Kristina Müller
· 06.11.2022
Las Palmas de Gran Canaria ist auf den ersten Blick eine typische Großstadt: ein Ort voller Leben, laut, ein wenig rau. Las Palmas ist aber auch eine Großstadt mitten im Ozean und ein magischer Ort für Transatlantik-Segler. Wer die Molenköpfe des Hafens gen Süden passiert, die Hochhäuser und die Industriekulisse achteraus lässt, segelt bald nur noch dem Horizont entgegen. Kurs Karibik oder Kapverden, je nachdem
Zur 865 Seemeilen langen Etappe nach Mindelo auf der Kapverden-Insel São Vicente sind am Sonntag in Las Palmas 90 Yachten der Blauwasser-Rallye ARC Plus gestartet. Nach zwei Wochen Vorbereitungszeit eröffnen die rund 400 Segler damit die Transatlantik-Saison der Rallyes des britischen World Cruising Club.
Anders als die am 20. November startende Atlantic Rally for Cruisers (ARC) wird bei der „ARC Plus“ der Sprung über den Großen Teich in zwei Etappen aufgeteilt. Der Törn ist damit besonders bei Familiencrews beliebt, aber auch bei all jenen, die ihre Reise mit ein wenig mehr Muße angehen. Charterskipper und ihre Gäste sind eher selten auf dem Weg nach Mindelo zu finden. Wer einfach nur einen Haken hinter dem Punkt „Atlantiküberquerung“ auf der persönlichen Bucket List setzen will, wählt eher die Route ohne Zwischenstopp.
Zum zehnten Mal findet die ARC Plus in diesem Jahr statt. Bei dem mehrtägigen Zwischenstopp im Archipel vor der Küste Afrikas wird ein Landprogramm für die Crews organisiert, außerdem sind wie auf Gran Canaria und im Zielhafen Grenada Liegeplätze für die Teilnehmer reserviert. Eben diese Organisation ist ein entscheidender Grund für viele, sich der Flotte anzuschließen.
„Die Balance aus Sicherheit und Gemeinschaft“ war für Nicola Stamp und ihren Partner die Motivation, den Törn gemeinsam mit anderen anzugehen. Seit drei Jahren plant das Paar aus Südengland die Atlantiküberquerung. Ihre Hanse 370 von 2008 haben sie akribisch auf die große Reise vorbereitet. Doch immer kam etwas dazwischen – nun sind sie endlich unterwegs.
Michael von Pilar, der schon 2016 den Atlantik auf seiner Gib Sea 126 überquerte, hat sich für den Törn im Konvoi entschieden, „weil es einfach Spaß macht“. Das gemeinsame Hinfiebern auf den großen Tag, der Austausch auf den Stegen, die Crewpartys im ewigen kanarischen Sommer – all das ist zum Markenzeichen der Veranstaltung geworden und für viele der Teilnahmegrund schlechthin.
Durch die Pandemie war das soziale Miteinander in den vergangenen zwei Jahren allerdings stark zurückgefahren worden. Crewdinner, Partys, Seminare – vieles musste zur Enttäuschung der Crews vom Veranstaltungsplan gestrichen werden. Dafür gab es Maskenpflicht beim Einchecken und obligatorische PCR-Tests vorm Auslaufen – inklusive Zittern, ob das Virus den lang gehegten Traum zunichtemachen würde.
Doch bei der ARC fühlt sich in diesem Jahr vieles wieder an wie vor Corona. Die Seminare zu diversen Blauwasserthemen sind als Präsenzveranstaltung zurück ins straffe Vorbereitungsprogramm gekehrt, die Masken sind von den Stegen verschwunden. Ob eine Crew sich vor dem Start testen lässt, liege nun im Ermessen des Skippers, so die Veranstalter.
Mitsegeln dürfen bei der Rallye nur die Yachten, die den Sicherheitscheck der Organisatoren bestehen. Während der Pandemie wurden sie bereits vor dem Eintreffen der Boote auf den Kanaren als Videokonferenz durchgeführt – ein Novum, das zusätzlich zum Check vor Ort beibehalten werden soll. Lange bevor sie Gran Canaria erreichen, können sich die Skipper nun virtuell beraten lassen.
Das Thema Sicherheit ist für nicht wenige ein weiterer Grund, sich der ARC anzuschließen. Es sei einfach ein gutes Gefühl, zu wissen, dass jemand die Flotte im Tracker verfolge. Und dass andere Boote bei einem Seenotfall nicht allzu weit entfernt seien, argumentieren die Seglerinnen und Segler.
Bei Pia Toth und Bernhard Schneider aus Wien kam noch ein weiterer Aspekt hinzu: „Unsere Familien sind durch die Teilnahme an der ARC etwas beruhigter“, erzählt Toth zwei Tage vor dem Start. Ein Jahr Auszeit nehmen sich die 32-Jährige und ihr Freund, um sich den Traum einer Atlantikrunde auf eigenem Kiel zu erfüllen. Ihre betagte Sunbeam 40 haben sie im Mittelmehr gekauft, vorbereitet und dann nach Gran Canaria überführt – wo der Refit weiterging. Bis zuletzt gab es viel zu tun auf ihrer „Melee“. So musste etwa für die Versicherung noch kurzfristig das stehende Gut getauscht werden. Ein letzter Termin mit dem Elektriker dauerte bis in die Dunkelheit, und am Tag vor dem Auslaufen wurde der Kompass noch kalibriert.
Auf den Abfahrtstermin hinzuarbeiten sei daher ein wenig stressig gewesen. „Aber es ist auch gut, dass es diesen Termin gibt. Sonst wären wir vielleicht in ein bis zwei Wochen immer noch hier“, sagt Pia Toth mit einem Schmunzeln.
Auch auf der „Malouine“, einer Moody 41 mit deutscher Flagge am Heck, sind am Vorabend des Starts noch nicht alle Punkte auf der To-do-Liste abgearbeitet. Doch die Crew an Bord ist jung und wild entschlossen, am nächsten Morgen auszulaufen. Skipperin Ronja Dörnfeld aus Berlin will immerhin einmal um die Welt segeln. Im Frühsommer 2022 hat die 25-jährige Bachelorstudentin ihren Ausgangshafen in der Ostsee verlassen, um mit wechselnden Mitseglern und auch mal allein zu den Kanaren zu segeln. Von dort soll es nun erst richtig losgehen.
Nicht nur wegen der jungen Crew an Bord fällt die „Malouine“ auf. Mit seinen 41 Fuß gehört das Schiff mittlerweile zu den kleineren im ARC-Feld. Die durchschnittliche Bootsgröße liegt in diesem Jahr bei 14,50 Meter Länge. Nicht wenige Yachten mit 60 Fuß und mehr sowie einer professionellen Crew an Bord verschieben die Grenze immer weiter nach oben. Die Hanse 370 von Nicola Stamp ist eines der kleinsten Boote auf der Startliste. Nur 14 Yachten, also rund 15 Prozent der Flotte, sind keine zwölf Meter lang.
Dazu kommen immer mehr Katamarane. 21 Mehrrumpfer sind es in diesem Jahr, darunter sieben neue Schiffe, die erst kürzlich die Werft verlassen haben.
Der Start zur ARC Plus ist gleichzeitig eine Art Bettenwechsel der Blauwassersegler in Las Palmas de Gran Canaria. Kaum hat die ARC-Plus-Flotte die Leinen gelöst, trudeln die Yachten für den nächsten Transat-Start in zwei Wochen ein – dann ohne Stopp auf den Kapverden. Die nun gestarteten Yachten werden dort zwischen dem 11. und 13. November erwartet. Am 18. November lösen sie die Leinen in Mindelo dann für den langen Schlag in die Karibik. Wer virtuell mitreisen will, kann das ganz bequem im Online-Tracking.
Ein Bericht über die Boote der diesjährigen ARC Plus und ihre Ausrüstung sowie ein Interview mit Ronja Dörnfeld über ihre geplante Weltumsegelung erscheint in Kürze in der YACHT.