Ursula Meer
· 13.05.2025
Stürmischer Wind aus Nordost. Drei Meter Welle. Ein zehn-Meter-Boot mit Kurs auf einen Gezeitenhafen im Westen der Seine-Bucht. An Bord drei Männer über sechzig, hinter denen wohl ein harter Tag liegt: mehr als 50 Meilen in Wind und Welle seit Le Havre, mit dem Strom und gegen ihn, vorbei an Felsen und über Untiefen hinweg. In Ufernähe verringert sich die Wassertiefe abrupt, die Wellen werden steiler und der Flutstrom versetzt das Boot quer zu dem Nadelöhr, in das sie ihr Boot unter Maschine manövrieren möchten - den Gezeitenhafen von Quinéville, dessen Zufahrt bei Ebbe meterhoch trockenfällt. Die drei, unter ihnen der portugiesische Neueigner, wollen das in Duisburg registrierte Boot von den Niederlanden nach Portugal überführen.
Revierkenner ahnen an dieser Stelle, dass sich die Segler in einer äußerst ungünstigen Lage befinden. Dicht unter Land wird die kleine Vindö namens „Sasuka“ zum Spielball der Naturgewalten. Spaziergänger am Strand beobachten das Geschehen und alarmieren das regionale Koordinationszentrum CROSS Jobourg, das die Seenotretter der SNSM (Société Nationale de Sauvetage en Mer) von der etwa vier Meilen entfernten Station Saint-Vaast-la-Hougue über die prekäre Lage der Segler informiert.
Als die Rettungskräfte mit den Seglern per Funk Kontakt aufnehmen, fühlen diese sich nicht in Gefahr. Sie erklären, dass sie ihre Rettungswesten angelegt haben und lehnen weitere Unterstützung ab. Doch die Situation verschlechtert sich rapide, als der Kiel des Bootes erstmals in den schweren Grundseen auf harten Sand aufschlägt. Ein Ablaufen auf die offene See ist gegen Wind, Brandung und Flutstrom ausgeschlossen. Das Boot wird mit jeder Welle weiter auf die Sandbank geschoben.
Die französischen Seenotretter wissen, wie tückisch ihr Revier am Rand des Ärmelkanals sein kann und beschließen, den Seglern zu helfen. Um so schnell wie möglich handeln zu können, fahren sie einen mehrgleisigen Einsatz: Während sich ein RIB mit dem Stationsleiter und zwei Rettungsschwimmern auf See dem havarierten Schiff nähert, machen sich zeitgleich drei erfahrene Rettungskräfte – ein Taucher und zwei Rettungsschwimmer - auf dem Landweg auf zum Unglücksort. Inzwischen kreist auch ein Hubschrauber mit einem weiteren Taucher an Bord über dem Ort des Geschehens.
Beim Eintreffen erkennen sie schnell die kritische Lage. Die Vindö sitzt in Legerwall auf Grund und wird von den schweren Brandungswellen heftig hin und her geworfen. Die Retter beschließen, die drei Segler umgehend zu evakuieren. Die auflaufende Flut, die hereinbrechende Dunkelheit und die mächtige Brandung machen die Rettung von See aus unmöglich. Auch ein mögliches Abbergen aus der Luft wäre angesichts des sich ständig unberechenbar bewegenden Mastes zu gefährlich.
Als einziger Rettungsweg erweist sich der zwischen dem nahegelegenen Ufer und dem Havaristen. Vom Strand aus begeben sich der Taucher und die beiden Rettungsschwimmer in die Brandung. Das RIB bleibt in der Nähe in Bereitschaft, um gegebenenfalls zu reagieren, falls die Insassen des Segelboots ins Wasser fallen und aufs offene Meer hinausgetrieben werden. RIB und Hubschrauber koordinieren den waghalsigen Einsatz per Funk und leiten die drei Retter zur „Sasuka“. Alle drei Segler können abgeborgen und zu Fuß an Land gebracht werden. Sie sind bis auf eine leichte Unterkühlung unversehrt.
Während sie zur Übernachtung in ein Hotel gefahren werden, müssen die Retter ein weiteres Mal durch die Brandung zu dem havarierten Schiff. Sie stellen sicher, dass keine Notsender an Bord für einen Fehlalarm sorgen können und stecken den Anker des Boots. Doch der hält dem im Laufe der Nacht immer weiter auffrischenden Wind nicht stand, „Sasuka“ wird an den Strand gespült. Zu einer denkbar ungünstigen Zeit: Der Gezeitenkoeffizient und damit der Wasserstand bei Hochwasser nimmt, ebenso der Wind, der kräftig aus Osten wehend den Wasserstand zum Zeitpunkt der Havarie zusätzlich erhöht hat. Eine Bergung von See aus gilt zum Zeitpunkt der Havarie auf längere Sicht für ausgeschlossen. Nach Einschätzung der SNSM sollte das Boot frühestens mit der nächsten Springflut Ende April wieder ausreichend Wasser unter dem Kiel haben. Die Rückfahrt des SNSM-RIBs wird angesichts der stürmischen See sicherheitshalber vom Hubschrauber aus der Luft überwacht.
Die Retter der SNSM arbeiten in einem äußerst anspruchsvollen Revier, und nicht immer gehen Einsätze dieser Art so glimpflich aus – für die Geretteten wie auch für die Retter. Alle sechs Beteiligten Seenotretter verfügen über teils jahrzehntelange Erfahrung und haben hunderte von Rettungseinsätzen gefahren. Doch dieser eine erforderte angesichts der äußerst widrigen Bedingungen so viel Mut, dass Stationsleiter Bernard Mottier sie nun für die Verleihung der „Medaille für Hingabe und für Rettungstaten“ vorgeschlagen hat.
Die Havarie verdeutlicht wieder einmal, wie schnell aus harmlosen Törns lebensbedrohliche Situationen werden können. Die SNSM warnt daher eindringlich davor, die Auswirkungen des starken Tidenhubs, der heftigen Strömungen und der hohen Brandungswellen entlang der normannischen Küsten zu unterschätzen. Segler sollten Wetter- und Gezeiteninformationen stets sorgfältig prüfen. Die Zufahrten der Gezeitenhäfen erweisen sich bei derart widrigen Bedingungen immer wieder als lebensgefährliche Fallen. “Der Hafen von Quinéville ist für Kielboote absolut zu vermeiden, da er sehr schwer zugänglich ist mit seiner engen Fahrrinne und dem niedrigen Wasserstand. Außerdem liegt er bei Ebbe trocken”, erläutert Bernard Mottier.
Ein Plan B vor der Abreise ist daher unabdingbar. In diesem Fall etwa wären ein Abwettern auf See oder das Anlaufen des von einem langen Wellenbrecher geschützten Hafens im nahegelegenen Saint-Vaast-La-Hougue die sichereren Optionen gewesen. Der Hafen ist - abhängig vom Gezeitenkoeffizienten - von circa 2,5 Stunden vor bis 2,5 Stunden nach Hochwasser geöffnet. Rund um Niedrigwasser halten Hafentore den Wasserstand im Hafen. Bernard Mottier aber empfiehlt: “Segler, die in einen Sturm geraten, können in der Zone zwischen der Insel Tatihou und Le Hougue vor Anker gehen, bis die Hafentore geöffnet werden. Unter diesen Umständen haben vor Anker liegende Segelboote Sichtkontakt zum Semaphor von La Hougue und können sich jederzeit über UKW Kanal 16 mit dem CROSS Jobourg in Verbindung setzen.” An der Ostküste der Bucht gebe es bei solchen Witterungsbedingungen außer dem Hafen von Saint-Vaast keinen sicheren Hafen.