Oftmals finden ihre Einsätze weit draußen auf dem Meer statt, an Orten, die niemand sieht – rund um die Uhr und bei jedem Wetter. Doch am 11. Oktober ist es anders.
Kurz nach neun Uhr bricht aus bisher ungeklärten Gründen ein Feuer auf dem 73 Meter langen Öl- und Chemikalientanker „Annika“ aus. Eine Umweltkatastrophe droht, denn laut Havariekommando hat das Schiff etwa 640 Tonnen Öl geladen – und das nur wenige Seemeilen vor der Küste von Kühlungsborn, zwischen Wismar und Rostock. Augenzeugen berichten von Stichflammen; die Rauchschwaden sind noch von Warnemünde aus zu sehen.
Nur eine Stunde nach dem Notruf über Kanal 16 sind bereits zwei Boote der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger an der Unglücksstelle eingetroffen. Das Seenotrettungsboot „Wilma Sikorski“ manövriert bei eineinhalb Meter hohen Wellen längsseits und rettet die sieben Seeleute vom brennenden Tanker.
„Kein leichtes Unterfangen“, wie die Crew später berichtet. Sie versorgen die Männer und bringen sie sicher an Land. Das zweite Schiff der Station Kühlungsborn, die „Arkona“, beteiligt sich an den Kühl- und Löscharbeiten und trägt dazu bei, dass Schlimmeres verhindert wird.
Es sind Einsätze wie dieser, die hängen bleiben. Dabei ist es lediglich einer von rund 2.000, die die über 1.000 meist freiwilligen Seenotretter in Nord- und Ostsee jährlich fahren. Immer wieder rücken sie aus ihren 55 Stationen zwischen Borkum im Westen und Ueckermünde im Osten aus, um Menschen in Seenot zu helfen. 2023 haben sie 3.532 Menschen Hilfe geleistet; das ist etwas mehr als im Durchschnitt. Seit der Gründung im Jahr 1865 sollen es laut DGzRS weit mehr als 86.000 Menschen sein, die sie bereits aus Seenot oder akuter Gefahr befreit haben.
Ob technische Unterstützung oder lebensrettende Einsätze – die Aufgaben der Seenotretter sind vielfältig. Ein Blick auf die Einsatzstatistiken der letzten drei Jahre zeigt, welche Ursachen am häufigsten dazu führen, dass die Helfer der DGzRS ausrücken müssen.
So steht an erster Stelle die Rettung von Booten, die auf Grund gelaufen sind. Im Jahr 2023 führte das zu 293 Einsätzen. Besonders gefährlich sind die Grundberührungen in den Seegatten, den Durchlässen zwischen zwei Inseln, wie der Notfall eines norwegischen Soloseglers in diesem Sommer zeigte. An zweiter Stelle liegen Motor- und Getriebeschäden. Sie traten ähnlich häufig auf wie Grundberührungen. 2021 gab es mit 252 Fällen die meisten Einsätze in diesem Bereich. Mit großem Abstand belegt das Blockieren von Propellern durch Leinen oder Netze den dritten Platz. Im Jahr 2021 halfen die Seenotretter in 37 solcher Fälle, während es im Jahr 2023 noch 32 Fälle waren.
Weitere häufige Gründe für Einsätze sind Kenterungen (durchschnittlich 23,3 Einsätze pro Jahr), Ruderschäden (23), Orientierungslosigkeit (21,3) und Wassereinbruch (19,6).
Christian Stipeldey, Pressesprecher der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS), zieht im Gespräch mit der YACHT eine Bilanz zur Saison 2024.
Die Seenotretter blicken auf ein sehr arbeitsreiches Jahr zurück. Es wird vermutlich genauso arbeitsreich gewesen sein wie die Vorjahre. Wir erwarten keine Einsatzzahlen auf extrem hohem Niveau – aber Rückgänge sind auch nicht abzusehen.
Tatsächlich erhalten wir die erst im neuen Jahr. Zudem werden sie immer bei einem Termin mit unserem neuen Botschafter veröffentlicht. Das wird dieses Mal aufgrund anderer Termine des Prominenten erst Ende Januar sein.
Wir sehen, dass immer mehr und immer größere Schiffe unsere Gewässer anlaufen. Das gilt für die Großschifffahrt, für die wir genauso zuständig sind, wie für den Wassersport. In allen Bereichen nimmt der Verkehr zu – insbesondere in der Ostsee. Experten sagen voraus, dass der Anstieg noch bis 2030 anhalten soll. Diese Entwicklung beobachten wir auch bei den Trendsportarten wie Kitesurfen oder Paddeln.
Leider sind wir auch in diesem Jahr nicht von größeren Unglücken verschont geblieben. 2023 war es der Untergang der „Verity“ in der Deutschen Bucht. Fast ein Jahr später, im Oktober 2024, hatten wir den brennenden Tanker „Annika“ in der Ostsee. Die freiwilligen Seenotretter aus Kühlungsborn haben die Seeleute gerettet und konnten eine Umweltkatastrophe verhindern. Das war ein herausragendes Ereignis, doch in diesem Jahr gab es Herausforderungen in allen Bereichen der Schifffahrt.
Da lassen sich beispielhaft zwei Fälle nennen. Anfang Juni ist im Seegatt zwischen Juist und Norderney ein norwegischer Solosegler in Not geraten. Der 46-Jährige ist aufgelaufen, die Brandung setzte sein Boot immer wieder hart auf Grund. Dann ist er über Bord gegangen und die Strömung hat ihn erfasst. Schließlich haben wir ihn gerettet.
Zum anderen erinnere ich mich an ein ereignisreiches Oktoberwochenende. In weniger als 100 Stunden hatten wir 25 Einsätze für insgesamt 65 Menschen. In dieser Zeit ist zum Beispiel ein Frachtschiff mit einer Segelyacht zusammengestoßen. Das war am Tag der Deutschen Einheit. Menschen sind dabei nicht verletzt worden.
Wir beobachten, dass sehr wenig passiert, wenn Sturm vorhergesagt ist. Die Menschen bereiten sich darauf vor, und dann sind nur die unterwegs, die das müssen. Anders ist es bei schnellen Wetterwechseln. Die überraschen viele Menschen. Allerdings hatten wir, mit Ausnahme des genannten Oktoberwochenendes, nur wenige in diesem Jahr.
Der Inselhafen ersetzt den Nothafen Darßer Ort und behält die Funktion als Nothafen bei. Die Nähe zur viel befahrenen Kadetrinne zu erhalten, war für uns besonders wichtig. Von unserem Ausweichliegeplatz in Barhöft benötigen wir anderthalb Stunden dorthin, jetzt sind es nur 30 Minuten. Der Inselhafen bringt jedoch geografische Herausforderungen mit sich. Aufgrund der Küstenstruktur war von vornherein abzusehen, dass wir den Hafen nicht an 365 Tagen im Jahr besetzen können. Zum Beispiel erschweren schlechte Wetterbedingungen gelegentlich das Ein- und Auslaufen. Zudem sind die Versorgungsmöglichkeiten am Kopf der Seebrücke begrenzt. Einmal die Woche müssen wir zum Bunkern oder für kleinere Reparaturen nach Barhöft. Das war auch zu Zeiten des Nothafens Darßer Ort der Fall. Genaueres wird sich in Zukunft zeigen.
Die DGzRS wird am 29. Mai 160 Jahre alt. Ein echtes Jubiläum haben unsere Sammelschiffchen, sie sind seit 150 Jahren im Einsatz.