Havarie nach Wasserhose56 Meter lange „Bayesian“ sinkt vor Palermo, sechs Personen vermisst

Sören Gehlhaus

 · 20.08.2024

Vor Anker eine halbe Seemeile vor Porticello. Das Foto zeigt „Bayesian“ (l.) und den Toppsegelschoner „Sir Robert Baden Powell“ um 20 Uhr am Sonntag, den 18. August
Foto: Fabio La Bianca/dpa/pa
In der Nacht zu Montag ging die 56 Meter lange „Bayesian“ unweit von Palermo auf Tiefe, wohl als Folge einer Wasserhose. 15 Personen wurden gerettet, darunter ein einjähriges Mädchen und die Ehefrau des noch vermissten britischen Geschäftsmanns Mike Lynch. Taucher suchen nach insgesamt sechs Vermissten

Wasserhosen sind im Mittelmeerraum zu dieser Jahreszeit nicht ungewöhnlich, die hohe Oberflächentemperatur des Wassers könnte aber für die besonders hohe Intensität des Mini-Tornados vor Sizilien gesorgt haben. Die 56 Meter lange „Bayesian“ ankerte eine halbe Seemeile entfernt von Porticello, einem kleinen Küstenort zehn Seemeilen östlich von Palermo. Zum Zeitpunkt der Havarie sollen sich 22 Personen an Bord befunden haben, zwölf Gäste und zehn Crewmitglieder. Einen Toten, den Koch, fanden Taucher der Feuerwehr im Wasser, 15 Personen, darunter ein einjähriges Mädchen und seine Mutter, konnten unmittelbar gerettet werden – auch dank Karsten Börner, dem deutschen Kapitän der 42 Meter langen „Sir Robert Baden Powell“.

Wie ein Zeuge und Helfer die Havarie erlebte

Der Toppsegelschoner bietet für die Saison 2024 Sommertörns zwischen Albanien und Cannes an und ankerte in unmittelbarer Nähe von „Bayesian“. Börner beschreibt das Geschehen in einem Video-Interview mit der BBC. Nachdem sie eine Leuchtrakete sahen, machten er und der Erste Offizier sich auf den Weg und fanden kurz darauf eine Rettungsinsel mit 15 Person darin: vier Verletzte, drei davon schwer. Sie brachten sie an Bord und informierten die Küstenwache. Börner sagt in dem Video: „Ich denke, in Böen waren das zwölf Beaufort. Wir mussten den Motor starten, um die Ankerposition halten zu können. Als der Sturm vorbei war, bemerkten wir, dass das Schiff hinter uns verschwunden war.“

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Am Dienstag nach der Sturmnacht tauchten die Feuerwehrtaucher laut “Giornale di Sicilia” ab 7.30 Uhr zum 49 Meter tief liegenden Havaristen ab. Zusätzlich vor Ort sind Höhlentaucher, die laut der Regionalzeitung am Abend bis in die Brücke vorgedrungen waren, aber aufgrund von Möbeln, die den Weg versperrten, nicht weiterkamen.

Vermisster Mike Lynch feierte wohl Freispruch

Als noch vermisst gelten der britische Tech-Milliardär und mutmaßliche „Bayesian“-Eigner Mike Lynch und seine 18-jährige Tochter. Unter den Vermissten sind auch der Vorsitzende der Bank Morgan Stanley International, Jonathan Bloomer, und seine Frau, sowie der US-amerikanische Anwalt Chris Morvillo mit Frau. Der 59-jährige Lynch gründete 1996 die Softwarefirma Autonomy mit und verkaufte diese 2011 an Hewlett-Packard. Anfang Juni 2024 war Mike Lynch nach mehreren insgesamt 13 Jahre andauernden Verfahren von einem Gericht in San Francisco freigesprochen worden. Ihm und seinen Top-Managern war vorgeworfen worden, die Bücher vor der Übernahme geschönt zu haben. Bei der Zusammenkunft an Bord von „Bayesian“ soll es sich um eine Feier des Freispruchs gehandelt haben.

Hohe Wassertemperaturen begünstigen Wasserhosen

Ein großer Temperaturunterschied zwischen Wasseroberfläche und höherer Atmosphäre ist Voraussetzung für das Entstehen von Wasserhosen. Wird man von einem derartigen Mini-Tornado getroffen, können die Folgen erheblich sein, da in unmittelbarer Nähe Windgeschwindigkeiten in Orkanstärke möglich sind. Diese lokalen Starkwindereignisse suchen das Mittelmeer im Hochsommer immer wieder heim. Zu zwei Vorfällen im Mittelmeerraum sagte YACHT-Meteorologe Dr. Michael Sachweh bereits im Jahr 2018: „Beide Phänomene gehen auf die noch immer ungewöhnlich hohen Wassertemperaturen im Mittelmeer und die sehr aktiven Tiefdruckgebiete zurück, die dort zurzeit durchziehen.“ Die Oberflächentemperatur des Mittelmeers ist im zweiten Jahr in Folge so hoch wie nie zuvor. Forscher des Instituts für Meereswissenschaften (ICM) in Barcelona informierten Mitte August über einen täglichen Mittelwert von 28,9 Grad.

Supersegler mit 72 Meter langem Mast

Die 56 Meter lange „Bayesian“ lief 2008 bei Perini Navi im toskanischen Viareggio vom Stapel und soll zum Zeitpunkt der Havarie 18.000 Liter Diesel im Bunker gehabt haben. Die Besonderheit der kuttergetakelten Slup war der 74 Meter lange Mast, dem weltweit längsten aus Alu. Daran trug die Ex-„Salute“ eine Segelfläche von knapp 3.000 Quadratmetern, wobei sich alle Segel per Knopfdruck bewegten. Das modern gestaltete Interieur mit sechs Gästekabinen auf dem Unterdeck entwarf der französische Gestalter Rémi Tessier.


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