen Schoneryachten hatte sich schon in der Zeit vor dem ersten Weltkrieg auf den verschiedenen Binnenrevieren Europas eine rege Regattatätigkeit von Amateuren auf anfangs geklinkerten, offenen Schwertbooten entwickelt, die alsbald auch zur Definition von Bauvorschriften für überregionale Jollenklassen führte.

Ein Charakteristikum dieser Regeln zeichnete die Rennjollen bis zum zweiten Weltkrieg aus: Vorgeschrieben waren nur wenige Grenzmaße, insbesondere für Segelfläche und Gewicht. Den Konstrukteuren blieb im Rennjollengeschäft reichlich Spielraum für Experimente. Und der wurde genutzt. Der Kampf um das Regattasilber geriet manches Mal mehr zur Konkurrenz der Konstrukteure denn zum Wettstreit unter den Seglern.

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Andererseits hat es selten wieder eine solche Spielwiese für Entwicklungen gegeben, wie hier. Namen wie Manfred Curry, Reinhard Drewitz, Adolf Harms, Willy Lehmann, Carl Martens, Artur Tiller oder Harry Wustrau, wurden durch Erfolge in dieser Ära groß. Und neben der Kunst der empirischen Riss-Konstruktion haben viele der heute anzutreffenden Erfindungen in Sachen Riggtechnik und Beschlagsausstattung in diesen bewegten Anfängen des volkstümlichen Regattasports ihre Wurzeln. Ob hohlverleimte Spieren, Auftriebskörper, Ballastschwerter, durchgelattete Großsegel, aufrollbare Vorsegel, aufholbare Ruderblätter oder Pinnenausleger­ der ambitionierte Amateursegelsport jener Rennjollen-Blütezeit hat sie hervorgebracht oder maßgeblich befördert. Gemessen an den großen Stückzahlen, die in diesen Ur- und Frühzeiten der Regattajollen entstanden, haben von den filigranen Leichtbauten nur wenige überlebt.

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Die Rennjollenklassen erlebten eine Renaissance

Anders als bei seegehenden Yachten ging es den Konstrukteuren und Erbauern nicht um durable, sondern um möglichst schnelle Boote. Die Klassenvorschriften wurden vollständig ausgereizt, ein oder zwei erfolgreiche Saisons waren das gesteckte Ziel. Da die Bauvorschriften häufig nichts über Spanten und Bodenwrangen aussagten, wurden diese strukturgebenden Teile beim Bau dann auch unterdimensioniert oder gar großzügig weggelassen um Gewicht zu sparen. Nach dem zweiten Weltkrieg wurden die Rennjollen nach und nach zu Altersklassen erklärt. Die wenigen überlebenden Boote wurden abgestellt und vergessen. Es kamen Gleitjollen aus GfK auf und der Vorschoter stieg ins Trapez. Auf die Idee, dass die High-Tech-Rennboote der 20er und 30er Jahre jemals wieder zur Blüte gelangen würden, kam eine Zeit lang niemand.

Doch tatsächlich erlebten die Rennjollenklassen eine Renaissance. Als existente Klassen mit regelmäßig organisierten Wettfahrten haben sich insbesondere vier der alten Rennjollen in unsere Zeit herübergerettet. Segelklar sind heute noch 19 Exemplare der 400 einst gebauten 10qm Rennjollen („N-Jollen“), zehn von 800 einst existenten 15 qm Rennjollen („M-Jollen“), 40 von ehedem 400 entstandenen 20 qm Rennjollen („Z-Jollen“), und als zahlenmäßig stärkste Flotte die 22 qm nationale Jollenklasse (J-Jollen – sprich "I-Jollen") mit 44 verbliebenen von 550 früheren Exemplaren.

Die um 1910 aus den Segelgigs entstandene N-Jolle ist seit 2010 wieder in einer Klassenvereinigung organisiert. Seit den 1970er Jahren galten diese "Zehner" als ausgestorben, obwohl sie noch in den 1930er Jahren, also gegen Ende der Rennjollenära, einen wahren Boom erfahren hatten. Denn 1932 wurde beim Deutschen Segler-Verband der sogenannte "Einheitszehner" anerkannt, eine Einheitsklasse, die mit eigener Wertung an den Zehnerregatten teilnehmen konnte und großen Anklang fand. Dabei gab es bei den N-Jollen nach dem Krieg noch eine Reihe Neubauten aus Holz und die Regattatätigkeit kam in den 1950er Jahren zunächst wieder in Gang. Sogar Experimente mit formverleimten Rümpfen und GfK wurden durchgeführt, aber Klassen wie der Korsar und der Flying Dutchman lösten die N-Jolle Ende der 1960er Jahre ab. Die letzte Regatta wurde 1973 ausgesegelt.

Welle der Restaurierungen Mitte der 1990er

Ihre Renaissance erlebte die Klasse dann ab 2006. Sie ging vom Österreichischen Mondsee und den Berliner Gewässern aus. Die M-Jollen starteten von Hamburg aus in ein neues Leben. 2013 gingen fünf Boote auf dem Ratzeburger See an den Start einer Klassenmeisterschaft, drei Jahre später waren es auf dem Starnberger See sogar sechs Boote. Auch bei den Z-Jollen gab es nach dem Krieg zunächst noch einige Neubauten, vornehmlich in Süddeutschland. Doch in den 1960er Jahren war auch die aktive Zeit dieser Klasse vorbei. Als Klassiker haben sich die Z-Jollen hingegen schon seit Mitte der 1970er Jahre wieder eine Fangemeinde auf den Österreichischen Seen erschlossen.

Die aufwändigen Restaurierungen erfolgten allerdings später. Ab Mitte der 1990er Jahre wurden die raren Exemplare von Enthusiasten einer Rettung unterzogen, ohne die sie nicht mehr zu segeln gewesen wären. Die J-Jollen gehen direkt auf die ersten Bauvorschriften für eine nationale Jollenklasse im Jahr 1909 zurück und sind daher die älteste Rennjollenklasse. Sie sind unter den vier Bezeichnungen J-Jolle, Binnenjolle, 22-m²-Rennjolle oder Nationale Jolle bekannt. Nach dem Krieg wurde die Klasse gar nicht wieder belebt. Einige alte Boote gingen mit reduzierter Segelfläche an den Regattastart der 15-Quadratmeter-Wanderjollen. Als Klassiker wurden sie gegen Ende der 1970er Jahre am Bodensee wiederentdeckt und es entwickelte sich bald darauf auch eine zweite Hochburg - am Ammersee.

Bereits 1981 gründeten zwölf Eigner die J-Jollenvereinigung. Heute kommen nicht selten Felder von mehr als 20 Booten zusammen. Alle vier der alten Rennjollenklassen treffen sich einmal jährlich zu einer gemeinsamen Regattaveranstaltung. Dabei sind weite Wege zurückzulegen, denn ihre Verbreitung erstreckt sich von Norddeutschland über Berlin, den Bodensee, die Bayerischen und die Österreichischen Seen bis hin zur Schweiz. Doch was ist das im Zeitalter der Autobahnen und Straßentrailer gegen die Hochzeiten der Rennjollen in den 1920er und 1930er Jahre? Schon damals, als die Boote noch per Pferdefuhrwerk oder mit der Bahn transportiert wurden traf man schon Segler aus Wien auf der Hamburger Außenalster.

Scharpie, H-Jolle und O-Jolle

Zu den klassischen Rennjollen werden heute auch Klassen wie das 12 qm-Scharpie, die 15 qm Wanderjolle („H-Jolle) oder Einheitsklassen wie die für die olympischen Segelwettspiele vor Kiel geschaffene O-Jolle von 1936 gezählt. Das 12 qm Einheitsscharpie ist die erste deutsche Einheitsklasse unter den Jollen und das Ergebnis eines Preisausschreibens vom Deutschen Segler-Verband im Jahr 1933/31. Ausgeschrieben wurde ein billiges und simpel zu segelndes Jugendboot. Es beteiligten sich 37 Konstrukteure. Die Klasse wurde in Deutschland nie besonders populär, obwohl es 1956 olympische Klasse war und bis Anfang der 1970er Jahre zur Kieler Woche startete. Nur etwa 30 Boote wurden hierzulande gebaut. In anderen europäischen Ländern war das Boot beliebter. Große Flotten bestehen immer noch in den Niederlanden, in Großbritannien, und in Portugal. Heute segeln die Scharpies Europameisterschaften mit bis zu 60 teilnehmenden Booten aus.

Die H-Jolle entstand Mitte der 1920er Jahre als 15 qm Wanderjolle, entwickelte sich aber als Konstruktionsklasse sehr schnell zu einem ausgemachten Regattaboot. Dabei war das tatsächlich anders gedacht. Die Bauvorschriften sollten ein echtes Fahrtenboot hervorbringen und ergaben ein deutlich stabiler gebautes Boot als es die mit gleicher Segelfläche ausgestattete M-Jolle war. Doch da man auch der H-Jolle lediglich wenige Grenzmaße gab, und selbstverständlich auch Wettfahrten in dieser Klasse stattfanden, vertrauten die Auftraggeber ihre Neubauvorhaben auch den namhaften Konstrukteuren an, welche die Boote den Erkenntnissen der Zeit entsprechend entwarfen und ausstatteten. Da die H-Jolle nach dem Krieg viele moderne Entwicklungen zuließ, entwickelte sie sich zu einer modernen Gleitjolle. Die alten Vollholzboote aber sind in der Klassenvereinigung seit Mitte der 1980er Jahre als Alt-H-Jollen zusammengeschlossen und werden dort sehr aktiv auf zahlreichen Wettfahrten gesegelt.

Die Olympiajolle entstand, der Name verrät es, für die olympischen Segelwettspiele vor Kiel. Vorgabe war ein geplanktes Rundspantboot mit geradem Mast, 10 Quadratmetern Kat-Hochtakelung, vier Latten im Segel, fünf Meter Rumpflänge und etwa 1,50 Meter Breite. Der Entwurf des Südafrikaners Helmut Stauch machte das Rennen. Das Boot hat sich immer seine aktive Fangemeinde erhalten. Alte Holzboote gehen heute noch an den Start der Klassenregatten.

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