“Schönes Ding!“ Als dieser Satz fällt, hat die vierte „Wappen von Bremen“ ihre erste Probefahrt bereits hinter sich. Gerade macht sie in der Neuen Schleuse Bremerhaven fest, am Ufer stehen einige Touristen und schauen sich den Hafen- und Schleusentrubel an. Einer der Zuschauer ruft den Satz lauthals in die Schleuse hinaus, als sollten alle die Worte hören können. Ein schönes Ding also, die neue „Wappen“: 16,80 Meter lang ist sie, 4,90 Meter breit, am weißen Rumpf die charakteristischen roten Streifen und der markante Schriftzug.
Das neue Schiff ist die vierte Fahrtenyacht, die seit 1934 für die Segelkameradschaft Das Wappen von Bremen segelt. Der traditionsreiche Bremer Verein wurde damals ausdrücklich als Yachtschule gegründet und hat sich seitdem vor allem die Ausbildung auf die Fahnen geschrieben. Für die Jugend und die Bundesliga hält sie zwei J 70 bereit, mit der „Bank von Bremen“ zudem ein veritables Regattaschiff. Mit ihrer jeweiligen Fahrtenyacht hingegen unternehmen die Mitglieder und ihre Gäste ausgedehnte Langfahrten, die schon mal bis nach Grönland führen, über den Atlantik, bis nach Kap Hoorn. Keine Törns um die Ecke; ein Schiff der Segelkameradschaft darf darum nicht von Pappe sein.
Seit 34 Jahren verrichtet die „Wappen von Bremen III“ treu ihren Dienst, eine Van-de-Stadt-Konstruktion aus 36 Millimeter dickem Kambalaholz. Unterhalt und Pflege des Schiffs schlugen jedes Jahr mit rund 60.000 Euro zu Buche, und doch war nach Tausenden von Seemeilen irgendwann eine Generalüberholung fällig. Als klar wurde, dass für eine zeitgemäßere Ausstattung der Vereinsyacht gut und gerne 500.000 Euro zu veranschlagen waren, entschied sich die Segelkameradschaft nach langen Diskussionen für einen Neubau.
„Es gab eine große Fraktion im Verein, die das alte Schiff behalten wollte“, sagt Schiffer Otto Knechtel über die Debatten. Auch Konstrukteur Torsten Conradi, der die neue „Wappen“ schließlich entworfen hat, erzählt: „Die Segelkameradschaft ist etwas Spezielles. Als das Projekt startete, gab es viele Überlegungen, auch seitens der Mitglieder. Wieder ein Neubauprojekt? Können wir nicht irgendwas kaufen?“ Doch schon bald lag auf der Hand: „Nein. Ein Schiff in dieser Form kann man nicht kaufen, das muss man bauen.“
Die Anforderungen an die neue Yacht waren hoch: Zehn Crewmitglieder müssen an Bord auch für längere Zeit einigermaßen bequem Platz haben, sich sicher bewegen können, das Layout und die Abläufe müssen stimmen. Conradi: „Die machen ja Reisen zu Zielen, wo sonst freiwillig keiner hinfährt. Dafür muss das Boot geeignet sein – einer der Gründe, warum wir in Aluminium gebaut haben. Wir haben uns gesagt: Na gut, wenn die da oben schon im Eismeer herumpickern, dann kann eine harte Metallstruktur nicht schaden.“
Zwar hätte sich das Vorhaben auch mit Kunststoff realisieren lassen können, doch nur mit ungleich höherem Aufwand – und entsprechenden Kosten. Für die materielle Ausstattung zeichnet der Patenring der SKWB verantwortlich. Hier engagieren sich Nichtmitglieder, die den Verein finanziell und auch ideell unterstützen. Der Patenring und die Mitglieder trommelten für das Vorhaben und brachten gemeinsam schließlich die nötige Million für den Neubau auf: „Wir haben das bar bezahlt, ohne Kredit“, sagt Segelmeister Rudolf Olma nicht ohne Stolz. Möglich wurde das alles durch weitere Hilfe. Die Rettungswesten mit AIS-Sender für alle Crewmitglieder sind eine Spende, das Teakdeck sponserte ein Mitglied der Segelkameradschaft.
Als der Entschluss zum Neubau einmal getroffen war, wurde ein Bauausschuss berufen. Die Mitglieder diskutierten, entwickelten Ideen, verwarfen diese wieder. Die Herausforderung: die Wünsche und Erfahrungen der älteren Generation mit den Vorstellungen der jüngeren unter einen Hut zu bekommen. „Viele der alten Lösungen haben wir übernommen“, sagt Otto Knechtel und verweist etwa auf den kardanischen Tisch im Salon: eine SKWB-Spezialität, die sich schon in der alten „Wappen“ bewährt hat. Der Tisch kommt ohne Schlingerleiste aus, dennoch fällt im Seegang nichts herunter. „Nur aufstützen darf man sich natürlich nicht.“
Die Seewasserpumpe sorgte da schon für mehr Diskussionsstoff. Unnötig, fanden die Jüngeren. Die alten Salzbuckel meinten: unverzichtbar! „Bei seiner letzten Tour über den Atlantik hatte unser Vorsitzender Jochen Orgelmann 1200 Liter Trinkwasser im Tank. Als sie auf Barbados ankamen, waren noch immer 800 Liter drin“, erzählt Knechtel und muss schmunzeln. „Die Leute durften sich unterwegs nicht mal die Zähne damit putzen, geschweige denn duschen. Sie wollten schon meutern!“
Nun setzten sich die Älteren dennoch durch: Die Pumpe wurde abermals eingebaut. „Als unser Segelmeister Rudi Olma in Bremerhaven dann zum ersten Mal pumpte und das braune Wasser in die Spüle lief, sagten wir: Und mit der Brühe willst du das Geschirr abwaschen?“ Frieden gemacht haben sie nun so: Die Pumpe ist drin – allerdings durch einen Holzkeil blockiert. Nutzen wird sie wohl so schnell keiner, doch die Älteren sind zufrieden.
Ein herrlicher Zwist: Die kleinen Differenzen sprechen Bände. Denn die Yacht offenbart auch, wie unterschiedlich Generationen ticken können – keineswegs nur segelphilosophisch betrachtet.
An anderer Stelle unter Deck konnten sich dann wieder die jüngeren Segler durchsetzen, Diskussion sinnlos. So verfügt jede der zehn Kojen über einen eigenen USB-Anschluss zum Laden von iPhone, Tablet & Co. Außerdem ist auf der neuen „Wappen“ erstmalig ein Radio installiert und – eine zweite Toilette! Dieser Luxus war in den Beratungen des Traditionsvereins besonders umstritten. „Dass auf Langfahrt eine Nasszelle sinnvoll ist, hat sich ja inzwischen durchgesetzt“, sagt Konstrukteur Conradi und lacht. Aber bei der zweiten Toilette war bei vielen Mitgliedern Schluss: reine Platzverschwendung! Erst nachdem Conradi eine Lösung präsentierte, die keinen Platz verschenkt, wurde das „revolutionäre“ zweite Örtchen auch von den alten Strategen des Vereins zähneknirschend akzeptiert.
Die entscheidenden Neuerungen indes finden sich naturgemäß an Deck. Beim ersten Probetörn, der gleichzeitig auch die offizielle Schiffsübergabe an die SKWB ist, sind neben den SK-Schiffern auch alle für den Bau Verantwortlichen an Bord. Auf dem Weg vom Liegeplatz in der Lloyd-Marina zur Schleuse passiert die neue „Wappen“ die alte: Die liegt verlassen am Steg, selbstverständlich noch immer segelklar. Doch nun ist sie überflüssig geworden; ausgemustert.
Ein kurzer Blick im Vorbeifahren, doch dann verwandelt sich die neue „Wappen“ in einen Abenteuerspielplatz: Fender wollen verstaut, Leinen klariert werden. Alles muss sich erst noch finden. Alexander Siemer, dessen Werft den Ausbau verantwortet, montiert noch schnell die Rettungsinseln in ihre Halterungen am offenen Heck, Jörg Müller-Arnecke vom Segelmacher Beilken steht für die Segelmanöver bereit.
Es gibt eine Menge zu entdecken und auszuprobieren. Die neue „Wappen“ hat ein wegnehmbares Kutterstag und ein Furlingsystem, das gab es auf ihrer Vorgängerin nicht. Das riesige Cockpit ist in einen Arbeits- und einen Wohnbereich unterteilt, auf den Duchten finden je fünf Personen bequem Platz, geschützt von der großen Sprayhood mit dem riesigen Panoramafenster. Die Sprayhood sollte flach genug sein, damit große Personen darüber hinwegschauen, aber auch hoch genug, dass kleinere Crewmitglieder bequem durch das Fenster sehen können. Der Arbeitsbereich ist durch eine mächtige, zentral angeordnete Winsch für die Großschot abgegrenzt. Daneben gibt es je zwei weitere Winschen für die zahlreichen nach achtern umgelenkten Leinen.
Und die haben es in sich: Auf insgesamt zehn Fallenstopper verteilen sich Reffleinen, Dirk, Unterliekstrecker, Kicker, Kutterfall und Co. Bis auf Code Zero und Spinnakerfall laufen die sonstigen Fallen am Mast: „Wir wollen unterwegs ja auch was zu tun haben“, kommentiert Rudolf Olma.
Während Konstrukteur Conradi am Ruder steht, werden nach und nach die Segel ausprobiert. Bei leichtem bis mittlerem Wind springt die „Wappen“ gleich an, der Ruderdruck ist kaum zu spüren: „Eigentlich stehe ich hier nur für den Fotografen“, sagt Conradi am Ruder. Die anderen versuchen unterdessen, der vielen Leinen Herr zu werden. „Was ist noch mal das grüne?“ – „Reff drei, glaube ich, oder?“ Noch sind keine Beschriftungen angebracht, kommt alles später; jetzt wird erst mal gesegelt. Dass es dabei stundenlang nur zwischen Bremerhaven und Nordenham hin und her geht, stört keinen: Alle sind mit leuchtenden Augen damit beschäftigt, ihr neues Schiff zu erleben.
Erste Schoten erweisen sich als zu lang, fast knietief stehen die Schiffer im Cockpit in der Wuhling. Das Taschenmesser schafft Abhilfe. „Da muss noch Ordnung rein“, sagt Olma. „Hier ist alles umgelenkt, bei der alten ,Wappen‘ war alles vorn am Mast.“ Beim Bergen des Gennakers wird es kurz hektisch, aber die erfahrenen Segler fangen das Tuch gerade rechtzeitig wieder ein. Wenden, halsen, Frachtern ausweichen und nicht die Tonnen schnippeln – bei 2,70 Meter Tiefgang auf der Weser keine gute Idee. Die Rollanlage stößt bei dieser ersten Fahrt gleich auf große Begeisterung, und immer wieder muss die alte „Wappen“ zum Vergleich herhalten. Früher hieß es immer: „Segel wechseln – muss das sein? Die Genua liegt ganz unten.“ Jetzt sind diese Worte zu vernehmen: „So eine Rollanlage ist schon was Feines.“
Olma blickt zufrieden in die Segel. Sein Fazit des Tages: „Schiff fährt, alles dran.“
Während ein Teil der Schiffer die Segeleigenschaften testet, wird unter Deck schon eifrig geräumt und gestaut. Ein „Ingenieursschrank“ wird in guter alter SK-Tradition eingerichtet. „Wir nennen das so. Da sind Ersatzteile drin, wir fahren alle Teile doppelt, manche sogar dreifach, damit wir unterwegs alles reparieren können“, erklärt Otto Knechtel. Um die Instandhaltung kümmern sich bei der SKWB sogenannte Bootswarte. Sie sind für die Ausrüstung zuständig und kümmern sich um Ersatz, wenn etwas fehlt. Bei der SKWB ist der Mangel von Ersatzteilen aber eher nicht das Problem: „Wir haben im Verein jede Menge Jäger und Sammler. Die sagen: Das Teil können wir noch gebrauchen, und wenn’s zur Selbstverteidigung ist“, so Knechtel. Am Ende der Saison muss inzwischen jedes Jahr ein Räumkommando an Bord kommen und das Schiff ausräumen: „Da kamen schon Dinge wie Klettbürsten und Hummerzangen zum Vorschein, und die wurden dann prompt vom nautischen Inventar gestrichen.“
An die Planungs- und Bauphase erinnern sich die Beteiligten gern: „Es ging alles ohne Katastrophen ab“, sagt Rudolf Olma. Er und Torsten Conradi sind ein eingespieltes Team, auch das Regattaschiff der SKWB, die „Bank von Bremen“, haben sie zusammen realisiert. Der Bauausschuss hat sich ganz bewusst für Betriebe in der Region entschieden: So wurde der Alu-Kasko der vierten „Wappen“ auf der Yachtwerft Benjamins in Emden geschweißt, den Ausbau übernahm Siemer-Jachtservice an der Ems. Während der 14-monatigen Bauzeit konnten die Mitglieder immer wieder die Arbeitsfortschritte begutachten, standen in engem Kontakt mit den Werften. „Manchmal kam ein ganzer Reisebus bei uns in Barßel an“, erzählt Alexander Siemer. Dann gab es belegte Brötchen und seinen selbstgemachten Eierlikör, während das Projekt besprochen wurde.
Den Eierlikör gibt es auch heute, Alexander Siemer hat zur Feier des Tages eine große Flasche mitgebracht. Und nachdem die „Wappen“ Nummer vier wieder in der Lloyd-Marina festgemacht hat, fließen schließlich die letzten Unterschriften aufs Papier. Dann wird der Werftstander eingeholt, die Flagge der Segelkameradschaft feierlich gehisst. Und schon bald will die nagelneue Yacht ihre erste Reise antreten, über die Nordsee ins Baltikum. Mit USB-Anschluss, Musik und zwei Toiletten an Bord segelt der Bremer Traditionsverein in eine neue Ära. Schönes Ding.
Die Segelkameradschaft Das Wappen von Bremen wurde 1934 gegründet und widmet sich seitdem vor allem der Ausbildung. Mit ihren Langfahrtyachten unternehmen die Mitglieder und Gäste immer wieder Reisen auch in entlegene Reviere. Neben Nord- und Ostsee, Atlantiküberquerungen und Karibiktörns zählt sogar das Eismeer zu den Zielen. Mitglieder können im Laufe verschiedener absolvierter Reisen vom einfachen Crewmitglied über den Wachführer zum Schiffer werden – Letzteres berechtigt zum Führen der Vereinsyacht „Wappen von Bremen“. Der Verein unterhält außerdem das Regattaschiff „Bank von Bremen“ sowie zwei J 70 für die Segelbundesliga und mehrere Jollen.
Der Artikel erschien zum ersten Mal 2016.