Am Freitagabend erreichte ein Notruf die deutsche Rettungsleitstelle See der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) in Bremen: Auf einem Segelboot im Spiekerooger Wattfahrwasser war ein Mann zusammengebrochen und zeitweise bewusstlos. Die Ehefrau des Patienten alarmierte kurz nach 18 Uhr telefonisch die Seenotretter. Umgehend wurde eine Rettungsaktion eingeleitet, bei der neben dem Seenotrettungsboot “Fritz Thieme” von Wangerooge auch der Rettungshubschrauber “Northern Rescue 01” zum Einsatz kam.
Die Rettungskräfte standen vor einer schwierigen Aufgabe: Bei ablaufendem Wasser war das etwa zehn Meter lange Segelboot aus dem Fahrwasser in flaches Wasser getrieben und auf Grund gelaufen. Selbst für das vergleichsweise kleine Seenot-Rettungsboot war es nicht mehr erreichbar. Etwa zeitgleich mit dem Seenotrettungsboot traf der Rettungshubschrauber am Notfallort ein. Von ihm aus wurde ein Notfallsanitäter direkt auf dem Segelboot abgesetzt, während der Notarzt und weitere Ausrüstung per Winde an die Seenotretter auf der “Fritz Thieme” übergeben wurden. Schwacher Wind und glatte See begünstigten die Manöver, die große Präzision erfordern.
Während sich der Notfallsanitäter um den Erkrankten kümmerte, konnte dessen Ehefrau das Ruder übernehmen und das Segelboot in tieferes Wasser steuern. Das Rettungsboot nahm die Yacht längsseits, sodass auch der Notarzt an Bord gehen konnte. Aus medizinischen Gründen entschied man, den Patienten zunächst weiter an Bord zu behandeln und das Segelboot behutsam nach Wangerooge zu schleppen, wo der Schleppverband kurz nach 20 Uhr eintraf. Da der Hubschrauber am Hafen von Wangerooge nicht landen konnte, wartete dort ein Rettungswagen, um den Patienten zum Flugplatz zu bringen. Von dort aus erfolgte der finale Transport mit dem Hubschrauber in ein Krankenhaus auf dem Festland. Die Besatzung der “Fritz Thieme” half der Seglerin, ihr Boot sicher im Yachthafen festzumachen.
Die Frau des so plötzlich Erkrankten wurde bis zum Eintreffen der Rettungskräfte vom Einsatzleiter per Telefon zur medizinischen Erstversorgung angeleitet. Denn selbst bei einer unverzüglich eingeleiteten Rettungsaktion kann einige Zeit bis zum Eintreffen der Retter vergehen. So müssen etwa die freiwilligen Seenotretter von Wangerooge zunächst zum circa 5 Kilometer vom Ortskern entfernt gelegenen Hafen gelangen und dann durch das Seegatt in das Spiekerooger Wattfahrwasser navigieren. Der in diesem Fall herbeigerufene Rettungshubschrauber “Northern Rescue 01” ist in Sankt Peter-Ording stationiert und spätestens binnen 15 Minuten einsatzbereit, zirka 20 weitere Minuten dauert der Flug. Mit nur gut 30 Minuten zwischen dem Notruf und dem Eintreffen der Retter war dies ein schneller Einsatz. An Bord aber zählt in solchen Fällen jede Minute.
Selbst in relativer Nähe zum Land kann eine Bewusstlosigkeit schnell lebensbedrohlich werden. Mehr noch auf See, wenn Skipper und Crew fernab professioneller Hilfe schnell und effektiv handeln müssen. Bei einer bewusstlosen Person an Bord ist rasches Handeln gefragt. Mögliche Ursachen für eine Bewusstlosigkeit auf See reichen von Unfällen mit Kopfverletzungen über Vergiftungen durch Medikamente oder Alkohol bis hin zu Unterkühlung, Hitzschlag oder Herzinfarkt. Die genaue Ursache lässt sich oft nicht sofort feststellen, weshalb die Sicherung der Vitalfunktionen oberste Priorität hat.
Zunächst wird der Bewusstseinszustand der betroffenen Person beurteilt. Hierfür hat sich der AVPU-Check (Alert, Voice, Pain, Unresponsive) bewährt. Sprechen Sie die Person laut an und berühren Sie ihre Schultern. Reagiert sie auf Ansprache (Alert)? Falls nicht, rufen Sie laut und schütteln Sie vorsichtig die Schultern (Voice). Bleibt eine Reaktion aus, prüfen Sie durch einen Schmerzreiz, etwa durch Reiben des Brustbeins (Pain). Erfolgt auch hierauf keine Reaktion, gilt die Person als nicht ansprechbar (Unresponsive). Dieser systematische Check ermöglicht eine schnelle Einschätzung der Situation und bestimmt die weiteren Maßnahmen.
Bei einer bewusstlosen, aber atmenden Person ist die stabile Seitenlage lebensrettend, um die Atemwege freizuhalten. Auf See erfordert dies jedoch eine Anpassung. Positionieren Sie die Person so, dass ihr Kopf leicht erhöht und zum Bug gerichtet ist. Dies verhindert bei Wellengang ein Zurückrollen auf den Rücken. Fixieren Sie die Position mit Rettungsdecken oder Polstern. Kontrollieren Sie regelmäßig die Atmung und passen Sie die Lage bei Bedarf an. Die maritime stabile Seitenlage erfordert kontinuierliche Aufmerksamkeit, da sich die Bedingungen an Bord schnell ändern können.
Die Atemkontrolle ist auf See besonders herausfordernd. Wenden Sie die 10-Sekunden-Regel an: Beobachten Sie 10 Sekunden lang Brustkorb und Bauch auf Bewegungen, während Sie Ihr Ohr nahe an Mund und Nase der Person halten, um Atemgeräusche zu hören und den Luftstrom zu spüren. Achten Sie auf die Besonderheiten der Atemkontrolle auf See – Schiffsbewegungen können Atembewegungen vortäuschen. Zählen Sie die Atemzüge in diesem Zeitraum. Weniger als zwei Atemzüge in 10 Sekunden deuten auf eine insuffiziente Atmung hin und erfordern sofortige Wiederbelebungsmaßnahmen.
Die Durchführung einer Herz-Lungen-Wiederbelebung (CPR) auf See erfordert spezielle Techniken. Positionieren Sie die Person auf einer stabilen Unterlage, idealerweise im Cockpit oder Salon. Bei Wellengang kann die klassische 30:2-Technik (30 Kompressionen, 2 Beatmungen) schwierig sein. Fokussieren Sie sich auf kontinuierliche Herzdruckmassagen mit einer Frequenz von 100-120 pro Minute. Nutzen Sie den Rhythmus des Liedes "Stayin' Alive" als Taktgeber. Bei der Beatmung ist besondere Vorsicht geboten – achten Sie auf eine dichte Abdichtung des Mundes, um das Eindringen von Salzwasser zu verhindern. Die Verwendung eines Beatmungsbeutels kann hier hilfreich sein.
Auch der Einsatz eines Automatisierten Externen Defibrillators (AED) kann auf See lebensrettend sein, erfordert jedoch besondere Vorsichtsmaßnahmen. Trocknen Sie den Brustkorb der Person gründlich ab, um eine effektive Haftung der Elektroden zu gewährleisten. Achten Sie darauf, dass kein Wasser in Kontakt mit dem Gerät oder den Elektroden kommt. Positionieren Sie das AED an einem geschützten Ort, um es vor Spritzwasser zu schützen. Folgen Sie genau den Anweisungen des Geräts und stellen Sie sicher, dass niemand die Person oder das Boot berührt, während der Schock abgegeben wird. Die korrekte Anwendung des AED unter maritimen Bedingungen kann die Überlebenschancen deutlich erhöhen.
Die Prävention von Unterkühlung ist bei Bewusstlosigkeit auf See von kritischer Bedeutung. Entfernen Sie nasse Kleidung und wickeln Sie die Person in Rettungsdecken ein, wobei Sie besonders auf den Schutz von Kopf, Nacken und Rumpf achten. Nutzen Sie zusätzlich trockene Decken oder Schlafsäcke. Improvisieren Sie eine Isolationsschicht zwischen der Person und dem kalten Decksboden, etwa durch Verwendung von Rettungsinseln oder Schwimmwesten. Kontinuierliche Überwachung der Körpertemperatur ist essentiell – bei Anzeichen von Hypothermie intensivieren Sie die Wärmemaßnahmen und bereiten Sie sich auf eine mögliche Evakuierung vor.
Die korrekte Abgabe eines Seenotrufs kann über Leben und Tod entscheiden. Nutzen Sie den internationalen Notrufkanal 16 auf UKW oder aktivieren Sie den DSC-Notruf (Digital Selective Calling). Bei Mobilfunkabdeckung ist auch ein Anruf bei der Rettungsleitstelle See der DGzRS unter der Rufnummer +49 421 536 87 0 möglich. Idealerweise ist diese Rufnummer in der Kurzwahlliste des Mobiltelefons gespeichert. Ausschließlich in Küstennähe und lediglich aus deutschen Mobilfunknetzen ist die Rettungsleitstelle See auch über die Kurzwahl 124 124 (ohne Vorwahl) zu erreichen. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um eine Notrufnummer, sondern eine Servicenummer der Netzbetreiber. Die DGzRS hat keinen Einfluss auf die Verfügbarkeit.
Ist einmal ein Kontakt zu den Seenotrettern hergestellt, übermitteln Sie präzise Informationen: Position, Art des Notfalls, Beschreibung des Bootes, Anzahl der Personen an Bord und benötigte Hilfe. Bleiben Sie nach Möglichkeit in ständigem Kontakt mit den Rettungskräften und informieren Sie über Veränderungen der Situation oder Position.
Je nach Schwere des Zustands und Entfernung zum nächsten Hafen kann eine Evakuierung notwendig werden. Die Crew sollte sich darauf vorbereiten, indem sie den Patienten transportfähig macht und alle wichtigen medizinischen Informationen und Dokumente zusammenstellt. Bei einer Hubschrauberbergung muss das Deck von losen Gegenständen befreit und eine geeignete Aufnahmefläche vorbereitet werden. Die genaue Vorgehensweise wird in der Regel vom Rettungsdienst über Funk kommuniziert.
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