Andreas Fritsch
· 04.07.2024
So konnte die 2000 gebaute X-332 “Flux” aus Norwegen den Sieg in der großen Klasse C (28 Meldungen) in der ORC-Zweihand-Weltmeisterschaft vor Oslo ergattern. Das Boot wurde nicht nur sauber gesegelt, es vermisst auch fair, ist mit einem Rennwert von 553.8 gut unterwegs. Der Erfolg ist ein Beleg für das funktionieren der ORC-Formel, die auch älteren Booten noch Siegchancen gibt und ebenso für die Güte der X-332.
Und wenn sich ein geprüfter Yacht-Gutachter ein bestimmtes Boot kauft, dann ist das ja schon mal ein gutes Zeichen für dieses Modell. So die These, als YACHT-Gebrauchtboot-Experte Uwe Gräfer seine geliebte Grinde zum Entsetzen ihrer Fanbase verkaufte und auf eine X-332 umstieg. Gemunkelt wurde in der Community, er sei weich geworden gegen Wünsche nach einem richtigen „Bad“, Kojen, die durch Türen irgendjemandes Schnarchen vom Rest der Crew separieren, einer komfortableren Pantry womöglich mit Backofen und ähnliches Gelumpe für Verwöhnte eben.
Und eins war auch allen in der Szene sofort klar: Wer Gräfers „Holly“ irgendwo auf der Kieler Förde oder in Dänemark begegnet, braucht sich nicht einzubilden, ihm folgen zu können, wie das sonst bei etwas größeren Booten mit der Grinde ja manchmal geht.
Vielleicht deswegen kann Gräfer beim Testtermin in Schilksee auch einen gewissen Eigner-Stolz nicht verbergen. „Das Boot segelt einfach hervorragend und ist trotzdem voll fahrtentauglich. In der Größe und für das Alter gibt es da nur wenige Konkurrenten“, so sein Fazit. Darüber wird später noch zu reden sein.
Doch zunächst einmal ist festzuhalten, dass die X-332, welche die Werft in Haderslev von 1995 bis 2005 baute, ein absoluter Verkaufsschlager der Dänen war. Ganze 432 Stück wurden gebaut, nur die Evergreens X-79 und X-99, die in den Jahren zuvor den Ruf der Werft begründeten, wurden noch häufiger an den Segler gebracht.
Zu dem Zeitpunkt hatte die Werft schon einen Ruf: Schnell sind die Schiffe, auf Regatten häufig vorn anzutreffen, innovativ, solide gebaut. Aber auch: Sie haben hohe Riggs mit Backstagen, die man bedienen können muss, und für Amwind-Kurse sitzen am besten ein paar möglichst schwere Jungs auf der Kante, sonst liegt der Kahn auf der Seite, oder man muss sehr früh reffen.
Die X-332 sollte ganz anders sein. Wie genau? Anruf bei deren Designer und X-Yachts-Gründungsmitglied Niels Jeppesen, der heute das Yacht-Design-Büro Jep-pesen-Pons betreibt und unter anderem für Arcona zeichnet.
„Die 332 war mit der zeitgleich entwickelten 302 einer der ersten Entwürfe, die wir ganz frei von Formelzwängen der IOR-Zeit 1994 entwickelt haben. Das ergab cleane Rümpfe, die viel mehr Stabilität hatten.“ Das kam an, das Boot verkaufte sich vom Start weg gut. „Sie ist wohl auch eines meiner ‚Best Babies‘ würde ich sagen. Ich habe sie selbst privat auf Regatten und mit der Familie vier Jahre lang gesegelt, Als Rundt gewonnen. Sie sollte einfach ein guter Allrounder sein.“
Deshalb habe sie eine Blei-Kielbombe bekommen, damit sie komfortabel segelt, aber auch schnell und hoch am Wind. Rod-Rigg und Stahlrahmen in der Bodengruppe, damit die Energie aus den Segeln nicht irgendwo im Schiff verpufft. Rumpf aus Sandwich mit Schaumkern, Tanks und Batterien tief und im Gewichtszentrum, Faltpropeller. „Einfach die Unterschiede, die in der Summe ein gutes Boot von einem Durchschnittsschiff trennen“, so Jeppesen. Obwohl die 302 und 332 praktisch Schwesterschiffe waren, verkaufte sich die Größere deutlich besser. „Ich vermute, es lag daran, dass die 332 etwas besser in die kurze Ostsee-Welle passte“, so Niels Jeppesen.
Ihr 9/10-Rigg mit zwei Salings von John Mast kommt wegen der gepfeilten Saling ohne Backstagen aus, was sicher vielen Käufern die Entscheidung leichter machte. Man kann wohl mit Fug und Recht sagen, dass die 332 einer der Mitbegründer des Begriffs Cruiser/Racer war, der in den Neunzigern begann die Runde zu machen.
Schon der Prospekt verdeutlichte damals, dass auch Regattasegler die Zielgruppe sind – auf fast allen Segelbildern sind Race-Crews im Einsatz zu sehen. Dennoch lautete das Credo des Bootes: „Der Regattasegler wird sich an der Pinne sofort zu Hause fühlen, und der Fahrtensegler kann ganz neue Welten des Segelvergnügens kennenlernen.“ So die Theorie.
Auf der Kieler Förde pustet es am Testtag sehr böig aus Ost, der Windmesser springt ständig zwischen 13 und knapp über 20 Knoten. Beim Gang an Bord fällt gleich schon mal die hochwertige Ausstattung auf: Sehr weit innen liegende, leinenverstellbare Genuaschienen sogar mit extra Barberholer waren schon Serie. Unter Deck liegende Rollanlage fürs Vorstag, breiter Großschottraveller, kräftiger, 16:1 untersetzter Achterstagspanner. Das Boot von Gräfer ist jetzt knapp 20 Jahre alt, alle Teile sind noch original, funktionieren und sind auch richtig dimensioniert, wie der Eigner versichert. Nur an der Großschot wurde eine Übersetzung mehr geschoren samt Feineinstellung – man sei ja auch nicht mehr der Jüngste.
Das Cockpit ist durch die Pinne, nur optional gab es ein Rad, gut begehbar, der versenkte Traveller schmälert den Komfort im Hafen oder vor Anker nicht, wenn sich die Crew auf den Duchten fläzt. Dazu passt eine kleine, aber für den Ein- und Ausstieg ausreichende Badeplattform.
Da es später noch Gewitter geben soll, geht es schnell raus auf die Förde. Ein brandneues Laminat-Großsegel (Tape-Drive-Silver) und eine Genua 3 mit Flex-Sport-Tuch gehen hoch. Man gönnt sich ja sonst nichts. Mit Billig-Dacron-Lappen sieht man die X-332 generell selten. Und tatsächlich, noch heute wird sie gern und auch relativ weit vorn auf Regatten an der Ostsee gesegelt. Der Yardstick (93) ist niedrig, passt aber. Nach ORC vermisst das Boot günstig. Bei vielen Regatten wie Silverrudder, Vegvisir und Ähnlichem tauchen die Boote regelmäßig in den Ergebnislisten vorn auf. Wer will, kann also.
Alle Leinen sind ins Cockpit umgelenkt und mit Klemmbatterie um den Niedergang versehen. Trimmen, reffen, alles schnell gemacht. Im böigen Wind um die 4 Beaufort zieht die 332 gut los. Hoch am Wind fast 6,7 Knoten, öffnet man die Schoten etwas und fällt ab, liegt praktisch sofort Rumpfgeschwindigkeit an, die sich auf 7,2 Knoten beläuft. Halbwinds zupft die Logge dann schon an der 7,5. Das ist prächtig. Das Boot liegt dabei schon auffällig sensibel auf dem Ruder, das Eigner Gräfer allerdings erneuert hat. „Das Boot hat bei viel Lage oder unter Spi manchmal etwas viel Ruderdruck gehabt, und da das Blatt sowieso nicht mehr so gut war, habe ich ein neues, das etwas tiefer reicht und etwas mehr Profil hat, bauen lassen.“
Da der Wind immer böiger wird und dunkle Wolken an das Gewitter gemahnen, ziehen wir schnell den Spi. Mit den schräg von achtern kommenden Wellen schiebt die X jetzt mächtig los, rasch stehen 8,5 Knoten auf der Logge. Dabei bleibt das Boot jederzeit perfekt unter Kontrolle. Und das mit einer Zwei-Mann-Crew. Dann passieren die Böen die 20-Knoten-Marke, der Leeraum geht uns aus, und wir bergen das Tuch.
Tatsächlich vermittelt das Boot puren, unmittelbaren Segelspaß. Ergonomie und Layout, Bedienung, alles passt, ein Schiff, das es einem wahrlich einfach macht, sich zu Hause zu fühlen. Sitzposition an der Pinne, das recht tiefe Cockpit, Ausreitposition, alles perfekt. Der Elektronik-Geräteträger über dem Luk hat Platz für vier Displays und ist ideal für die Übersicht, die Laufdecks sind wegen der weit innen liegenden Genuatraveller schön frei. Man bekommt eine Idee, warum sich das Boot so gut verkaufte.
Allmählich beginnt man unwillkürlich nach dem Haar in der Suppe zu suchen. Es muss doch ein paar Macken geben? Das Ruder ist jedenfalls kein spezifisches Problem, wie Gräfer als Gutachter weiß: „Generell ist die Verbindung zwischen Ruderschaft und Blatt über die Jahrzehnte ein Punkt, an dem Wasser ins Laminat gelangen kann. Dort sollte man immer genau hinschauen, eine einfache Feuchtigkeitsmessung bringt rasch Klärung.“ Apropos: Osmose? Kein bekanntes Problem bei der 332, so der Gutachter.
Kleinigkeiten fallen ihm sonst nur ein: Das GFK um den Pinnenbeschlag kann bei angeklappter und dabei bewegter Pinne an den Ecken etwas ausbrechen. Viele Eigner haben dort die Ecken schon gekürzt. Ähnliches, wenn der Eigner mit zu wenig Vorstagsspannung fuhr und das Stag in der Durchführung am Deck zur tieferliegenden Rollanlage scheuert. Dann kann es dort Spuren geben oder das einlaminierte Edelstahl im Bug stärker belasten. Ein Blick darauf schadet also nicht.
Die Bodengruppe der X-332 gilt wegen des einlaminierten, verzinkten Stahlrahmens als außergewöhnlich robust, die wohl nur mit groben Grundberührungen zu schädigen ist. Ein Blick unter die Bodenbretter belegt das – keinerlei Haarrisse, kein Rost. Das gilt auch für die erst nach der Jahrtausendwende angebotene Sport-Version. Die hatte 2,15 statt 1,80 Meter Tiefgang und konnte dadurch rund 400 Kilogramm leichter sein. Zudem besaß sie ein schlankeres, tieferes Ruderblatt. Der Kiel ist übrigens eine Komposit-Lösung: Gussfinne mit angesetzter Bleibombe. Alles wurde danach mit Epoxid überzogen, großflächige Rostprobleme sind also nicht zu erwarten.
Jetzt aber genug gesegelt und die Touren- und Wohnqualitäten unter die Lupe genommen. Zurück im Hafen, überrascht der Weg den Niedergang nach unten, denn hier erwartet die Crews ein vollwertiges Fahrtenschiff, das keinerlei Regatta-Kompromisse erkennen lässt. Komplette Pantry am Niedergang mit Doppelspüle, Herd mit Backofen, guter Stauraum, ordentlich dimensionierter Kühlschrank (Toplader). Davor eine gemütliche Sitzgruppe um den durchgesteckten Mast. #
Ihr Alter verrät die X-332 durch die vielen kleinen Fenster im Decksaufbau, der heute von den großen, verklebten Scheiben dominiert wird. Aber dafür sind sie alle einzeln zu öffnen, ein Plus bei der Lüftung. Darunter finden sich stabile Teak-Handläufe auf Schulterhöhe – die sieht man heutzutage auch nicht mehr häufig. Das weiterhin Bemerkenswerte hatte sich schon beim Segeln gezeigt. Beim Gang unter Deck galt: Wie Sie hören, hören Sie nichts. Kein Knarzen, kein Ächzen, wie man es auf so mancher Großserienyacht beim Vollzeugsegeln in bis zu 20 Knoten Wind samt zugehöriger Welle manchmal vernehmen kann.
Schön ist auch für Traditionalisten die vollwertige Navi-Ecke wie früher üblich mit Kartentisch, der auch Papierkartengröße verträgt. Daneben geht es ins eigentlich große, aber mit nur 1,80 Meter Stehhöhe gesegnete Bad. Dafür ist neben dem Waschbecken genug Platz, um nasses Ölzeug aufzuhängen.
Die Vorschiffskoje ist über zwei Meter lang, läuft aber sehr spitz zu, darunter großer Stauraum, auch für Spi und weitere Vorsegel. Die Achterkammer ist noch geräumiger, zwei Erwachsene, selbst Lu-latsche wie der 1,97 Meter große Tester, schlafen hier bequem, auch wenn der Cockpitboden natürlich relativ dicht für den Innenlieger ist. Alles in allem ein absolut tadelloses Fahrten-Layout.
Unter der Motorabdeckung brummelt standardmäßig ein als zuverlässig geltender Yanmar 2GM20 mit Zweikreiskühlung, Saildrive und 18 PS. So er denn gut gewartet ist, schließlich haben frühe Modelle schon bald 30 Jahre auf dem Buckel. Ganz zu Beginn wurden wohl auch wenige Einkreiser verkauft, ein Thema, das es zu beachten gilt. Auf Wunsch gab es auch den stärkeren Dreizylinder 3GM30 mit 28 PS.
So sehr wir suchen, wir finden einfach keine ernsthaften Schwächen, die Werft hat offensichtlich schlicht einen sehr guten Job gemacht. Was, erfreulich für den Verkäufer, unerfreulich für den Käufer, auch zu großer Wertstabilität der X-332 beiträgt.
Gräfer hat sich seine aus Westschweden geholt. „Sie war sehr wenig gesegelt und in außergewöhnlich gutem Zustand. Sofort als sie online ging, habe ich angerufen und bin hingefahren. Als ich ankam, hatten sich schon diverse andere Interessenten gemeldet. Mit Handeln war da nichts.“
Tatsächlich sind meist nur einige wenige Modelle zeitgleich zu verkaufen, und die Preise recht hoch, derzeit stehen im Netz welche von etwa 79.000 bis knapp 90.000 Euro. „Als Gutachter haben wir Zugriff auf eine Auswertung von Maklern, die geforderte und letztlich gezahlte Preise in Relation setzen“, erzählt Gräfer. Dabei ist zu sehen, dass viele Schiffe fast zum geforderten Preis oder nur ein paar Tausend Euro weniger weggehen. Die Boote im Mittelmeer und England sind dabei tendenziell etwa 10.000 bis 15.000 Euro günstiger. Die begehrten jüngeren Sportmodelle dagegen leicht 10.000 bis 15.000 Euro teurer.
Die Werft bestätigt solche Preisregionen, wie Torsten Schauer von X-Yachts Deutschland weiß: „Die X-332 ist immer schnell weg, wenn bei uns eine auftaucht. Die letzte wurde in eher mittlerem Zustand für 85.000 Euro verkauft, es gab nach einem Tag acht Interessenten.“ Nicht schlecht für eine Yacht, die kurz vor Verkaufsende neu für etwa 130.000 Euro über den Ladentisch ging. Häufig wechseln die Schiffe auch unter Clubkameraden oder Segelfreunden den Besitzer, wer eine 332 will, braucht etwas Geduld. Dafür ist sie so wertstabil, dass man beim Kauf wenig falsch machen kann.
Aber dann, im Hafen beim Bier nach dem Test, findet sich doch der eine entscheidende Nachteil, den der Kauf einer X-332 mit sich bringt. Rausgefunden hat ihn Gräfers Tochter. Die hat es bei den ersten Törns mal schön auf den Punkt gebracht, wie der Papa erzählt: „Wenn du früher mit deiner Grinde größere Yachten überholt hast, haben immer alle gesagt: ‚Schau mal, was für ein guter Segler!‘ Wenn du mit einer X-Yacht vorbeiziehst, sagen alle: ‚Ja klar, ist ja auch eine X!‘“ – Kindermund tut ja bekanntlich Wahrheit kund. Ausreden hat er nun jedenfalls keine mehr.
Die X-332 wurde von 1995 bis 2005 gebaut. 432 Exemplare verließen die Werft. Rumpf und Deck sind GFK-Sandwich-Laminate mit Schaumkern
Die Schiffe sind wegen ihrer guten Segeleigenschaften und bis heute guten Regatta-Tauglichkeit besonders nach Yardstick sehr begehrt. Es gibt immer einige wenige Boote, doch die Preise sind relativ hoch. Preisverhandlungen sind schwer, die Schiffe verkaufen sich schnell
Denkbare teure Schwachstellen sind vor allem alte Motoren, Ersatz kostet bis zu 10.000 Euro. Nach dem Alter des teuren Rod-Riggs fragen, ist es älter als zwölf Jahre, sollte es in den nächsten Jahren ersetzt werden. Und: Ist das Teak im Cockpit überall noch fest? Hat das Ruder kein Wasser gezogen? (Feuchtigkeitsmessung!)
Stand 05/2024, wie die ausgewiesenen Preise definiert sind, finden Sie hier!
X-Yachts, Dänemark, Haderslev, www.x-yachts.com
Die X-332 erfüllt noch heute die meisten Wünsche vieler Eigner in dieser Bootsgröße. Ähnlich wertige Neuboote sind derzeit sehr hochpreisig
Der Artikel erschien erstmals in YACHT 14/2024 und wurde für die Online-Version aktualisiert.