Irre RettungMann will dank Ketchup-Vorrat 24 Tage auf See überlebt haben

Pascal Schürmann

 · 20.01.2023

Irre Rettung: Mann will dank Ketchup-Vorrat 24 Tage auf See überlebt habenFoto: Armada de Colombia
Elvis F. nach seiner Rettung an Bord eines Containerfrachters

Seit gestern berichten Medien in aller Welt über die Rettung des 47 Jahre alten Dominikaners Elvis F. Der sei mit einem Segelboot 24 Tage lang von der Karibikinsel Sint Maarten bis vor die Küste Kolumbiens getrieben, wo er schließlich von der Crew eines Flugzeugs entdeckt und dann von einem Containerfrachter abgeborgen worden sei. Die Geschichte wirft allerdings viele Fragen auf

Die weitestgehend gleichlautenden Berichte von Zeitungen, Radio- und TV-Sendern - darunter auch die vieler deutscher Medien - stützen sich auf die Meldung einer französischen Nachrichtenagentur, die wiederum einen Tweet der kolumbianischen Marine zitiert. Darin heißt es, der Schiffbrüchige habe im Dezember vor einem Hafen auf Sint Maarten auf einem Segelboot gearbeitet. Plötzlich habe sich das Wetter verschlechtert, und das Boot sei hinaus aufs Meer getrieben worden.

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Offenbar war Elvis F. nicht in der Lage, das Boot zu bedienen. Stattdessen sei er mehr als drei Wochen lang hilflos quer durch die Karibik getrieben, rund 850 Seemeilen weit! Überlebt habe er nur, weil sich an Bord Trinkwasser, eine Ketchup-Flasche, Knoblauchpulver und Bouillon-Würfel befanden. Das habe er gemischt und sich davon ernährt.

An Deck hat er das Wort “Help” geschrieben, und als er ein Flugzeug am Himmel entdeckt, gelingt es ihm, die Piloten mit Hilfe eines Spiegels auf sich aufmerksam zu machen. Die informieren die kolumbianische Marine, die wiederum ein Handelsschiff zur Position des Segelbootes dirigiert, das ihn an Bord nimmt. Elvis F. wurde medizinisch untersucht, seine Odyssee hat er offenbar recht gut überstanden. Bei der Ankunft im nächsten Hafen ist er der Einwanderungsbehörde übergeben worden, die sich nun um seine Rückreise auf seine Heimatinsel bemüht.

Im kurzen Video der kolumbianischen Marine berichtet der Gerettete, wie verzweifelt er zwischendurch gewesen sei:

24 Tage kein Land. Niemand, mit dem du sprechen kannst. Nicht wissen, was du tun sollst, wo du dich befindest. Es war hart! Ein paar mal verlor ich die Hoffnung. Ich dachte viel an meine Familie.”

Bei aller Freude für den Geretteten, stellen sich doch einige Fragen. Vor allem, warum Elvis F., der mit Reparaturen auf einem Segelboot beauftragt war, nicht in der Lage gewesen ist, dieses zu bedienen. Sprich, das Boot segelnd oder mit Hilfe des Motors in den nächsten Hafen zu manövrieren. Aus seiner Erklärung geht nicht hervor, um was für ein Boot es sich handelte und in welchem Zustand es sich befand. Waren keine Segel an Bord, der Motor defekt? Oder war der Mann tatsächlich bar jeder Ahnung, wie man ein Boot segelt, und hat es auch gar nicht erst versucht – beziehungsweise sich nicht getraut, die Segel zu setzen?

Genauso unklar ist, wieso das Boot plötzlich von der Insel forttrieb. Hatte es sich bei aufkommendem oder drehendem Wind vom Anker oder einer Muringboje losgerissen? Und warum konnte Elvis F., als er dies bemerkte, niemanden auf sich aufmerksam machen? Hätte er vielleicht noch über Bord springen und an Land schwimmen können? Oder mit dem Handy um Hilfe rufen, so lange noch Handyempfang vorhanden war?

Dass ein Boot binnen 24 Tagen die Distanz von Sint Maarten bis zum Fundort vor der Karibikküste Kolumbiens treibend zurücklegen kann, ist durchaus möglich. Um diese Jahreszeit weht dort der Nordostpassat. Die südwestliche Drift des Bootes steht also im Einklang mit der Windrichtung. Am Tag hat es dabei im Schnitt 35 Seemeilen zurückgelegt. Das entspricht einer durchschnittlichen Driftgeschwindigkeit von unter zwei Knoten.

Die Karte zeigt die zurückgelegte Distanz, die der Schiffbrüchige mit dem Boot zurückgelegt hat – zumindest, wenn er auf halbwegs geradem Kurs getrieben sein sollteFoto: YACHT
Die Karte zeigt die zurückgelegte Distanz, die der Schiffbrüchige mit dem Boot zurückgelegt hat – zumindest, wenn er auf halbwegs geradem Kurs getrieben sein sollte

Auch dass man mit den an Bord vorhandenen Lebensmitteln drei Wochen lang überleben kann, ist nicht unwahrscheinlich – so seltsam es anmutet. Vorausgesetzt, es ist ausreichend Trinkwasser vorhanden. Denn Ketchup beinhaltet viel Zucker und die Brühwürfel je nach Zusammensetzung in der Regel viel Salz und auch Fett.

Wie viel Wasser und wie viele Brühwürfel er an Bord fand, darüber sagt Elvis F. nichts aus. Es sind aber offenbar genug gewesen, ihn am Leben zu erhalten. Warum indes ausgerechnet diese Lebensmittel und Gewürze an Bord waren und nichts anderes, diese Frage kann nur der Bootseigner beantworten.

Man darf also gespannt sein, ob sich die offenen Fragen in den kommenden Tagen beantworten lassen. Eines ist auf jeden Fall jetzt schon klar: Elvis F. reiht sich ein in den Reigen teils kurioser und aufsehenerregender Rettungen von Schiffbrüchigen, die wie er wochen- oder gar monatelang auf hoher See auf Rettung warten mussten, bevor sie endlich entdeckt wurden.

Kein Einzelfall! In der Vergangenheit gab es bereits Fälle von Schiffbrüchigen, die wochenlang auf See trieben

2005 beispielsweise überlebte im Südpazifik ein Ehepaar 35 Tage in einem offenen Boot ohne Wasser und Proviant. Die beiden 52-Jährigen waren von der Insel Kiribati zu einer Nachbarinsel unterwegs und 900 Seemeilen vertrieben. Das Paar ernährte sich von Fisch und aufgefangenem Regenwasser, bis ein Hubschrauber es entdeckte und abbarg.

Ein Jahr später sorgten drei mexikanische Fischer für Aufsehen. Sie hatten angeblich unglaubliche neun Monate lang als Schiffbrüchige auf dem Pazifik überlebt. Im Oktober 2005 waren sie mit ihrem neun Meter langen Boot ausgelaufen und von einem Sturm abgetrieben worden. Rund 4.000 Seemeilen entfernt von ihrem Ausgangsort wurden sie schließlich halb verhungert von einem taiwanesischen Fischereischiff gerettet.