YouTube, Instagram und CoWas Segel-Influencer antreibt

Auf ihrer Reise um die Welt mussten sich die „Segeljungs“ diversen Herausforderungen stellen. Dazu gehörten auch Bootsbauarbeiten.
Foto: Tim Hund/Segeljungs
Viele Segler und Hobbybootsbauer sind auf YouTube, Instagram und TikTok aktiv. Die Inhalte sind mal banal, mal unterhaltsam, mal lehrreich. Was erhoffen sich die Macher von ihrem Tun? Und was kann man von ihnen lernen?

Als „größtes Abenteuer seines Lebens“ hatte Jens „Knossi“ Knossalla sein Projekt „Mission Unknown: Atlantik“ im Herbst letzten Jahres angekündigt. Der 38-jährige Entertainer und Livestreamer bezeichnet sich selbst als „König des Internets“ und dürfte auch dem älteren Fernsehpublikum spätestens seit seiner Teilnahme bei „Let’s Dance“ ein Begriff sein. Im Vorspann der ersten von zehn Folgen, die mittlerweile bei einem Streaming-Anbieter zu sehen sind, stellt Knossalla also die rhetorische Frage, was er sich bei dieser „Mission“ wohl überhaupt gedacht habe.

Dabei ist das Konzept der Unterhaltungsshow – um nichts anderes handelt es sich – simpel: Zehn bekannte Videocreator, die auf diversen Internetplattformen unterwegs sind, werden auf zwei Fahrtenyachten verfrachtet und müssen über den Atlantik segeln. Stets beobachtet von Kameras. „Big Brother“ und andere Reality-Formate lassen grüßen. Mit dabei sind unter anderem Fitnessbloggerin Sophia Thiel, Extremsportler Joey Kelly und YouTuber und Ballermann-Sänger Marc Eggers.


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Während der ein oder andere Segler anfangs auf eine spannende TV-Serie hoffte und sich vielleicht sogar Werbung fürs eigene Hobby versprach, waren andere skeptischer. Denn schon eine erste Logo-Grafik, auf der ein Segelboot abgebildet war, ließ Schlimmes befürchten: Keinem der Show-Verantwortlichen schien aufgefallen zu sein – oder sie gestört zu haben –, dass der Baum des Bootes vom Mast abgehend nach vorne statt nach achtern zeigte.

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Auch in der Show selbst ging es dann meist um alles andere als ums Segeln. Dem breiten Publikum war das egal. „Mission Unknown: Atlantik“ schaffte es beim Streaming-Anbieter mehrfach unter die Top Ten der meistabgerufenen Videos. In der Segelszene hingegen kam Knossallas Projekt weniger gut an. Doch was, wenn Influencer nicht zum Segeln gezwungen werden müssen? Sondern wenn sie im Gegenteil begeisterte Segler sind, oft sogar schon seit vielen Jahren, und nun mittels Handycam und Ansteckmikro andere an ihrem Tun teilhaben lassen wollen?


Segel-Influencer auf YouTube und Instagram


Segel-Influencer entführen ins Paradies

Auf verschiedenen Plattformen und diversen Kanälen lassen sich mittlerweile Menschen dabei zusehen, wie sie Schiffe restaurieren, ins Blauwasserabenteuer starten oder einfach nur eine gute Zeit auf der Ostsee verbringen. Zugegeben, die meisten dieser Segel-Influencer sind da unterwegs, wo die Sonne scheint und das Meer mindestens einen türkisblauen Farbton hat. Mithin an Orten, an denen sie ihre Zuschauer aus dem manchmal tristen, grauen Alltag entführen und zum Träumen einladen können.

Die „Segeljungs“ gehörten lange Zeit dazu, sammelten mit ihren launigen Reiseberichten fast 60.000 Abonnenten auf YouTube sowie über 45.000 Follower auf Instagram. Dieses Kapitel haben sie inzwischen abgeschlossen. Im August 2023 kreuzten die beiden verbliebenen „Jungs“ Tim Hund und Vincent Goymann ihren Ausgangskurs vor Port-Saint-Louis in Frankreich und tauschten das Leben an Bord zurück gegen das an Land. Während sich Goymann in Innsbruck nun vor allem dem Skifahren und seinem Studium widmet, ist Hund mit dem Refit eines „Projektbootes“ beschäftigt.

Die beiden haben jeweils ganz eigenen Wege gefunden, ihre bisweilen abenteuerliche Reise und all die Aufmerksamkeit zu verarbeiten, die ihnen zuteil wurde. Goymann schrieb ein Buch („Segeljungs. Zwei Freunde, drei Ozeane und null Ahnung“, Malik Verlag), Hund verarbeitete die über 330 Videos sowie viel noch nicht veröffentlichtes Material mit Hilfe von Produzent Tobias Steinigeweg zu einem Kinofilm. Der soll bald Premiere feiern.

Inspiration bieten

Auch Julia und Markus Luckeneder alias „Sailing Insieme“ dokumentierten ihre Reise auf der Videoplattform. „Wir waren selbst von YouTube-Videos inspiriert. Bevor wir abgelegt haben, haben wir über ein, zwei Jahre quasi jeden Abend damit verbracht, Videos zu schauen“, erinnert sich Julia Luckeneder. Die studierte Juristin und ihr Mann hätten dann ihre Reise dokumentieren und damit ihre Erinnerungen festhalten wollen.

„Außerdem hofften wir, über die Videos vielleicht den einen oder anderen Mitsegler zu finden und so unsere Bordkasse etwas auffüllen zu können“, so Luckeneder. „Dass wir aber solch eine große Reichweite generieren würden, haben wir nicht vorhergesehen.“

»Wenn man den Traum der Weltumsegelung ernsthaft verfolgt und versucht, für alle Probleme eine Lösung zu finden, wird es gelingen.« Tim Hund

Mit ihren rund 140 Videos haben die Luckeneders bereits über 40.000 Abonnenten für ihren Kanal begeistern können. Das beliebteste Video wurde fast 250.000-mal abgerufen. Auf Instagram hat ihr Account über 15.000 Follower. Ihre Vorträge auf Messen und anderen Veranstaltungen ziehen regelmäßig zahlreiche Zuhörer an.

Das liebe Geld

Was die „Segeljungs“ und „Sailing Insieme“ außerdem verbindet? Beide Projekte starteten, als die Protagonisten noch Anfänger waren. Ohne große Vorkenntnisse stürzten sich sowohl Julia und Markus als auch Tim und Vince samt ihren beiden damaligen Mitseglern ins Langfahrtabenteuer. „Wir waren echte Einsteiger, als wir mit den Videos angefangen haben“, erinnert sich Julia Luckeneder. Das habe durchaus zu einigen „harten“ Kommentaren geführt, wenn sie Fehler gemacht hätten, die erfahrenen Seglern so nicht passiert wären. Auch Tim Hund sagt, dass das Segelnlernen und alles, was damit zusammenhängt, im Grunde die größte Herausforderung ihrer Tour gewesen sei. Er meint: „Wir haben am Anfang vieles falsch gemacht. Beispielsweise Wartungsintervalle für Technik oder Ausrüstung nicht eingehalten. Dafür haben wir oft Lehrgeld bezahlt.“

Finanzielle Probleme, die mit einer Weltumseglung, der Versorgung an Bord, der Pflege und Wartung des Schiffes und den weiteren laufenden Kosten mitschwingen, sind häufig ein Thema in den Videos der YouTuber. Viele Influencer lassen sich deshalb von ihren Fans unterstützen, meist mithilfe von Crowdfunding-Kampagnen. Auf den entsprechenden Plattformen können die Anhänger monatlich einen Geldbetrag spenden, der ihnen dann mitunter gewisse Vorteile gegenüber den anderen Zuschauern verschafft.

Tim Hund und Vince Goymann griffen bei ihrer Weltumsegelung auf diese Möglichkeit der Finanzierung zurück. Desgleichen Emely Jo Uecker und Tjark Schlegel. Die beiden sind als „Sailing Meera“ auf YouTube und Instagram aktiv. Auch wenn ihre Reichweite bis dato mit rund 5.500 Abonnenten (YouTube) und etwas über 3.500 Followern (Instagram) vergleichsweise gering ist, erreichen einige ihrer Beiträge trotzdem bereits an die 30.000 Menschen. Im vergangenen Sommer haben die beiden trotz zweier Vollzeitjobs eine fünfwöchige Runde über die Ostsee gedreht und dabei vor allem Ziele in Dänemark und Schweden angesteuert.

„Wir mögen am Segeln vor allem das Reisen von Ort zu Ort. Die verschiedenen Städte und Gegenden zu erkunden hat seinen Reiz. Natürlich macht uns das Segeln auch viel Spaß, wir mögen aber eben auch das Ankommen sehr!“ Das sieht Julia Luckeneder von „Sailing Insieme“ anders. Während ihrer Blauwasser-Tour empfanden sie und ihr Mann den ständigen Ortswechsel als eher störend: „Von diesem ganzen Lifestyle mögen wir besonders die langen Passagen, das Unterwegssein auf dem Ozean. Das sagt uns mehr zu, als möglichst viele Orte zu sehen. Auf See zu sein ist einer der magischsten Aspekte des Lebens auf dem Schiff.“ Es gehe ihnen längst mehr um das Reisen an sich und das Schiff als Ort zum Leben, sagt sie. Auch Tim Hund berichtet, dass insbesondere die vielen Behördengänge, die anstanden, wenn sie in ein neues Land einreisten, auf Dauer doch recht ermüdend gewesen seien.

Remote-Jobs bessern die Bordkasse auf

Neben Spendensammeln greifen viele Segel-Influencer zur Finanzierung ihrer Projekte außerdem auf Remote-Jobs zurück. Eine Internetverbindung vorausgesetzt, können sie von überall auf der Welt arbeiten, oft auch vom Schiff aus. Tjark Schlegel zum Beispiel ist Unternehmensberater in der IT-Branche. Der 30-Jährige sagt: „In unserem sechswöchigen Sommerurlaub hatte ich anders als Emmy nur drei Wochen Urlaub.“ Die restlichen drei Wochen habe er vom Schiff aus gearbeitet. „Mein Arbeitgeber ist zum Glück fein mit solchen Aktionen“, sagt Schlegel, und: „Es war schon sehr cool, in einer Ankerbucht in Schweden zu sitzen und dort arbeiten zu können.“ Seine 27-jährige Freundin Emmy habe diese Möglichkeit als Ergotherapeutin leider nicht, fügt er hinzu.

Einer, der das Remote-Arbeiten auf die Spitze treibt, ist Kris Fothergrill. Er segelt zusammen mit seiner Frau Shona und ihren vier Kindern Bella, Finn, Archie und Pippi zu den schönsten Orten der Erde. Auf ihrem 46-Fuß-Katamaran sind sie dabei vor allem auch immer auf der Suche nach den besten Spots zum Kitesurfen, Wingfoilen oder Freitauchen. Fothergrill arbeitet dabei von Bord aus als Buchhalter.

„Es ist gar nicht so selten, dass ich für Videokonferenzen meinen Anzug, manchmal sogar eine Krawatte anziehe“, sagt er. Fothergrill habe fast täglich Videomeetings mit seinem Team oder aber Kundengespräche. Auch die Kinder haben eine festgelegte Tagesroutine. „Normalerweise machen wir morgens die produktiven Dinge, ich arbeite also und meine Frau Shona leitet die Gruppenarbeit der Kinder, die zwischen 10 und 14 Jahre alt sind. Dabei beschäftigen sich die drei jüngsten Kinder bis zu zehn Wochen lang jeden Tag mit dem gleichen Thema. „Gerade sind sie beim Thema Psychologie, sie haben sich aber auch schon mit dem Unternehmertum, mit verschiedenen Tieren, den Ozeanen und auch den Planeten auseinandergesetzt“, so Kris Fothergrill.

Nachmittags sei dann „Zeit für Abenteuer“, so der Skipper der „Happy Days“. Die älteste Tochter Bella etwa verfasse regelmäßig ein Blog (sailingsister.com). Unter anderem gibt die 15-Jährige darin anderen Langfahrt-Kids Tipps, die ihr selbst das Leben an Bord erleichtern. Darüber hinaus stellt jedes der vier Kinder am Ende eines jeden Monats eine Rechnung an Kris und seine Frau Shona für ihren Beitrag zum „Familienunternehmen“, wie Kris es nennt. Gemeint ist der Auftritt in den sozialen Medien der „Sailingwithsix“-Familie. Das Schreiben der Rechnung nennt Kris eine „großartige Gelegenheit, ein wenig Sinn für Geschäfte“ zu entwickeln.

»Heimat ist dort, wo wir zusammen sind. Momentan verstehen wir den Katamaran als unser Zuhause, und das wollen wir so schnell nicht ändern.« Kris Fothergrill

Neben den Einnahmen aus dem Remote-Job als Buchhalter und ihren Auftritten vor allem auf YouTube und Instagram bietet die Familie ihren Zuschauern ebenfalls die Möglichkeit, sie über eine Spendenkampagne zu unterstützen. Zu guter Letzt betreibt die Segelfamilie einen kleinen Onlineshop mit allerlei Fanartikeln.

Influencer erlangen Expertise

Auch Julia und Markus Luckeneder haben das Betreiben eines Versandhandels als Einnahmequelle für sich entdeckt. Er richtet sich an Segler, die auf Langfahrt in Blauwasserrevieren unterwegs sind. Erhältlich ist Ausrüstung vom Solarpaneel bis zum speziellen Passatwindsegel. „Auch wenn wir anfangs keinerlei Expertise im bootsbauerischen Bereich hatten, haben wir uns nach dem x-ten Mal, bei dem wir viel zu viel Geld für irgendwelche Marinamitarbeiter in Kroatien, Griechenland oder Italien bezahlt haben, entschlossen, uns richtig mit dem Thema auseinanderzusetzen“, so Julia von „Sailing Insieme“. „Meistens waren wir ja noch nicht einmal mit den Arbeitsergebnissen der externen Boots- bauer zufrieden.“ Das habe sie angespornt, sich während ihrer Reise immer mehr mit den technischen Aspekten auseinanderzusetzen.

Mit den Erfahrungen ihrer Reise im Gepäck haben die beiden zusammen den „Sailing Insieme Blauwassershop“ eröffnet. „Wir haben unser Schiff verkauft, unser Budget war ausgeschöpft, und wir haben gedacht, dass wir in unser altes Leben zurückkehren und das Ganze auf nachhaltige Beine stellen wollen“, erinnert sie sich. Es habe allerdings kein Jahr gedauert, bis sie entschieden hätten, dass sie doch wieder lossegeln wollten.

Deshalb setzen die beiden bald erneut die Segel. Ihren Versandhandel wollen sie dann von unterwegs aus führen. Die moderne Technik macht es möglich. „Vor allem unser Satelliten-Kommunikationssystem von Starlink ist dabei eine große Hilfe“, so Luckeneder. Bei der nächsten Reise mit ihrem neuen Schiff müssen sie allerdings achtgeben, in welchen Zeitzonen sie sich gerade befinden. „Zwar können wir jederzeit Bestellungen bearbeiten und den Warenversand von Bord aus organisieren. Aber wir bieten Kunden immer auch die Möglichkeit einer kostenlosen Videoberatung“, sagt die Skipperin.

Ob aktiver Segel-Influencer oder passiver Zuschauer – die sozialen Medien haben eine Win-Win-Situation geschaffen, die es so zuvor nicht gab: Die einen können dank der Unterstützung ihrer Fans ihrer Leidenschaft nachgehen. Die Fans wiederum profitieren von den Erfahrungen und dem Know-how der Influencer und können so einfacher eigene Segelabenteuer angehen. Oder aber sie lassen sich wie erwähnt einfach für ein paar Stunden aus dem Alltag zu fernen Sehnsuchtsorten rings um den Globus entführen.

Interview mit Leo Goolden, Kipper der „Tally Ho“

Leo Goolden kaufte vor sieben Jahren den Kutter „Tally Ho“ und dokumentierte dessen Restaurierung auf YouTube. Mit über 540.000 Abonnenten begeistert er junge Menschen für den traditionellen Yachtbau. Über den Erfolg seines Projekts, seine Zukunftspläne und Risikobereitschaft.

YACHT: Leo, wie erklärst du dir deinen Erfolg?

Leo Goolden: Das ist nicht einfach zu beantworten, letztlich ist es eine Mischung aus vielen Faktoren. Ein bisschen Glück spielt sicherlich eine Rolle. Man muss auch zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Wir haben unser Projekt auf YouTube gestartet, als einfach die Nachfrage vorhanden war. Es ist auch entscheidend, kontinuierlich präsent zu bleiben. Dazu gehört zudem die Entschlossenheit, nicht aufzugeben, wenn es herausfordernd wird. Wichtig ist ferner auch die Art, wie die Geschichte erzählt wird. Da sind die Charaktere entscheidend.

Du bist mit dem Projekt ein großes Risiko eingegangen. Wie wichtig war das?

Ich glaube, dass die Leute heute viel risikobewusster sind als früher. Das ist in vielerlei Hinsicht eine gute Sache. Es kann sie aber auch davon abhalten, sich auf Abenteuer einzulassen. Das „Tally Ho“-Projekt war nicht auf eine gefährliche Art riskant, aber es war ein großes persönliches Risiko. Ich habe mich auf das Projekt eingelassen, ohne eine Erfolgsgarantie. Geschweige, dass die Finanzierung gewährleistet war. Allein dass ich während des Baus in Amerika bleiben durfte, war nicht sicher. Dass ich das Risiko in Kauf genommen habe, denke ich, kommt in den Videos zum Ausdruck.

Die „Tally Ho“ schwimmt wieder. Ist das Abenteuer damit nun für dich beendet?

Nein, zu Ende ist es nicht. Derzeit können wir nur sagen, dass wir die „Tally Ho“ nach Großbritannien segeln werden. Das ist ein großes Vorhaben, denn wir müssen das Boot erst einmal kennenlernen. Es liegt noch viel Arbeit vor uns.

Dort willst du am Fastnet-Rennen teilnehmen – 100 Jahre nachdem die „Tally Ho“ das Rennen einst gewann. Wann soll es losgehen?

Wir planen, im Herbst dieses Jahres aufzubrechen. Beim Hochseesegeln trägt man die Verantwortung für sein Handeln. Geht etwas schief, trägt man selbst das Risiko, Das ist das nächste bevorstehende Abenteuer.

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