Ursula Meer
· 28.12.2025
Von der Robinsonade an Halloween bis zur Tragödie unter der Brooklyn Bridge – das Seenot-Jahr 2025 bot alles: absurde Zufälle, dramatische Rettungen und erschütternde Unfälle. Ein Rückblick auf die außergewöhnlichsten Fälle
Halloween auf einsamer Insel: Was wie der Plot eines Abenteuerromans klingt, wurde für einen deutschen Segler bittere Realität. Mehr als 60 Stunden musste er auf der unbewohnten niederländischen Insel De Kreupel im IJsselmeer ausharren, nachdem sein Boot auf eine Buhne aufgelaufen und teilweise gesunken war. Ohne Funk, mit leerem Handy-Akku, ohne Nahrung oder Trinkwasser baute er sich aus seinen Segeln ein notdürftiges Zelt. Zwei Nächte bei fallenden Temperaturen und starkem Wind – das Festland nur zweieinhalb Seemeilen entfernt und doch unerreichbar. Erst am Sonntagmorgen entdeckte zufällig die Crew eines vorbeifahrenden Segelbootes das Wrack und alarmierte die Küstenwache. Die Retter der KNRM Andijk fanden den völlig erschöpften Mann in nassem Zustand und leicht verwirrt in seinem Segeltuch-Unterschlupf. "In zwanzig Jahren bei der KNRM habe ich so etwas noch nicht erlebt", sagte der Schiffsführer des Rettungsbootes. Das Boot wurde später geborgen, der Eigner hat sich davongemacht.
Wenn die Muringboje auf Wanderschaft geht: "Warum nehmen Sie Muringbojen mit?" – diese Frage musste sich Segler Schlotz-Pissarek stellen, nachdem er mit seiner Hallberg-Rassy 26 mitsamt der dänischen Muringboje, an der er festgemacht hatte, etwa eine halbe Meile abgetrieben war. Nachts frischte der Wind östlich von Bågø auf und drehte. Seltsame Schläge weckten ihn schließlich – das Boot war auf Grund gelaufen und lag leicht auf der Seite. Die Boje samt Kette hing noch an den Leinen, nur die anderen Boote waren plötzlich sehr weit weg. Nach dem ersten Schreck kam das Boot mit Motorkraft frei. Die Wanderboje nahm der Skipper kurzerhand mit, um andere Segler zu warnen – sehr zum Missfallen seiner Frau, die das mit dem 26-Fuß-Boot für keine gute Idee hielt. Trotz des Schocks macht Schlotz-Pissarek weiterhin an Muringbojen fest: "Ich mag diese Bojen – aber mit gesundem Misstrauen und öfter mal mit Ankeralarm."
Tödlicher Zusammenstoß auf dem Bodensee: Ein folgenschwerer Unfall ereignete sich am 11. Oktober auf dem österreichischen Teil des Bodensees. Ein mit vier Österreichern besetztes Motorboot kollidierte "mit unverminderter Geschwindigkeit" mit einem Segelboot, auf dem sich zwei Deutsche befanden. Laut Polizei näherte sich das Motorboot mit hoher Geschwindigkeit. Durch die Wucht des Aufpralls kenterte das Segelboot und wurde komplett zerstört. Der männliche Segler konnte kurz vor der Kollision ins Wasser springen und blieb unverletzt. Die Frau hingegen erlitt schwerste Verletzungen und wurde im Wasser treibend aufgefunden. Trotz sofortiger Erste-Hilfe- und Reanimationsmaßnahmen verstarb sie noch an der Unfallstelle. Die vier Insassen des Motorboots blieben körperlich unverletzt, standen jedoch unter Schock. Der genaue Unfallhergang ist Gegenstand weiterer Ermittlungen.
Brooklyn Bridge: Tragödie des mexikanischen Segelschulschiffs "Cuauhtémoc": Das schwerste Unglück des Jahres ereignete sich am Abend des 17. Mai in New York. Das 90 Meter lange mexikanische Dreimastschulschiff "Cuauhtémoc" kollidierte beim Ablegen vom South Street Seaport mit der Brooklyn Bridge. Die Bark bewegte sich rückwärts mit 5,9 Knoten (etwa 11 km/h) auf die Brücke zu. Alle drei Masten – Besanmast, Hauptmast und Fockmast – kollidierten nacheinander mit der Unterseite der Brücke und knickten wie Streichhölzer ab. Besonders tragisch: Zum Unfallzeitpunkt befanden sich zahlreiche der 277 Kadetten an Bord beim traditionellen "Dressing Ship" in der Takelage. Obwohl sie mit Sicherheitsgeschirren angeseilt waren, kamen zwei Besatzungsmitglieder ums Leben, 22 weitere wurden verletzt. Als wahrscheinliche Ursache gilt ein Maschinenschaden nach Stromverlust. Die Strömung – einlaufende Flut mit zwei bis drei Knoten – und der Zehn-Knoten-Wind aus Südwest drückten das manövrierunfähige Schiff auf die Brücke. Der Schaden am Schiff wird auf über 500.000 Dollar geschätzt. Nach umfangreichen Reparaturen auf Staten Island und einer 72-stündigen Seeerprobung kehrte die "Cuauhtémoc" im September nach New York zurück und machte am Pier 86 neben dem Intrepid Museum fest. Die Untersuchungen zur genauen Unfallursache dauern an.
Stundenlang an Fischernetz-Boje geklammert: Drei Stunden Überlebenskampf im Attersee erlebte ein 63-jähriger Wiener Einhandsegler, nachdem sich die Rückenreling seines Bootes gelöst hatte und er rückwärts ins Wasser gefallen war. Während sein Boot führerlos weitersegelte, gelang es dem Mann in seiner Not, sich an der Boje eines Fischernetzes festzuhalten. Bei zwölf Knoten Wind, 17 Grad Luft- und 18 Grad Wassertemperatur kämpfte er gegen Unterkühlung und Krämpfe. Ein 30-jähriger Segler aus Linz und seine Lebensgefährtin entdeckten den stark unterkühlten Mann schließlich und zogen ihn aus dem Wasser – die Rettung in buchstäblich letzter Minute. Der 63-Jährige wurde per Notarzthubschrauber ins Salzkammergut Klinikum Vöcklabruck geflogen.
Seit 2020 ein zunehmendes Phänomen, 2025 traurige Normalität: Orca-Angriffe auf Segelyachten vor der Iberischen Halbinsel. In diesem Jahr wurden allein vor Portugal mehr als 109 Attacken registriert. Besonders heikel: Die Angriffe finden nun auch im flachen Wasser statt, das bisher als relativ sicher galt. So wurde im Juni eine Segelyacht am Cabo Espichel von Orcas angegriffen – auf einer Wassertiefe von nur 16 Metern. Das Ruderblatt der Yacht wurde stark beschädigt, die Crew kam unversehrt davon.
Im September versenkten Orcas eine Segelyacht vor der Costa da Caparica bei Lissabon, nachdem sie das Ruder beschädigt hatten. Trotz Schleppversuchen ging das Boot auf Tiefe, die Crew konnte von nahegelegenen Booten gerettet werden. Am selben Tag gerieten zwei weitere Boote vor Cascais und Fonte da Telha in Schwierigkeiten – in Bereichen mit weniger als 20 Metern Wassertiefe, die bislang als relativ sicher galten. Im Oktober traf es eine französische fünfköpfige Familie 45 Seemeilen südwestlich von Peniche: Ihre elf Meter lange "Ti'fare" sank, nachdem die Orcas ein Leck im Rumpf verursacht hatten. Die Familie – ein Ehepaar und drei Töchter zwischen acht und zwölf Jahren – konnte sich in die Rettungsinsel retten. Eine aufwendige Suchaktion mit Fregatte, Fischerboot, Seenotrettungsboot und Hubschrauber brachte alle unverletzt ans Festland. Die Verhaltenstipps und Routenplanungen über Plattformen wie orcas.pt und die Cruising Association bleiben für Segler in der Region unverzichtbar – absolute Sicherheit gibt es nicht mehr.
Gezeitenströme und Grundberührungen: Gleich mehrere kritische Einsätze forderten die DGzRS-Crews 2025 an der deutschen Nordseeküste. Vor Horumersiel stürzte im August ein Segler beim Kentern eines Jollenkreuzers in die Nordsee. Ein Mitsegler konnte an Bord bleiben und alarmierte die Seenotretter, während der andere durch den ablaufenden Gezeitenstrom schnell abgetrieben wurde. Erst nach 20 Minuten Suche bei einem Meter Seegang entdeckten ihn die Retter.
Wenige Tage zuvor hatten Seenotretter zwei Segler aus akuter Lebensgefahr vor der unbewohnten Insel Mellum befreit: Ihre Yacht trieb nach Ruderschaden in der Brandungszone einer Sandbank, zwei Meter hohe Wellen schlugen über das bereits teilweise unter Wasser liegende Heck. Beide Fälle zeigen: Die Nordsee mit ihren Gezeitenströmen, niedrigen Wassertemperaturen und tückischen Sandbänken bleibt ein Revier, das selbst von erfahrenen Seglern höchste Aufmerksamkeit verlangt.
Drama in Serie vor den Ostfriesischen Inseln: Die Seegatten zwischen den Ostfriesischen Inseln erwiesen sich 2025 zu wahren Havarie-Hotspots. Vor Norderney mussten die Seenotretter gleich mehrfach ausrücken: Im April retteten sie eine sechsköpfige Familie, deren neun Meter lange Yacht auf einer Sandbank zwischen den Fahrwassern Schluchter und Dovetief festkam. Im September wiederholte sich das Drama nur einen Kilometer weiter westlich, als zwei Segler im Seegatt Schluchter auf Grund liefen und in der Brandung zum Spielball bis zu eineinhalb Meter hoher Wellen wurden. Das besonders flachgehende Rettungsboot der Seenotretter musste selbst schwere Grundberührungen überstehen, um eine Leinenverbindung herzustellen.
Bei Windstärke 7 aus West und bis zu vier Meter hohen Wellen geriet im Juni eine schwedische Segelyacht mit zwei Personen an Bord in Seenot. Nach Maschinenausfall drohte die manövrierunfähige Yacht zwischen der Schifffahrtsstraße und den Ostfriesischen Inseln zu kentern. Ein Seenotrettungskreuzer erreichte die Havaristen 45 Minuten nach der Alarmierung und schleppte das rund 14 Meter lange Boot unter schwierigsten Bedingungen mit geringer Geschwindigkeit sicher nach Borkum. Das schwedische Paar kam glimpflich davon und wollte die Reise nach Südeuropa nach Reparaturen fortsetzen.
Zwischen Spiekeroog und Wangerooge wurde es gleich zwei Mal dramatisch: Zwei Männer konnten nur per SAR-Hubschrauber der Marine gerettet werden, nachdem im Oktober ihr Boot infolge eines Motorschadens auf eine Sandbank aufgelaufen war und zu sinken begann. Weder ein Fischkutter noch das Wangerooger Seenotrettungsboot konnten aufgrund der lebensgefährlichen Strömung zu dem Motorboot vordringen.
Ein zusammengebrochener und zeitweise bewusstloser Mann auf einem Segelboot im Spiekerooger Wattfahrwasser erforderte im Juli eine koordinierte Rettungsaktion. Das Boot war aus dem Fahrwasser getrieben und bei ablaufendem Wasser auf Grund gelaufen. Ein Notfallsanitäter wurde direkt per Hubschrauber auf dem Segelboot abgesetzt, während der Notarzt auf das Seenotrettungsboot "Fritz Thieme" gewinscht wurde. Die Ehefrau des Patienten hatte ihn bis zum Eintreffen der Retter unter telefonischer Anleitung versorgt – lebensrettende Sofortmaßnahmen, die zeigen, wie wichtig Erste-Hilfe-Kenntnisse an Bord sind. Der Mann wurde schließlich per Hubschrauber ins Krankenhaus geflogen.
Seekrankheit wird zur Lebensgefahr: Anfang Juni trieb eine neun Meter lange Segelyacht nach Ruderschaden manövrierunfähig zehn Seemeilen westlich von Westerheversand – an Bord vier Personen, drei davon stark seekrank. Bei Nordwestwind Stärke 6 bis 7 und zwei Meter Welle scheiterten mehrere Schleppversuche durch gleich zwei Seenotrettungskreuzer, diverse Klampen rissen heraus. Als sich der Zustand der Seekranken bedrohlich verschlechterte und eine Übernahme bei der aufgewühlten See unmöglich war, mussten alle vier per SAR-Hubschrauber der Marine gewinschт werden. Die Yacht konnte erst danach unter Land geschleppt werden, wo sie bei nachlassendem Seegang längsseits genommen und nach Strucklahnungshörn gebracht wurde.
Karibik-Drama: Katamaran kentert, fünf Stunden in der Rettungsinsel: Profiskipper André Engelhardt aus Hooksiel erlebte Anfang Januar seinen persönlichen Albtraum: 150 Seemeilen nordwestlich von Aruba kenterte die Lagoon 42, die er mit drei Mitseglern von den BVIs nach Panama überführen sollte. Bei sieben bis acht Windstärken und dreieinhalb Meter Welle brach das Fluchtluk des Steuerbordrumpfes heraus – ein Problem, das bei diesem Katamaran-Typ offenbar schon öfter aufgetreten ist. Binnen zehn Minuten war der Rumpf voll Wasser, das Boot kenterte. Die Crew rettete sich auf den kieloben treibenden Kat und musste in mehreren Tauchgängen die am Heck fixierte Rettungsinsel losschneiden. Fünf Stunden lang harrten die vier in dem Gummifloß aus, schöpften ständig Wasser. Beinahe wäre der Notruf als Fake-Anruf abgetan worden, weil dem Vormann des Horumersieler Seenotbootes ein unbekannter Name angezeigt wurde. Glücklicherweise wurde die Meldung doch weitergeleitet – und der Unglücksort lag gerade noch am Rande des Einsatzbereichs des niederländisch-karibischen Rettungshubschraubers. "Shorts und ein Messer waren das einzige, was wir mitnehmen konnten", berichtet Engelhardt. "Angst hatten wir nicht, denn unser Notruf wurde bereits nach 30 Minuten quittiert. Von da ab wussten wir, dass Hilfe kommen würde."
Maschinenraumbrand und Kielschwert-Abriss: Weitere dramatische Momente erlebten Crews in der Ostsee und an der schleswig-holsteinischen Küste. Westlich von Rügen kam es auf einer Segelyacht zu einem Brand im Motorraum – die zweiköpfige Besatzung konnte den Brandherd zwar mit Feuerlöschern ersticken, doch Seekrankheit, starker Wind und Probleme mit der Besegelung machten eine Begleitung durch den Seenotrettungskreuzer bis Prerow notwendig. Vor Heiligenhafen lief eine Yacht auf Grund, wodurch das Kielschwert abriss und große Löcher im Rumpf entstanden. Wasser drang massiv ein, die Yacht trieb in Richtung offene See. In einer nächtlichen Rettungsaktion bei eineinhalb Meter Welle gelang es den Seenotrettern, ein Lecksegel anzubringen, die Yacht zu lenzen und sie in den Hafen zu schleppen. Ein Mann erlitt eine Handverletzung und musste ins Krankenhaus.