Pure 49Alu-Performance-Explorer auf Amphetamin

Fridtjof Gunkel

 · 24.07.2024

Der orangefarbene flache Pilotsalon und das naturbelassene Aluminium sowie die kantige Rumpfform machen die BM einzigartig
Foto: YACHT/Jozef Kubica
Alurumpf, Carbonrigg, Wasserballast, Doppelruder, Hubkiel, Pinnensteuerung – die BM 49 strotzt vor leistungssteigernden Mitteln. Und weiteren Attributen wie dem Pilothouse-Layout. Porträt eines Bootes, dem weitere aus einer neuen Kieler Werft folgen sollen

Ginge es nach Helmut Schmidt, der bekanntlich einst formulierte: „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen“, müsste Matthias Schernikau in medizinische Behandlung. Vorstellungen und Ideen für die Zukunft hat der ehemalige Inhaber eines Aufzugherstellers durchaus, und zwar zum Thema Bootsbau in Deutschland.

Der 55-Jährige will in Kiel eine Werft für ebenso gehobene wie performante Aluminiumyachten errichten und sieht darin aufgrund des geringen Wettbewerbs bei guter Nachfrage eine realistische Chance.

Alu in Deutschland, da war doch was? Rückblende. Die Chronik der Nordseeinsel Norderney notiert für das Jahr 1967 unter anderem die „Gründung der Norderneyer Yachtbaufirma Dübbel & Jesse am Hafen als Spezialwerft für Schiffe in Aluminiumbauweise“. Der Beginn einer großen Erfolgsgeschichte des hiesigen Bootsbaus. Unter Leitung der zur Gründung erst 29-jährigen Bootsbauer Uwe Dübbel (der den erfolgreichen Eintonner „Optimist B“ gebaut hatte) und Edwin Jesse entstanden im niedersächsischen Wattenmeer Yachten von Weltruf, Kleinserienboote, Einzelbauten, Regattayachten.

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Letztere fallen in die goldene Ära des Yachtsegelns, in die Blütephase der International Offshore Rule, in Zeiten, da der Admiral’s Cup als Weltmeisterschaft des Hochseesegelns galt und erst über aufwändige Ausscheidungswettfahrten in verschiedenen Revieren ermittelt werden musste, welche Crews einen der drei begehrten Teamplätze erhielten. Dafür wurde hart trainiert, frisch konstruiert und neu gebaut. 1979 drängelten zehn(!) neue Cup-per an den Startlinien vor Helgoland und Kiel, allein sechs davon hatte Dübbel & Jesse aus Aluminium zusammengebraten. Das deutsche Team bildeten schließlich die beiden Leichtmetallyachten „Jan Pott“ und „Tina I-Punkt“ sowie die formverleimte „Rubin VI“. Silber einfahren konnten die drei jedoch nicht, der Jahrhundertsturm wütete durch das Feld des Fastnet Race, 19 Segler ließen ihr Leben. „Jan Pott“ kenterte durch und verlor den Mast, „Tina I-Punkt“ brach das Ruder, einzig „Rubin VI“ kam durch.

Dennoch: Alu war im Regattasegeln auf dem Höhepunkt, aber nur bis 1983, als der Sandwichbau seinen bis heute währenden Siegeszug antrat. Dübbel & Jesse baute weiter berühmte Ware, Wilfried Erdmanns „Kathena nui“, Clark Stedes „Asma“, Yachten für die maritime Historie. Dazu zählt mittlerweile Dübbel & Jesse selbst, seit der Betrieb 2003 die Hallentore für immer verschloss.

Ein neuer Player, der in eine kleine Lücke stößt: Pure Yachts

Aluminium ist geblieben, als beliebter Werkstoff für Explorer-, Langfahrtyachten und große Einheiten, aufgrund seiner Festigkeit, Zähigkeit und recht einfachen Reparaturmöglichkeiten. Der Markt für große Yachten wird beherrscht von Huisman, Explorer kommen von K&M, ebenfalls Niederlande, dazu Garcia und Allures sowie Ovni aus Frankreich. Jachtbouw Folmer in Holland und die Yachtwerft Benjamins im Ostfriesischen sind spezialisiert auf Kaskos und Einzelbauten.

Und nun ein neuer Player, der in eine kleine Lücke stößt: Pure Yachts und ihre Performance-Explorer. Gründer und Mitinhaber Matthias Schernikau denkt groß. Er hat das ehemalige Gelände der Kieler Lindenau-Werft gekauft und zieht eine hochmoderne Produktion auf, will dort Semi-Serienyachten und Einzelbauten nach Rissen von Berckemeyer Yacht Design fertigen, hat bereits fünf Kaskos bei Folmer geordert und baut gerade eine BM 50 aus, späterer Komplettbau von Aluyachten nicht ausgeschlossen.

Blaupause, Erstlingswerk und Ideengeber war Schernikaus eigenes Projekt, seine BM 49 „Gorre“. Die hat er in fünf Jahren aus einem Benjamins-Kasko selbst gebaut. Ein auffälliges Boot, nicht nur des orangefarbenen Aufbaus wegen. Der naturbelassene Alurumpf hat senkrechte Freiborde, dazu einen harten Chine. Das Heck ist offen, die Sülls hoch, die Pinnensteuerung selten für die Bootsgröße. Über dem Metallrumpf ein Carbonmast, sonst ist es auf Performance-Booten ja auch gern umgekehrt: Kunststoff-Rumpf mit Metallmast.

Das Raumkonzept ist ebenso speziell wie stilbildend. Es handelt sich um ein Pilothouse-Boot. Konstrukteur Martin Menzner erklärt: „‚Gorre‘ und auch die in Bau befindliche BM 50 haben beide ein Pilothouse. Das heißt eine Hütte, in der man geschützt drin sitzt und 360 Grad in die Welt blicken kann. In einem Pilothouse sind weder Salon noch Pantry untergebracht. Beides befindet sich tiefer unter Deck. Das Pilothouse ist letztlich ausschließlich eine geschützte Verlängerung des Cockpits.“ Menzner betont weiter, dass in einem Pilotsalon und Deckssalon der Salon erhöht im Deckshaus liege. Pilotsalon sei dann gegeben, wenn man im Salon sitzend auch 360 Grad raussehen und steuern kann, selbst wenn dies nur über die Autopiloten-Fernbedienung geschehe.

Der Boden des Pilothouse liegt fast auf einer Höhe mit dem Cockpit

Auf der BM 49 „Gorre“, die Werftchef Matthias Schernikau als Pure 49 in sein Programm integriert, ist das Pilothouse als recht flacher Raum für die Freiwache ausgeführt und mit zwei Bänken ausgestattet. Die eignen sich zum Schlafen, wofür Klappen geöffnet werden, um auf eine ausreichende Kojenlänge zu kommen. Die Füße stecken dann im Kopfraum der unter den Kojen liegenden Räume. Klingt komisch im Sinne von merkwürdig, ist aber kein Novum im Yachtbau. Der Boden des Pilothouse liegt fast auf einer Höhe mit dem Cockpit, zum Salon geht es über den eigentlichen Niedergang nach unten.

Der Aufbau des Pilothouse nimmt den Großschotttraveller wie ein Targabügel auf und hält so das Cockpit schön frei. Die Schot ist ähnlich einem German-Cupper-System nach achtern geführt. Jedoch durch die Klemmenbatterien beidseits des Niedergangs auf zwei 52er-Andersen-Winschen. Als Stopper kommen Spinlocks XTS-Powerclutch-Modelle zum Einsatz, die sich ganz hervorragend auch unter Last fieren lassen. Durch die Pinnensteuerung sind die beiden vorderen Winschen und damit auch das wichtige Bedienelement der Großschot bestens zu erreichen und gut bedienbar. Die Schoten der Vorsegel werden auf zwei 62er geleitet, die ebenfalls von der Pinne aus gut erreichbar sind.

Das wegen des Hubkiels an Deck stehende Carbonrigg des rumänischen Herstellers Axxon trägt als Kuttertakelung zwei Amwind-Vorsegel, eine Genua sowie nach achtern an Deck und am Mast nach unten versetzt im Stil einer französischen Trinquette ein Schwerwetter-Vorsegel, das auf einer Selbstwendeschiene geschotet wird. Die drei Salingspaare sind 23 Grad nach hinten gepfeilt und lassen den Mast ohne festes Achterstag auskommen. Zur Sicherheit und zum Trimmen gibt es doppelte fliegende Backstagen, die über 3:1-Vorläufer auf ein drittes Winschenpaar achtern geführt sind. Sie setzen am Masttopp und am Kutterstag an. Die starke Pfeilung und das Fehlen eines störenden Achterstages ermöglichen den Einsatz eines Fathead-Großsegels, das mehr Fläche und durch seine Geometrie eine größere Effizienz bietet.

Speed und Stabilität weiß die Pure 49 auf dem Wasser zu bestätigen

Darauf zielt auch der tiefe Hubkiel mit Bombe. Die Flosse lässt sich auf satte 3,20 Meter abfieren, bei Bedarf in jeder Stellung arretieren. Das Segeln ist mit eingefahrenem Kiel möglich, auch in der flachsten Stellung mit 1,30 Meter Tiefgang. Dann ragt die Kielfinne oben vor dem Mast aus dem Deck, sie öffnet dabei selbsttätig eine Abdeckklappe.

Für mehr Stabilität und somit Performance sind weiterhin zwei Ballastwassertanks eingeschweißt. Die langen über fast die gesamte Freibordhöhe im Bereich des Pilothouse und fassen je 750 Liter. Menzner: „Die sind nur für noch mehr Speed, nicht für mehr Sicherheit eingebaut. Die bringen so viel wie zehn Mann auf der Kante.“ Die beiden Turbos lassen sich per Staudruck oder elektrisch befüllen und durch Schwerkraft vor der Wende ins neue Luv umpumpen. Hoch und flach, fallen sie im Interieur nicht auf.

Schon auf dem Papier ist die Pure 49 mit diesen Komponenten ein Kracher. Das Verhältnis von Segelfläche zu Gewicht beläuft sich auf dimensionslose 4,9, damit liegt sie an der Schwelle zum Racer. Oder man nehme die Stabilität: Fünf Tonnen wiegt der Kiel, das Ballastverhältnis liegt mit 37 Prozent ebenfalls recht hoch, den großen Tiefgang dabei noch gar nicht mitbewertet.

Speed und Stabilität weiß die „Gorre“ auf dem Wasser zu bestätigen. Das Boot bereitet große Freude. Das beginnt mit der Pinne. 1,90 Meter lang ist der gekröpfte Prügel, der sich mit einem ebenfalls abgewinkelten Pinnenausleger prima von der Kante aus steuern lässt. Die ist rund 20 Grad abgeschrägt, da sitzt es sich ganz fabelhaft bei Lage, auch bei größerer. Wenn die sich trotz der großen Stabilität einstellt, halten die Doppelruder das Boot auf Kurs und Schach bis zum Baden des Gennakers.

Für lange Passagen scheint die Pure 49 ideal

Den wird man auf diesem Boot des Öfteren ziehen, da es der Crew einfach gemacht wird. Das Segel lässt sich in seinem Schlauch direkt aus der Segellast setzen, dort muss es noch nicht einmal gepackt werden. Mit einer Fallenwinsch am Mast – ein willkommen wiederbelebtes Relikt früherer Tage – sind die Wege obendrein kurz. Die Tackline am fest angeschweißten Bugspriet distanziert das Segel weit genug vom Vorstag für schnelle Halsen. Bei halbem Wind sehen wir rasch die neun Knoten auf der Logge, ohne viel Kraft und Aufwand. Die Größe der teilelektrifizierten Andersen-Töpfe und das gesamte Layout sind hochgradig bedienerfreundlich. Die Performance und ebenso das Steuerverhalten stimmen auf raumen sowie auf Amwind-Kursen und bereiten großen Spaß. Der Rudergänger muss nur etwas klettern und einen schnellen Weg durch das Cockpit über die hohen Duchten und Sülls finden; das Cockpit scheint auf seinen Eigner ausgerichtet, der 1,95 Meter misst.

Klasse: Mit der langen Pinne und dem Ausleger lässt sich das Boot auch von weiter vorn geschützt steuern, wo das Dach des Pilothouse zu einem Dodger verlängert ist. Und wenn’s ganz dicke oder nass kommt: ab mit der Funk-Fernbedienung des Autopiloten in das Pilothouse, Tür zu, Heizung an. Der lange Schlag mit diesem Boot, mit Crew oder auch allein? Ein Traum. Urs Kohler, Mitinhaber von Pure Yachts wird ihn erleben, er hat fürs Silverrudder gemeldet. Für lange Passagen scheint das Boot ideal.

Für solche Bedingungen oder gar für Fahrten in die hohen Breitengrade stellt man sich einen bullernden Edelstahlofen am Schott vor, ein gewisses Maß an gemütlicher Gestaltung, einen wenn nicht gediegenen, dann aber zumindest einladenden Ausbau. Fehlanzeige. Das Innenbild der „Gorre“ passt zu ihrem Äußeren: schlicht, kühl, pragmatisch. Das muss man weder mögen noch akzeptieren, Aluyachten sind halbe Einzelbauten, der Werkstoff ermöglicht eine weitestgehend freie Gestaltung und Aufteilung. Ein anderes Interieur-Layout, eine komplett abweichende Oberflächengestaltung, jedwede Sonderwünsche sind möglich, die Alubauweise erlaubt maximale Freiheit.

Boot atmet auch unter Deck Praktikabilität

Die „Gorre“ ist mit zwei Kabinen im Vorschiff und im Heck ausgestattet. Eine weitere Schlafmöglichkeit bietet ein eigentümlicher Kasten im Salon zwischen Pantry und Vorschiff, der mit einer Koje versehen wurde. Statt einer zweiten Kabine im Heck befindet sich an Steuerbord eine riesige begehbare Backskiste. Dort ist die Technik wie Heizung und Ladegeräte gut erreichbar, Werkzeug steht bereit, die Kontrolle der redundanten Wasserabscheider für den Diesel ist sofort einzusehen und dort einfach verschmutzter Kraftstoff abzulassen.

Das Boot atmet auch unter Deck Praktikabilität. Da sind keine schönen Designersteckdosen aus dem oberen Regal des Yachtausrüsters installiert, sondern Baumarktware Marke Hobbykeller, und das teils auch noch auf Putz. Kostet nicht viel, ist einfach auszutauschen, funktioniert. Schubladen gleiten nicht auf Automatikauszügen zurück in den Möbelkorpus, sondern werden geschoben, rasten ein und halten durch Schwerkraft, basta. Oberschränke in der Pantry oder Ablagen im Salon sind erst gar nicht installiert, wozu so viel Zeugs mitschleppen? Matthias Schernikau ist Handwerker, und er liebt den geraden Weg. Schließlich handelt es sich um seinen Erstling, und der war für ihn persönlich bestimmt.

Für die Innenraumgestaltung waren Schernikau andere Dinge wichtiger. Alle Komponenten sind gut erreichbar für Wartung und Austausch. Die Längspantry ist durch den Doppelsitz der Sitzgruppe auch bei Lage gut benutzbar. Der Motor lässt sich von allen Seiten erreichen, auch von oben. Seeventile sitzen auf sogenannten Stehrohren, die oberhalb der Wasserlinie enden und so verhindern, dass es einen Wassereinbruch gibt, wenn ein Ventil defekt ist. Beispiele. Ebenso wie die Schweißarbeiten. Zu sehen sind durchaus schöne Ecken und Rundungen außen, aber auch optisch räudige innere Schweißnähte an Stringern und Spanten. Vergleichbar einem unversiegelten Laminat, das durch keine Innenschale verkleidet wird.

Dies trifft in Backskisten und Segellast zu. Im Wohnbereich dagegen ist jeder Zentimeter Aluminium oberhalb der Wasserlinie aufwändig mit Schaum isoliert. Insgesamt ein vielversprechendes Bootskonzept und eine schöne Geschäftsidee.

Vielleicht muss Matthias Schernikau doch nicht zum Arzt.

Schnelles Alu aus der Sailing City

Bei Pure Yachts in Kiel entstehen in teils neuen Hallen künftig Aluyachten in Kleinserie
Foto: YACHT/Jozef Kubica

Matthias Schernikau installiert seine neu gegründete Schiffsmanufaktur auf dem brachliegenden 12.500 Quadratmeter großen Gelände der ehemaligen Lindenau-Werft im Kieler Stadtteil Friedrichsort. Neben direktem Wasserzugang, wo bis zu 15 Liegeplätze entstehen sollen, stehen an der Förde Hallen mit 3.600 Quadratmeter Fläche sowie ein 60-Tonnen-Kran zur Verfügung. Die Hallen werden derzeit ausgebaut und eine hochmoderne Fertigung für die Herstellung und den Ausbau von Aluminiumyachten errichtet.

Dort sollen High-End-Performance-Yachten in der Range von 42 bis 50 Fuß nach Rissen von Berckemeyer Yacht Design entstehen.

Derzeit bezieht Pure die Rümpfe von Jachtbouw Folmer, die komplette Eigenproduktion wird erwogen. Im Ausbau ist bereits eine Pure 50. Eine Pure 42 wird in den Versionen Standard und Performance mit mehr Segelfläche durch ein Fathead-Großsegel angeboten. Bei diesen Yachten handelt es sich um Deckssalonkonzepte; die Sitzgruppe im Salon ist also erhöht und gewährleistet Rundumblick. Schernikaus eigene „Gorre“ ist Vorbild für die ebenfalls angebotene Pure 49, ein Custom-Built-Projekt. Mit im Boot sind Bootsbaumeister Urs Kohler, der 18 Jahre lang bei der Sirius-Werft arbeitete, und Ivars Linbergs, ebenfalls Meister und Spezialist für Komposit. Den Aufbau der Werft und die Arbeitsabläufe organisiert Schernikau selbst.

Technische Daten der Pure 49

Riss der “Gorre” | Zeichnung: Pure YachtsRiss der “Gorre” | Zeichnung: Pure Yachts
  • Material: Aluminium/Alustar
  • Rumpflänge: 15,00 m
  • Wasserlinienlänge: 14,40 m
  • Breite: 4,30 m
  • Tiefgang/Alternat.: 1,30–3,20/2,60 m
  • Gewicht: 13,50 m
  • Ballast/-anteil: 5,0 t/37 %
  • Segelfläche a. W.: 136,0 m²
  • Segeltragezahl: 4,9
  • Maschine (Yanmar): 56 PS

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