Unfall unter Autopilot5 Rammings, die vermeidbar gewesen wären

Nils Leiterholt

 · 07.12.2023

Unfall unter Autopilot: 5 Rammings, die vermeidbar gewesen wärenFoto: YACHT/B. Scheurer
Ein Autopilot entbindet nicht von der Pflicht des Ausgucks
In ihrem “Summarischen Untersuchungsbericht 284/21” beschäftigte sich die Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung (BSU) mit fünf Havarien, die beim Einsatz von Autopiloten auf Sportbooten erfolgten. In ihrer jetzt veröffentlichten Zusammenfassung “Lessons Learned” gibt die Behörde Empfehlungen, wie Sach- und Personenschäden beim Einsatz der Selbststeueranlage vermieden werden können

Elektronische Autopiloten können heute sehr viel mehr als ihre mechanischen Vorgänger, die Windsteueranlagen von einst. Zwar sind die besonders bei Blauwasserseglern immer noch beliebt. Doch die aktuelle Generation der Steuerhilfen zählt mittlerweile zum Standard auf Segelyachten und kommt dabei in unterschiedlichsten Ausführungen daher. Etwa als externer Pinnen- oder Radpilot oder als verdeckt montierter Einbaupilot für die unterschiedlichsten Ruderanlagen.

Was passiert, wenn diese komplexe Technik oder der Mensch bei ihrer Anwendung versagen, das war kürzlich Gegenstand mehrerer Fälle, die von der Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung in einem ausführlichen Bericht behandelt wurden.

Ebenfalls als Ergebnis dieser Untersuchungen hat die BSU am 5. Dezember “Lessons Learned” veröffentlicht. Der Titel lautet “Verschiedene Unfälle von Sportbooten bei Nutzung der Selbststeueranlage (Autopilot)”. Die Lehren resultieren aus den ausführlichen Untersuchungen aller fünf Unfälle.

Mit Volldampf in die Pier

Fall Nummer eins handelt von der Kollision einer elf Meter langen Motoryacht, bei welcher der Bootsführer im Hamburger Hafen den Autopiloten einschaltete, um einen Gegenstand vom Boden aufzuheben. Der Autopilot ließ sich daraufhin nicht unmittelbar wieder deaktivieren, sodass eine Kollision mit der Kaimauer nicht mehr vermieden werden konnte. Bei dem Aufprall wurden zwei Personen verletzt, und es entstand erheblicher Sachschaden an der Motoryacht.

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Automatisierte Kanalfahrt

Im zweiten Fall kollidierte eine 22 Meter lange Segelyacht mit einem 73 Meter langen Forschungs- und Vermessungsschiff, als der Skipper unter Deck gegangen war, nachdem er den Autopiloten eingeschaltet hatte. So blieb sein Boot in einer Kurve auf Kurs und stieß mit dem in der Mitte des Nord-Ostsee-Kanals (NOK) fahrenden Forschungs- und Vermessungsschiff zusammen. Das wurde achterlich an der Steuerbordseite getroffen, an beiden Schiffen kam es zu Sachschäden.

Unfreiwillige Kursänderung

Im dritten Fall hatte sich der am Achterstag befestigte Bootshaken gelöst. Um ihn während der Fahrt wieder festzumachen, schaltete der Bootsführer des zehn Meter langen Segelboots den Autopiloten ein. Der änderte beim Passieren eines festliegenden Binnenschiffes von 85 Meter Länge den Kurs um 90 Grad, sodass eine Kollision mit dem ursprünglich sechs bis sieben Meter entfernten Schiff nicht mehr zu verhindern war. Beide Schiffe erlitten bei der Kollision geringe Sachschäden.

Kanalfahrt, die Zweite

Während der Durchfahrt durch den NOK kam es im vierten dargestellten Fall zur Kollision von einer 16 Meter langen Segelyacht mit einem Dalben. Der Bootsführer hatte zuvor den Autopiloten aktiviert, um auf dem Vorschiff einige im Wind schlagende Leinen zu sichern. Infolgedessen änderte der Autopilot derart plötzlich seinen Kurs nach Steuerbord, dass eine Kollision nicht mehr zu verhindern war. So entstand ein Sachschaden an der Segelyacht.

Tödliche Patenthalse

Im letzten dargestellten Fall geht es um den Skipper einer 21 Meter langen Segelyacht, der mit achterlichem Wind auf der Ostsee segelte. Weil er eine Cockpitscheibe reinigen wollte, schaltete er den Autopilot ein. Kurz danach kam es zu einer Kursänderung, in deren Folge es zu einer Patenthalse kam. Weil der Bootsführer dabei auf dem Weg zurück zum Steuerstand war, wurde er von der Großschot getroffen und zur Seite geschleudert. Dabei erlitt er tödliche Verletzungen.

Die Lehren für jedermann

Als “Learnings” aus den fünf Unfällen zieht das BSU folgende Schlüsse:

  • Sportboote, die den NOK besetzt mit nur einer Person passieren möchten, sollten bei der Reisevorbereitung die Möglichkeiten für kurzfristige Stopps einplanen, da Sportboote auf dem NOK ihren Autopiloten nicht verwenden dürfen
  • Auch bei Nutzung eines Autopiloten muss ein gehöriger Ausguck stets sichergestellt sein, um das Situationsbewusstsein aufrechtzuerhalten
  • Je begrenzter das Gewässer und je kleiner der Raum für ungewollte Kursabweichungen oder Fehler des Autopiloten, desto schneller muss jemand für die Umstellung auf Handsteuerung zur Verfügung stehen und diese übernehmen können
  • Es muss jederzeit technisch möglich sein, zügig auf Handsteuerung umzuschalten (auch im Fall eines Systemausfalls des Autopiloten), und die Prozeduren hierfür müssen Steuerleuten bekannt sein
  • Nutzer und Nutzerinnen von Autopiloten müssen die technischen Grenzen des jeweils verbauten Systems, die Eigenschaften der verbundenen/genutzten Sensoren und die Bedeutung der am Autopiloten vorgenommenen Einstellungen (Betriebsmodus, Steuerverhalten etc.) kennen
  • Große Stahl-/Eisenmassen (andere Schiffe), stromführende Kabel (Seekabel, Überlandleitungen über Flüssen und Kanälen) und andere externe Einflüsse können Magnet- und Fluxgate-Kompasse erheblich ablenken und so i. V. m. einem Autopiloten ungewollte, heftige Kursänderungen hervorrufen
  • Das Steuerverhalten des Autopiloten muss mehrere Minuten lang überwacht werden (auch um sicherzustellen, dass das System überhaupt arbeitet), bevor in offenem Seeraum in Erwägung gezogen werden kann, das Steuer temporär zu verlassen
  • Auf Fahrzeugen unter Segeln können Autopiloten keine Gewähr dafür geben, dass ein Kursabfall o. Ä. vermieden wird – auch eine Windgebersteuerung kann unter bestimmten Bedingungen, z. B. bei einer unangemessenen Segelführung, an ihre Grenzen kommen
  • Auf Segelyachten sind Autopiloten auf Raumwindkursen und/oder bei achterlicher See nur mit äußerster Vorsicht zu verwenden, idealerweise nur mit zusätzlicher Absicherung durch einen Bullenstander

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