Auf dem grauen Aluminiumrumpf ist mit großen schwarzen Buchstaben der Schriftzug „Tom Kyle“ zu lesen. Dahinter verbirgt sich weder ein Schauspieler noch ein Rockstar oder vielleicht ein Herrenduft, sondern die ursprünglichste Bezeichnung der Stadt Kiel aus der Zeit der ersten Besiedelung im 13. Jahrhundert. Der Name auf dem Rumpf ist eine Hommage an die Stadt an der Ostsee, wo das nautische Geschehen schon seit je von größter Bedeutung ist. Immerhin haben hier, in der „Sailing City“, zahlreiche Werften und relevante Schiffsbaubetriebe ihre Niederlassung gefunden, die Kieler Woche ist das weltgrößte Segelfest, und 1936 und 1972 fanden dort zudem die olympischen Segelwettbewerbe statt.
Mit dem noch jungen Werftbetrieb Pure Yachts ist die Stadt Kiel nun um einen weiteren nautische Manufaktur reicher. Nach den Einzelbauten BM 50 und Pure 49 haben die Kieler Bootsbauer mit der neuen, kleineren Pure 42 jetzt ihr erstes Serienmodell vorgestellt und auf Anhieb einen bemerkenswerten Senkrechtstart hingelegt. So wurde das neue Schiff direkt für die Wahl als Europas Yacht des Jahres 2026 nominiert. Die Werft scheute für die Jury-Trials keinen Aufwand und hat die
Baunummer eins nach Barcelona in Spanien transportiert, wo die YACHT für einen Test an Bord gegangen ist.
Noch werden der Rumpf und das Deck bei den Aluminium-Spezialisten von Folmer Yachtbau in den Niederlanden in höchster Qualität geformt und geschweißt und dann bei Pure Yachts in Kiel fertig ausgebaut und ausgerüstet. Dies soll sich aber bald ändern. Die Werft prüft jetzt Möglichkeiten, die Kaskos zukünftig selbst am Standort in Deutschland zu fertigen.
Die Rümpfe werden über einem CNC-gefrästen Strukturgerüst aus Spanten und Wrangen verschweißt. Das Unterwasserschiff besteht aus 15 Millimeter starken Platten aus seewasserbeständigem Aluminium in Rundspantbauweise. Für die Freiborde oberhalb der markant ausgeführten Kimmkanten sowie für das Deck kommt deutlich dünneres Aluminium mit sechs beziehungsweise fünf Millimetern Stärke zum Einsatz. Der Rumpf wird auf der Innenseite und oberhalb der Wasserlinie mit einer Schaumschicht isoliert, um Wärme- und Kältebrücken sowie die Lärmpegel zu minimieren.
Das Kajütdach hingegen ist als leichte GFK-Konstruktion von Knierim Yachtbau ausgeführt und wird erst nach dem Einbau sämtlicher Möbelkomponenten auf das Deckshaus gesetzt. Eine farbliche Individualisierung – wie beim Testboot mit seiner auffälligen Lackierung – ist frei wählbar.
Die Konstruktion stammt von Martin Menzner (Berckemeyer Yacht Design), der unter anderem bereits die Modelle Pure 49 und BM 50 entworfen hat. Im Unterschied zu denen ist das Konzept der neuen 42er als echte Deckssalonyacht ausgelegt – mit einer erhöht integrierten Sitzgruppe und einem entsprechend angehobenen Deckshaus samt Rundumverglasung. Ein ähnliches Konzept hat Menzner bereits für die Werft Viator Marine in Berlin realisiert. Die ebenfalls aus Aluminium gebaute Viator 42 DS ist im Marktumfeld die wohl unmittelbarste Konkurrentin zur Pure 42.
Fester Bestandteil des Pure-Konzepts ist der hydraulische Hubkiel in sportlicher T-Form, mit Aluminiumschaft und gehärteter Bleibombe. Alternativen bietet die Werft bewusst nicht an, auch keinen Festkiel. Per Knopfdruck lässt sich der Tiefgang der Flosse von beachtlichen 3,00 Metern auf nur 1,20 Meter reduzieren. Ist der Kiel vollständig aufgeholt, kann das Schiff problemlos darauf und auf den beiden Ruderblättern abgestellt werden, etwa beim Trockenfallen in Tidengewässern.
Mit einem Gewicht von nur 9,7 Tonnen und einem Ballastanteil von 34 Prozent ist die Pure 42 ausgesprochen leicht gebaut, selbst im Vergleich zu ähnlich großen Fahrtenyachten aus GFK. Entsprechend zeigt sie sich im Segeltest dynamisch, agil und auch sehr reaktionsstark. Auch ihr Potenzial unter Segeln überrascht. Bei rund 12 Knoten Wind (4 Beaufort) erreicht die mit einem Streckungsfaktor von 3,1 eher schlanke Pure 42 hart am Wind einen respektablen Speed von 6,8 Knoten. Mit der großen, überlappenden Genua ergibt sich dabei ein Wendewinkel von 85 Grad. Natürlich trägt das optionale Performancepaket beim Testschiff, mit Kohlefasermast und einer hochwertigen, laminierten Segelgarderobe, wesentlich zu den überzeugend guten Segeleigenschaften bei.
Der Standard-Segelplan umfasst sowohl eine überlappende Genua als auch eine Stagfock. Beide Vorsegel sowie das Pinhead-Großsegel gehören im Basispaket dazu, allerdings in der einfacheren Dacron-Ausführung. Alle Schoten und Trimmleinen laufen unter Deck und innerhalb des Cockpitsülls zu den beiden großen und kräftigen Winschen vor den Steuerständen. Zusätzliche Trommeln für Gennaker oder Code Zero sind weiter achtern auf dem Deck montiert. Die Fallen hingegen bleiben am Mast belegt.
Die Winschen stammen im Standard von Andersen und sind bereits ab Werft mit elektrischen Antrieben ausgestattet. Überhaupt scheint Pure Yachts bei der Decksausrüstung keinerlei Kompromisse einzugehen: Alle Beschläge, sämtliche Blöcke und Stopper stammen aus den hochwertigen Sortimenten namhafter Hersteller und sind eher zu groß als zu klein. Das Beste ist den Yachtbauern in Kiel gerade gut genug – schon im Standard.
Auch die kardanische Steueranlage von Jefa ist sehr hochwertig ausgeführt und bietet dank zweier getrennter Antriebssysteme für die beiden Ruderblätter eine vollständige Redundanz im Falle eines Defekts. Das vermittelt auf langen Törns ein hohes Maß an Sicherheit und Vertrauen. Allerdings zeigt sich die komplexe Anlage im Test noch schwergängig und die Ruderblätter scheinen beim Testschiff nicht perfekt ausgerichtet zu sein. Ab einer bestimmten Geschwindigkeit durch das Wasser treten beim Segeln spürbare Vibrationen am Ruder auf, und vor allem hart am Wind hat der Steuermann nur wenig Gefühl am Rad.
Pure Yachts hat das Thema Deckssalon insgesamt sehr modern und funktional umgesetzt. Grundlage des Raumkonzepts ist die Idee, Salon und Cockpit auf einer Ebene miteinander zu koppeln. Um dies zu ermöglichen, ist nicht nur der Salon erhöht eingebaut, sondern zugleich das Cockpit entsprechend tiefergelegt.
Die Konsequenz: Im hinteren Teil des Schiffes ist kein klassischer Wohnausbau mehr möglich. Dieser Bereich bleibt vollständig der Bordtechnik und großzügigen Stauräumen vorbehalten. Die Wohnräume befinden sich vor dem Kajütschott auf einem abgesenkten Niveau. Zudem wird unter dem erhöhten Salon eine gemütliche Mittelkabine mit Doppelkoje integriert.
Wer sich unter Deck umsieht, begibt sich auf eine wahre Entdeckungsreise durch ein weitverzweigtes Reich. Kein Raum bleibt ungenutzt, überall stößt man auf kleine Überraschungen und clever gelöste Details, die staunen lassen. Und gut zugängliche Stauräume finden sich unter Deck an allen Ecken und Enden.
Die Werft betont, dass für den Möbelbau unter Deck ausschließlich leichte und zugleich sehr robuste Kompositmaterialien in Sandwichbauweise mit Schaumkern eingesetzt werden. Durch den vollständigen Verzicht auf Sperrholzkomponenten lassen sich nach Werftangaben insgesamt rund 1,5 Tonnen Gewicht einsparen.
Bemerkenswert sind die außerordentlich hohe Verarbeitungsqualität sowie die Güte der Materialien beim Ausbau unter Deck. Stellvertretend dafür stehen die zahlreichen hochwertigen und teuren Beschläge an Türen, Stauräumen, Nasszellen und in der Pantry sowie die makellosen Wand- und Deckenverkleidungen. Sie sind mit kleinen Schrauben sauber befestigt und dennoch leicht abnehmbar.
Die Fenster im Aufbau bestehen obendrein selbstverständlich aus Echtglas, und die rollengelagerten Schubladen sind bis zu 80 Kilogramm belastbar. Kurz: Der Innenausbau der Pure wird selbst härtesten Belastungen standhalten und gleichzeitig höchsten Qualitätsstandards gerecht.
So viel Gutes gibt es natürlich nicht zum Schnäppchenpreis. Der Grundpreis von 1,13 Millionen Euro ist gleichermaßen Ansage wie Statement. Vergleichbar große Fahrtenyachten aus den Großserienwerften sind bereits für ein Drittel dieses Betrags zu bekommen. Doch der Vergleich greift zu kurz: Die Preisspanne ist ebenso groß wie die Unterschiede in Bauqualität, Ausbau und Ausstattung.
Stand 2025, wie die ausgewiesenen Preise definiert sind, finden Sie hier!
Nicht nur preislich, auch konzeptionell und qualitativ kann die Pure 42 Alleinstellungsmerkmale bündeln. Wer für eine Seereise auf Nummer sicher gehen will, ein Boot in vernünftiger Größe sucht und gleichzeitig Wert auf hohe Individualität legt, der sollte sich die Pure 42 ansehen. Gelegenheit dafür gibt es im Januar auf der boot in Düsseldorf, wo die Yacht als Premiere zu sehen sein wird.
Konsequente Auslegung
Deckssalon mit Rundumsicht
Sehr robuste Bauweise
Preisintensiv
Starke Segelleistungen
Genua und Stagfock
Einhandtaugliches Handling
Wenig Steuergefühl
Wohnlicher Innenausbau
Reichlich Stauräume
Tadellose Ausbauqualität
Toilette und Bad getrennt
Hochwertige Grundausstattung
Maschine sehr gut erreichbar
Hydraulischer Hubkiel
Abstufungen am Niedergang
Aluminium-Konstruktion mit Unterwasserschiff im Rundspant. Dach vom Kajütaufbau aus GFK.
Standard ist das Zwei-Saling-Rigg aus Aluminium. Ein Satz Darconsegel (Groß, Genua, Stagfock) gehört zur Basisausstattung ab Werft.
Das Testschiff ist mit einem Performance-Paket ausgestattet. Darin enthalten ist ein Mast aus Kohlefaser mit Rod-Wanten, hochwertigen Laminatsegeln, mehr Segelfläche und einer intelligenten Selbststeueranlage von NKE. Der Aufpreis für das Bündel beträgt 99.000 Euro.
Ab Werft werden zwei Lithium-Eisenphosphat-Akkus (LiFePO4) mit jeweils 300 Ah Kapazität eingebaut. Motorisierung Yanmar-4JH57-Vier-Zylinder-Motor mit Saildrive und Dreiblatt-Faltpropeller. Möglich wäre auch der Einbau eines Elektro-Podmotors.
Pure Yachts, 24159 Kiel; www.pure.yachts
Die Hochseeyachten der Bestevaer-Reihe von K&M Yachtbuilders haben schon Kultstatus. Die Konstruktion mit Pilothouse und dem typischen hochgezogenen Bug kommt von Dykstra Naval Architects.
Das Richtige für lange und anspruchsvolle Seereisen. Die Ovni 430 aus der Werft von Alubat in Frankreich ist wegen ihres sehr facettenreich ausgerichteten Konzepts außerdem für vielerlei Einsätze zu gebrauchen. Hier lesen Sie den Test.
Die holländische Werft VMG Yachtbuilders hat das Konzept ihrer außergewöhnlichen Blauwasseryachten der Puffin-Reihe nochmals überarbeitet. Als erstes Modell der neuen Generation ist die Puffin 42 jetzt im Bau.
Ebenfalls aus Deutschland und auch aus dem Büro von Konstrukteur Martin Menzner. Die Blauwasseryacht von Viator kommt dem Konzept der Pure 42 am nächsten. Auch sie wird mit einem Hubkiel ausgestattet. Hier kommen Sie zum Test.