Zu sehen auf der boot Düsseldorf in Halle 15, Stand A20
Die unliebsame Botschaft kommt nur wenige Tage vor dem Testtermin: „Die Polster kommen nicht mehr rechtzeitig an“, verkündet Hanse-Projektleiter Andy Unger am Telefon, mit hörbarer Frustration. Zulieferprobleme – einmal mehr. In postpandemischen Zeiten haben sich die Werften an die Komplikationen in den Lieferketten und an die damit verbundenen Misslichkeiten fast schon gewöhnt. Auch wenn sich die Situation allmählich etwas zu entspannen scheint, sind die Probleme immer noch allgegenwärtig. Und sie betreffen in besonderem Maße die großen Werftserien in ihren äußerst straff getakteten Produktionsabläufen.
Dass die Polster für die brandneue Hanse 410 für den YACHT-Test nicht zur Verfügung stehen, ist zunächst ärgerlich, insbesondere für die Foto- und Filmaufnahmen beim Probeschlag. Aber deswegen den Termin absagen und auf später verschieben? Nein! Denn die frische Hanse kommt jetzt als wichtige und relevante Ergänzung für die hart umkämpfte Klasse der Tourenschiffe um zwölf Meter Rumpflänge. Und: Mit der Vorstellung der Hanse 410 aus Greifswald präsentiert sich das Marktsegment nun aktueller denn je zuvor. Erst unlängst haben die Franzosen von Dufour Yachts die spannende 41er vorgestellt. Bavaria Yachtbau hat seine C42 gerade einmal seit drei Jahren am Start, Marktführer Beneteau die Cruiser 40.1 ebenfalls. Ältestes Boot im Wettbewerbsumfeld ist die fünfjährige Sun Odyssey 410 von Jeanneau.
Notabene sind alle Schiffe dieser Konkurrenz komplette Neukonstruktionen. Und sie alle haben eine Gemeinsamkeit: die Rumpflänge von ganz genau 11,99 Metern. Das Format unter zwölf Meter ist sowohl bezüglich der Steuerklasse als auch für die Belegung von Hafenplätzen und deren Gebühren relevant. Die Rumpfbreiten dagegen sind unterschiedlich und ergeben zudem ein klares Bild, in welche Richtung sich die Konstruktionen von modernen Fahrtenyachten derzeit gerade entwickeln.
So ist die Sun Odyssey 410 von Jeanneau mit einer Rumpfbreite von 3,99 Metern das älteste und gleichzeitig auch das schlankste Boot im Wettbewerb. Ihr Streckungsfaktor liegt bei 3,0, was für Tourenyachten bisher als normal galt. Die aktuellen, diesjährigen Neuvorstellungen Dufour 41 und Hanse 410 sind dagegen mit Breiten von rund 4,30 Metern schon deutlich voluminöser. Der Streckungsfaktor beträgt weniger als 2,8, was wohl der neue Standard bei Fahrtenbooten dieser Größe zu sein scheint.
Die Hanse 410 kommt jetzt als Nachfolgerin für die Hanse 415 beziehungsweise für deren Überarbeitung Hanse 418. Die Konstruktion aus dem Büro von Judel/Vrolijk & Co in Bremerhaven hat es auf eine Marktpräsenz von über zehn Jahren geschafft und ist zum Verkaufsschlager für die Yachtbauer in Greifswald geworden.
Die 410 ist jetzt das dritte Schiff aus der neuen Design-Kooperation von Hanse mit den Konstrukteuren bei Berret-Racoupeau Yacht Design in Frankreich. Als viel beachtetes Auftaktmodell der neuen Reihe hat die Hanse 460 gleich aus dem Stand die Auszeichnung als Europas Yacht des Jahres in der Kategorie der Fahrtenyachten gewonnen. Die größere Hanse 510 mit ihrem ähnlichen Konzept plus zusätzlicher Dingi-Garage folgte ein Jahr später
Mit einem vergleichenden Blick auf das Marktumfeld in der Zwölf-Meter-Klasse wäre man versucht zu behaupten: „Die sehen ja mittlerweile alle gleich aus.“ Tatsächlich lässt sich eine gewisse optische Homogenität innerhalb der Klasse nicht von der Hand weisen. Bei genauerer Betrachtung offenbaren sich aber die Unterschiede und Alleinstellungsmerkmale, bei der Hanse 410 insbesondere bezüglich der Gestaltung im Cockpit. Auf ihr sind alle Fallen, Schoten, Reff- und Trimmleinen verdeckt und innerhalb vom Süllrand bis zu den Steuerständen zurückgeführt. Bei der Konkurrenz wird zumindest ein Teil der Leinen wie Fallen und Strecker seitlich vom Niedergang auf dem Kajütdach bedient.
Beides hat Vor- und Nachteile. Im Fall der Hanse 410 kann der Steuermann aus seinem Arbeitsbereich auf sämtliche Funktionen zum Setzen und Trimmen der Segel selbst zugreifen, womit das Boot auch einhandtauglich ist. Und: Der vordere Teil des Cockpits bleibt frei von Leinen, was die Mitsegler freut. Andererseits kommen achtern auf den Stopperbatterien sehr viele Schoten auf sehr kleinem Raum an, und es steht dafür auf jeder Seite nur eine Winsch zur Verfügung. In den Manövern ist deshalb Übersicht gefordert, und die vielen Leinen können sich schnell zu einer Wuhling verknoten.
Als zweite Exklusivität innerhalb des Wettbewerbs bietet Hanseyachts für die 410 ein Layout mit zwei getrennten Tischen im Cockpit an, so wie auch bei den größeren Schwestern 460 und 510. Das schafft einerseits einen freien Durchgang durch die Plicht und ermöglicht andererseits bequemes Sitzen mit viel Platz im Hafen oder in der Bucht.
Beim Testboot sind optional erhältliche Tische installiert, die auf Knopfdruck abgesenkt werden können und bei Bedarf die Sitzduchten zur Sonnenliege vergrößern. Auf ihren Teleskop-Beinen stehen diese Tische jedoch wackelig und eignen sich zudem auch nicht zum Draufstehen, etwa zum Eintüten des Großsegels in die Lazy-Bags, was sich in dem Fall auch als ziemlich schwierig erweist. Als Alternative bietet Hanse deshalb weiterhin den robusten, mittig stehenden Einzeltisch an.
Für die Hanse 410 wechseln die Yachtbauer in Greifswald ihren Rigg-Zulieferer. Der Mast, das stehende Gut sowie der Großbaum kommen jetzt neu von Z-Spars in Frankreich und nicht mehr von Seldén Mast in Schweden. Man sei sehr zufrieden mit der Qualität, der Ausführung und der Funktionalität der französischen Variante, sagen die Werftvertreter.
Die Selbstwendefock – früher ein exklusives Markenzeichen von Hanseyachts – wird mittlerweile bei allen Booten der Konkurrenz bereits ab Werft angebaut oder ist zumindest als Option erhältlich. Eine kurz überlappende Genua mit etwas mehr Segelfläche und Holepunkten an Deck gehört als Alternative ebenfalls zum Standard in der Klasse.
Die Führung der Großschot läuft bei der Hanse 410 über eine geteilte Schottalje auf dem Kajütdach vor dem Niedergang. Der einfache Schotverlauf ist ebenfalls klassenüblich, bekanntermaßen aber auch nicht sehr effizient. Weil der Zug erst in der Mitte vom Großbaum ansetzt und nicht hinten an der Nock, bedürfen das Dichtholen des Großsegels und das Flachtrimmen entsprechend viel Kraft. Dafür sind auf der Hanse 410 die 45er-Schotwinschen von Lewmar eher zu klein dimensioniert. Die optional erhältlichen elektrischen Antriebe sind deshalb empfehlenswert.
Ansonsten ist das Handling auch in den Manövern denkbar einfach, vor allem natürlich mit der Selbstwendefock. Der Steuermann sitzt seitlich komfortabel und zum Schutz vor überkommendem Wasser leicht erhöht. So kann er mit Übersicht steuern und die Winsch für alle Funktionen und Manöver perfekt erreichen. Fußrasten für besseren Halt bei viel Krängung fehlen allerdings. Mitsegler, die sich aktiv beteiligen wollen, haben es dagegen weniger leicht. Die Winschen achtern sind nämlich aus dem Cockpit nur eingeschränkt zu erreichen, insbesondere auch, weil die beiden Tische, wie beim Testboot, die Zugänge zu den Stoppern und Winschen weitgehend blockieren.
Für den YACHT-Test auf dem Greifswalder Bodden ist anfangs wenig, später bei einem zweiten Testschlag deutlich mehr Wind geboten. Bei 15 bis 18 Knoten Wind (4 bis 5 Beaufort) und nur geringem Wellengang zeigt sich die 9,85 Tonnen verdrängende Konstruktion von Berret-Racoupeau leistungsstark und läuft eine ungewöhnlich gute Höhe am Wind. Das Testboot, ausgestattet mit einer Selbstwendefock, wendet über einen Winkel von nur 80 Grad und segelt dabei mit 6,8 Knoten Speed. Nach der gängigen Umrechnungsformel kommt die Hanse 410 beim Aufkreuzen also auf eine Luv-Geschwindigkeit (VMG) von 5,1 Knoten, was für Fahrtenyachten dieser Ausrichtung schon sehr gut ist. Bei deutlich weniger Wind (2 bis 3 Beaufort) segelt die Hanse 410 immer noch hoch am Wind, fühlt sich aber mit der Standard-Fock etwas untertakelt an.
Ausgezeichnet ist das Steuerverhalten der 410. Leicht und gefühlvoll lässt sich das voluminöse und mit einem Gesamtgewicht von knapp zehn Tonnen auch nicht ausgewiesen leicht gebaute Schiff an der Windkante steuern. Der Steuermann freut sich dabei über einen angenehmen Druck auf dem tiefen und relativ großflächigen Einzelruder, was ihm das optimale Steuern vor allem hart am Wind einfach macht.
Die Ruderanlage von Jefa funktioniert über einen durchgehenden Kabelzug, der den Quadranten mit den beiden Steuersäulen verbindet – eine gängige, allerdings nicht redundante Installation. Dafür setzt der Autopilot direkt am Quadranten an, womit das Boot bei einem technischen Defekt immer noch steuerbar wäre, auch ohne Notpinne. Zum Einstellen der Kabelzüge ist der Ruderquadrant unter einer Klappe im Achterdeck perfekt erreichbar.
Bei den Ausbaumöglichkeiten unter Deck hält sich Hanseyachts an die klassenüblichen Standards, die im Wesentlichen auch vom maßgeblichen Wettbewerb in ähnlicher Form, aber mit kleinen Varianten angeboten werden. Das heißt: Eignerkabine im Vorschiff, dazu wahlweise eine oder zwei Doppelkabinen achtern mit der Option auf eine große sowie innen und aus dem Cockpit erreichbare Backskiste. Dazu kommt eine Nasszelle mit abgetrennter Dusche hinten sowie die Möglichkeit, auf Wunsch zudem im Vorschiff einen zusätzlichen Toilettenraum für die Eigner einzubauen. Viel mehr Varianz lässt das Format um zwölf Meter Rumpflänge gemeinhin gar nicht zu. Einzig die neue Dufour 41 ist mit Ausbauvarianten für das Chartergeschäft mit bis zu vier Kabinen oder drei Nasszellen eine Ausnahme.
Bezüglich der Gestaltung im Salon lohnt sich erneut der Abgleich mit der Konkurrenz. Während die französischen Wettbewerber von Beneteau, Dufour und Jeanneau große Küchenmodule als lange Zeilen oder in U-Form seitlich in den Salon bauen und dafür auf ein zweites Schlafsofa verzichten, setzen die deutschen Boote von Bavaria und Hanseyachts auf das eher konventionelle Layout mit der Pantry in L-Form seitlich am Niedergang und dafür mehr Platz für mehr Personen zum beidseitigen Sitzen um den Salontisch.
Das heißt jedoch nicht, dass die Pantry bei der Hanse 410 nicht genug Raum bieten würde. Dank Abdeckungen über dem Zweiflammen-Herd und über den Spülbecken bleibt die Arbeitsfläche groß. Und in den zahlreichen, durchdacht eingeteilten Stauräumen gibt es auch Platz für größeres Küchenzubehör wie Pfannen, Töpfe oder eine Teekanne.
Zusätzliche Varianz ist für den Ausbau im Salon geboten, wo auf der Steuerbordseite ein sogenanntes Multifunktionsmöbel platziert werden kann. Der Korpus dient dabei gleichermaßen als Navigationstisch, als Ablage für Kleinteile, als Schreibtisch oder als Stauraum. In der Standardvariante bleibt aber das lange Sofa auf der Steuerbordseite erhalten. Mit einer Länge von 2,37 Metern und einer Breite von über 60 Zentimetern bietet es sich auch als vollwertige Koje zum Beispiel für die Freiwache auf langen Schlägen an. Ein Leesegel wäre dafür nachrüstbar.
Im Vorschiff der Hanse 410 ist das Inselbett extrem weit in den Bug hineingebaut. Der ungewöhnlich voluminöse Rumpf im Stevenbereich lässt dies zu. So gewinnt das Ausbaukonzept an Raum im Vorschiff für viel Bewegungsfreiheit, riesige Stauräume und für die Möglichkeit, einen zusätzlichen Toilettenbereich in vernünftiger Größe einpassen zu können. Trotzdem bleibt die Koje im Vorschiff für zwei Personen, die mit dem Kopf nach vorn schlafen, knapp bemessen. Auf der Höhe der Schultern ist die Liegefläche hier nur 1,26 Meter breit.
Mehr Platz bieten die Doppelkojen achtern mit einer Breite von jeweils 1,56 Metern. Wählt der Kunde die Option auf eine große Backskiste anstelle der zweiten Achterkabine, so werden die Schotten des trennenden Technikkanals ein Stück nach Backbord verschoben. Damit gewinnt die Koje in der verbleibenden Kabine etwa acht Zentimeter Breite.
Positiv erwähnenswert sind auch die optimalen Lüftungsmöglichkeiten. Alle Wohn- und Funktionsbereiche lassen sich dank mindestens zwei Öffnungen quer belüften. Im Salon können schon im Standard sämtliche Fenster im Aufbau geöffnet werden, und im Vorschiff sind nicht weniger als fünf Luken eingebaut. An Licht und Luft mangelt es also in der Hanse 410 auf keinen Fall.
Im Standard ab Werft bestückt Hanseyachts seine neue 410 mit einem Einbaudiesel von Yanmar mit Saildrive und einer Leistung von 39 PS. Erfahrungsgemäß erscheint diese Leistung für ein 40 Fuß langes und fast zehn Tonnen schweres Boot eher knapp. Als empfehlenswerte Option steht eine Maschine mit 57 PS Leistung zur Verfügung. Auch das Testschiff ist mit diesem Upgrade ausgestattet und schafft 8,3 Knoten Fahrt bei Volllast und 7,8 bei Marschfahrt. Und auch Hanseyachts bietet für die Hanse 410 jetzt einen Elektromotor als Alternative an. Ein Generator zur Stromerzeugung wird beim Zweikabiner auf Wunsch in der großen Backskiste integriert. Ist die 410 mit drei Kabinen ausgebaut, bleibt der zusätzliche Energielieferant ein Wunsch.
Mit ihrem gradlinigen, unverspielten Touren-Konzept steht die Hanse 410 auf einem soliden Fundament für einen erfolgreichen Marktauftritt. Aber Achtung: Die Konkurrenz ist gleichfalls attraktiv aufgestellt und aktuell. Leicht wird es also für die Neue aus Greifwald bestimmt nicht werden, genauso wenig wie für potenzielle Käufer, die sich für diese Bootsgröße interessieren und sich entscheiden müssen.
GFK-Sandwichkonstruktionen gebaut in Handauflage mit Balsaholzkern. Vinylesterharz für die äußeren Lagen des Laminats
Wie die ausgewiesenen Preise definiert sind, finden Sie hier!
Motor, Segel, Schoten, Reling, Positionslaternen, Batterie, Kompass, Polster, Pantry/Kocher, Lenzpumpe, WC, E-Kühlfach, Fäkalientank mit Absaugung
Gegen Aufpreis: Segelkleid 1.415 €, Anker mit Kette 750 €, Fender/Festmacher 285 €, Feuerlöscher 60 €, Antifouling 2.425 €, segelklare Übergabe ca. 1.600 €
2/5 Jahre
Zwei Cockpittische, Badeplattform manuell ausklappbar, Komposit-Bugspriet mit Ankerhalterung, Vorsegel-Rollanlage, Maststufen
Aluminium-Rigg von Z-Spars (Frankreich) mit zwei Salingen. Als Option ist ein Rollmast (manuell) vom gleichen Hersteller erhältlich. Der Aufpreis: 3.560 Euro, brutto
Ein Satz Dacronsegel von Elvstrøm Sails (Groß und Selbstwendefock) ist im Lieferumfang inbegriffen. Eine überlappende Genua mit Holepunkten an Deck ist optional erhältlich
Standard Yanmar-Einbaudiesel mit 39 PS, Saildrive und 2-Blatt-Festpropeller, optional 57 PS (Aufpreis 7.600 Euro, brutto). Ebenfalls machbar: Elektroantrieb von Hersteller EPT mit 25 kW Leistung (18,4 kWh Batterie-Kapazität), Aufpreis: 47.590 Euro
1x 90 Ah AGM (Starterbatterie),
1x 160 Ah AGM (Servicebatterie)
Hanseyachts AG, 17493 Greifswald; www.hanseyachtsag.com
Internationales Händlernetz
Das dritte Boot in der neuen Tourenreihe von Hanseyachts kann im Test vor allem mit seinen exzellenten Segeleigenschaften und einer starken Leistung punkten. Aber auch das gradlinige Konzept kann überzeugen. Ein starker Wettbewerber für eine starke Klasse