PortugalOrca – Angriff jetzt auch im flachen Wasser nahe der Küste

Ursula Meer

 · 26.06.2025

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Foto: Stephane Rochon; subphoto; AdobeStock
Am 24. Juni wurde eine Segelyacht am Cabo Espichel von Orcas angegriffen – auf einer Wassertiefe von nur 16 Metern. Das Ruderblatt der Yacht wurde stark beschädigt, die Crew kam unversehrt davon. Galt der flache, küstennahe Bereich bislang als sicher, bleibt nun abzuwarten, ob sich auch hier derartige Ereignisse wiederholen. Apps und Webseiten können Seglern dabei wichtige Hinweise zur Routenplanung an der Atlantikküste der Iberischen Halbinsel geben.

Das norwegische Segelboot „Poniente“, eine Jeanneau Sun Odyssey 479, wurde am 24. Juni etwas südlich des Cabo Espichel nahe der portugiesischen Stadt Sasimbra Opfer eines Orca-Angriffs. Dicht unter der Küste bei 16 Metern Wassertiefe fahrend – also in einem Bereich, in dem sich Segler gängigen Empfehlungen zufolge in ausreichendem Abstand zu den Orcas bewegen. Etwa dreißig Minuten lang stießen die Orcas gegen das Ruderblatt der Yacht und beschädigten es dabei schwer. Fischer eilten der Crew zur Hilfe und vertrieben die Schwertwale, indem sie Kreise um die „Poniente“ drehten. Die Havaristen wurden schließlich von einem Rettungsboot und den Hafen von Sasimbra geleitet.

Altes Problem, neue Fragen

Seit einigen Jahren mehren sich die Meldungen von Angriffen auf Segelyachten im Westen der Iberischen Halbinsel, der Biskaya und insbesondere der Straße von Gibraltar. Über die Ursachen für das Verhalten der vorwiegend jungen Tiere wird seither spekuliert. Die Ideen reichen von aggressivem Verhalten gegenüber Feinden bis hin zu spielerischen Interaktionen. Ebenso vage scheinen die Erkenntnisse zum richtigen Verhalten im Falle einer Begegnung und zu deren Vermeidung.

Medial war es zuletzt recht ruhig geworden um die Orcas. Doch das nicht etwa, weil weniger dieser gefährlichen Begegnungen geschahen; diese scheinen vielmehr wie traurige Normalität geworden zu sein. Zudem folgen viele Segler der bisher wohl bewährtesten Empfehlung, Routen dicht unter der Küste innerhalb eines Tiefenbereichs von 20 und weniger Metern zu wählen. Wenngleich Forscher sich bemühen, eine Erklärung für das Verhalten zu finden und einige Initiativen Sichtungs- und Interaktionsdaten bereitstellen, bleibt das Segeln in der Region ein riskantes Unterfangen. Das jüngste Ereignis trägt nun zu weiterer Verunsicherung bei.

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Ein Segler auf Langfahrt berichtet

Jörg Rüsenberg lebt auf seiner Contest 32. Im letzten Jahr ist er einhand ins Mittelmeer gesegelt. Auch für ihn waren die Orcas ein Thema, aber „bei der Biskaya-Überquerung habe ich mir weniger Gedanken gemacht“, erzählt er. „Sie ist so groß – warum sollten sie ausgerechnet mich da finden.“ Ab A Coruña fuhr er gemeinsam mit einem anderen Boot dicht unter der Küste, wie es in den gängigen Apps, Messenger-Gruppen und auf Webseiten empfohlen wird, wenn Segler eine Begegnung mit Orcas vermeiden wollen.

Dabei legten die Boote deutlich mehr Meilen zurück als bei längeren Schlägen entlang der Buchten und Rias. „Ab und zu haben wir dann auch den kürzeren Weg gewählt, wenn die Linie flachen Wassers zehn Meilen weit ins Landesinnere ging, der direkte Weg über das tiefere aber nur zwei Meilen lang war“, berichtet er. Zwei Mal erlebte die Mini-Flottille dabei, dass in ihrer direkten Nähe Boote von Orcas angegriffen wurden. Dennoch fuhren sie weiter, wollten sie doch vor dem Winter das Mittelmeer erreichen. “Irgendwann hat man sich daran gewöhnt”, schildert Rüsenberg die Situation, “und man darf sich ja auch nicht verrückt machen lassen.”

Informationen zu Orca-Sichtungen

Leichtfertig ging Jörg Rüsenberg dennoch nicht an die Routenplanung. Wie viele andere Segler auch, hat er die wichtigsten Infos über die Aktivitäten der Orcas entlang der iberischen Halbinsel über die Website orcas.pt eingeholt. Die privat betriebene Webseite hält umfassende Verhaltenstipps und eine Karte mit allen gemeldeten Orca-Sichtungen und Interaktionen zwischen A Coruña und der Straße von Gibraltar bereit. Auch eigene Walbegegnungen können dort gemeldet werden. Auf diese Weise kam seit Anfang 2023 eine je nach Lesart ansehnliche oder erschreckende Anzahl von Meldungen zusammen.

So zeigt ein Blick in die Karte allein in diesem Jahr mehr als 120 Sichtungen und knapp 50 Interaktionen zwischen der südlichen Biskaya und der Straße von Gibraltar, alle mit genauer geographischer Position und Datum. Wer eine kostenlose Mitgliedschaft abschließt, kann auch der privaten Telegram-Gruppe von orcas.pt beitreten. Jörg Rüsenberg lobt den Service: „Rui Alvez, der Betreiber, ist sehr engagiert nimmt bei Bedarf mit jedem einzelnen Mitglied Kontakt auf.“

Ähnlich umfangreiche Informationen hält auch die britische Cruising Association (CA) bereit. Sie hat eine eigene Orca-Projektgruppe gegründet, geleitet von Paul Lingard. Die CA betreibt ein spezielles Orca-Informations- und Meldeportal unter www.theca.org.uk/orcas. Dieses Portal bietet umfangreiche Ressourcen in englischer, französischer, portugiesischer und spanischer Sprache. Segler können hier nicht nur Informationen abrufen, sondern sollten auch eigene Berichte über Begegnungen oder ereignislose Passagen einreichen. So meldete sich Paul Lingard von der CA auch prompt zu Wort, als der Skipper der „Poniente“ über den Angriff auf sein Boot auf der Facebook-Seite „Orca Attack Reports“ berichtete, und bat darum, einen Bericht auf der Website der CA einzustellen.

Denn die Cruising Association ruft alle Segler dazu auf, Begegnungen mit Orcas zu dokumentieren und zu melden. Genaue Angaben zu Ort, Zeit und Verlauf der Interaktion sind besonders wertvoll, aber auch Berichte über ereignislose Passagen. Die gesammelten Daten werden mit Wissenschaftlern geteilt und sollen dazu beitragen, langfristige Strategien zum Umgang mit den Orcas zu entwickeln. Das Orca-Projektteam der Cruising Association arbeitet eng mit Meeresbiologen und Verhaltensforschern zusammen, um die Gründe für die zunehmenden Interaktionen zu verstehen.

Die von Seglern eingereichten Berichte werden von der CA ausgewertet und in einer "Interaction Comments Library" zusammengefasst. Diese kategorisiert verschiedene Verhaltensweisen der Skipper, wie den Einsatz von Geräuschen oder Sand, und bewertet die Wirksamkeit unterschiedlicher Abschreckungsstrategien. Zudem veröffentlicht die CA vergleichende Statistiken aus Interaktionsberichten und Meldungen über ereignislose Passagen.

Eine weitere wichtige Datenquelle sind die monatlichen Interaktionskarten der Grupo Trabajo Orca Atlantica (GTOA). Diese Karten geben einen Überblick über die aktuellen Orca-Aktivitäten und können Seglern bei der Routenplanung helfen. Im aktuellen Fall jedoch wies auf Basis der Daten der GTOA nichts auf die Gefahr einer Begegnung hin; zuletzt war es laut dieser Karte im weiteren Umfeld des Begegnungsortes im Februar und März dieses Jahres zu Interaktionen gekommen.

Einen Hinweis zur Routenplanung können aber auch empirische Daten liefern. So hat die CA basierend auf gemeldeten Daten und eigenen Recherchen Übersichtstabellen erstellt, die Orca-Interaktionen nach Jahr und Monat für verschiedene Küstenabschnitte aufzeigen. Sie geben Hinweise darauf, wie wahrscheinlich eine Begegnung mit den Schwertwalen in den einzelnen Monaten ist.

Zusätzlich zu den Web-Portalen gibt es auch Apps, die Echtzeit-Informationen über Orca-Sichtungen und -Interaktionen liefern. Die CA empfiehlt insbesondere die Apps GT Orcas und Orcinus.

Verhaltens-Empfehlungen

Die Akteure rund um die Orca-Familien und ihre recht neuen, für Segler gefährlichen Verhaltensweisen liefern eine Menge Daten, eine echte Vorhersage für eventuelle Begegnungen mit Orcas lässt sich aus ihnen bislang jedoch nicht treffen. Jedoch wurden Wahrscheinlichkeiten für Orca-Interaktionen abgeleitet.

Ebenso wenig wissen Segler, ob es sich im Falle einer Begegnung über Mitglieder jener Schwertwal-Familien handelt, deren Sprösslinge es – aus welchen Gründen auch immer - auf die Kiele und Ruderblätter von Segelbooten abgesehen haben. So bleibt vorerst wohl nur, sich bestmöglich über den aktuellen Stand zu informieren, selbst aktiv zur Datensammlung beizutragen und – solange es keine anderslautenden Empfehlungen der Experten gibt – die Zonen mit flacherem Wasser zu befahren. Denn der Angriff auf die „Poniente“ war erst der zweite in küstennahmen, flachem Wasser, der der CA seit Beginn der Datensammlung Anfang 2022 gemeldet wurde. Alle anderen fanden weiter draußen statt.


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