Michael Good
· 26.03.2024
Innen herrscht das blanke Chaos. Nicht weniger als 14 Segel liegen auf der „Neomania“ unter Deck. Mehrere Großsegel gerollt in langen Säcken, Genuas verschiedener Form und Schwere, Gennaker für wenig oder viel Wind, Spinnaker in etlichen Größen und dazu noch Code Zeros. Das alles muss erst mal raus, bedeutet zusätzliche Arbeit für das Testteam der YACHT, bevor es überhaupt losgeht. Der Eigner prüft derweil Wind und Prognosen. Noch steht auf dem Bodensee vor Unteruhldingen eine prima Brise, die allerdings im Tagesverlauf weiter abgeben soll. Letztlich entscheidet man sich für die leichte Amwind-Garderobe sowie für einen der großen Top-Gennaker.
Das außergewöhnlich umfangreiche Segelinventar ist vom jetzigen Eigner zusammen mit dem Boot übernommen worden. Die Werft Neo Yachts im süditalienischen Bari hat die Baunummer zwei vom Typ 350 zunächst für die eine große Aufgabe gebaut: die Teilnahme an der ORC-Weltmeisterschaft 2019 in Kroatien. Dort ist das Schiff als Newcomerin gleich aus dem Stand auf den guten fünften Schlussrang von 50 teilnehmenden Booten in der Klasse C gesegelt – ein Achtungserfolg.
Auch wurde die „Neomania“ schon ab Werft sehr gezielt und ziemlich weitgehend auf ein optimales Rating nach ORC und IRC hin geformt. Im Vergleich zur Basisversion sind der Rumpf und das Deck mit hohen Kohlefaseranteilen (etwa 90 Prozent) sowie mit Epoxidharz gebaut. Das ist eine Option, welche die Werft gegen Aufpreis anbietet. Im Standard wird die Neo 350 als Glasfaser-Sandwich-Konstruktion mit Vinylesterharz laminiert. Zudem steht auf dem Testschiff ein Kohlefasermast von Pauger mit Rodwanten anstelle des Aluminium-Riggs wie im Lieferumfang ab Werft spezifiziert.
Dazu kommen viele weitere Upgrades bezüglich der Ausstattung. Das soll das Boot leichter und damit schnell machen. Zum Beispiel sind die Pinne, die Relingstützen und das Ruderblatt bei diesem Schiff aus Kohlefaser gebaut, es ist eine umfangreiche Bordelektronik installiert. Und natürlich bestehen alle Fallen, Schoten und Trimmleinen an Bord aus hochwertigem Material mit Dyneema- oder Vectran-Kern.
So gesehen, ist das Testschiff von der Standardversion relativ weit entfernt, zumindest was die Ausstattung und Bauweise betrifft. Und wie es scheint, musste die Werft beim Bau auch bezüglich der Kosten kaum Kompromisse eingehen. Das perfekt ausgerüstete Boot in der vor Kohlefaser nur so strotzenden Ausführung und mit dem umfangreichen Segelinventar hat wohl fast doppelt so viel gekostet wie das Schiff in der einfachen Basisversion ab Werft.
Das zeigt gleichermaßen auch, wie flexibel die Werft auf den gewünschten Nutzen reagieren kann, sei es für den ultimativen und erfolgversprechenden Regattaeinsatz nach IRC- oder ORC-Vermessung oder als Plattform für sportliches Tourensegeln. Dafür bietet Neo Yachts zudem verschiedene Kielvarianten an. Je nach Regattaformat und Handicap kann der Kunde zwischen nacktem Flossenkiel und T-Kiel mit Ballastbombe wählen. Beide Kiele gehen 2,10 Meter tief und bestehen komplett aus Blei. Für den Einsatz in Flachwassergebieten zum sportlichen Tourensegeln ist auch ein hydraulisch aufholbarer Teleskop-Kiel von Cariboni möglich. In dem Fall wird das Boot zudem mit doppelten Ruderblättern anstelle des sehr schlanken und tiefen Einzelruders ausgestattet. Für Mittel- und Langstreckenwettfahrten mit kleiner Crew kann die Werft überdies zusätzliche Wasserballast-Tanks mit jeweils 350 Liter Inhalt einpassen.
Die Konstruktion der Neo 350 kommt von Giovanni Ceccarelli. Hinter dem Namen steckt reichlich Erfahrung und ein beachtlicher Leistungsausweis. Dem aktuell kleinsten Boot der Neo-Reihe hat der Italiener eher konventionelle Formen mitgegeben. Die Linien erscheinen gemäßigter, weniger radikal und damit aber auch hübscher als die von vielen Konkurrenzbooten. Bei denen treibt die Gestaltung zugunsten eines vorteilhaften Ratings bisweilen seltsame Blüten. Der Freibord ist im Vergleich relativ niedrig, das Heck nicht ganz so breit, und die Front bleibt schlank. Fraglos: Die Neo 350 ist ein schönes Schiff und macht eine gute Figur.
Auch unter Segeln? Um das zu klären, zeigt sich der Bodensee gnädig, stellt etwa 12 Knoten Wind (4 Beaufort) zur Verfügung. Später wird es weniger. Am Wind mit der leichten, kurz überlappenden Genua und vollem Großsegel macht das Boot 6,9 Knoten über Grund auf einem Winkel von 40 Grad gegen den Wind. Diese im Test ermittelten Werte entsprechen ziemlich genau den theoretischen Leistungsdaten der VPP-Diagramme von Konstrukteur Ceccarelli. Das VMG, also die direkt nach Luv gutgemachte Geschwindigkeit, beträgt berechnet 5,4 Knoten. Mit dem großen Gennaker erreicht die Neo 350 rund 8,3 Knoten auf einem Winkel von etwa 100 Grad. Für ambitionierte Segler, die sich mit den Vermessungssystemen auskennen, sind die Rennwerte aussagekräftiger. Unser Testschiff, die „Neomania“, wurde nach ORC mit einem Rating von 587.9 gerechnet.
Konstrukteur Giovanni Ceccarelli ist generell ein Freund der langen und schlanken Ruderblätter. Das ist bei der Neo 350 ab Werft auch der Fall. Dem Testboot allerdings wurde zur weiteren Vermessungsoptimierung versuchsweise ein etwas breiteres, dafür weniger tiefes Profil eingebaut. Das ist auf der Pinne gut zu spüren. Sie ist im Test eher schwergängig, was das Steuern sehr anspruchsvoll macht. Das Schiff reagiert extrem schnell und unmittelbar schon auf die kleinsten Ruderausschläge. Der Steuermann muss dauerhaft sehr konzentriert sein, um das Schiff optimal zu segeln.
Der Steuermann sitzt relativ weit vorn, unbequem und hoch auf dem Süll. Bei Krängung ist das auf die Dauer anstrengend. Entspannter arbeitet er sitzend auf den Duchten mit der Pinne direkt in der Hand. Dann jedoch mit weniger Überblick nach vorn und in die Segel. Allerdings wurden bis auf die „Neomania“ bisher alle Schiffe vom Typ Neo 350 mit zwei Steuerrädern ausgeliefert. Das macht die Arbeit für den Rudergänger zweifellos einfacher und gestaltet sie weniger fordernd als mit der Pinne. Die Jefa-Anlage steht auf der Liste der Optionen für einen Aufpreis.
Die Mannschaft freut sich derweil über die tadellose Ausstattung an Deck mit guten und hochwertigen Beschlägen aus den gehobenen Sortimenten namhafter Hersteller. Auch diesbezüglich hält die Werft offenbar wenig von möglichen Kompromissen zum Geldsparen. Eine eingespielte Mannschaft findet an Deck und im Cockpit ein Layout vor, das keine Wünsche offen lässt. Alle Fallen, alle Schoten und alle Trimmleinen sind so zu bedienen, wie Regattasegler dies gernhaben. Und für das wirksame Trimmen der Segel stehen an Bord sehr viele und sehr effizient zu bedienende Einstellmöglichkeiten zur Verfügung. Weil beim Boot mit Pinnensteuerung der Großschottrimmer hinter dem Steuermann sitzt, sind hier achtern auf Deck nochmals zwei zusätzliche Winschen für das Trimmen des wichtigen und doppelt geführten Achterstags angebaut.
Die Besonderheit unter Deck ist der weit ins Vorschiff gebaute Salon. In Doppelfunktion kann der auch als offene Vorschiffkabine genutzt werden. Zum Umbau als Koje wird die Tischplatte ganz einfach zwischen die beiden Sofas eingelegt. Mit einem zusätzlichen Polster wird eine durchgehende Liegefläche geschlossen, wo zwei erwachsene Personen bequem schlafen können. Das ungewöhnliche Layout ist durchaus reizvoll. Das Interieur erscheint damit weniger verbaut. Zudem entsteht ein sehr großzügiger und weiter Raumeindruck.
Aus Sicht der Konstrukteure ist die besondere Aufteilung ebenfalls hilfreich, weil damit die schwereren Wohnmodule wie die Pantry oder die Nasszelle mit ihren umfangreichen Komponenten und Anbauteilen zur optimalen Gewichtsverteilung in der Mitte des Schiffs eingebaut werden können. Generell ist das Zentrieren des Gewichts bei Performance-Booten ein Thema. Bei „Neomania“ sind deshalb 170 Kilogramm Gewicht in Form von Bleibarren in der Bilge eingeklebt, um das durch den konsequenten Leichtbau eingesparte Gewicht aus vermessungstechnischen Gründen wieder auszugleichen. Das mutet zwar zunächst skurril an, ist für die Berechnung des Handicaps aber durchaus sinnvoll.
Alle Elemente für den Innenausbau werden bei Neo Yachts in Komposit-Teilen, teilweise mit Schaumkern und Kohlefaser gebaut. Holz wäre innen ein Fremdkörper. Trotz der kühlen, kargen und sehr modernen Anmutung mit den hellen, hochglanzlackierten Oberflächen ist dem Innenausbau eine gewisse Wohnlichkeit nicht abzusprechen. Hinten im Schiff ist das Layout symmetrisch mit zwei abtrennbaren Achterkabinen gestaltet. Die Liegeflächen dort sind mit einer Breite von 1,36 Metern bei den Schultern knapp groß genug für eine noch komfortable Doppelbelegung.
Für Touren- und Familientauglichkeit sorgt ein schmuckloser Toilettenraum, der aber seinen Zweck mehr als erfüllt und ausreichend Platz sowie zahlreiche Stauräume bietet. Dasselbe gilt für die lange Pantryzeile auf der Steuerbordseite mit einer großen Spüle, einem Zweiflammen-Gasherd, einem Kühlfach und zusätzlichen Arbeitsflächen. Die Küche ist potenziell größer als auf vielen Fahrtenyachten ähnlicher Rumpflänge.
Natürlich müssen mit der ultimativen Leichtbauweise Abstriche bei der Qualität in Kauf genommen werden. Lieber leicht als schön, so scheint das Motto insbesondere für den Ausbau unter Deck zu lauten. Wer sich genauer im Schiff umsieht, kann an vielen Stellen unschöne Verarbeitungen entdecken. Auch im Detail sowie speziell bei den Installationen der Bordtechnik. Obendrein ist der 2019 gebauten „Neomania“ die ungewöhnlich intensive und schonungslose Nutzung als reines Regattaboot gut anzusehen. Das Schiff wurde offenbar selten gut gelüftet, auch weil die Möglichkeiten für eine effiziente Ventilation generell nicht gerade üppig vorhanden sind. Und: Die vielen unter Deck gestauten Segel werden sicherlich nicht immer komplett trocken eingepackt worden sein. Entsprechend riecht es dort auch, und in vielen Bereichen unter Deck bleibt Feuchtigkeit stehen.
Mit Blick auf die Konkurrenz bietet Neo Yachts sein kleinstes Modell zu einem recht interessanten Preis an. Knapp 280.00 Euro kostet das Schiff in seiner einfachsten Ausführung, in GFK gebaut, inklusive Einbaumaschine, Aluminium-Rigg und einer so weit ordentlichen Decksausstattung. Hinzu kommt ein Aufpreis für einen einfachen Satz Amwind-Segel, womit für dieses Boot aber niemand wirklich glücklich werden wird. Wer ambitioniert segeln und an Regatten teilnehmen will, muss deutlich mehr Geld in eine brauchbare Segelgarderobe investieren.
Die Neo 350 ist kein einfaches Schiff und keins für Anfänger. Dafür ist das Konzept zu anspruchsvoll und zu komplex aufgebaut. Sportliche Segler und Regatteure bekommen damit aber eine äußerst effiziente Plattform, die sich problemlos auch mal zum Touren mit der Familie nutzen lässt.
GFK-Sandwich, gebaut im Vakuum-Infusionsverfahren mit Schaumkern und Vinylesterharz. Optional auch mit hohen Kohlefaser-Anteilen in Rumpf, Deck und Bodengruppe, laminiert mit Epoxidharz und im Ofen ausgehärtet
Standard: Aluminium-Mast mit zwei Salingen und Rodwanten. Optional Kohlefaserrigg (Mast und Baum) von Pauger mit Aufpreis. Die Segel sind im Grundpreis nicht enthalten
Wahlweise 2-Zylinder-Einbaumaschine mit 20 PS von Lombardini oder Volvo Penta. Saildrive und Zweiblatt-Faltpropeller Standard
Stand 03/2024
Neo Yacht & Composites; IT-70032 Bitonto (Italien); www.neoyachts.com
Loens Sailingcorner; CH-7000 Chur (Schweiz); www.sailingcorner.com
Leistungsstarker Performance-Cruiser mit starkem Fokus auf das Handicap nach ORC oder IRC. Das Layout im Cockpit funktioniert gut für die eingespielte Regatta-Crew
Der Artikel erschien erstmals in YACHT 10/2022 und wurde für die Online-Version aktualisiert.