Orkantief CiaránDie Wetterbombe ist explodiert

Philipp Hympendahl

 · 03.11.2023

Wellen schlagen gegen die Hafenmauer des Leuchtturms von Newhaven in Newhaven, Großbritannien
Foto: dpa/pa
Das Orkantief Ciarán hat an den Küsten viel zerstört. Auch Häfen waren betroffen. Ein Augenzeugenbericht von Philipp Hympendahl

Ciarán hat an den Küsten gewütet. Bis zu 1,2 Millionen Haushalte in Frankreich waren von Stromausfällen betroffen, Bäume stürzten um, Menschen starben. Eine 21 Meter hohe Welle wurde vor dem Departement Finistère gemessen. Auch an der deutschen Nordseeküste waren die Ausläufer zu spüren. Noch gibt es keine detaillierten Berichte über Schäden in den Häfen. Autor Philipp Hympendahl war jedoch mit seiner „African Queen“ vor Ort in Brest und schildert der YACHT seine Erlebnisse.

Nach seiner gescheiterten Kampagne zur Teilnahme an der Global Solo Challenge, die kürzlich in La Coruña gestartet ist, musste Hympendahl erst einmal seine Wunden lecken.

Zum Glück hatte er sein altes Boot noch, einen 9,20 Meter langen Halbtonner aus den Achtzigern. Nach seiner Teilnahme am Midsummersail hatte er das Schiff zwei Monate aus dem Wasser, um es komplett zu überholen und so gut es geht für längere Fahrt auszurüsten. Er hat jetzt größere Batteriekapazität, Solarzellen und einen vernünftigen Autopiloten neben seiner Pacific Windpilot. Ansonsten gibt es keinen Schnickschnack, keine Heizung, keinen Kühlschrank und nur die nötigsten technischen Hilfsmittel. Neben einem Tablet, AIS und UKW hat er noch ein IridiumGO für Wettervorhersagen und ein Tracking auf seiner Homepage: www.seesucht.online.

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Sein Plan ist, kein definiertes Ziel zu haben, aber ein paar Ideen und Optionen, zunächst Kurs Süd, bis er “die fehlende Heizung nicht mehr spüre”.

Er möchte sich als Segler weiterentwickeln und langfristig sein großes Ziel umsetzen, eine Nonstop-Weltumsegelung.

Ciarán, mein One-Night-Stand in Brest

Auf meinem Weg nach Süden bin ich über Le Havre, Cherbourg und Roscoff nachts in Camaret-sur-Mer angekommen. Die ersten Tage liege ich dort im Außenhafen im Port de Plaisance.

Die „African Queen“ hat den Orkan schadlos überstanden

Schnell bekomme ich Anschluss an eine lustige Gruppe aus Dänen und einem Engländer, gemeinsam sind wir vier Boote, die vor dem Winter noch gen Süden wollen. Unsere WhatsApp-Gruppe heißt „The Biskay hopefuls“. Das sind Gustav und Bertil, zwei sympathische junge Dänen von 21 Jahren auf einer Comfort 32, Paul, ein Engländer ohne Rettungsinsel und mit großem Urvertrauen, und Nicolas auf einem 13-Meter-Stahlboot. Gemeinsam warten wir in Camaret auf ein günstiges Wetterfenster, beobachten daher die Vorhersagen auf allen möglichen Plattformen und tauschen uns aus. Leider werden die Vorhersagen nicht besser, sondern verdichten sich immer mehr zu dem, was später Orkan heißen soll. In der Zwischenzeit haben wir unsere Boote in den ortsnahen Hafen von Camaret verholt, wo die Boote weniger Schwell abbekommen und besseren Windschutz haben.

Die Stege dort sind aber nur schwimmend an Ketten verankert und bewegen sich mit der Tide.

Die Skalen der Vorhersagen fangen an, immer seltenere Farben anzunehmen, es scheint, ein größerer Sturm zu kommen. Meine Festmacher schlagen ruckartig in die Klampen, und die Bewegungen des Bootes machen mir ernsthaft Sorgen. Ich spreche mit anderen Seglern, Fischern, dem Hafenmeister und natürlich mit meinen Freunden und versuche, eine Entscheidung zu treffen, was mir sehr schwerfällt. Die „Biskay hopefuls“ wollen in Camaret bleiben. Auf Facebook entdecke ich einen Beitrag von Sebastian Wache: „Der auf Frankreich zusteuernde Orkan unterliegt einer sogenannten Bombogenese. Also einer rapiden Vertiefung des Kerndrucks und damit einer extremen Verstärkung des Windes.“

Das Boot wird verlegt, um Ciarán zu entkommen

Modelle sehen hier Windgeschwindigkeiten von bis zu 160 km/h und Wellen bis 13 Meter.

Meine Entscheidung ist gefallen, auch wenn ich die Gruppe damit sprenge, ich verhole mich am Dienstag, den 31.10.23 nach Brest. Ich erwische einen günstigen regenreichen, aber böenarmen Moment und bin eineinhalb Stunden später in der Marina du Château.

Leider haben sie mir telefonisch und später über Kanal 09 den exponiertesten Liegeplatz zugewiesen, was ich aber erst so richtig realisiere, nachdem ich komplett fest bin. Nach Rücksprache mit dem Hafenbüro verhole ich mich noch einmal und liege nun mit dem Bug zum Steg in Richtung Südwest, vor mir zwei große Segler, der perfekte Liegeplatz für das, was kommen soll.

Nach einer ruhigen Nacht mit viel Schlaf erkunde ich etwas den Ort und beginne mein Boot vorzubereiten. Ich sichere die Solarmodule, die ich am Heck befestigt habe, mit stramm gespanntem Dyneema, wickle ein langes Seil um die Persenning vom Groß und sichere das Vorsegel, was ich bei viel Wind sehr straff eingerollt hatte. Abgeschlagen habe ich die Segel nicht, aber gut gesichert. Die kleine Sprayhood kann ich bei Bedarf einfach runterklappen. Die Bugfestmacher in Windrichtung habe ich mit Gummidämpfern versehen und jeweils doppelt ausgelegt. Zunächst gehen die Kräfte in den Dämpfer, und dann greift noch ein zweiter Festmacher, so schlägt es nicht in die Klampen und ist doppelt gesichert. Ein paar Springleinen und ordentlich Fender und etwas Gin für die Götter, mehr kann ich nicht machen.

Im Zentrum von Ciarán

Alain, ein französischer Freund aus Lorient, ruft mich an mit der Nachricht, dass Brest es wohl am schlimmsten treffen wird. Auf meinem Handy poppt eine französische Unwetterwarnung auf, Alarmstufe rot. Ein Hafenmitarbeiter informiert alle Segler, dass es verboten ist, die kommende Nacht auf seinem Boot zu verbringen. Ich spreche daraufhin mit anderen Seglern, die bleiben werden, und beschließe auch, mein Boot nicht allein zu lassen. Gegen Nachmittag steigt die Anspannung langsam, laut Vorhersagen soll das Schlimmste gegen 1 Uhr nachts kommen, zum Glück bei Niedrigwasser. Ein Bier gönne ich mir noch in der Hafenkneipe, und dann geht es aufs Boot. Auf allen Kanälen machen sich Familie, Freunde und die digitale Community Sorgen und kommen mit Ratschlägen und Warnungen. Entscheiden muss ich selbst, und letztlich ist es ja auch so, dass ich meine Entscheidung jederzeit korrigieren kann und notfalls mein Boot verlassen werde, aber nur im Notfall.

Es wird dunkler im Hafen. Die Farben Grün, Blau und Grau scheinen sich übereinandergelegt zu haben und werden von Regenschauern gesprenkelt. Masten fangen an, in den ersten Böen zu tanzen. Die ersten Töne eines leisen Pfeifens werden vom Hafenorchester angestimmt. Ich stehe mit Rückenschmerzen am Niedergang und schaue auf den Hafen. Ich habe keine Windinstrumente, bin es daher gewohnt, nicht nach Zahlen zu urteilen, sondern nach meinen eigenen Beobachtungen, und die decken sich mit dem, was die Vorhersagen zeigen.

Die Nacht mit Ciarán

Im Laufe des Abends wechseln sich relativ ruhige Momente mit starken Böen ab, die auch ordentlich Regen mitbringen können. Der Wind erzeugt immer neue Töne auf seinem Weg durch Masten, Fallen, Wanten und Segel. Der ganze Hafen wird zum Instrument, wie ein großer Synthesizer, der gerade gestimmt wird. Mit dem Lärm steigt auch mein Adrenalin. Ich schätze die Böen am späten Abend auf bis zu 50 Knoten. Boote schwojen hin und her, Masten drohen sich zu berühren, die Natur zeigt ihre Krallen, und ich kann nichts tun, außer am Niedergang zu stehen und eine Schmerztablette zu nehmen. Ab wann würde ich mein Boot verlassen, was würde ich mitnehmen, soll ich ein Grab Bag packen, im Hafen? Das sind die Überlegungen, getriggert von persönlichen Nachrichten: „Du musst dein Boot verlassen“, „Du bringst eventuell andere in Gefahr“, „Pass auf dich auf“.

Allmählich gewöhne ich mich an die starken Schwingungen des Bootes, die von meinen Festmachern und Fendern weich abgefangen werden, meine „African Queen“ tanzt mit dem Sturm Ciarán. Wie eine Tangotänzerin nimmt sie die Signale auf und verwandelt sie in harmonische Bewegungen. Ich gewinne mehr Vertrauen in den Hafen und meinen Liegeplatz, aber wo ist die Grenze?

Ciarán orgelt in den Riggs

Ciarán spielt immer neue Töne an und erhöht die Lautstärke, ein solches Pfeifen habe ich noch nie gehört. Boote schlagen gegen die Fingerstege, die ersten Furlingleinen reißen, und die Vorsegel rauschen aus, das Flattern kommt als neuer Dauerton hinzu. Ciarán hat Brest erreicht, meine Freude hält sich in Grenzen, ab jetzt wird es wenigstens nicht mehr schlimmer. Die vorhergesagten Böen von 70 Knoten sind da. Der Mond kommt kurz durch ein Wolkenloch und verstärkt das Drama des Moments. Mein altes Barometer hat den Zeiger noch einmal bewegt, an einen Ort, wo er nie war.

In Ölzeug und Stiefeln, bereit jederzeit das Boot zu verlassen, verharre ich am Niedergang und blicke in das laute, wilde, immer gleiche Bild. Immer wenn es gerade ruhiger wird und ich überlege zu schlafen, kommt noch einmal eine Böe mit gleicher Wucht und Härte. Erst gegen 4 Uhr am Morgen lässt es nach, und ich finde endlich etwas Schlaf. Am Morgen fühlt sich Starkwind wie Flaute an, und ich gehe durch den Hafen und schaue mir die Schäden an. Dank guter Vorhersagen, einem sicheren Hafen und besonnener Bootsbesitzer ist verhältnismäßig wenig passiert. Einige Schäden an Booten, ein eingeklappter Tri ist umgekippt, ein Boot hat Schlagseite, und einige Segel können nur noch zu Taschen werden. Für die Stärke des Sturms ist das verhältnismäßig wenig. Ich bin wieder eine Erfahrung reicher und sehr froh und dankbar, es unbeschadet überstanden zu haben. Meine dänischen Freunde haben einige Schäden an ihrer Yacht in Camaret, vielleicht hätten sie im Nachhinein anders entschieden.

Auf Marine Traffic konnte man beobachten, wie unbeeindruckt die kommerzielle Berufsschifffahrt von Ciarán ist. Der Kommerz kennt keinen Sturm.


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