“Hast du die schon gesehen?“ Auf der Boot in Düsseldorf konnte eine Yacht in besonderem Maße für Gesprächsstoff unter den Besuchern sorgen. Mit ihren dominanten Formen und dem eigenartigen Design vermochte die neue Wauquiez 55 viele spannende und eigenständige Akzente zu setzen und avancierte so zum Thema Nummer 1.
Seit drei Jahren gehört die Werft Wauquiez Yachts zur französischen Firmengruppe Exel Industries – einem familiengeführten Industriekonzern mit Schwerpunkt auf Landmaschinen und Gartentechnik. Nun möchte die Inhaberfamilie Ballu mit ihrem Engagement im nautischen Bereich ein weiteres Standbein aufbauen. Diese Absicht entstammt nicht allein wirtschaftlichem Interesse, sondern auch persönlicher Leidenschaft: Das Segeln hat in der Familie Ballu eine lange Tradition.
Zur Exel-Gruppe zählen inzwischen auch die bekannte Marke westfranzösische Marke Tofinou mit ihren eleganten Daysailern sowie der Motorboot-Hersteller Rhéa Marine.
Seit der Übernahme weht nun ein frischer Wind durch die traditionsreiche Werft in Neuville-en-Ferrain an der französisch-belgischen Grenze – dort, wo Henry Wauquiez schon vor über 60 Jahren den Grundstein für seine visionären Fahrten- und Blauwasseryachten legte. Mehr noch: Die neuen Eigentümer und Geschäftsführer setzen auf den radikalen Neustart mit einer umfassenden Restrukturierung.
Den Anfang macht jetzt die neue Wauquiez 55 mit ihrem markanten, zukunftsweisenden Konzept. Ein zweites, ähnlich positioniertes Modell unbekannter Größe ist bereits in Planung. Gleichzeitig aber hat die junge Werftleitung die Produktion aller bisherigen Modelle aus den langjährigen Programmen Pilot-Saloon und Centurion offenbar komplett eingestellt. Das heißt nichts anderes, als das Wauquiez Yachts den ultimativen Neustart wagt.
Trotz frischer Entwicklung bleibt die Wauquiez 55 den traditionellen Markenwerten treu. Dazu zählen die konsequente Ausrichtung auf Eignernutzung, ein hoher Grad an Individualisierung, erstklassige Bau- und Ausbauqualität, eine überdurchschnittliche Serienausstattung sowie die kompromisslose Konzeption als Blauwasseryacht. Verändert haben sich hingegen Design und Konstruktion. Verantwortlich für das außergewöhnliche Erscheinungsbild der Wauquiez 55 ist das Studio Marc Lombard. Das markante und eigenständige Design hebt sich vom Markt ab, insbesondere durch die stark eingezogenen und hoch über das Deck geführten Laufdecks mit ausgeprägtem negativem Sprung. Speziell sind zudem das abgestufte Achterdeck sowie das prägnante Doghouse über dem tief eingesetzten Mittelcockpit.
Ganz neu und exklusiv ist das Konzept freilich nicht. Ein vergleichender Blick auf die Konkurrenz ergibt gewisse Parallelen, zum Beispiel zur Amel 60, die aber deutlich größer ist. Gemeinsamkeiten finden sich etwa beim seitlich eingebauten Steuerstand oder in Form der Deckstruktur, welche eine Teakauflage zwar vortäuscht, aber fester Bestandteil des Laminataufbaus ist.
Der Test mit der neuen 55er findet vor Port Camargue in Südfrankreich statt. Die Bedingungen dafür könnten nicht besser sein: Zwischen 12 und 15 Knoten Wind, dazu eine kurze, steile Welle von etwa 1,5 Metern Höhe. Hart am Wind kann die Wauquiez 55 ihre Stärken allerdings nicht voll ausspielen. Die Genua auf dem Testschiff passt noch nicht auf die kurzen Holepunkte und der hydraulische Niederholer vom optionalen Rollbaum stößt beim Dichtholen am Doghouse an. Weil sich die Segel nicht ganz dichtnehmen lassen, kann die Baunummer eins nicht höher als 50 Grad zum Wind laufen. 7,3 Knoten sind mit zwangsweise geschrickten Schoten aber dennoch möglich.
Raumwind und mit Gennaker kann die Wauquiez dafür ihr ganzes Potenzial unter Beweis stellen. In den Böen beschleunigt die mit 20 Tonnen Gesamtgewicht vergleichsweise leicht gebaute Yacht immer noch spürbar und kommt zügig auf zweistellige Werte auf der Logge. Der Rekord am Testtag: 11,4 Knoten – ein beachtlicher Wert für ein Boot dieser Art. Das Testboot ist ausgestattet mit dem optionalen Schwenkkiel, der eine Tiefgangvarianz von 1,60 bis 4,20 Meter ermöglicht. Standard ist der Festkiel in L-Form mit einem sehr hohen Ballastanteil von 47 Prozent.
Steuern auf der Wauquiez ist hingegen keine Offenbarung. Wegen der langen Wege vom Steuerstand im Mittelcockpit auf die Quadranten der doppelten Ruderblätter im Heck verlegt die Werft doppelt geführte Bowdenzüge anstelle von Kabeln. Das ist technisch zwar einwandfrei und funktional sehr zuverlässig gelöst, lässt aber gleichzeitig auch ein gutes Gefühl für das Boot vermissen. Die Steuerung fühlt sich schwammig und indirekt an, was es für den Rudergänger nicht einfach macht, das Boot optimal am Wind zu lenken.
Bei Krängung ist überdies die Sitzposition am Steuerstand nicht sehr komfortabel. Auf langen Strecken würde man deshalb auch eher den Autopiloten bemühen und es sich auf einer der schönen langen Duchten im Cockpit gemütlich machen wollen.
Segeln mit einem großen Schiff wie der Wauquiez 55 bedeutet: viel Druck und viel Kraft. Und man muss wissen, wie man damit richtig und sicher umzugehen hat. Wauquiez möchte diese Themen möglichst vereinfachen und bietet für alle Funktionen zum Setzen und Trimmen der Segel optional elektrische Antriebe an. Damit reduziert sich die Mühe in den Manövern auf das bloße Drücken der vielen Schalter und Tasten am Steuerstand. Allerdings: Weil die beiden großen und kraftvollen Winschen am Niedergang sehr nahe zusammenstehen, ist bei der Arbeit mit den Fallen und Schoten Umsicht geboten, insbesondere mit Unterstützung der kräftigen Elektroantriebe.
Eine Besonderheit beim neuen Konzept von Wauquiez ist die doppelte Motorisierung. Im Standard werden zwei Einbaudiesel von Volvo Penta mit einer Leistung von jeweils 50 PS verbaut, alternativ auch zwei stärkere Aggregate mit einer Kraft von 75 PS. Weil die Antriebe genau in der Mitte des Boots und dort mit einem seitlichen Abstand von 1,20 Meter eingebaut werden, ist es möglich, das Schiff nur mithilfe der Motoren auf dem Teller zu drehen. Beim Test im Hafen funktioniert das selbst bei Seitenwind und hochgeholtem Schwenkkiel eindrücklich gut. Wer damit umgehen kann, braucht weder Bug- noch Heckstrahlruder, um problemlos anzulegen.
Nach Angaben der Werft sollen die beiden Motoren zusammen insgesamt weniger Treibstoff verbrauchen als eine große Maschine mit mehr Hubraum und Leistung. Und sie sollen überdies leiser laufen. Im Test lässt sich dies allerdings nicht bestätigen. Bei Marschfahrt (80 Prozent der Höchstdrehzahl) und 7,8 Knoten wird in der Achterkabine ein Schallpegel von 75 Dezibel gemessen. Das ist vergleichsweise laut.
Bezüglich der Qualität des Innenausbaus braucht die Französin den Vergleich selbst mit den skandinavischen Standards nicht zu scheuen. Die Verarbeitung ist bis ins kleinste Detail makellos und stimmig. Speziell gut gefallen die sehr robust ausgeführten Tischlerarbeiten, welche bei Wauquiez in Handarbeit und mit hohen Vollholzanteilen entstehen.
Das Highlight unter Deck ist zweifellos die riesige Achterkabine für die Eigner mit einem separaten Zugang vom Achterdeck aus. Die Bezeichnung Kabine erscheint aber schon beinahe untertrieben. Vielmehr handelt es sich dabei um ein kleines Wohnstudio mit Doppelbett im Kingsize-Format, eigenem Bad, Sitzgruppe und einem Schreibtisch. Für umwerfende Aussichten sorgen die vielen Fensterflächen im Rumpf und am abgestuften Heck. So viel Transparenz ist selbst in der großen Yachtklasse neu.
Freude bereitet überdies die tadellos und ungewöhnlich aufwendig installierte Bordtechnik. Die Systeme für Wasserversorgung und Elektrik sowie die Anlagen zur Klimatisierung sind nicht nur bestens erreichbar, sondern werden über Bus-Systeme gesteuert, die per App Auskunft über den Betriebsstatus geben.
Die preisliche Einordnung ist schwierig, weil die Technik und der Ausstattungsstandard innerhalb der gehobenen Klassen oft nicht derselben Qualität entsprechen.
Stand 2025, wie die ausgewiesenen Preise definiert sind, finden Sie hier!
Mit einem Grundpreis von knapp zwei Millionen Euro brutto ohne Segel muss die Wauquiez dem hochpreisigen Segment zugeordnet werden und wird dort dem Vergleich mit Schiffen von Hallberg-Rassy oder Contest standhalten müssen.
Die Wauquiez 55 ist ein konzeptionell und optisch ungewöhnliches Schiff, welches sich nicht an eine große Masse richtet. Aber gerade dies macht den Luxuskreuzer besonders reizvoll.
Attraktives, markantes Design
Konsequente Ausrichtung
Knopfdrucksegeln möglich
Breiter als die Konkurrenz
Gute Trimmeinrichtungen
Bemerkenswert viel Potenzial
Wenig Steuergefühl am Rad
Unbequeme Steuerposition
Solide Holzarbeiten
Schöner, heller Innenausbau
Separater Zugang achtern
Koje im Vorschiff zu kurz
Doppelte Motorisierung
Gute Standard-Ausstattung
Schwenkkiel als Option
Hoher Lärmpegel achtern
GFK Sandwich-Konstruktionen mit PET-Schaumkern. Laminiert mit Vakuum-Infusion.
Wauquiez Yachts, 59535 Neuville-en-Ferrain (FRA); www.wauquiez.com
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