Test Amel 60Komfortable Luxusyacht mit Wow-Effekt

Jochen Rieker

 · 30.07.2024

Fünf Windstärken sind für die 18-Meter-Yacht nur ein Sonntagsspaziergang – ein ziemlich flotter allerdings
Foto: EYOTY/Rick Tomlinson
Amels Topmodell, die Amel 60, zählt zur gehobenen Luxusklasse. Doch sie kann auch kräftig einstecken. Test einer Ausnahmeerscheinung, die ihre Crew verwöhnt und schlechtes Wetter vergessen macht

Wäre sie eine Kamera, dann eine Leica. Würde man sie mit einem Auto vergleichen, dann mit einem Bentley. Und sollte es ein Hotel sein als Analogie, dann keines der großen Fünf-Sterne-Ketten, sondern ein kleineres feines Haus wie das „Hôtel de Paris“ in St.-Tropez. So etwa muss man sich die Amel 60 vorstellen: arriviert, aber individuell, luxuriös, dabei dennoch funktional.

Auf ihre Art definiert und repräsentiert sie derzeit den Stand des Yachtbaus in seiner höchsten Form, wenn es um Fahrtentauglichkeit und Komfort geht. Deshalb lassen wir für einen Moment die Tatsache außer acht, dass sie mit einem Basispreis von zweieinhalb Millionen Euro für die weit überwiegende Mehrzahl aller Segler unerschwinglich bleiben wird, vielen auch schlicht zu mächtig und technisch komplex erscheinen mag. Wir kommen darauf später noch zurück.

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Das Modell folgt im Wesentlichen dem Entwurf der Amel 50 (Test in YACHT 25/26-2017). Die Ähnlichkeiten gehen dabei so weit, dass man sie aus der Ferne für Zwillingsschwestern halten kann. Bei näherem Hinsehen aber wirkt die 60er trotz ihrer imposanten Maße geschliffener und gestreckter, Kajütaufbau und Deckshaus eleganter integriert, die Rumpffenster flacher und konzentrierter. Erstaunlich, was ein Plus von 2,50 Meter Länge dann doch ausmacht.

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Das gilt erst recht an Deck. Aller Ver­wandt­schaftsgrade zum Trotz kommt einem die Amel 60 wie eine andere Welt vor. Das aufreizend freie Achterdeck bietet eine in dieser Klasse bisher nicht gekannte See­terrasse, die fast ebenso lang wie breit ist und ein erhabenes Gefühl vermittelt.

Preisgekrönte Plicht

Über eine mittig angeordnete Stufe gelangt man von hier ins ebenfalls konkurrenzlos große und geschützte Cockpit – eines der wohl wichtigsten Alleinstellungsmerkmale der Marke. Es liegt recht tief und verfügt über die ergonomisch bestgeformten Sitzbänke: Auf den breiten Duchten mit den hohen, angenehm abgewinkelten Sülls lässt es sich stundenlang aushalten, auch bei Lage. Dann dient der große Klapptisch als Fußstütze. Schatten spendet das feste Dach, dessen Mittelteil sich elektrisch öffnen lässt. Bei kälterer Witterung schließen Textilbahnen den achteren Teil zur Kuchenbude.

Der Steuerstand hat ebenfalls Platz in der Plicht. Bei Amel liegt er schon seit Jahrzehnten an Backbord neben dem Niedergang, wodurch der Rudergänger in engem Kontakt mit der Crew bleibt. Auf einem fein versteppten und arretierbaren Drehsessel logiert dieser wie ein Fernfahrer hinter einem gut bestückten Armaturenbrett, vor sich alle Instrumente und Bedieneinheiten, die es zum Segeln braucht. Auf der mattschwarzen Konsole vor dem Ruder sind die Funktionen eingraviert, die sich per Knopfdruck oder Hebel aktivieren lassen: für die serienmäßig elektrifizierten Schotwinschen etwa, die serienmäßige Rollsegel, das serienmäßige Bugstrahlruder, den serienmäßigen Autopiloten.

Wer die Amel 60 von hier pilotiert, hat fast ungehinderten Rundumblick, denn die Segel sind im Unterliek extra etwas höher geschnitten. Nach vorn und zur Seite bleibt das Cockpit von fünf Scheiben aus gehärtetem Glas umschlossen, wobei sich das mittlere aufstellen lässt; zusammen mit zwei Klappluken im Dach sorgt es für gute Be­lüftung. Das gesamte Arrangement funktioniert so gut und erscheint so schlüssig, dass man sich unwillkürlich fragt, warum nicht mehr Werften darauf setzen. Bei der Konkurrenz liegen die Steuerstände durchweg achterlich der Plicht.

Auch sonst gefällt das Deckslayout der Amel

Weil die Püttinge der Unterwanten am Aufbau angreifen, die Oberwanten außen am Rumpf, bleibt der Gang aufs Vorschiff unverbaut. Die feste Seereling, noch so ein Wesensmerkmal der Marke, vermittelt dabei Sicherheit, ebenso das hohe Schanzkleid, das ein Abrutschen mit dem Fuß über die Deckskante wirkungsvoll verhindert.

Vor dem serienmäßigen Carbonmast, der von Lorima stammt, dem führenden französischen Anbieter, fährt die Amel 60 bis zu drei Rollsegel: Neben der Genua kann sie für schwereres Wetter mit einer Stagfock ausgestattet werden, die über eine Schiene im Aufbau als Selbstwender fungiert (Aufpreis); davor lässt sich am Bugbeschlag aus Edelstahl ein Code Zero, wahlweise auch ein Gennaker setzen.

Die beiden Raumwindsegel finden in einer großen Vorpiek hinter dem Ankerkasten Platz, aus der sie ohne große Mühe direkt gesetzt und geborgen werden können. Hier ließe sich auf Wunsch auch eine karge Kammer für den Bootsmann einrichten – die einzige Option, die Amel beim Kajütlayout anbietet. Allerdings schränkt diese die Segellast ein. Und dank des einfachen Bedienkonzepts und der hohen Automatisierung ist der Eigner kaum je auf fremde Hilfe angewiesen. Zur Philosophie des Werftgründers Henri Tonet zählte seit eh und je, Yachten zu konzipieren, die ohne Deckshand auskommen. Das gilt für die aktuellen Modelle mehr noch als für Klassiker wie Santorin oder Super Maramu.

Einmal auf Kurs und Geschwindigkeit gebracht, sind mit ihr Etmale von um und über 200 Seemeilen drin

Viel eher kann die 60er etwas mehr Segelfläche vertragen. Mit einer Segeltragezahl von 4,3 liegt sie zwar auf dem Niveau ihrer Mitbewerber; bei weniger als 10 Knoten Wind fehlt es aber an Temperament. Denn die fast 28 Tonnen müssen erst mal in Fahrt kommen. Da sind Code Zero und Gennaker, beide auf Rollanlagen geführt, eine wirkungsvolle Hilfe.

In abnehmender Thermik erreichten wir im Test vor Port Ginesta an der katalanischen Küste durchaus achtbare Geschwindigkeiten. Unter Rollgroß und Code Zero, beide von Incidence, loggte die Amel bei 8 bis 10 Knoten Wind und einem offenen Amwindkurs beständig an die 7 Knoten Fahrt. Bei frischer Mittagsbrise und Welle ließ sie sich mit Gennaker nahe an ihre Rumpfgeschwindigkeit von 10 Knoten führen. Einmal auf Kurs und Geschwindigkeit gebracht, sind mit ihr also Etmale von um und über 200 Seemeilen drin – und das ohne Kraftanstrengung. Denn sie bewegt sich weich und souverän durch die See.

Was sie bei den Segeleigenschaften am meisten vermissen lässt, ist Agilität und Rückmeldung vom Ruder – zu stark die Vorbalance der beiden weit achtern stehenden Blätter, zu indirekt die Übersetzung. Da erreicht die Amel nicht das Niveau von Oyster 565 und Hallberg-Rassy 57. Auch die Höhe am Wind ist mit rund 50 Grad nur durchschnittlich. Für die Zielgruppe der Genuss­segler wird das jedoch kein Ausschluss­kriterium sein; auf Langstrecke delegieren sie das Kurshalten ohnehin an den hydrau­lischen Autopiloten von Furuno, der beim Testboot äußerst präzise und zuverlässig arbeitete.

Überraschend gering fällt der Ballast­anteil aus; er beträgt nur 26 Prozent – für eine große Hochseeyacht erscheint das rank. Andere Wettbewerber liegen zwischen 30 und über 35 Prozent. Doch kommt der Amel hier zum einen das Kohlefaserrigg zugute, zum anderen die hohe Formstabilität durch den achtern breiten Rumpf. Beim Test in bis zu 25 Knoten Wind und mehr als zwei Meter Welle segelte sie jedenfalls steif genug. Und auch die Auftriebsverteilung überzeugte. Bei Lage vertrimmte der Bug trotz 100 Meter Kette im Ankerkasten kaum.

Eleganter Ausbau

Unter Deck bietet die Amel 60 nur eine Aufteilung: zwei Gästekojen mit eigenen Nasszellen vorn, eine große Eignerkammer mit En-suite-Bad achtern. Alternativen? Keine! Und das hat durchaus Vorteile. Das Einheitslayout und die extrem umfangreiche Standardausstattung vermeiden nicht nur kompromissbehaftete Optionen; sie verein­fachen auch den Service, weil sich die Boote kaum unterscheiden.

Mangel leidet die Crew an Bord ohnehin nicht, im Gegenteil. Der Komfort sucht seinesgleichen, und auch das Ambiente überzeugt. Es wirkt geschmackvoll modern, zugleich gediegen, behaglich und selbst mit Walnuss-Oberflächen noch sehr hell. Ein Boot mit Wow-Effekt. Alternativ gibt es die Amel 60 auch in heller Eiche.

In jedem Fall erfüllt sie qualitativ wie funktional höchste Ansprüche. Mit sechs wasserdichten Abteilungen ist sie praktisch unsinkbar, weshalb manche Eigner Törns in hohe Breiten mit ihr planen. Teuer? Das ist sie, fraglos. Aber nicht in Relation zur Leistung. Das spricht sich herum: Die Lieferzeit beträgt derzeit mehr als zwei Jahre.

Die Messwerte zum Test der Amel 60

Wind: 15–18 kn (4–5 Bft.), Wellenhöhe: ca. 1,5 Meter, * Mit Gennaker

Die Amel 60 im Detail

Amels Erfolgsformel: breiter Rumpf, hohes Kohlefaserrigg, moderater Tiefgang | Zeichnung: YACHT/N. CampeAmels Erfolgsformel: breiter Rumpf, hohes Kohlefaserrigg, moderater Tiefgang | Zeichnung: YACHT/N. Campe

Technische Daten der Amel 60

  • Konstrukteur: Berret/Racoupeau
  • CE-Entwurfskategorie: A
  • Rumpflänge: 18,00 m
  • Gesamtlänge: 19,00 m
  • Wasserlinienlänge: 16,85 m
  • Breite: 5,35 m
  • Tiefgang: 2,35 m
  • Masthöhe über Wasserlinie: 26,00 m
  • Theor. Rumpfgeschwindigkeit: 9,9 kn
  • Gewicht: 27,9 t
  • Ballast/-anteil: 7,2 t/26 %
  • Großsegel: 78,0 m²
  • Rollgenua (110 %): 92,0 m²
  • Selbstwendefock (opt.): 36,0 m²
  • Motor (Volvo Penta): 128 kW/175 PS
  • Kraftstofftank: 900 l
  • Frischwassertank: 790 l
  • Fäkalientanks: 3x 80 l

Rumpf- und Decks­bauweise

Komplett laminiert im Vakuum-In­fusionsverfahren mit Vinylesterharz: Unterwasserschiff massiv, darüber GFK-Komposit mit Schaumkern. Schotten verklebt und anlaminiert. Bleikiel an tiefem GFK-Stummel

Preis und Werft

  • Grundpreis ab Werft: 2.499.000 € inkl. 19 % MwSt.
  • Standardausrüstung inklusive: Motor, Schoten, Reling, Positionslaternen, Batterie, Kom­pass, Polster, Pantry/Kocher, Lenzpumpe, WC, Segelkleid, Anker/Kette, Fender, Festmacher, Feuer­löscher, E-Kühlfach, Fäkalientank mit Absaugung, Antifouling und segelklare Übergabe inklusive Einweisung
  • Darüber hinaus im Preis enthalten: Sechs wasserdichte Abteilungen, Edelstahl-Bugspriet mit Ankerhalterung, feste Reling, elektrische Genua- und Großschot-Winschen, Carbon-Rollmast, Carbon-Gangway, ausfahrbares Bugstrahlruder, Generator, Lithium-Batterien, Inverter, TV, Stereo, Induktionsherd, Wasch- und Spülmaschine
  • Garantie/gegen Osmose: 2/2 Jahre

Stand 7/2024, wie die ausgewiesenen Preise definiert sind, finden Sie hier!

Werft

Chantiers Amel S. A., 17183 Périgny Cedex, Frankreich, Tel. 0033/ 54655 1731, www.amel.fr

Vertrieb

RBK-Yachting, München, Tel. 089/67 34 60-50, E-Mail: info@kronenberg-yachting.com

YACHT-Bewertung der Amel 60

Seit Amel sich vom Ketschrigg verabschiedet hat, eilt die französische Luxuswerft von Erfolg zu Erfolg. Die Amel 60 überzeugt vor allem durch ihr einfaches, sicheres und komfortables Bedienkonzept, das ihr jüngst den Sieg bei Europas Yacht des Jahres brachte

Konstruktion und Konzept

  • + Einzigartige Langfahrtyacht
  • + Moderne Linien, variabler Segelplan
  • + Extrem hohe Havarie-Sicherheit

Segelleistung und Trimm

  • + Passable Höhe und Geschwindigkeit
  • + Leichtes und sehr sicheres Handling
  • - Entkoppeltes Steuergefühl

Wohnen und Ausbauqualität

  • + Hochwertiges, helles Ambiente
  • + Durchweg sehr hoher Wohnkomfort
  • - Nur eine Option beim Kajütlayout

Ausrüstung und Technik

  • + Herausragende Serienausstattung
  • + Viel und gut erreichbarer Stauraum
  • + Erstklassige Verarbeitung

Der Artikel erschien erstmals in YACHT 15/2020 und wurde für die Online-Version aktualisiert.

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