Esse 330 im TestWeekender bringt satte Leistung und Komfort in Einklang

Michael Good

 · 17.02.2024

Weitläufig. Eine Menge Platz im langen, offenen Cockpit, auch für mehr als nur zwei. Viel Stauraum ist achtern vorhanden
Foto: YACHT/T. Störkle
Ein Hauch von Wind genügt: Die Esse 330 fährt schon los, während andere noch dümpeln. Der spannende Weekender aus der Schweiz kann aber noch viel mehr als nur gut segeln

Der Schweizer gibt sich zuversichtlich. „Ein wenig Wind wird es bestimmt noch geben“, meint Josef Schuchter, allen Wetter­vorhersagen zum Trotz. Die kündigen für den Test am Zürichsee herrlichstes Herbstwetter an – was dort so viel bedeutet wie: kein Hauch von Wind. Und so sollte es denn auch sein, vorerst zumindest. Bei spiegelglattem Wasser fällt gleichwohl die Entscheidung fürs Auslaufen, auch wenn es zunächst nur darum geht, einen ersten Eindruck zu gewinnen. Zeit dafür ist im Übermaß vorhanden.

Auch für Erklärungen. Als Josef Schuchter vor 20 Jahren die Idee kam, ein neues Sportboot zu bauen, hatte er sich die Anerkennung, die er mit der Esse 850 einfahren sollte, nicht im Geringsten zu erträumen gewagt. Schon im ersten Jahr segelte er selbst mit der Baunummer 1 zu zahlreichen Er­fol­gen auf Regatten und verkaufte eine über­raschend große Anzahl von Booten. Und die Auszeichnung als Europas Yacht des Jahres 2005 hat dem jungen Geschäft einen zusätzlichen Schub beschert. Bis dato hat Josef Schuchter vom Typ Esse 850 (Test in YACHT 4/2005) nicht we­niger als 185 Exemplare ausgeliefert – eine bemerkenswerte Zahl für den kleinen Schweizer Werftbetrieb.

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Daneben entwickelte Schuchter zusammen mit seinem Designpartner, dem Italiener Umberto Felci, zwei weitere Modelle: den kleineren Kohlefaser-Renner Esse 750 (YACHT 15/2011) sowie die größere Esse 990 (Test in YACHT 21/2009), deren Konzept weniger als Sportboot denn als ex­klusiver Daysailer verstanden werden sollte. Letztere kam auf dem Markt allerdings nur schleppend in die Gänge. Für ein Schiff von knapp zehn Meter Rumpflänge fehlte es der zwar schönen und schnellen Esse 990 an Möglichkeiten, sie auch als Weekender oder für kurze Touren zu nutzen. Unter Deck zeigte sie sich unwohnlich und mehrheitlich leer mit nur zwei ungemütlichen Liegeflächen seitlich.

Damit war dem Boot kein wirklicher Mehrwert im Vergleich zur kleineren Esse 850 abzugewinnen, welcher den happigen Einführungspreis von damals 165.000 Euro gerechtfertigt hätte.

Weniger Sport, mehr Wohnen

Daraus scheint Josef Schuchter Lehren gezogen zu haben. Mit der Esse 330 hat er ein Schiff vorgestellt, welches auf der Basis der 990er mehr Nutzungsmöglichkeiten bietet. Im Wesentlichen kommt dasselbe Boot jetzt mit einem schönen und gemütlichen Innenausbau als echter Week­ender daher. Zudem haben die Schweizer das Deck komplett neu konstruiert, mit einem wesentlich größeren und längeren Kajütaufbau. Der Rumpf stammt zwar noch immer aus den Formen der Esse 990, hat nun aber einen höheren Freibord erhalten. Diese Änderungen bewirken natürlich in erster Linie mehr Volumen und damit mehr Wohnkomfort unter Deck. Überdies hat die Werft dem neuen Boot große Rumpffenster spendiert, welche die Optik positiv prägen und das Thema Wohnlichkeit an Bord nochmals unterstreichen.

Dass die große Esse gut segeln kann, hat sie schon als 990er im YACHT-Test unter Beweis stellen können. Damals waren die Windbedingungen auf dem Zürichsee mit 2 bis 3 Beaufort besser. Das mit einem Streckungsverhältnis (Länge zu Breite) von beinahe 3,9 extrem schlanke Boot überraschte insbesondere mit einer exzellenten Höhe am Wind (75 Grad Wendewinkel) und einem enormen Potenzial unter dem riesigen, bis in den Topp gesetzten Gennaker.

Diese Leistungsdaten können aber nicht eins zu eins auf die Esse 330 übertragen werden, weil ihr Rigg entsprechend der nun etwas gemäßigteren Ausrichtung einen Meter kürzer ist, mit weniger Segel­fläche, und sie infolge des Innenausbaus schwerer ausfällt, etwa 300 Kilogramm. Hat die Segel­tragezahl der eher übertakelt wirkenden Esse 990 noch bei einem überdurchschnittlich hohen Wert von 6,7 gelegen, beträgt diese 5,7 bei der Esse 330, was im Vergleich immer noch beträchtlich ist.

Kaum Wind, aber schon Spaß

Mittlerweile gibt es aber auch am Zürichsee für den aktuellen Test einen leisen Luftzug, der die Seeoberfläche leicht kräuselt. Viel ist es nicht, 2 bis maximal 4 Knoten. Trotzdem: Die Esse 330 nimmt sofort Fahrt auf, beschleunigt unmittelbar und erreicht hart an der Kreuz auf einem Winkel von rund 45 Grad zum Wind immerhin 3,4 Knoten Speed. Mit halbem Wind und mit dem großen Gennaker bringt es die Schweizerin als Tagesbestleistung sogar auf 5,2 Knoten. Aufgrund der schwierigen Windbedingungen sind die Werte allerdings mit Vorbehalt zu interpretieren.

Festhalten lässt sich, dass die Esse 330 perfekt auf dem Ruder liegt und sich mit sehr viel Gefühl an der Pinne steuern lässt, was eine wahre Freude ist. Und ihre Reaktions­fähigkeit im Manöver ist bemerkenswert.

Zu zweit kommt man mit dem Schiff bestens klar, mehr Mannschaft braucht es nicht. Dank Standard-Selbstwendefock lässt sich das Boot aber auch allein beherrschen, ohne Einschränkungen. Die Führungen der Schoten und Trimmleinen sind tadellos organisiert und alle Funktionen auch aus der Position des Steuermanns gut zu erreichen. Für reibungsarme Abläufe beim Trimmen und in den Manövern sorgt überdies eine hochwertige Auswahl an Decksbeschlägen von Harken und Antal. Wegen des im Topp weit ausgestellten Großsegels (Square Head) muss die Esse 330 ohne Achterstag auskommen. Der effiziente Traveller auf dem Achterdeck sowie der kräftige Baumniederholer können diese Funktion aber weitgehend kompensieren.

Dazu scheint das wunderschön gebaute Kohlefaserrigg von Pauger in Ungarn auch sehr steif zu sein. Das kräftige Mastprofil steht auf Deck und wird mit Wanten aus Rod abgespannt. Das alles gehört zum Standard-Lieferumfang der Esse 330, ebenfalls der Großbaum aus Carbon. Auf der Esse 990 war als Alternative zur Selbstwendefock noch eine größere, kurz überlappende Genua bestellbar. Diese Option wird jetzt für das neue Boot werftseitig nicht mehr angeboten; es bleibt bei der Selbstwendefock.

Hohe Kräfte, starke Strukturen

Gebaut werden der Rumpf und das Deck bei Proteus Yachts in Italien, nahe Verona. Die Strukturen entstehen als GFK-Sandwichkonstruktionen im Vakuum-Infusionsverfahren mit Epoxidharz. Dem Boot wird nun zusätzlich ein robuster Strongback aus Kohlefaser mit einlaminiert, welcher die Kräfte aus dem Rigg und aus dem Kiel aufnimmt. Weil der Mast ohne Achterstag gefahren wird, müssen die Wanten deutlich stärker gespannt werden als noch auf der 990, um den Durchhang im Vorstag kontrollieren zu können. Diesem Umstand trägt die Kon­struktion mit den zusätzlichen Rumpfversteifungen Rechnung.

Für die Fertigstellung gemäß Auftrag kommt der Kasko zur Werft von Josef Schuchter nach Stäfa an den Zürichsee. Hier werden die Beschläge montiert, auf Wunsch Teakholz aufgelegt sowie der Innenausbau komplettiert. Auch der Kiel sowie das Ruder werden direkt bei Esseboats in Eigenregie gefertigt, nicht nur für die 330, sondern auch für die Modelle 850 und 750. Für den Kiel wird eine Duplex-Edelstahlkonstruktion als tragender Kern mit angebolzter Bleibombe in einer CNC-gefrästen Aluform zentriert und komplett mit Kunstharz eingegossen. Das Verfahren ist aufwändig, garantiert aber eine perfekte Oberfläche sowie ein absolut stimmiges Profil. Der Kiel steckt in einem Kielkasten und ist höhenverstellbar. Für den Transport auf dem Trailer (maximale Breite 2,55 Meter) wird die Ballastflosse um rund 30 Zentimeter aufgeholt. Ein elek­tro­hydrau­lisches Hubsystem gibt es optional.

Der Ausbau präsentiert sich freundlich, hell und sehr einladend. Esseboats verbaut innen einiges an Holz, wobei die Kunden zwischen verschiedenen Optiken und Sorten wählen können. Das Vorschiff bleibt offen, und die großzügig bemessene Kojenfläche bietet reichlich Platz für zwei erwachsene Personen zum Übernachten. Komfortabel schlafen kann man auch auf den Sofas im Salon, wenn man hierfür die Rückenpolster entfernt. Stehhöhe ist unter Deck natürlich nicht gegeben, dafür aber sitzen vier Personen sehr bequem und aufrecht auf den Bänken; die Abdeckung des Kielkastens dient als kleiner Tisch.


Die Konkurrenz: Sportliche Weekender für aktive Segler

Tofinou 9.7: Spannender und unter Segeln sehr leistungsstarker Daysailer aus Frankreich mit einer aufregend hübschen Optik. Hochwertige Grundausstattung an Deck
Foto: Tofinou/Robin Christol

Viel Geld, viel Boot

Wer mit der Esse 330 tourensegeln will, kann sich in einer dafür vorgesehenen Aussparung unter dem Vorschiff eine portable Toilette einbauen lassen. Eine Kühlbox sowie eine kleine Pantry-Einheit mit Spüle gibt es überdies als Extra.

Mit der Ausbauqualität unter Deck zeigt sich Josef Schuchter selbst nicht zufrieden. An der unschönen Deckenverkleidung beim Prototyp sowie am passenden Einbau der Möbelfundamente muss der italienische Zulieferer noch arbeiten. Die Probleme sind aber angesprochen, und Besserung für die nächsten Baunummern ist gelobt.

Die Esse 330 ist mit knapp 219.000 Euro brutto im Vergleich zum Schwestermodell 990 zwar wieder etwas günstiger, bleibt aber in Relation zu der Konkurrenz in vergleichbarer Größe (zum Beispiel von Saffier oder Tofinou) ein ganzes Stück teurer. Zudem sind in diesem Preis weder die Segel noch die Einbaumaschine enthalten. Wahlweise wird dem Boot ein Elektro-Podmotor oder ein kleiner Diesel mit Saildrive eingepflanzt.

Nach Kostenbereinigung zur segelfertigen Ausstattung werden für das Boot beinahe 270.000 Euro fällig, was für einen Weekender dieser Länge und Ausrichtung schon viel Geld ist. Die gute und aufwändige Bauweise sowie die überdurchschnittlich hochwertige Ausstattung mit Standard-Kohlefaserrigg können die selbstbewusste Preispolitik von Esse nur teilweise begründen.

Aber: Josef Schuchter hat einmal mehr ein spannendes und harmonisches Paket geschnürt, bei dem vieles prima zusammenpasst. Wer sich jetzt für einen schönen, exklusiven Daysailer oder Weekender interessiert, wird die Esse 330 nicht ignorieren können – ungeachtet dessen, was auf dem Preisschild steht.

Die Messwerte zum Test der Esse 330

Windgeschwindigkeit: 4 kn (2 Bft.); Wellenhöhe: glattes Wasser; * Mit Gennaker

Die Esse 330 im Detail

Schlanke Linien, tiefe Anhänge und ein hohes Rigg mit reichlich Kraft. Das passt speziell auf Seen und Binnenrevieren | Zeichnung: YACHT/N. CampeSchlanke Linien, tiefe Anhänge und ein hohes Rigg mit reichlich Kraft. Das passt speziell auf Seen und Binnenrevieren | Zeichnung: YACHT/N. Campe

Technische Daten der Esse 330

  • Konstrukteur: Felci Yacht Design
  • CE-Entwurfskategorie: C
  • Rumpflänge: 9,90 m
  • Breite: 2,55 m
  • Tiefgang (Hubkiel): 1,60–1,90 m
  • Gewicht: 2,45 t
  • Ballast/-anteil: 990 kg/47 %
  • Großsegel: 40,0 m2
  • Selbstwendefock: 20,0 m2
  • Maschine (Option): Elektro/Diesel

Rumpf- und Decks­bauweise

GFK-Sandwich mit Schaumkern, gebaut im Vakuum-Infusionsverfahren mit Epoxidharz. Strukturrahmen aus Carbon

Preis und Werft

  • Preis segelfertig: 268.226 € inkl. 19 % MwSt.
  • im Preis enthalten: Carbon Rigg, Beschläge, Schoten, 12V Kreis inkl. Batterie für die Beleuchtung, Innenausbau inkl. Polster, Torqeedo Pod Motor inkl. Akku (5’000 Wh), Segelsatz (Gross, Fock, Gennaker)
  • Garantie/gegen Osmose: 1/5 Jahr

Werft und Vertrieb

Esseboats, Schuchter Sportboot AG, 8712 Stäfa, Schweiz; www.esseboats.ch

YACHT-Bewertung der Esse 330

Attraktiver und leistungsstarker Weekender aus der Schweiz mit einem wohnlichen Innenausbau für bis zu vier Personen. Die Ausstattung mit Kohlefaserrigg ist hochwertig, das Schiff im Vergleich aber auch recht teuer

Konstruktion und Konzept

  • + Stimmiges Weekender-Konzept
  • + Einfaches Handling
  • - Vieles nur als Extra erhältlich

Segelleistung und Trimm

  • + Hohes Leistungspotenzial
  • + Reaktionsstark auch bei Leichtwind
  • + Effizientes Deckslayout

Wohnen und Ausbauqualität

  • + Komfortable Kojen für vier
  • - Noch Unschönheiten beim Prototyp

Ausrüstung und Technik

  • + Beste Ausstattung an Deck
  • + Gehobene Leichtbauweise
  • - Keine Maschine im Standard

Dieser Artikel erschien erstmals in YACHT 25-26/2019 und wurde für diese Online-Version aktualisiert.


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